Von der Schwierigkeit, legal gutes Gemüse zu finden
Sinn und Konsum

Von der Schwierigkeit, legal gutes Gemüse zu finden

Die Deutschen essen immer mehr Gemüse. Das ist schön. Aber mal ehrlich: Viele Gurken, Tomaten und Zucchini aus unseren Läden und Märkten schmecken, nun, eher neutral. Deutschland sei der Müllplatz für Gemüse in Europa, sagt ein Händler. Weil für uns das Aussehen mehr zählt als das Aroma.

Profilbild von Theresa Bäuerlein
Reporterin für Sinn und Konsum

Das sind harte Worte. Sie müssen auf dich nicht zutreffen. Umso mehr wird dich die Frage interessieren:

Wo kriegt man in Deutschland Gemüse her, das wirklich schmeckt?

Ich bin der Frage einfach einmal nachgegangen. Und habe mit Menschen gesprochen, die es wissen müssen. Mit einer Gärtnerin, einem Wissenschaftler, mit Köchen…

Das klingt kompliziert. Ist es nicht einfach so, dass Gemüse aus der Region immer besser ist?

Gute Frage. Es gibt mittlerweile ja sogar in Supermärkten regionales Gemüse. Gute Gründe sprechen dafür, das zu kaufen - ökologische Gründe zum Beispiel. Oder weil man kleinere Landwirte unterstützen will. Manchmal schmecken Tomaten aus der Region auch wirklich besser. Denn sie müssen nicht so lang transportiert werden und können deswegen reifer geerntet werden. Aber findest du, dass deine regionalen Tomaten richtig lecker sind? So, dass du sie gerne auch einfach pur essen würdest, vielleicht mit ein bisschen Salz und Olivenöl, wie man es in Italien macht?

Naja…

Eben. Ich habe deshalb Micha Schäfer gefragt, der im Berliner Restaurant “Nobelhart und Schmutzig” kocht. Der muss es wissen, das Motto seiner Küche lautet “Brutal lokal”. Da wird keine einzige Tomate verarbeitet, die nicht aus der Umgebung kommt. “Gemüse, das richtig angebaut wurde, ist in jeder Gegend gut, und wird am besten auch dort gegessen”, meint er. Er sagt aber auch, das allein das Label “regional” keine Garantie für guten Geschmack sei: “Man baut auch im Berliner Umland viel geschmacksfreies Gemüse an.” Schäfer löst das Problem, indem er Supermärkte komplett vermeidet. Und indem er seine Produzenten gut kennt: Er hat mehr als 30, bei denen er direkt kauft.

Micha Schäfer

Micha Schäfer Foto: Marko Seifert Photography

Die hätte ich auch gerne, aber das ist für Nicht-Profis eher unrealistisch.

Ja, und zwar auch deswegen, weil das Gemüse dieser Produzenten vielleicht gar nicht bei dir ankommt. Wenn du nicht das Glück hast, dass bei einem Markt in deiner Nähe ein guter Händler verkauft. Ansonsten findest du auch auf dem Markt oft die gleichen geschmacksarmen Tomaten und Gurken wie im Laden um die Ecke.

Vielleicht liegt es einfach am Wetter. In Italien kriegt das Gemüse eben mehr Sonne, deshalb schmeckt es besser als in Deutschland.

In der Schweiz ist das Wetter auch nicht besser als hier. Dort wohnt meine Schwester, die sagt, dass sie in Bern das beste Gemüse ihres Lebens isst. Am Anfang hat sie mir ständig Fotos geschickt, wie es Leute machen, die frisch verliebt sind. Nur waren auf ihren Fotos Tomaten.

Romantisches Arrangement mit Wildtomate

Romantisches Arrangement mit Wildtomate Foto: Julia Bäuerlein

Sie sagte mir, zwischen herkömmlichen und diesen Tomaten sei der Geschmacksunterschied so groß wie der zwischen Magerquark aus dem Discounter und einem frischen Sahnequark vom Bauern. “Man kapiert gar nicht, dass es das gleiche Produkt sein soll.”

Ihr müsst wissen: Julia ist Gärtnerin und arbeitet in einer Sämerei für alte Gemüsesorten. Sie ist überzeugt davon, dass der Geschmack viel mit der Sorte zu tun hat. Allein bei Tomaten gibt es tausende verschiedene Varianten, aber die meisten davon kriegen wir nie zu sehen, weil man sie fast nirgends kaufen kann. Die meisten Gemüseanbauer, bio wie konventionell, erleichtern sich die Arbeit, indem sie ihre Pflanzen nicht selbst aus Samen ziehen, sondern von Großhändlern Setzlinge kaufen. Das allein reduziert schon die Vielfalt, weil die Händler natürlich vor allem die beliebtesten Sorten anbieten: also solche, die unempfindlich sind, viel Ertrag bringen und sich gut lagern lassen. “Aus Sicht des Händlers ist das total logisch. Wenn der eine Sorte Blumenkohl anbietet, der fünf Wochen später reif wird als der von den anderen und auch noch kleinere Köpfe produziert, dann wird er den kaum los. Es kann aber natürlich sein, dass der kleine Kohl besonders lecker ist”, sagte mir Julia.

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Meistens, erklärte sie mir weiter, seien die angebotenen Setzlinge außerdem Hybrid-Züchtungen. Man hat dafür, vereinfacht gesagt, zwei Elternteile, bei denen bestimme Eigenschaften gewünscht waren, eine feste Schale zum Beispiel und gute Lagereigenschaften, miteinander gekreuzt. So erhält man eine Pflanze, die feste, gut lagerbare Früchte hat - die aber nicht unbedingt aromatisch ist. “Ich weiß nicht, warum Hybriden oft schlechter schmecken”, sagte mir Julia. “Vielleicht fällt der Geschmack beim Kreuzen hinten runter, weil die anderen Eigenschaften wichtiger sind. Oder weil zum Beispiel ein starkes Aroma mit einer dünnen Schale korreliert. Wir haben hier nur zwei Tomatensorten mit fester Schale, die lecker sind, alle anderen haben eine weiche.”

Das klingt ein bisschen weit hergeholt.

Beweisen kann ich das auch nicht. Wobei es schon Indizien dafür gibt, dass Julia Recht haben könnte. Das Beispiel sind wieder Tomaten. Wahrscheinlich wird an deren Aroma am meisten geforscht, weil dieses Gemüse zum einen wahnsinnig beliebt ist, zum anderen der Geschmacksfrust recht hoch ist. Jedenfalls hat ein internationales Forscherteam festgestellt, dass moderne Tomatensorten so gezüchtet worden sind, dass sie eine gleichmäßig schöne, rote Farbe haben. Verantwortlich dafür ist eine zufällige Genmutation, die Züchter in den zwanziger Jahren entdeckt und fortan absichtlich in neue Sorten hineingezüchtet haben. Es gibt jetzt nur noch wenige Sorten ohne dieses veränderte Gen. Das Problem: Eigentlich ist genau dieses Gen in seiner ursprünglichen Form dafür verantwortlich, dass die Früchte süß und aromatisch werden.

Oh.

Ja, das ist dumm gelaufen. Aber ein guter Grund, unser Bild der idealen Tomate mal zu überdenken. Irgendwie hat sich in uns die Vorstellung festgesetzt, eine gute, reife Tomate müsse rund und intensiv rot sein. Es gibt sehr aromatische alte Sorten in wilden Formen und Farben. Die hier zum Beispiel sind völlig reif:

Alte Tomatensorten, die auch reif ganz oder teilweise grün bleiben

Alte Tomatensorten, die auch reif ganz oder teilweise grün bleiben Foto: Flickr, Clye Robinson (CC BY-SA 2.0)

Du hast mir aber immer noch nicht verraten, wo ich die herkriegen soll.

Das ist auch schwierig. Ein Kollege von mir meinte, er würde auf seinem Balkon Tomatensorten anbauen, die in der EU verboten sind. Die würden gut schmecken.

Aber es muss doch auch einen legalen Weg geben, um an gutes Gemüse zu kommen.

Nein.

Also, hör mal.

Gutes Gemüse kriegst du ja, so schlecht ist die Lage nicht. Aber für das richtig gute Gemüse und für interessante Sorten, die vielleicht komisch oder ungewohnt aussehen, gibt es noch fast keinen Markt. Oder hast so etwas schon mal in deinem Supermarkt gesehen?

Hier war keine künstliche Farbe am Werk: Dieser Blumenkohl gehört so.

Hier war keine künstliche Farbe am Werk: Dieser Blumenkohl gehört so. Foto: Flickr, Aurelien Guichard (CC BY-SA 2.0)

Nein, würde ich aber gerne.

Ich auch. Ich habe den Ökotrophologen Harald Seitz vom aid-Infodienst gefragt, was dafür passieren müsste. Der meinte, das gehe schon, wir müssten eben die Filialleiter in unseren Supermärkten nerven. Er habe das selbst auch gemacht, sagte er, als er wieder echte Frischmilch kaufen wollte. Die Supermärkte hätten immer die gleichen Gemüsesorten, weil es eben einfacher sei, die im Großlager zu bestellen als lokal einzukaufen, wo ein Produzent vielleicht auch mal eine kleinere Menge lila Karotten anbietet.

Foto: Flickr, Darya Pino (CC BY-SA 2.0)

Der Handel aber tut letztlich auch nur das, wovon er sich den größten Effekt bei seinen Kunden verspricht. Wenn also verstärkt lila Karotten gefordert werden, wird man dafür sorgen, dass es die auch gibt.

Bei Tomaten (sorry, schon wieder) kann man schon einen gewissen Wandel beobachten. Manchmal stehen in den Regalen plötzlich diese kleinen, teuren Schälchen mit anders geformten und gefärbten Sorten. Edeka zum Beispiel wirbt damit, dass man in den Filialen bis zu zehn Tomatensorten kaufen kann. Das Problem ist aber auch, meinte Seitz, dass wir keine Sorten kennen. Außer bei Äpfeln, da ist das anders, da fragen Verbraucher auch nach.

Das stimmt: Ich kann auf Anhieb sagen, was meine Lieblingsapfelsorte ist - sie heißt Elstar - aber ich könnte dir keine einzige Gurkensorte nennen. Dabei sind gerade die normalen Supermarktgurken stark verbesserungsfähig.

Eigentlich kauft man eine grüne Stange Wasser.

Das ist frustrierend. Ich würde sonst gerne öfter mal diesen Gurkensalat machen, für den man Mini-Gurken braucht. Die kriegt man zum Glück zumindest in türkischen Supermärkten.

Gibt es da nicht sowieso das bessere Gemüse?

Ich habe genau deswegen Ali gefragt, der in der Straße, in der ich wohne, ein tolles türkisches Café betreibt. Der meinte aber auch, das Gemüse, das man in Deutschland kaufen könne, sei einfach nicht besonders. Das ist für ihn auch ein Problem. “Das Gemüse hier riecht einfach nicht”, hat er gesagt.

“Eigentlich müsste man beim Obst und Gemüse jedes einzelne riechen können. Ich kenne das aus meiner Kindheit, da hatten Tomaten und Gurken immer einen ganz eigenen Geruch. Auch wenn ich in der Türkei Rucola esse, schmeckt sie viel bitterer und aromatischer als hier.”

Von Bio-Gemüse hält Ali auch nicht viel - das sei zwar besser, aber nur in Nuancen. Dass das Biosiegel keine Aroma-Garantie ist, meinten übrigens alle meine Experten. Wobei es schon so ist, dass Biobauern ihren Pflanzen mehr Zeit zum reifen lassen. Deswegen enthalten Bio-Gemüse und Bio-Obst weniger Wasser und schmecken etwas intensiver.

Dir ist schon klar, dass du hier nicht gerade gute Laune verbreitest.

Deswegen habe ich mir die positive Stimme für den Schluss aufgehoben. Der Spitzenkoch Michael Hoffmann, der bis letztes Jahr in Berlin das Sternerestaurant Margaux betrieben hat, sagte mir, dass die Lage in Deutschland jetzt schon viel besser sei, als sie es vor zehn oder zwanzig Jahren war. Vor allem die jüngere Generation habe mehr Interesse an Gemüse und auch daran, wo es herkommt. Wir wissen, meinte Hoffmann, aber immer noch viel zu wenig darüber, was man mit Gemüse machen kann. “In der Ausbildung zum Koch lernt man nicht viel, außer den typischen Sachen - wie man es kocht, blanchiert, püriert etc. Es gibt ganz wenig gute Literatur. Und das ist immer noch so, wenn auch jetzt der Trend ist, dass jeder Koch, der etwas auf sich hält, Gemüsegerichte anbietet. Aber wir stehen, was das Thema angeht, immer noch in den Kinderschuhen. Nehmen wir den Spargel: Der wird meistens gekocht und mit Sauce Hollandaise übergossen. Das ist gut und klassisch. Ich kann ihn aber auch schälen, mit ein paar Tropfen Olivenöl in den Römertopf geben und eine Viertelstunde im eigenen Saft dünsten. Das schmeckt viel aromatischer. Aus Gemüse kann man viel mehr machen, als bei Fisch und Fleisch, da gibt es eine weit größere Sortenvielfalt, mehr Farben und Konsistenzen.”

Michael Hoffmann kocht mit Gemüse auf hohem Niveau

Michael Hoffmann kocht mit Gemüse auf hohem Niveau Foto: privat

Hoffmann selbst hat in seinem Restaurant mit Gemüse unfassbare Dinge angestellt und es zu einem großen Teil in einem Garten im Berliner Umland auch selbst produziert. Dabei hat auch er Sorten entdeckt, die stärker oder anders schmecken, als wir es kennen - weiße Möhren und gestreifte rote Beete zum Beispiel. Mittlerweile, sagt er, sei er durch seinen Garten sehr verwöhnt. Eine gerade gepflückte, wirklich sonnengereifte Tomate im optimalen Reifezustand sei etwas, das man auch auf einem guten Markt nicht finde.

Dein Fazit lautet aber hoffentlich nicht, dass man sein Gemüse eben selbst anbauen muss.

Schaden würde es nicht. Aber, ehrlich gesagt: Ich habe vergangenes Jahr aus Samen einer alten Sorte, die mir meine Schwester geschenkt hat, Tomaten auf dem Balkon gezogen. Weiße Wildtomaten. Ich habe bahnbrechenden Tomatengeschmack erwartet, aber er war einfach nur okay. Julia sagt, es könnte an meiner Erde gelegen haben. Man brauche gute Erde, um Gemüse mit Geschmack ziehen zu können. Was übrigens ein weiterer Grund dafür ist, meint sie, warum viel Gemüsearten aus konventionellem Anbau so schwach im Aroma sind: Sie wachsen nicht auf Erde, sondern auf Substrat mit Nährlösung.

Ich hätte vielleicht doch die teurere torffreie Bioerde nehmen sollen.

Es ist kompliziert. Deshalb sind hier ein paar Tipps, die ich bei meiner Suche gelernt habe:

  • Im Supermarkt beherzt nach Gemüse greifen, das komische Farben hat oder ungewohnt geformt ist.
  • Händler nach anderen Gemüsesorten fragen.
  • Saisonales Gemüse aus der Umgebung auf dem Wochenmarkt einkaufen. Je länger Gemüse transportiert worden ist, desto unreifer wurde es wahrscheinlich geerntet beziehungsweise desto mehr verliert es auf dem Weg an Geschmack.
  • Egal, wo man es kauft: Gemüse zu Hause richtig lagern. Wenn man Gemüseanbau studiert, lernt man für jede Sorte die richtige Lager- und Kühltechnik. Zu Hause machen wir oft all diese Bemühung zunichte, weil wir zum Beispiel nicht wissen, dass Tomaten nicht in den Kühlschrank gehören, sie verlieren dort sofort Aroma und schimmeln schnell. Das gleiche gilt für alle Fruchtgemüse, also auch für Zucchini, Gurken, Auberginen, Kürbis und Paprika.
  • Michael Hoffmann schreibt an einem Buch über Gemüse. Er weiß noch nicht, wann es herauskommt. Aber es klingt, als würde ich es lesen wollen.
  • Wenn man am Gärtnern Spaß hat: Ruhig mal mit alten Sorten experimentieren. Die gibt es zum Beispiel hier. Aber auf gute Erde achten.

Aufmacherfoto: Flickr, David Poe, CC BY-ND 2.0