Willkommen im Zusammenhang „Wie du politisch etwas verändern kannst“. Hier findest du alle wichtigen Texte und Informationen zum Thema, damit du dir einen schnellen und guten Überblick verschaffen kannst.
Hallo! Mein Name ist Rico Grimm, ich schreibe über die Klimakrise und die Macht der Vielen. Eine Frage stellen mir meine Leser:innen immer wieder: Wie kann sich Politik ändern?
Diese Frage ist auf der einen Seite wahnsinnig schnell zu beantworten: Politik ändert sich, wenn Politiker:innen andere Dinge tun. Auf der anderen Seite habe ich dich mit dieser Antwort gerade nicht für voll genommen (sorry): Denn Politik ist mehr als das!
Ich werde dir gleich sieben Texte vorstellen, die Lektionen über politische Veränderung beinhalten. Ich fasse sie so zusammen, dass du das Wichtigste erfährst. Um mehr zu verstehen, solltest du sie lesen.
Zeit, das alles zu verstehen?
Lektion 1: Veränderung beginnt bei dir
Wenn du Zeit hast, nur einen einzigen Text zu lesen, dann diesen. Diese Geschichte spielt in Kölleda. Ja, in Kölleda, einer Kleinstadt nördlich vom thüringischen Weimar, ist etwas passiert, das viel größer ist als eine Kleinstadtlektion. Unser Reporter Josa Mania-Schlegel hat eine Gruppe von Freund:innen getroffen, die am Lagerfeuer „anfing, darüber zu meckern, dass heutzutage nur noch gemeckert, aber nichts getan werde.“ Jede:r dieser Freund:innen hatte bislang allein versucht, die Welt zu retten, im Museumsverein, im Feuerwehrverein, als Bürgermeisterkandidat. Sie merkten: Alleine kommen wir nicht weiter. Nach diesem Lagerfeuerabend gründeten sie einen Verein, mit dem sie zur nächsten Kommunalwahl antraten. Das Ergebnis: 27 Prozent der Stimmen geholt. Die AfD auf 9 Prozent gedrückt. Die Vereinsgründerin sagte unserem Reporter: „Es gibt nichts Schlimmeres als Wahlversprechen.“ Für Politik halten wir das, was Politiker machen. Die Kölledaer Freunde beweisen das Gegenteil.
Lektion 2: Wann Aktivismus etwas ausrichtet – und wann nicht
Anfang der Sechzigerjahre stand eine Gruppe von Frauen, die sich gegen nukleare Aufrüstung engagierte, im Regen vor dem Weißen Haus. „Frauen streiken für den Frieden“ nannten sie sich. Eine von ihnen erzählte später, wie sinnlos sich das anfühlte. Was sollten einzelne Frauen schon gegen Atomwaffen ausrichten? Doch die Frauen mit ihren Schirmen wurden beobachtet, von einem weltberühmten Kinderarzt namens Benjamin Spock. „Wenn diese Frauen im Regen demonstrieren, sollte ich mir das selbst genauer ansehen“, sagte sich Spock. Er wurde zu einer der wichtigsten Stimmen im Kampf gegen nukleare Abrüstung. 1963 unterzeichneten die großen Atommächte einen Vertrag, der Nukleartests in den Meeren und der Atmosphäre verbot.
Wann ist Aktivismus erfolgreich? Benjamin Spock kann nicht jede Demo angucken, meistens ist es viel komplizierter. Aber es gibt ein paar gesichterte Erkenntnisse. Darüber schreibe ich in diesem Text über die beiden Pro-Europa-Bewegungen „Pulse of Europe“ und „Diem 25“. Um Erfolg zu haben, braucht eine Bewegung die Aufmerksamkeit der Medien. Aber: Je systemkritischer ein Protest ist, desto kritischer berichten sie.
Kleinstädte in Thüringen, Demos in Berlin. Das klingt klein, ich weiß. Und die Probleme, die wir lösen müssen, sind viel größer, keines größer als der Klimawandel. Doch es gibt Hoffnung. Vor dreißig Jahren war ein großes Problem der Menschheit das Ozonloch. Und heute? Schließt sich das Loch, weil alle Länder dieser Erde die Produktion gefährlicher Stoffe verboten haben, die die wichtige Ozonschicht in der Atmosphäre angreifen. Unsere Reporterin Esther Göbel hat recherchiert, wie das gelungen war. Das Muster dahinter ist wiederholbar: Problem erkennen, es in Worte fassen, die Menschen aufklären, die Regierungen einbeziehen. Das klappt: Sogar der Vatikan hat den entsprechenden Vertrag unterschrieben! Das ist ein Text, den ich lese, um den inneren Zyniker in mir zu bekämpfen.
Eine Gruppe von Menschen müssen wir noch betrachten, wenn wir über politische Veränderung sprechen: Wirtschaftslobbyist:innen. Anders als Nichtregierungsorganisationen agieren sie fast komplett im Verborgenen. Um ihren Einfluss zu zeigen, habe ich den Fall der Erbschaftssteuer recherchiert. Und dabei vier Techniken aus dem Handbuch des Lobbyismus gefunden: Reframing. Desinformation. Zugang zu Entscheider:innen. Gezielter Druck auf diese. Der heutige Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Ralph Brinkhaus, sagt über den Lobbyismus bei der Erbschaftssteuer: „Es wurde teilweise ziemlich übertrieben, was die Forderungen und die Tonlage angeht.“ Lies diesen Text, um zu verstehen, wie Lobbyismus in Deutschland funktioniert.
Lektion 5: Ziviler Ungehorsam ist effektiver als gewaltsamer Protest
Nun wird es ein klein wenig akademisch – aber wahnsinnig spannend. Die Forscherinnen Erica Chenoweth und Maria J. Stephan haben sich eine einfache Frage gestellt: Hilft Gewalt dabei, politische Veränderungen zu erreichen? Sie haben 323 Widerstandsbewegungen untersucht (ein sehr großer Datensatz für Politikwissenschaftler:innen). Kurze Antwort: Nein, sie hilft nicht. Gewalt entzweit die eigenen Anhänger:innen, schließt Menschen aus und ist ineffektiv. Sorry Che, Gandhi ist stärker.
Lektion 6: Demokratie braucht Selbstbewusstsein – hier lernen Kinder es
Wenn wir über politische Veränderung sprechen, fallen oft Wörter wie Mut, wie Vision, wie Wille. Mir kommt dabei immer eine Sache zu kurz: der Glaube daran, etwas verändern zu können. Wer jahrzehntelang auf Autoritäten gehört hat, wird nicht von heute auf morgen anfangen, mit basisdemokratischen Experimenten die Gesellschaft der Zukunft vorzuleben. Demokratie braucht ein Gefühl für die eigene politische Stärke. Meine Kolleg:innen Esther Göbel und Martin Gommel haben einen Ort besucht, an dem Menschen genau dieses Selbstbewusstsein lernen: eine Demokratie-Kita. Die Kinder bestimmen darüber, wer sie wickelt, was sie essen und ob sie Mittagsschlaf halten – und es klappt!
Eigentlich sollte ein großer Investor in die Bundesliga, die deutsche Fußballliga einsteigen. Dann begannen die Fans ihren Protest, ließen nicht locker – und hatten Erfolg. Lea Schönborn zeigt in diesem Text, warum sie Erfolg hatten: Die Entscheider waren selbst gespalten, es gab sein sehr klares Ziel, die Fans hielten wirklich zusammen (auch über Vereinsgrenzen hinweg) und die Proteste haben die Richtigen getroffen.
Weil Podcast-Host Douglas Rushkoff zuverlässig einige der originellsten Stimmen zu politischer Veränderung ist, die ich kenne, darf er hier nicht fehlen.
Überall Bismarck-Statuen, aber keine für Robert Blum!
Robert Blum war eine Schlüsselfigur der deutschen Revolution 1848/1849; und trotzdem ist er so gut wie vergessen. Ralf Zerback zeigt in seiner Biografie, wie weit zurück die progressive Tradition Deutschlands reicht.
Rebecca Solnits „Hoffnung in der Dunkelheit“ (Pendo 2005) zeigt, dass Veränderungen nie in der Mitte der Gesellschaft beginnen, nicht dort, wo alle hinschauen, sondern an den Rändern. Wer dort hinschaut, erkennt: Das Potential für Veränderung ist größer, als man zunächst denken mag.
Radikal, aber realistisch – ist das moderner Aktivismus?
In seinem Klassiker „Rules for Radicals: A Pragmatic Primer for Realistic Radicals“ zeigt Saul Alinsky, wie Menschen, die etwas verändern wollen, auch wirklich vorankommen können. Sehr motivierendes Buch! Auf Deutsch gibt es von ihm "Anleitung zum Mächtigsein" (1999).