Von einem derartigen Erfolg können andere Protestierende nur träumen: Nach wochenlangen Fanprotesten hat die Deutsche Fußball-Liga (DFL) einen geplanten Investoreneinstieg abgeblasen und ist damit auf die Forderungen der Fans eingegangen.
Damit ist den Fanprotesten etwas gelungen, das kaum eine Protestbewegung schafft: Innerhalb weniger Wochen erreichten sie ihr Ziel. Deshalb lohnt es sich, genauer anzuschauen, was sie so erfolgreich gemacht hat – und was sich andere Protestierende davon abschauen könnten.
Diesen Text gibt es in zwei Versionen. Die eine Version ist für Personen, die Fußball langweilig finden. Ich verspreche dir: Ich werde jede Abkürzung und jede Hintergrundinformation erklären. Denn auch für diejenigen, die keine Fußballfans sind, lohnt es sich, die Mechanismen der Fußballkultur zu durchschauen. Die andere ist für die restlichen 50 Millionen in Deutschland, die Fußball ohnehin interessant finden. Wenn du auf das „+“ am Ende eines Absatzes klickst, findest du dort tiefergehende Informationen.
Was war in den vergangenen Wochen auf deutschen Fußballfeldern los? Die DFL wollte ein Private-Equity-Unternehmen (auf Deutsch etwas weniger sexy: eine Investmentverwaltungsgesellschaft) an der Bundesliga beteiligen. Die sollte eine Milliarde Euro zahlen und dafür 20 Jahre lang mit bis zu acht Prozent der Einnahmen an den TV-Erlösen beteiligt werden. Das sollte beiden Seiten Einnahmen bringen und die Bundesliga international konkurrenzfähiger machen.
Die Fans hatten Angst, dass dieser Investoreneinstieg die Bundesliga weiter kommerzialisieren könnte – zu ihrem Nachteil. Etwa durch Anpfiffzeiten, die in Deutschland mitten in der Nacht liegen, aber deshalb besser im Ausland geschaut werden können. Außerdem fürchteten sie, dass der Deal die eh schon reichen Clubs noch reicher machen würde, weil das zusätzliche Geld ungleich verteilt werden würde. Deshalb protestierten die Fans: Sie störten die Spiele, warfen mit Schokotalern oder Tennisbällen und ließen ferngesteuerte Autos über den Rasen flitzen. So lange, bis die DFL nachgab und den Investorendeal platzen ließ.
Hier sind fünf Punkte, die die Fanproteste so erfolgreich gemacht haben:
1. Die Entscheidungsträger:innen waren selbst gespalten
Die Ausgangslage für die Proteste war denkbar günstig, weil der Entscheidungsprozess leicht anzugreifen war. Die erste Abstimmung im Frühjahr 2023 scheiterte, weil nur 20 Vereine für den Deal stimmten. Bei der zweiten Abstimmung im Dezember sprachen sich 24 Vereine, also die gerade so benötigten zwei Drittel, für den Investoreneinstieg aus. Eine Ja-Stimme weniger und der Deal wäre geplatzt.
Nicht nur die Fans waren also skeptisch gegenüber des Deals, sondern auch einige Clubs. Der Protestforscher Simon Teune nennt das am Telefon eine günstige Voraussetzung für die Proteste: Sie hätten die Diskussion über die finanzielle Zukunft der Bundesliga „bebildert“, also eine abstrakte Debatte in sehr konkrete Proteste umgewandelt.
Es liegt also auf der Hand, für einen erfolgreichen Protest ein Thema aufzugreifen, das eh schon breit in der Gesellschaft diskutiert wird und bei der sich auch die Entscheidungsträger:innen nicht sicher sind über den richtigen Weg.
2. Die Protestierenden verfolgten ein klares Ziel
Was bei den Fanprotesten geholfen hat, war der sehr konkrete Anlass und die damit verbundene konkrete Forderung, den Investorendeal abzublasen. Im Klimaaktivismus ist der Gegner beispielsweise meist das gesamte Gesellschafts- und Wirtschaftssystem. Auf Demonstrationen von „Fridays for Future“ wird immer wieder skandiert: „We want system change, not climate change“. Das ist eine abstrakte Forderung, bei der nicht automatisch klar ist, an welchen Punkten die Politik oder Unternehmen ansetzen sollen.
Wenn Klimaproteste klar erkennbare Erfolge feiern konnten, dann ging es gegen etwas Spezifisches: So verhinderten zum Beispiel Bürgerinitiativen im Jahr 2008 den Bau des Kohlekraftwerks Germersheim. Und 2012 verhinderten Umweltverbände den Bau des Kohlekraftwerks Brunsbüttel. Bemerkenswert ist hierbei auch: Die Entscheidungsträger:innen waren in der Frage, ob das Kraftwerk gebaut werden sollte, gespalten.
3. Die Fans kultivierten ein Gemeinschaftsgefühl über Vereine hinweg
Bei den Fanprotesten haben fast alle Fans der 36 Erst- und Zweitligaclubs mitgemacht. Bei den Spieltagen gingen Fangesänge zwischen den gegnerischen Fans hin und her und sie verzichteten auf normalerweise typische Gesänge wie „Wer nicht hüpft, der ist ein Schalker“ oder „Lieber ein Verlierer sein, als ein dummes Bayernschwein!“ Der gemeinsame Feind war die DFL – und das war in diesem Moment wichtiger als Schmähgesänge über das gegnerische Team.
Die Kommerzialisierung, der sogenannte Ausverkauf des Fußballs, ist schon lange ein Schmerzpunkt der Fans. Der Investorendeal war die Verkörperung dieser Angst, dagegen konnte sich die Wut der Fans sehr gut kanalisieren. „Dieser Protest war breitenfähig“, sagt auch Jürgen Mittag, Sport- und Protestforscher an der Kölner Sporthochschule im Telefoninterview.
Sport-Journalistin Mia Güthe betonte in der Sendung „Hart aber fair“, dass die breite Masse von Fans die Proteste unterstütze. Eine Studie der Universität Würzburg bestätigt das: Ihr zufolge haben 76 Prozent der Fußballfans in Deutschland mit den Protesten sympathisiert.
„Außerdem hat der Fußball ein hohes Mobilisierungspotential“, sagt Sport- und Protestforscher Jürgen Mittag. Einerseits verbringen Fans eh schon ihre Wochenenden in Stadien und müssen nicht erst dorthin mobilisiert werden. Andererseits sind Ultras historisch gut organisiert und protestieren immer wieder gegen konkrete Maßnahmen ihres eigenen Clubs oder der DFL.
Wie wichtig den Fans der Fußball ist – und wie hoch damit das Mobilisierungspotential – zeigt dieses Meme:
https://twitter.com/PyroKlose/status/1760332678174241035
4. Die Fans benannten klare rote Linien
Sportschau-Reporter Marcus Bark sprach bei der „Hart aber Fair“-Sendung von den „roten Linien“ der Fans. Damit gehörte er zu vielen anderen, die diese roten Linien immer wieder deutlich machten. Die sind für die Fußballfans die Verschiebung der Anstoßzeiten. Der Fußballpodcaster Nico Heymer nannte sie sogar die „Heilige Kuh“ des Fußballs. Die Fußballfans sind also bereit, alles zu tun, um zu verhindern, dass ein Spiel zu für sie ungünstigen Uhrzeiten stattfindet. Sie wollen schließlich live im Stadion oder vor dem Fernseher das Spiel ihrer Mannschaft verfolgen.
„Rote Linien“ führen immer wieder zu Protesten. Über die Anti-AfD-Proteste in Jena zum Beispiel titelt die Zeit: „Das Geheimtreffen war für sie die rote Linie.“ Und 2017 zogen Demonstrierende im Hambacher Forst eine buchstäbliche rote Linie gegen den Kohleabbau, indem sie, ganz in rot gekleidet, eine Menschenkette bildeten. Rote Linien können also helfen, Unzufriedene zu mobilisieren. Es gibt ihnen ein Signal, dass sie nicht irgendwann später, sondern genau jetzt, demonstrieren sollen.
5. Die Proteste waren kreativ und haben die Richtigen gestört
Die Proteste haben gestört, aber so, dass man sich dabei ein Bier aufmachen und belustigt zuschauen konnte. Erst flogen Schokotaler, die den Bochumer Spieler Takuma Asano sogar zu ungeahnten Kräften verhalfen. Er aß am 16. Dezember einen der aus den Fanreihen geflogenen Taler und schoss 40 Minuten später das erste Tor für Bochum. Gut geschmeckt habe es nicht, aber es habe ihm Power gegeben, sagte er im Interview nach dem Spiel. Irgendwann warfen die protestierenden Fans zusätzlich mit Tennisbällen oder schickten ferngesteuerte Autos und Flugzeuge auf das Spielfeld.
Anders war das Erlebnis der Betroffenen zum Beispiel bei den Straßenblockaden der Letzten Generation. Die störten nämlich die Menschen, die gerade auf dem Weg in die Arbeit, zum Kindergarten oder zum Flughafen waren. Fanforscher Jürgen Mittag sieht hier den Knackpunkt: Er glaubt, dass die Störung der Freizeit für viele Menschen akzeptabler ist, als die der Verkehrswege.
Unter den Protesten der Fans litten vor allem die Spieler, weil sie durch die Unterbrechungen aus dem Spielfluss kamen und sich immer wieder von neuem aufwärmen mussten. Lange hielten sich Spieler und Trainer mit Kritik bedeckt, weil sie es sich nicht mit den Fans verscherzen wollten.
Irgendwann platzte dem Trainer des SC Freiburg, Christian Streich, vor laufender Kamera dann doch der Kragen: „Eine richtige Torchance, da brennt der Baum und dann wird’s Spiel unterbrochen: Nennen wir das einfach mal sehr, sehr unglücklich.“ Und der Dortmunder Spieler Niclas Füllkrug meinte ein paar Tage vor Abbruch des Deals: „Es muss so schnell wie möglich eine Lösung gefunden werden. Noch diese Woche, nicht nächste Woche. So kann es nicht weitergehen.“
Die Clubverantwortlichen und die DFL sorgten sich derweil um die TV-Einschaltquoten. Die längste von den Fans verursachte Unterbrechung dauerte 40 Minuten, mehrere Spiele wären beinahe abgebrochen worden. Die Proteste trafen also diejenigen, die die wichtigen Entscheidungen treffen.
Gleichzeitig müssen die Mächtigen einen Grund haben, zuzuhören. Die Fans sind Teil des Systems und haben einen Hebel: ihre Unterstützung. Kürzlich wurden sie von Fürths Trainer sogar als „Seele“ des Spiels bezeichnet.
Wenn man sich die verschiedenen Bedingungen anschaut, die den Erfolg der Fanproteste ebneten, wird klar: Es kamen ganz schön viele Sachen zusammen, die den Erfolg möglich machten. Aber keine Hoffnung verlieren: Auf Ebay sind noch Tennisbälle im Umlauf. Der Rest liegt in den Händen der Käufer oder wie Wilson, die Tennismarke, in ihrer Werbung schreibt: „We make the balls. You make a change.“
Redaktion: Isolde Ruhdorfer, Schlussredaktion: Lars Lindauer, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert