Die ungarische Tageszeitung Magyar Nemzet hat den Betrieb eingestellt, im 80. Jahr ihres Bestehens und zwei Tage nach dem erneuten deutlichen Wahlsieg der Partei Fidesz von Ministerpräsident Viktor Orbán. Seinen Reportern sei der Zugang zu Informationen über die Arbeit der Regierung nicht nur erschwert worden, sagte der Chefredakteur der konservativen Zeitung vor dem Verlagsgebäude in Budapest – seine Mitarbeiter seien sogar daran gehindert worden, Regierungsgebäude auch nur zu betreten.
Aufgeben musste Magyar Nemzet aber letztlich, wie vorher schon eine Reihe weiterer regierungskritischer Publikationen, weil sie kein Geld mehr hatte. Anzeigenkunden seien abgesprungen, weil sie von Fidesz-Politikern unter Druck gesetzt wurden und Aufträge verloren. In der Rangliste der Pressefreiheit ist Ungarn in den vergangenen zehn Jahren von Platz 17 auf Platz 71 abgerutscht.
Meine Großeltern stammen aus Ungarn, deshalb interessiere ich mich für das Land schon lange und verfolge regelmäßig, was dort geschieht. Viktor Orbán ist nun zum dritten Mal zum Ministerpräsidenten gewählt worden, und mit 48 Prozent der abgegebenen Stimmen konnte er sein Wahlergebnis im Vergleich zur vorangegangenen Wahl noch einmal verbessern. Es gehört zum guten Ton und ist Normalität, dass sich europäische Regierungen gegenseitig zur Wahl gratulieren. Aber auf welche Art das deutsche Spitzenpolitiker in den letzten Tagen gemacht haben, ist mehr als traurig:
Bundesinnenminister Horst Seehofer sagt: „Ich freue mich über den Wahlsieg. Es ist ja wiederholt ein sehr deutlicher Wahlsieg.“ Sein CSU-Kollege Alexander Dobrindt, Landesgruppenchef im Bundestag, findet: „Eine höhere Wahlbeteiligung und noch einmal mehr Stimmen für die Fidesz-Partei sind eine klare Bestätigung von Orbáns bürgerlich-konservativem Kurs für ein erfolgreiches Ungarn, eine Begrenzung der Zuwanderung und ein sicheres Europa.“ Der Fraktionschef der CDU im sächsischen Landtag, Frank Kupfer, gratulierte mit den Worten: Das Wahlergebnis „bringt klar zum Ausdruck, dass konservative Werte, der Stolz auf die Heimat und der Glaube an die eigene Gestaltungskraft für das Land einen hohen Stellenwert in der Gesellschaft haben”.
Ähnliche Statements gibt es von AfD-Politikern oder etwa der französischen Nationalistin Marine le Pen. Und dann gibt es natürlich noch Bundestags-Vizepräsident Hans-Peter Friedrich, ebenfalls CSU, der twittert: „Ohhh, da vertritt ein Regierungschef tatsächlich die Interessen der eigenen Bürger und die wählen ihn auch noch. Das muss die Linken ja zur Weißglut treiben.“
Aber vertritt Orban die Interessen seiner Bürger wirklich so gut?
Nach allem, was es an messbaren Ergebnissen seiner Regierungsarbeit gibt, muss man sagen: Nein.
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Rangliste „Unabhängigkeit der Justiz“ (Global Competitiveness Report, Weltwirtschaftsforum)
2008 stand Ungarn auf Platz 55
2017: Platz 101 -
Rangliste „Schutz von Eigentumsrechten“
2008: Platz 46
2017: Platz 125 -
Rangliste „Verwendung öffentlicher Mittel“
2008: Platz 79
2017: Platz 108 -
Rangliste „Vorteilsnahme im öffentlichen Amt“
2008: Platz 112
2017: Platz 131 -
Index Geschlechtergerechtigkeit
2007: Platz 61
2017: Platz 103 -
Rangliste „Freiheit der Wirtschaft“ (Heritage Foundation)
2007: Platz 44
2017: Platz 55 -
Demokratie-Index (Economist Intelligence Unit)
2006: Platz 34
2017: Platz 56 -
Rangliste Pressefreiheit (Reporter ohne Grenzen)
2007: Platz 17
2018: Platz 71
Sicher: Ungarn erlebt eine Phase der politischen Stabilität, wie es sie seit Jahrzehnten nicht hatte. Und die Arbeitslosenquote liegt unter EU-Durchschnitt. Aber deshalb geht es den Menschen nicht besser, und sie haben auch nicht mehr Geld in der Tasche.
Das Inflationstempo war stärker als in allen anderen EU-Ländern. Die Verbraucherpreise sind überdurchschnittlich gestiegen. Das Wirtschaftswachstum hingegen war unterdurchschnittlich. Und der Rückgang bei der Arbeitslosenquote ist zu einem guten Teil statistischen Verfälschungen geschuldet. 220.000 Arbeitslose wurden in staatliche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gesteckt, ganz nach deutschem Vorbild. Die Quote sank außerdem auch deshalb, weil arbeitsfähige Menschen ins Ausland abgewandert sind.
Vielleicht ist das überhaupt die bezeichnendste Statistik von allen – die Einwohnerzahl: Die ist seit 1980 ununterbrochen gesunken, seit Orbáns Wahlsieg 2010 um knapp fünf Prozent.
Nimmt man Seehofer, Dobrindt & Co. beim Wort, dann müsste man unter konservativen Werten also unter anderem verstehen: Machtmissbrauch, Vetternwirtschaft, Zensur, Einmischung in die Justiz. Und unter Heimat den Ort, an dem man mit seiner Arbeit nicht genügend Geld zum Leben verdient.
Aber die Menschen in Ungarn haben Orbán doch gewählt, das muss man respektieren, oder?
Natürlich muss man das respektieren, wenn man freie demokratische Wahlen respektiert. Aber laut den Wahlbeobachtern der OSZE war diese Wahl nicht wirklich frei und vor allem war sie: nicht fair. Es gab weitverbreitete Berichte über Unregelmäßigkeiten. Sie reichten von Staatsbediensteten, die verpflichtet wurden, für Orbán zu stimmen, bis hin zum Missbrauch von Regierungsgeldern für Wahlkampfzwecke.
Er nutzte zudem seine Kontrolle über die Wahlkommission des Landes, um willkürlich Geldstrafen gegen Oppositionsparteien zu verhängen, weshalb sie praktisch unfähig waren, einen echten Wahlkampf zu führen. Die ungarischen Staatsmedien hat Orbán in reine Propagandamedien verwandelt, und er hat dafür gesorgt, dass nicht-staatliche Medien in die Hände von Männern gelangten, die ihm absolut loyal sind.
Okay, okay. Trotzdem hat Orbán knapp 49 Prozent der Stimmen bekommen – das ist doch eine ausreichende Legitimation, oder?
Man darf nicht vergessen, dass letztlich nur ein Drittel aller Wahlberechtigten für Orbán gestimmt hat. Dank Reformen im Wahlrecht, die er selbst vorangetrieben hat, erreicht seine Partei damit trotz allem rund zwei Drittel der Sitze im Parlament. So super legitimiert finde ich diese Regierung nicht. Ich finde sie illiberal. Was Orbán ja übrigens selbst über sich sagt.
Der Mann, der mit Millionen Euro aus der Staatskasse Antisemitismus schürt, mit noch mehr Millionen die ungarische Minderheit in Rumänien zu Nationalismus und Separatismus erzieht, der nochmal mehr Millionen Euro an EU-Fördermitteln lieber an seine Familienmitglieder als an sein Land verteilt, der die freie Presse unterdrückt und die EU spaltet – „Warum genau finden Sie den so stark?“, habe ich die CDU-Fraktion im sächsischen Landtag gefragt. Wollen die aus Sachsen ein kleines Ungarn machen? Wären die gern selbst so illiberal und gut fürs Volk wie Orbán? Wie informiert sich der Fraktionschef denn über die Lage in Ungarn?
Wenn ich Fragen an Herrn Kupfer (den Fraktionschef) habe, könne ich ihm selbst schreiben, antwortet mir der Pressesprecher. Und empfiehlt mir ein Schreiben des ungarischen Botschafters in Berlin. Der Botschafter, so steht darin, findet, dass die Kritik an seinem Land eine „extrem arrogante und faktenignorante Offensive“ der deutschen Presse ist.
Ich frage den Pressesprecher, ob er sich diese Meinung zu eigen mache. Er sagt, er habe doch gesagt, ich solle Herrn Kupfer selbst schreiben. Und: „Sie merken schon, dass Sie sehr deutlich den Eindruck erwecken, an einer sachlichen Diskussion offenbar kein Interesse zu haben?“
Tja. In Ungarn könnte er mir jetzt einfach Hausverbot erteilen.
Von Herrn Kupfer habe ich bis jetzt keine Antwort erhalten.
Redaktion Susan Mücke, Produktion Vera Fröhlich, Bildredaktion Martin Gommel (Aufmacherbild: Flickr / Annika Haas / CC BY 2.0)