Als ich so richtig müde von den Nachrichten war, half es mir, wie ein Bestatter zu denken. Ich, Isolde, bin Reporterin für Außenpolitik und informierte mich deshalb viel zum russischen Angriff auf die Ukraine. Ich erinnere mich noch genau an den Moment, als die Nachrichten begannen, mich in ihren negativen Strudel zu ziehen. In den ersten Wochen des Großangriffs veröffentlichte die New York Times ein Foto, es zeigte eine Frau und ihre Kinder, die tot auf der Straße lagen. Ich starrte das Foto minutenlang an.
Monate später hätte ich es nicht mehr ertragen, die Nachrichten zum Russland-Ukraine-Krieg zu verfolgen, wenn ich nicht eine besondere Methode gefunden hätte. In einem Interview las ich von einem Bestatter, der davon sprach, dass er nicht jeden Tod mitfühlen könne, sonst könne er seinen Job nicht mehr machen. So versuchte ich auch zu denken, um nicht vollkommen erschöpft von den Nachrichten zu sein.
Viele Leser:innen von Krautreporter vermeiden die News mittlerweile. Sie schauen keine Tagesschau mehr, lesen keine Live-Blogs und schalten das Radio aus, wenn die Nachrichten beginnen. Gemeinsam mit der KR-Community wollten wir untersuchen, warum das so ist. Knapp 500 Leser:innen haben mit uns in einer Umfrage ihre Erfahrungen geteilt. Das Ergebnis ist nicht repräsentativ, vermittelt aber einen guten Eindruck von der Stimmung, mit der viele von uns auf Nachrichten blicken. Krautreporter-Mitglied Elena schreibt: „Es ist alles zu schnell, zu viel und zu beängstigend.“ Maren schreibt, dass sie abends keine Tagesschau mehr schaue, weil sie danach schlecht einschlafen könne. Kerstin sieht überall nur Rückschritte und Extremismus: „Ich fühle mich ein wenig wie der Dinosaurier, der den Kometen im Anflug sieht.“
Nachrichtenmüdigkeit ist ein globaler Trend. In einigen Ländern hat sich der Anteil derer, die sich stark für Nachrichten interessieren, in den vergangenen zehn Jahren halbiert, wie eine aktuelle Befragung des Reuters Institute zeigt. Deutschland gehört zu den Ländern, die den stärksten Rückgang verzeichnen. 2015 gaben noch fast drei Viertel der befragten Deutschen an, sehr oder extrem an Nachrichten interessiert zu sein. 2024 waren es nur noch 55 Prozent, ein Rückgang von 19 Prozentpunkten. Dazu trugen auch die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten bei.
KR-Mitglied Tan hat das Gefühl, dass Nachrichten bewusst Angst schüren wollen. „Die Medien suggerieren, dass alles scheiße ist und noch beschissener wird“, schreibt Tan. Dabei müsse man „nicht so oft so hart übertreiben.“
Tan hat wahrscheinlich recht. Wer Aufmerksamkeit will, muss ein Gefühl von Dringlichkeit erzeugen. Das ist ein Grundprinzip, nach dem Nachrichten, aber auch soziale Medien funktionieren. Dringlichkeit weckt Neugier, kann uns aber auch erschöpfen. Wer will schon ständig das Gefühl haben, dass es überall brennt?
Es ist vollkommen normal, Nachrichten belastend zu finden. Selbst wir Autorinnen dieses Artikels kennen dieses Problem. Auch wir ignorieren die Nachrichten manchmal ein paar Tage lang, obwohl wir selbst Journalistinnen sind.
Das Problem ist aber vermeidbar. Wir müssen nicht erschöpft von Nachrichten sein, weil die Welt nun mal so ist, wie sie ist. Krisen sind anstrengend, doch wir können damit umgehen. Das eigentliche Problem mit der Nachrichtenmüdigkeit liegt viel tiefer. Und es gibt Hinweise darauf, dass es mit einem wenig beachteten Aspekt verbunden ist: mit unserem Verhältnis zu Zeit.
Wir haben drei Thesen entwickelt. Sie helfen dabei, die Gründe für Nachrichtenmüdigkeit zu verstehen und besser mit ihr umzugehen.
Erstens: Schlechte Nachrichten sind nicht das Problem
Als wir in einem Videocall mit KR-Leser:innen über Nachrichtenmüdigkeit sprachen, waren wir überrascht: Anders als wir angenommen hatten, nannten die Teilnehmenden keineswegs den Zustand der Welt als Hauptgrund dafür, dass sie Nachrichten mieden. Nicht die Krisen schienen unüberwindlich, sondern die Menge an Informationen.
Mit akuten Krisen können Menschen besser umgehen als mit lang andauernder Unsicherheit und diffusen Gefühlen von Gefahr. Denn evolutionsbedingt ist unser Gehirn darauf ausgerichtet, unmittelbare Gefahren abzuwenden. Mit dem Gefühl ständiger Ungewissheit kommt es dagegen überhaupt nicht gut klar. Genau dieses Gefühl jedoch schüren Medien, und zwar mehr denn je, weil wir ständig Updates zu laufenden Prozessen mit unklarem Ende bekommen.
Wie schlimm ist es wirklich, dass die Menschheit das 1,5 Grad-Ziel verfehlt hat? Was kommt in den nächsten vier Jahren auf uns zu, wenn Trump jetzt schon abwechselnd Grönland, den Panama-Kanal und Kanada beanspruchen will? Und was ist von dem Reel zu halten, in dem einer behauptet, Nordkoreas Machthaber wolle den Verzehr von Hotdogs als Staatsverrat bestrafen? Hat Elon Musk gerade einen Hitlergruß gemacht?
„Ich bekomme Informationen, von denen ich nicht weiß, was ich damit machen soll“, schreibt ein KR-Mitglied in unserer Umfrage. Ständig up to date zu bleiben, wirkt wichtig. Wir glauben, es bedeute Kontrolle und Sicherheit, wenn wir informiert sind. In Wirklichkeit ist es eher so, als würde man bei jedem Zwicken oder verspannten Muskel sofort googeln, welche schlimme Krankheit dahinterstecken könnte. Am Ende sind wir überzeugt, einen Hirntumor zu haben, aber gegen die Kopfschmerzen können wir trotzdem nichts tun.
„Mein Leben fühlt sich zu voll an, von immer und überall kommt Input“, schreibt Emma. „Früher habe ich gerne Sachen aus der Welt mitbekommen und mir ist das noch immer wichtig. Aber es geht einfach nicht mehr. Es ist zu viel.“
In der Sozialpsychologie gibt es den Ausdruck „Need for Cognitive Closure“. Das beschreibt das Bedürfnis nach einer klaren Antwort, danach, mit einem Thema gedanklich abschließen zu können. Zu wissen, was man weiß. Immer neue Meldungen, Pros und Kontras und widersprüchliche Informationen stehen diesem Bedürfnis entgegen. Und nicht zuletzt die Verschiebung dessen, was wir glauben zu wissen. Seit Jahren stellen Rechte, Populisten infrage, was eigentlich mal Konsens war. So wie Nachrichten und vor allem soziale Medien funktionieren, können wir niemals kognitiv abschließen, denn es ist niemals alles zu einem Thema gesagt. Das stresst.
Zweitens: Empathie kann ziemlich anmaßend sein
Für viele kommt zu der Müdigkeit auch noch ein schlechtes Gewissen hinzu, wenn sie Nachrichten vermeiden. Sie wollen sich informieren, halten es aber nicht aus. KR-Mitglied Astrid zum Beispiel vermeidet aus „Selbstschutz“ Nachrichten mehr als früher. „Gleichzeitig erzeugt dieses Schutzverhalten ein dauerhaftes schlechtes Gewissen, so als würde ich die Welt im Stich lassen“, schreibt sie.
Wer angesichts von Bildern aus Kriegs- oder Katastrophengebieten nicht betroffen reagiert, gilt als abgebrüht und kalt. Dabei ist eine gewisse innere Distanz ziemlich gesund. Genau darum erhalten Personen, die in sozialen und ärztlichen Berufen arbeiten, Schulungen und Weiterbildungen, die ihnen helfen, innerlich Abstand zum Leiden anderer zu wahren.
Eigentlich bräuchte jeder Mensch mit Internetzugang heutzutage so eine Schulung. Denn nie konnten wir so viele schlimme Bilder von Leid und Katastrophen sehen wie heute. Soziale Medien tragen extrem dazu bei. Kurz nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg im Dezember 2024 etwa tauchten auf Tiktok Videos auf, die zeigten, wie der Attentäter Weihnachtsmarktbesucher:innen mit dem Auto überfuhr. So etwas gab es früher nicht.
„Das Leid der Welt wird immer und allen präsent gemacht, was immer wieder Hilflosigkeit bei mir verursacht“, schreibt jemand in unserer Umfrage. Und Carolin sagt: „Ich kann es oft nicht ertragen, die Dramen mitzubekommen, die sich in den Kriegsgebieten abspielen.“ Menschen können dabei nicht ständig mitfühlen. Früher oder später wenden sie sich ab – aus Selbstschutz.
Dieses Abwenden geht oft mit Schuldgefühlen einher, denn Empathie hat ein extrem positives Image. Mitfühlen zu können gilt als wichtige menschliche Eigenschaft, sie ist stark moralisch aufgeladen. Politiker:innen appellieren deshalb gerne an die Empathie ihrer Mitbürger:innen. Ex-US-Präsident Barack Obama sprach sogar von einem „Empathie-Defizit“ der Gesellschaft.
Viel weniger wird darüber gesprochen, wie anmaßend Empathie sein kann. Nach dem Erdbeben von 2023 in der Türkei und Syrien ging ein Foto um die Welt, auf dem ein Vater in der türkischen Stadt Kahramanmaraş die Hand seiner toten, verschütteten Tochter hielt. Wer kann schon wirklich nachempfinden, wie es ihm ging?
Und wie viele derartigen Bilder können wir sehen, bis die sogenannte Compassion Fatigue eintritt, die Mitgefühlsmüdigkeit? Die gibt es wirklich. Sie entsteht, wenn wir dauerhaft emotional überfordert sind und ständig mit Betroffenen mitfühlen oder dazu aufgefordert werden. Mit der Zeit erschöpft Menschen das und lässt sie innerlich abstumpfen. Und schon öffnen sie den Nachrichtennewsletter gar nicht mehr, sondern schieben ihn gleich in den Papierkorb.
Drittens: Wir haben ein zunehmend gestörtes Verhältnis zu Zeit
Wir sind es gewohnt, dass sich ein Abendessen mit einem Anruf liefern, eine Antwort innerhalb von Sekunden ergoogeln, ein Date mit einem Swipe verabreden lässt. Wir hören Podcasts und Sprachnachrichten in doppelter Geschwindigkeit und tragen Fast Fashion. Technologie, meint der Sozialwissenschaftler Jesus Casquete, hat Ungeduld zur Norm gemacht. Selbst traditionelle Medien passen sich dem an. In ihrem Heimatland Spanien bietet El País, eine der führenden Tageszeitungen des Landes, täglich eine Expressversion ihrer Inhalte an. Statt die ganze Zeitung oder Website durchzulesen, fasst die schnelle Variante in ein paar Minuten die wichtigsten Inhalte zusammen. Lange Texte zu lesen oder Zeit zum gründlichen Nachdenken aufzuwenden, komme immer mehr Menschen einfach ineffizient vor, so Casquete.
Das Magazin Krautreporter gründete sich übrigens, um genau das besser zu machen. Statt Push-Benachrichtigungen oder Zusammenfassungen erscheint bei uns nur ein Text pro Tag, der Hintergründe und Zusammenhänge erklärt. Um up to date zu bleiben, fasst die Morgenpost die drei wichtigsten Nachrichten einmal pro Tag zusammen. In der täglichen Nachrichtenflut wollen wir eine Insel der Ruhe sein.
Casquete ist davon überzeugt, dass Ungeduld ein wichtiger Faktor für den wachsenden Erfolg populistischer Politiker:innen ist. „Keine andere ideologische Strömung hat das Ausmaß erkannt, in dem unsere langsame demokratische Politik nicht mit dem schnellen, ja sogar augenblicklichen Tempo unserer Wirtschaft und Gesellschaft übereinstimmt,“ schreibt Casquete.
Demokratien arbeiten langsam, zu langsam für viele Wähler:innen. „Wenn ein Problem in der Bevölkerung auftaucht, dauert es Jahre, bis es die formelle Politik erreicht. Die Leute wollen aber Lösungen für ihre Probleme“, sagt der Forscher. „Populist:innen bieten eine Politik, die auf Eile, Einfachheit und Abkürzungen setzt.“
Es gibt sogar Hinweise darauf, dass ungeduldige Personen eher rechtspopulistische Parteien wählen. Das fanden der Wirtschaftswissenschaftler Ronnie Schöb und sein Team heraus. In einer Untersuchung mit Umfragen aus Deutschland und Großbritannien konnten sie zeigen, dass ungeduldige Wähler:innen in beiden Ländern eher rechtspopulistische Parteien unterstützen. Dieser Zusammenhang ließ sich nicht allein durch andere Faktoren wie Bildung oder Einkommen erklären.
Wir wissen nicht sicher, ob Menschen heute allgemein ungeduldiger sind als früher. Bisher ist das eine gefühlte Wahrheit, die alle nachempfinden können, die es kaum noch schaffen, eine Serie zu schauen, ohne gleichzeitig durchs Handy zu scrollen. Aber wenn es eine erworbene Ungeduld gibt, liegt nahe, dass auch sie zur Nachrichtenmüdigkeit beiträgt. Langsame, gründliche journalistische Arbeit mag dann veraltet oder abgehoben wirken, komplexe Nachrichtenbeiträge ineffizienter als schnelle Meldungen. Schnelle Inhalte hingegen wirken zeitsparend, können aber enorm anstrengend sein. Es ist, als würde man ständig Nussschokolade und Energydrinks snacken. Man bekommt jede Menge konzentrierter Inhalte, ohne sie zwischendurch verdauen zu können.
Wir können und wollen nicht in der Zeit zurückreisen, aber eine Frage bleibt: Früher hat man ein Mal am Tag die Zeitung gelesen oder die Tagesschau gesehen. Waren die Menschen damit schlechter informiert als heute?
Nichts müssen müssen
Eine perfekte Lösung für Nachrichtenmüdigkeit gibt es nicht. Die ist aber auch gar nicht nötig. Wer auf den Großteil der Nachrichten verzichtet, macht vielleicht nicht so viel falsch. Womöglich liegt man damit sogar richtig. Oft und viele beunruhigende Informationen verarbeiten zu müssen, ist anstrengend und niemand muss sich schuldig fühlen, der darauf keine Lust oder dafür keine Kraft hat. Gleichzeitig können nur informierte Bürger:innen sich fundierte Meinungen über politische Maßnahmen bilden. Populist:innen kann Nachrichtenmüdigkeit nur recht sein.
Am besten wäre es also, wenn es gar nicht erst zur Nachrichtenmüdigkeit kommen müsste. Wer dafür anfällig ist, dem könnten drei Regeln helfen:
- Nicht alles wissen müssen.
- Nicht alles fühlen müssen.
- Aber auch nicht nichts wissen.
Es ist ein bisschen wie bei den Bestatter:innen. Sie müssen natürlich verstehen, wie schlecht es den Angehörigen einer verstorbenen Person geht und angemessen mit ihnen umgehen. Aber wenn sie mit allen mitleiden würden, die eine nahestehende Person verloren haben, hätten Bestatter:innen bald keine Kraft mehr, um überhaupt ihren Job machen zu können.
Nicht nur Bestatter:innen haben Methoden, mit negativen Gefühlen umzugehen. In unserer Redaktion haben alle Reporter:innen auf ihre eigene Art und Weise gelernt, mit traurigen, frustrierenden und ermüdenden Nachrichten umzugehen. In drei kurzen Newsletter-Ausgaben haben wir beschrieben, wie genau:
- Wie du mit Klimakrisen-Meldungen besser fertig wirst – Rico Grimm, Reporter für Klima und Politik
- Das tue ich, wenn schon wieder ein Rechtspopulist an die Macht kommt – Benjamin Hindrichs, Reporter für Populismus
- Wie ich als queere Person mit schlechten Nachrichten umgehe – Lars Lindauer, Reporter für Queeres
Redaktion: Bent Freiwald, Schlussredaktion: Susan Mücke, Fotoredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert