Die Volksbefreiungskost
Sinn und Konsum

Die Volksbefreiungskost

Fettes, geliertes Schweinefleisch, Huhnaroma-Hartkekse, Tofu wie aus Druckerpapier und Knochen aus der Dose: Unser Autor hat fünf Tage lang nichts anderes gegessen. Ein Selbstversuch mit der Einsatzverpflegung des chinesischen Militärs.

Profilbild von Jonathan White

Im April brach im chinesischen Internet ein Sturm der Entrüstung los. Auslöser waren Berichte, dass Soldaten, die 571 Chinesen im Jemen gerettet hatten, mit Essiggemüse abgespeist worden waren. Dagegen durften sich die Evakuierten an einem Acht-Gänge-Menü (inklusive Bier!) laben. Aber der wütende chinesische Netzbürger kann ruhig bleiben: Denn China hat, wie viele Armeen der Welt, eine eigene Version von Einsatzverpflegung (auf Deutsch Einmannpackung oder EPa, auf Englisch MRE: „Meal, Ready to Eat“). Von den USA in den 70er Jahren entwickelt, sollen MREs Truppen mit den nötigen Kalorien in den Geschmäckern der Heimat versorgen.

Wie schmeckt staatlich verordnetes chinesisches Essen also? Dank des Online-Shoppingriesen Taobao ist die Antwort leicht zu finden. Nach ein paar Mausklicks waren die chinesischen Militärrationen auf dem Weg zu mir, genug für eine Woche. Und das geschah, nachdem sie angekommen waren:


Tag eins

15:46 Uhr 自加热咖喱鸡丁炒饭 Selbsterhitzender Bratreis mit Curry-Huhn

Meine erste Truppen-Mahlzeit. Der vorgekochte Reis wird durch eine exotherme Reaktion zwischen Wasser und Chemikalien erhitzt. Ich warte, bis die Beutel lang genug geblubbert haben, um eine in Folie eingeschweißte Portion Reis aufzuwärmen. Sie fühlt sich härter an als eine vakuumverpackte Bibel. Passenderweise riecht das Ding leicht nach Schwefel. Der “Kochvorgang” dauert 15 Minuten, aber selbst dann ist der Reis zum Teil noch nicht gar. Knuspriger Reis kann eine köstliche Sache sein – die angebackene Kruste am Boden eines Tontopfs zum Beispiel. Aber das hier fühlt sich an, als müsste man den Verputz für seine Lehmhütte zerkleinern. Und wie lässt sich der Geruch des Reises beschreiben? Er riecht wie das Currypulver, das Karl der Kojote bestellen würde, um im Rahmen eines ausgetüftelten Plans Road-Runner-Curry herzustellen. Es haut einen um.

Bratreis, selbsterhitzend

Bratreis, selbsterhitzend Foto: The Cleaver Quarterly

22:37 Uhr 压缩饼干高能 Hartkekse (besonders kalorienreich)

Ich beschließe, mich an eine Packung vakuumierte Kekse heranzuwagen. Wie sich herausstellt, bestehen sie eigentlich aus komprimiertem Staub – von der Sorte, für die ein Arbeitgeber dir eine gesetzlich vorgeschriebene Maske zu Verfügung stellen müsste, wenn du ihm regelmäßig ausgesetzt wärst. Sonst könnte er auf Gesundheitsschädigung am Arbeitsplatz verklagt werden. Das Zeug schmeckt, als hätte dir eine Mumie in den Mund geboxt. Ich habe sieben Geschmackssorten zum Probieren. Diese hier schmeckt vor allem nach Zucker. Immerhin gibt mir der Zucker-Dröhnung genug Kraft für meine letzten Arbeitsstunden.


Tag zwei

02:26 Uhr 巧克力 Schokoriegel

Schokolade war eine der billigsten Dinge in dem Truppen-Menü, also habe ich viel davon bestellt. Die Stücke sind etwa zweieinhalb Zentimeter lange, folienverpackte Barren, die ein bisschen protzig wie Ferrero Rocher daherkommen wollen. Ausgepackt jedoch sehen sie aus wie alte Schokolade, mit einem weißen Belag, der so traurig macht, als würde man in ein Zuhause mit Hochwasserschäden zurückkehren. Der Geschmack erinnert mich an Zeiten, in denen ich nur Billig-Ostereier und No-Name-Schokoriegel kannte.

11:36 Uhr 红烧猪肉罐头 Geschmortes Schwein aus der Dose

Büchsen sind immer für ein ordentliches Frühstück gut. So etwas sagen wahrscheinlich Menschen, die oft auf Frachtkähnen Urlaub machen. Ich beschließe, diesem Gedanken zu folgen und den ersten meiner eingedosten Leckerbissen zu knacken. Dosenöffner benutze ich heutzutage nicht besonders oft, und als ich den Griff drehe, erinnert mich das plötzlich ans Campen… und an scheußliche Campingmahlzeiten. Tolle Sache, das Gedächtnis der Muskeln. Die Büchse ist offen. Das Fleisch sieht wie Hundefutter aus und hat den passenden Geruch dazu. Ich kann nur hoffen, dass ich von dem fetten gelierten Schweinefleisch eine feuchte Nase und ein glänzendes Fell bekommen werde. Wie sich herausstellt, ist es sehr salzig – beunruhigend salzig. Einem Salzwasserkrokodil wäre das etwas zu viel. Wenn ein Koch dieses Fleisch in die Hände kriegen, das Salz abwaschen und die Haut knusprig rösten würde, könnte es ganz okay schmecken. Der Gedanke an die knusprige Kruste könnte mich später vielleicht wachhalten.

15:21 Uhr 能量棒 Energieriegel

Ich bin so müde. Und so hungrig. Und mir ist ein bisschen schlecht und ich zitterte leicht, seitdem ich das Schweinefleisch gegessen habe. Der Riegel riecht sehr süß und glänzt stark. Er schmeckt scheußlich. Wie in einen Raum mit schweißgetränker Luft zu treten und zu würgen. Ich schaffe noch einen Bissen. Das ist das Schlimmste, was ich je gegessen habe. Ich esse ein Stück Schokolade, um den Geschmack loszuwerden. Noch eins. Und noch eins.

16:48 Uhr 猪肉丸子罐头 Fleischklößchen in der Dose 凉拌菜罐头, gemischtes Gemüse

Zwei Dosen auf einmal. Ein Festmahl. Warum nicht? Ein fleischfarbenes Fleischerzeugnis und eine meiner fünf Gemüseportionen. Das Fleisch gleitet aus der Dose und behält die Dosenform. Die Fleischbällchen sind schlampig geformt und fallen beim Kochen auseinander. Was das Gemüse betrifft, ist die Lake so sauer, dass mir die Tränen kommen. Die Mischung aus geraspeltem Kohl, Daikon (Rettich) und Möhren ist in Essig getränkt. Wenigstens ist das Gemüse angenehm knackig. Ich beschließe, es „al dente“ zu nennen. Jemand könnte ein Vermögen damit verdienen, dass er für spätere Zeiten, wenn wir alle in Untergrundbunkern leben, scharfe Sauce eindost. Wenn dies das Essen ist, das wir dann alle bekommen werden, habe ich es mit dem Ende aller Zeiten nicht eilig.

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