Fotomontage: Theresa Bäuerlein blickt den Betrachter durch den Rückspiegel eines Autos an.

Norbert Buduczki/Unsplash

Sinn und Konsum

Kann ich eine alte Angst loswerden, indem ich sie einfach konfrontiere?

Autofahren verursacht bei mir Panik und Schweißausbrüche. „Einfach machen“, sagen alle. Ich will endlich wissen, ob das funktioniert.

Profilbild von Theresa Bäuerlein
Reporterin für Sinn und Konsum

Am liebsten würde ich im Moment jeden Tag mit einem existenziellen Schrei beginnen. Aber das gilt in Deutschland bestimmt als Lärmbelästigung.

Ich bin also etwas angespannt. Denn ich mache gerade den Führerschein. Mit 43. Angemeldet bin ich schon seit zwei Jahren, die Theorieprüfung habe ich in letzter Minute geschafft, bevor die Frist ablief. Sonst hätte ich mir noch einmal an 14 Abenden 90 Minuten lang Regeln anhören müssen, die in der Praxis vermutlich nie Anwendung finden. Wer berechnet in einer gefährlichen Situation noch schnell seinen Reaktionsweg? Und wer weiß, dass man im Winter ein Bußgeld riskiert, wenn man mit einer dicken Schneedecke auf dem Dach herumfährt? Oder es gegen das Vermummungsverbot verstoßen kann, mit einem künstlichen Bart hinterm Steuer zu sitzen?

Nun bin ich also bei den praktischen Fahrstunden angelangt. In den VW T-Roc meiner Fahrschule zu steigen und loszufahren, Woche um Woche, gehört zu den schwierigsten Dingen, die ich je getan habe.

Und nein, es liegt nicht daran, dass ich bisher ein Leben geführt habe wie ein unterfordertes Schoßhündchen. Ich leide unter einer ziemlich stark ausgeprägten Fahrangst. Sie ist so schlimm, dass ich nach den ersten Fahrstunden, die im Winter stattfinden, Anleitungen dafür suche, wie man den Geruch von Angstschweiß aus Wollpullovern entfernt (Fragmutti.de empfiehlt Natron oder lange Auslüften).

Ein Auto ist ein rasendes Sofa

Studien zeigen, dass etwa zehn bis 15 Prozent der Menschen irgendwann in ihrem Leben an einer spezifischen Phobie leiden. Manche fürchten sich vor Spinnen, andere, wie ich, vor dem Autofahren. Angststörungen insgesamt betreffen bis zu zwanzig Prozent der Bevölkerung.

Kein Gefühl ist mir so innig vertraut wie Angst. Sie begleitet mich schon so lange, dass ich sie als normal empfinde. Die Methode, die ich gegen sie anwende, ist brachial: Ich setze mich dem Schrecken aus. Mein Traumberuf als Kind war Bibliothekarin, weil ich dachte, dass man da mit niemandem reden muss. Ich wurde Journalistin. Ich hatte Angst, von meinem Partner betrogen zu werden und lebte deshalb vier Jahre lang in einer offenen Beziehung. Ich hatte Angst vor der Fremde, also zog ich ins Ausland. Ein Freund sagte mir einmal: „Du bist die mutigste ängstliche Person, die ich kenne.“

Manche Ängste werden mit meiner Methode besser, andere bleiben. Wie die Fahrangst. Deswegen habe ich keinen Führerschein, und das will ich jetzt endlich ändern.

Der Rat, den ich am häufigsten von wohlmeinenden Menschen höre, die natürlich noch nie nach einer Autobahnfahrt Natron auf den Angstschweiß in ihrer Merino-Strickjacke streuen mussten: Einfach machen! Haha. Natürlich wirken Ängste absurd, die man selbst nicht hat. Es ist mühsam, immer wieder erklären zu müssen, warum man etwas nicht kann, das für andere selbstverständlich ist. Wer Angst vor Spinnen hat, wird jedes Mal belächelt, wenn er nicht mal eben in den Keller gehen kann, das Fahrrad hochholen. Ängste schränken uns ein und sondern uns ab. Ich will das nicht mehr. Dafür muss ich mir eine Frage stellen. Kann man Ängste überhaupt noch loswerden, die man seit Jahrzehnten mit sich herumträgt? Und wenn ja, funktioniert es vielleicht wirklich, dieses „einfach machen“?

Mein Vater hat mir einmal gesagt, der Führerschein sei Teil der Allgemeinbildung. Laut einer Umfrage des TÜV-Verbands besitzen tatsächlich 92 Prozent der Erwachsenen in Deutschland einen Führerschein – ein Anteil, der nur etwas unter dem der Menschen liegt, die lesen und schreiben können. Vielleicht ist es mir deswegen so peinlich, keinen zu besitzen. Die Führerscheinausbildung in Deutschland kostet laut ADAC etwa 2.500 Euro, also mehr, als eine durchschnittliche Person in Deutschland im Monat verdient. Bei einem Fünftel der Anwärter sind es sogar bis zu 4.500 Euro. Ich finde, das ist unfassbar viel Geld. Darüber hinaus fordert die Ausbildung auch noch etwa 50 bis 60 Stunden Lebenszeit. Trotzdem machen sie fast alle.

Was aber längst nicht heißt, dass alle, die den Schein haben, auch Auto fahren. Rund ein Drittel der Menschen in westlichen Industrieländern leidet unter Fahrangst. Das ergab 2019 eine Übersichtsarbeit. Sie hat einen Titel, bei dem ich mich sofort verstanden fühle: „Help! I’m afraid of Driving!“. Die Autor:innen schreiben, dass diese Angststörung oft unerkannt und unbehandelt bleibt, weil die Betroffenen das Fahren einfach vermeiden, obwohl sie das im täglichen Leben stark einschränkt. Frauen sind häufiger davon betroffen als Männer. Sie tritt sowohl bei erfahrenen Fahrerinnen auf, als auch bei Anfängern.

Es ist mir ein Rätsel, wie Menschen sich in aller Seelenruhe hinters Steuer setzen können. Genau genommen ähnelt ein PKW einem mit Blech umkleideten Sofa, das mit 200 Sachen über die Autobahn brettern kann. Ob man das überlebt, hängt vom Zufall ab. Weil man keinerlei Kontrolle darüber besitzt, ob die anderen Fahrer:innen im falschen Moment niesen oder wütende Nachrichten an ihre Ex schreiben, statt auf die Straße zu gucken.

Man stelle sich vor, die Idee des Autofahrens würde im 21. Jahrhundert erfunden und vermarktet werden. „Unser rasendes Blechsofa kann man beruhigt fahren, denn es hat Sicherheitsgurte! Und Spurhilfeassistenten!“, würde die Erfinderin rufen. Auslachen würde man sie. Einsteigen würden nur gestählte Kampfpiloten. Und Teenager, weil die sich für unsterblich halten. Deswegen ist der richtige Zeitpunkt, den Führerschein zu machen, natürlich mit 17 oder 18 Jahren.

Diese Chance habe ich verpasst, weil mir die Idee meiner Unsterblichkeit ziemlich früh abhanden kam.

Der Moment, als ich begreife: Wir schaffen das nicht

Es regnet auf der Autobahn an einem Herbsttag vor mehr als 20 Jahren, so dicht, dass man kaum etwas sehen kann. Mein Freund sitzt am Steuer seines Golf Kombi, ich daneben und hinter uns zwei Freundinnen. Wir sind Teenager, verkatert, aber gut gelaunt, am Abend vorher waren wir zu Besuch in einem Zeltlager. In unseren Haaren hängt noch der Rauch vom Lagerfeuer. Ich drehe mich nach hinten, mache irgendeinen Witz – und dann geht auf einmal alles viel zu schnell. Ich höre, wie mein Freund die Luft scharf einzieht, spüre den Ruck, als er den Fuß auf die Bremse knallt. Durch die nasse Windschutzscheibe sehe ich, wie wir auf einen blaugrauen Transporter zurutschen, das Heck erscheint mir hoch wie eine Wand. Ich begreife mit plötzlicher Klarheit: Wir schaffen das nicht. Und ich habe keine Ahnung, wie schlimm es werden wird.

Dann der Knall.

Wir hatten Glück an diesem Tag, nur die Autos gingen kaputt. Der ADAC fuhr uns nach Hause. Aber der Moment vor dem Krach hat sich in mein Gehirn eingebrannt, diese totale Hilflosigkeit, wenn die Wand auf einen zukommt. Seitdem habe ich Angst vor dem Autofahren.

Die Studie „Help! I’m Afraid of Driving!“ unterscheidet zwischen zwei Formen der Fahrangst. Die primäre Fahrangst entwickelt sich ohne konkretes Trauma und tritt häufig bei Menschen mit generellen Angststörungen auf. Die sekundäre Fahrangst hingegen entsteht durch belastende Erlebnisse wie Unfälle oder Beinahe-Kollisionen – so wie bei mir.

Bei Menschen mit Fahrangst reagiert das autonome Nervensystem überempfindlich. Schon der Gedanke ans Autofahren kann Herzrasen, Zittern oder Atemnot auslösen. Ein Teufelskreis: Die körperlichen Symptome verstärken die Angst, was dazu führt, dass Betroffene das Autofahren immer weiter meiden.

All das weiß ich nicht, als ich mich zum ersten Mal in der Fahrschule anmelde, so wie alle meine Freund:innen in dieser Zeit, ungefähr ein Jahr nach dem Abi. Die Technik bereitet mir keine Probleme, das Schalten macht mir sogar Spaß. Aber sobald ich anfange, schneller zu fahren, werden meine Arme steif. Ich bekomme einen Tunnelblick, kann nicht mehr denken. Mein Fahrlehrer hat keine Ahnung, kein Gespür oder keine Lust auf eine Schülerin mit Fahrangst. Seine Methode, mir das Fahren beizubringen, besteht darin, dass er darauf wartet, dass ich einen Fehler mache. Danach motzt er mich an. Mit jeder Fahrstunde wird das Gefühl des Versagens stärker. Als mir der Fahrlehrer rundheraus sagt, dass ich die Prüfung zum geplanten Termin nicht schaffen werde, melde ich mich ab und denke, dass ich es irgendwann später noch einmal versuchen werde.

Ich hätte nie gedacht, dass es Jahrzehnte dauern würde.

„Mädchen, dich muss man halt anbrüllen!“

Bei einer Umfrage in der KR-Community, an der sich rund 400 Leser:innen beteiligt haben, sagt mehr als die Hälfte, dass sie gute Erfahrungen in der Fahrschule gemacht haben. Immerhin! Rund 40 Prozent aber gaben an, dass sie nicht gerne zur Fahrschule gegangen sind. Rund drei Viertel davon sagen, das habe an den Fahrlehrer:innen gelegen, ein großer Teil hatte Angst vor dem Fahren (Mehrfachnennungen waren möglich. Hier findest du alle anonymisierten Antworten aus unserer Umfrage.)

Es ist traurig zu lesen, wie viele der Teilnehmenden beim Fahrenlernen sexistische Sprüche über sich ergehen lassen mussten. „Komm, wir fahren zum Freibad zum Spannen“, schlug Stefans Fahrlehrer ihm vor. Mascha wiederum hörte Sprüche wie: „Du bist doch ne ganz Wilde, zeig mir das doch mal.“

Andere berichten anonym von wirklich bedrohlichen Situationen. Wie dieser hier:

„Als mir mein Fahrschullehrer auf einer Überlandfahrt kurz vor einer Kreuzung zu einer Einfahrt zu einem Waldweg sagte: ‚Du kannst jetzt da reinfahren, dann wird es billiger‘, bin ich einfach weiter geradeaus auf der Hauptstraße gefahren. Er hat danach kaum noch mit mir gesprochen.“

Eine weitere anonyme Antwort: „Es gab bei uns im Dorf nur zwei Fahrlehrer. Der eine war ‚freundlich‘, aber bekannt dafür, dass seine Hand beim Fahren sehr gerne hoch am Oberschenkel der Schülerinnen lag. Ich habe mich daher für den anderen entschieden, der ein kompletter Choleriker war und unter anderem den unverschämten Satz brachte: ‚Mädchen, dich muss man halt anbrüllen, damit du irgendwas raffst!“

Mein Fahrlehrer hat mich nicht belästigt, er war nur gemein. Trotzdem frage ich mich, wie sehr es mich bis heute prägt, dass ich mit dummen Sprüchen über Frauen und Autos aufgewachsen bin. Als ich Abi machte, war das Buch „Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken“ ein Bestseller.

Statistisch gesehen sind Frauen die besseren Fahrer. Zumindest, wenn man Wert darauf legt, unversehrt ans Ziel zu kommen. Die Studienlage zeigt: Frauen halten sich konsequenter an Verkehrsregeln, fahren defensiver und verursachen weniger Unfälle pro gefahrenem Kilometer. Männer hingegen neigen eher zu riskantem Fahrverhalten und sind häufiger in schwere Unfälle verwickelt.

Ich liebe Autofahren, trotz allem

Nach dem ersten gescheiterten Anlauf in der Fahrschule versuche ich es mit meiner üblichen Methode, ich gehe der Angst entgegen. Dann eben als Beifahrerin. Ich machte eine Autoreise nach der anderen, immer noch mit dem Freund, mit dem ich den ersten Unfall hatte. Dabei knallt es noch ein paar Mal. In Italien rast ein Auto von rechts in uns hinein, knapp an meiner Beifahrertür vorbei. In Marokko rumst uns ein Lastwagen ins Heck. Als es knallt, denke ich zuerst, eine der Gasflaschen des Campingkochers sei explodiert. In Israel kracht uns ein Abbieger in die Motorhaube, danach fahren wir wochenlang mit einem runterhängenden rechten Scheinwerfer herum.

Mehr zum Thema

Von der Nummer in Italien trage ich ein kleines Schleudertrauma davon, ansonsten bleibe ich unversehrt. Aber mein Körper erinnert sich. Wenn ich als Beifahrerin auf ein anderes Auto zurolle, bremsen noch Jahre später meine Füße mit, krallen meine Hände sich in den Sitz.

Ich kenne nur Menschen, die Automatik-Autos albern finden

Die Reisen sorgen dafür, dass ich mich trotz allem ins Autofahren verliebe. Ich habe eine Spotify-Liste, die „Roadtrip“ heißt, erst gestern habe ich den Song „Anarchy in the UK“ darauf geschoben (die Megadeth-Version). Ich mag den Geschmack von Filterkaffee an Tankstellen und das satte Schnurren von Autoreifen auf einer frisch asphaltierten Straße. Aber die Vorstellung, selbst am Steuer zu sitzen? Bleibt furchtbar. Dass mein Gehirn sich derart unlogisch verhält, nehme ich ihm übel.

Aber ich erlebe immerhin einen kleinen Wendepunkt. Vor ein paar Monaten folgte ich einem Influencer, der mir das Gefühl gibt, alles schaffen zu können. David Goggins ist ein Typ, der etwas verkörpert, das ich eigentlich ablehne: totale Selbsthärte. Aber er beeindruckt mich auch. Wenn dieser Mann mit gebrochenen Füßen einen Marathon laufen kann, denke ich, kann ich den Führerschein schaffen. Vielleicht brauche ich 100 Fahrstunden, aber auf einmal bin ich mir sicher, dass es möglich ist.

Ich finde eine Fahrschule, auf deren Website steht: „Bei uns geht es eher familiär zu, Du sollst Dich wohl und gut aufgehoben fühlen.“ Ich melde mich an. Mein neuer Fahrlehrer, nennen wir ihn Ziad, weil ich laut der Fahrschule seinen echten Namen hier nicht nennen soll, überzeugt mich davon, den B196-Führerschein zu machen. Den gab es noch nicht, als ich den ersten Anlauf gemacht habe. Der B196 bildet mit einem Automatik-Wagen aus, in Extra-Fahrstunden lernt man Schalten. Erst will ich das nicht, denn ich kenne in Deutschland nur Menschen, die verächtlich auf Automatik-Autos gucken. Sie sagen, dass man das Auto nicht ordentlich spürt, als wäre es ein Pferd, für das man Gefühl in den Schenkeln braucht. Ziad lässt mich zwei Fahrstunden lang mit dem Schaltwagen im Dunkeln bei Regen durch Berlin fahren. Danach sind von meinen Nerven nur noch löchrige Fetzen übrig, zu Hause kriege ich einen zwanzigminütigen Weinkrampf.

Also wechsele ich auf Automatik. Es hilft, weil ich beim Fahren über eine Sache weniger nachdenken muss, aber mein Herz rast dennoch, mein Mund trocknet aus. Ziad ist nett und geduldig und merkt an, ich sei wohl etwas angespannt. Es ist mir peinlich, ihm zu sagen, wie viel Angst ich wirklich habe.

Wenn das Auto Teil des Körpers wird

Am meisten fürchte ich die Autobahn. In meinem Kopf höre ich beim Auffahren das Quietschen von Bremsen, den Knall von Metall auf Metall. Aber die Autobahn ist überhaupt nicht schlimm. Viel schwerer fallen mir von beiden Seiten eng zugeparkte Straßen in 30er-Zonen. Ich weiß tatsächlich nicht, wie breit mein Auto ist.

Was daran liegt, dass mein Gehirn noch nicht so weit ist. Wenn Menschen Werkzeuge benutzen, lautet eine Annahme aus der Forschung, nimmt unser Gehirn das Werkzeug als Teil unseres Körpers wahr. Wenn wir zum Beispiel einen Hammer halten, fühlt es sich an, als wäre er eine Verlängerung unserer Hand. In der Forschung nennt man das Body Schema Extension. Beim Autofahren passiert wahrscheinlich etwas Ähnliches: Das Auto wird unbewusst in unser Körpergefühl integriert und fühlt sich irgendwann an wie eine natürliche Erweiterung, sodass wir es intuitiv steuern können. Deshalb wissen wir genau, wie breit es ist, wann wir bremsen müssen oder wie weit wir vom Bordstein entfernt sind, ohne jedes Mal bewusst darüber nachzudenken.

Ich warte sehnsüchtig darauf, dass ich den T-Roc mühelos wie meinen eigenen Körper durch die Stadt lenken kann. Es wird besser, aber nicht viel besser. Allmählich lerne ich Ziad zu sagen, wenn ich eine Pause brauche, ohne mich wie eine Versagerin zu fühlen.

Meine Therapeutin, zu der ich eigentlich aus ganz anderen Gründen als meiner Fahrangst gehe, erinnert mich daran, dass ich bei meinen Unfällen damals tatsächlich ausgeliefert war, weil ich nicht selbst bremsen konnte. Als Fahrerin kann ich das aber.

Ziad hingegen wünscht von mir einen Zaubercocktail aus Vorsicht und Forschheit gleichzeitig. „Nicht so viel bremsen“, sagt er. Auch zu langsames Fahren gefährde andere Straßenteilnehmer.

Egal, wie optimistisch ich jeweils am Tag vorher war, je näher die nächste Fahrstunde rückt, desto nervöser werde ich. Lieber würde ich 90 Minuten lang AfD-Aufkleber von Stadtparkbänken kratzen, als wieder hinterm Steuer zu sitzen. Ich staune darüber, dass meine Füße mich unbeirrt immer wieder zur Fahrschule tragen.

2003 maßen Forschende in einer kleinen Studie mit 24 Teilnehmenden die Werte des Hormons Cortisol, das mit Stressreaktionen verbunden ist, im Speichel von Menschen mit Fahrangst. Sie fanden heraus: Schon eine Stunde, bevor Betroffene ins Auto steigen, setzt ihr Körper Stresshormone frei.

Eine Freundin rät mir zum Kaugummikauen beim Fahren. Es hilft ein wenig.

Eigentlich will ich nur dazugehören

Aus Gründen, die mir zunächst vollkommen rätselhaft sind, meldet man mich für eine Prüfung an. Sie ist zwei Wochen vor meinem 44. Geburtstag. Mein Fahrlehrer ist sicher, dass ich das schaffen werde. Ich bin wirklich überhaupt nicht seiner Meinung, aber leider bleibt mir nicht mehr viel Zeit. Nach der Theorieprüfung hat man nur zwölf Monate, bis man die praktische Prüfung ablegen muss. Das Jahr ist fast vorbei. Die ganze Woche vor dem Termin schmeißt mein Gehirn eine Cortisolparty. In den drei Fahrstunden vor der Prüfung mache ich jedes Mal einen Fehler, für den ich durchfallen würde.

„Mach dir keinen Kopf“, sagt mein Fahrlehrer.

Am Tag der Prüfung ziehe ich die bequemsten Klamotten an, die ich besitze, meine hässlichsten Schuhe, mit denen ich aber die Pedale gut spüren kann. Ich nehme mir vor zu frühstücken, kriege aber kaum etwas runter.

Ich denke an meine letzte Therapiesitzung, in der mich nach einem Jahr plötzlich noch einmal die Erkenntnis traf: Eigentlich geht es mir nicht um den Führerschein, sondern ums Normalsein. Ums Dazugehören. Die Prüfung an sich ist mir fast egal.

Gerne würde ich sagen, dass mir das eine entspannte Ruhe verleiht. Stattdessen gehe ich fünf Minuten vor Prüfungsbeginn aufs TÜV-Klo und mache eine Atemübung, bei der man auf dem Handy einem kleinen Ball zuschaut, der hoch- und runtersinkt.

Mein Partner, den ich in letzter Minute eingeweiht habe, hat mich morgens an den Schultern gepackt wie ein Karate-Coach und feierlich gesagt: „Ob du diese Prüfung bestehst, ist nicht wichtiger, als eine Schublade in einen Ikea-Schrank einzubauen.“ Es beruhigt mich tatsächlich ein wenig.

„Ich baue bloß eine Schublade ein.“ Mit diesem irren Gedanken begebe ich mich in meine Prüfung.

Hinterher erinnere ich mich nur schemenhaft. Ich fahre ein bisschen zu langsam von der Autobahn ab. Das Einparken schaffe ich, wenn auch nicht perfekt. Ich versuche, nicht ständig auf die Uhr zu gucken. Wir fahren zurück auf das TÜV-Gelände. Als wir stehen, fragt der Prüfer: „Was mache ich jetzt mit ihnen?“ Er kritzelt auf seinem Tablet herum. Wahrscheinlich überlegt er, wie er mir freundlich sagen soll, dass ich durchgefallen bin.

Dann sagt er: „Sie haben bestanden.“

„Ach?“, frage ich.

Mein Fahrlehrer scheint sich ehrlich zu freuen und macht ein Foto von mir vor dem Auto. Den Zettel, der die bestandene Prüfung bescheinigt, halte ich in den Händen und grinse verwirrt. Dann fährt er uns beide zurück zur Fahrschule.

Von dort aus wanke ich ins nächste Café und bestelle einen riesigen Becher Tiramisu. Die fettige Creme füllt meine innere Leere. Ich spüre ein bisschen Triumph, aber vor allem Erleichterung. Darüber, dass ich nun nie wieder eine Fahrstunde nehmen muss.

Hat sich meine Fahrangst damit erledigt? Sie ist besser geworden, aber weg ist sie nicht. „Einfach machen“ hat mir den Führerschein beschert, aber das Problem nicht gelöst. Weil ich einen verdammten Dickkopf habe, werde ich als Nächstes in eine Klinik einchecken, die Fahrangst mit VR-Brillen behandelt. Melde dich hier für den weird-Newsletter an, um den zweiten Teil der Geschichte nicht zu verpassen!


Redaktion: Bent Freiwald, Fotoredaktion: Philipp Sipos, Schlussredaktion: Susan Mücke, Audioversion: Iris Hochberger