Stelle dir vor, du nimmst an folgendem Experiment teil: Jeden Tag wird dir ein Gegenstand deines täglichen Lebens durch einen anderen, gleichwertigen ersetzt. Stelle es dir vor mit Jacke, Laptop, dem Müsli im Küchenschrank. Oder mit deinem Schreibtisch, deiner Wohnzimmerlampe. Wie würde sich das anfühlen?
Bei manchen Dingen wäre es dir vermutlich relativ egal, zum Beispiel beim Toaster. Aber wie wäre es bei Schuhen? Sonnenbrille? Sofa?
Manche Sachen bedeuten uns mehr als andere, und das hat nicht nur etwas mit den Anschaffungskosten zu tun. Mit manchen Dingen drücken wir aus, wer wir sind. Was wir kaufen und was wir ablehnen, was wir schön finden und was hässlich – diese sehr persönlichen Entscheidungen und Urteile zu hinterfragen, ist tabu. Wenn Politiker sagen, man könne auch kürzer duschen oder mal einen Tag die Woche vegetarisch essen, brennt gleich die mediale Hütte – und konservative bis rechtsextreme Parteien schlagen Profit aus solchen Äußerungen: Was wollen sie uns als Nächstes verbieten? Die Forderung ist klar: Alle sollen kaufen dürfen, was sie wollen.
Ich soll ein Narzisst sein, weil ich meinen französischen Schreibtisch liebe?
Der Soziologe und Psychoanalytiker Rolf schreibt: „Faktisch in einen globalen Schuldzusammenhang verstrickt, ignorieren [die Konsumierenden] alles, was ihre narzisstische Lebensführung infrage stellen könnte.“
Narzisstische Lebensführung! Etwas in mir sträubt sich, dieses Urteil zu akzeptieren. Es ist ja nicht so, dass wir nicht wüssten, wie eigennützig und schädlich unser Konsumverhalten ist. Weil es uns quasi täglich Entscheidungen abverlangt, erleben wir ja nirgendwo eine so andauernde, schmerzhafte kognitive Dissonanz wie beim Konsumieren.
Wenn ich mich über meinen wohlproportionierten kleinen französischen Schreibtisch nach einem Entwurf aus den 1950er Jahren freue, den dichtschaumigen campherhaltigen Rasierschaum (den ich hier gebührend feiere) oder das überirdische Licht der alten Gasentladungslampen, die mein Arbeitszimmer erhellen, wenn ich die Beiläufigkeit bestaune, mit der ein Macbook von Ende 2020 all meine Alltagsaufgaben ohne spürbare Wartezeit bei minimalem Stromverbrauch erledigt – wenn ich diese Warenwunder würdige, dann stelle ich, folgt man Haubl, letztlich nur einen gewissen Narzissmus zur Schau. Immerhin beurteile ich diese Dinge nur nach ihrem Verhältnis zu mir: Was machen diese Waren mit meinem ästhetischen Empfinden, meinem Geschmack, meiner Ungeduld? Es ist schwer auszuhalten, dass dieser acquired taste, auf den ich mir etwas einbilde, mich tatsächlich in einen „globalen Schuldzusammenhang verstrickt“ haben soll. Dass ich in einer schlecht isolierten Altbauwohnung wohne, in der die mühsam mit der Gasheizung (Gas!) erzeugte Wärme an die hohe Zimmerdecke steigt, um dort den Stuck einzumummeln – das hält dem kategorischen Imperativ tatsächlich nicht stand.
Würde ich, würden wir nicht auch lieber in einer Welt leben, die nicht vor die Hunde geht, weil wir zu viel verbrauchen? In einer gerechteren, besseren Welt? Wäre das nicht wünschenswerter als hohe Decken? Wer braucht hohe Decken?
Wir tun einfach so, als wären die Dinge nicht so, wie sie tatsächlich sind
In diesem – letzten – Teil der Reihe „Die Verkrempelung der Welt“ geht es ans Eingemachte: an unsere Bedürfnisse; das, was wir glauben zu brauchen. Denn wenn wir alle einfach nach unseren finanziellen Möglichkeiten konsumieren, geht der Planet dabei drauf.
Die finanziellen Mittel sind weltweit bekanntermaßen extrem ungleich verteilt, auch in Deutschland. Die, die viel haben, können sich nur aufgrund ihres Geldes erlauben, mehr zu konsumieren, als die Ökosysteme verkraften. Das Wirtschaftssystem bildet nämlich die Schäden nicht ab, die Viehzucht, Fernreisen, Fast Fashion und Individualverkehr verursachen. Den Schaden, den diese Dinge anrichten, trägt die Allgemeinheit durch erhöhte CO2-Produktion, dadurch steigende Temperaturen, zunehmend dramatische Unwetter und letztlich die Unbewohnbarmachung ganzer Erdteile. Wir wissen das alles, aber unsere Leben gehen einfach weiter wie gehabt.
Ich schrieb es bereits im ersten Teil der „Verkrempelung der Welt“: Das Unfassbare an unserer Konsumsituation ist das Scharadenhafte an ihr. Alle Beteiligten tun einfach so, als wären die Dinge nicht so, wie sie tatsächlich sind. Jeder kennt es: Wenn man bei einer Konsumentscheidung ein Störgefühl entwickelt, weil man ahnt, dass das Fleisch zu billig ist für ein Mindestmaß an Tierwohl, weil man weiß, dass das Fähnchen vom Modediscounter keine zehn Wäschen überstehen wird, weil man in fünf Jahren das nächste Handy wird kaufen müssen, wenn man also so etwas wahrnimmt, behilft man sich mit kleinen Glaubenssätzen, die etwaige Zweifel wegwischen. Wir greifen zu Produkten, über deren Herstellungsbedingungen wir so gut wie nichts wissen, weil wir ja auch aufs Geld schauen müssen. Wir kaufen Neues, auch wenn das Alte noch taugt, weil wir uns etwas gönnen wollen. Wir belohnen uns mit CO2-katastrophalen Fernreisen nach Mexiko oder Bali, weil wir ferne Kulturen entdecken wollen. Die Konsumbegründungen sind unhinterfragte Annahmen, ohne die wir scheinbar nicht leben können. Und das eigentliche, einzige, harte Limit, das liberale Gesellschaften den Konsumierenden setzen, sind ihre finanziellen Mittel. Die Diskussion über Flugscham führt eine kleine Elite, seit dem Einbruch 2020 steigt die Anzahl der Flugreisen jedes Jahr wieder robust an. Ja, vegane Lebensmittel boomen, aber die „Tierproduktion“ (ja, so heißt das tatsächlich) jagt weltweit jährlich immer noch von Rekord zu Rekord. Wir wissen all das.
Der Bedarf, nach sich selbst zu suchen, ist historisch neu
Moderne liberale Gesellschaften aber bestimmen nicht darüber, was das gute Leben für jeden Einzelnen ist. Das muss und darf das Individuum für sich entscheiden, es ist eine Frage des persönlichen Geschmacks (der natürlich vom Umfeld geprägt ist, was der französische Soziologe Pierre Bourdieu gezeigt hat). Was ich unter dem guten Leben verstehe, zeigt sich jeden Tag in meinen Konsumentscheidungen. Sie haben in einer Überflussgesellschaft ein identitätsstiftendes Moment. Müsste ich an dem eingangs erwähnten Experiment teilnehmen, ich wäre spätestens beim Schuhtausch nicht nur ein bisschen zerknirscht. Ich käme mir verkleidet vor, denn ich habe ja nach meinen individuellen Bedürfnissen eingekauft. Meine Bedürfnisse mögen irrational sein, ihre Ursachen fragwürdig, aber den sich im Konsum zeigenden Eigensinn, und sei es auch nur die Illusion dieses Eigensinns, empfinde ich als ein zu schützendes Gut.
Diese Unantastbarkeit individueller Bedürfnisse ist historisch gar nicht so alt. Sie geht zurück auf das ebenfalls recht junge Ideal der Authentizität.
Ganz grob gesagt, gab es vor 1700 schlicht keinen Bedarf, in der eigenen Seele zu wühlen, um dort einen individuellen Lebenssinn zu finden. Erst in der Folge der Aufklärung, die den Menschen sich selbst überließ, mussten moralische Ideale, da sie ja nun nicht mehr von einem Gott herabgereicht wurden, irgendwo anders herkommen: aus dem Menschen selbst. Diese Vorstellung entstand tatsächlich erst Ende des 18. Jahrhunderts. Bis dahin war ein gutes Leben ein moralisches Leben, und das meinte ein Gott wohlgefälliges. Nun aber musste das Individuum im Inneren danach suchen, wie das eigene Leben wohl am besten gelänge (was einen Gottesglauben freilich nicht ausschließt).
Die Suche nach Authentizität ist also die Suche nach dem individuell richtigen Leben. Diese Suche ist in westlichen Gesellschaften zu einem Ideal geworden. Sie ist so allgegenwärtig, dass man sich nur schwer vorstellen kann, dass es sich dabei um Menschenwerk handeln soll. Dem kanadischen Philosophen Charles Taylor zufolge konstatierte erstmals der deutsche Denker Johann Gottfried Herder, dass jeder Mensch quasi seine jeweils eigene Art hat, Mensch zu sein. Folgt man Taylor, sickerte diese neue Idee tief in das moderne Bewusstsein ein. Vor dem 18. Jahrhundert sei es unerhört gewesen, den individuellen Unterschieden zwischen Menschen eine solche moralische Bedeutung beizumessen. Genau die sieht Taylor nämlich hier: Der Wunsch nach Authentizität, nach Selbstverwirklichung folgt der moralischen Überzeugung, der Mensch sei dazu berufen, sein Leben auf seine individuelle Weise zu führen. Das ist einer der Gründe, warum die gängige Konsumkritik nicht verfängt: Der Konsum von Dingen, in denen wir uns glauben, ausdrücken zu können, erscheint uns moralisch geradezu geboten, weil wir sonst nicht wir selbst sein könnten.
Das Damoklesschwert vom Discounter
Natürlich ist die Frage, was man kaufen soll, nicht die drängendste. Tatsächlich leiden heute viele Menschen daran, nicht ihrem wahren Selbst entsprechend zu leben, vor allem, weil sie gar nicht wissen, was das sein soll. Sie suchen es mithilfe von Coaches und Meditation, während Sabbaticals und in Retreats. Ganze Industrien leben von der individuellen Sinnsuche des modernen Menschen.
Klassische Musterbiografien hangeln sich an Konsum-Meilensteinen entlang: Wann kann man sich ein eigenes Auto, ein eigenes Haus, einen Kaffeevollautomaten mit eigener App leisten? Und wenn ich nicht das Auto bekommen kann, das, so die Werbung, meiner Persönlichkeit entspricht, sondern U-Bahn fahren muss wie alle anderen, dann habe ich nach dieser Logik versagt. Wie ein Damoklesschwert vom Discounter schwebt die Sorge über mir, ich könne nicht wirklich ich selbst sein, wenn meine Bedürfnisse unbefriedigt blieben oder, schlimmer noch, wenn ich nur haben kann, was alle haben. Dann wäre ich nämlich nicht ich selbst.
Trotzig darf ich feststellen, dass meine Bedürfnisse, mein guter, über die Jahre erworbener Geschmack, den ich durch mein Konsumverhalten zum Ausdruck bringe, gar nicht Ausweis narzisstischer Lebensführung, sondern vielmehr Ausdruck meines authentischen Selbst ist! So nämlich!
Taylor weist darauf hin, dass vieles, was das gute Leben ausmacht, aber erst durch gemeinsamen Genuss ermöglicht wird. Man kennt das Phänomen vom gemeinsamen Musikhören, wobei man so gerne möchte, dass der andere genau so empfindet wie man selbst, „eben weil man nicht genau wissen kann, ob, was und wie die:der andere empfindet. Man möchte das Gefühl haben, die andere Person fühlt so wie man selbst. Das Kunstwerk, das mich mit dem Anderen verbindet, soll der Garant für die als geteilt empfundene Empfindung sein; wir treffen uns in der Musik.“ (So habe ich in meinem Klassik-Newsletter meine Gefühle beim Hören von Rachmaninows Sonate für Cello und Klavier versucht zu beschreiben.)
Taylor erinnert daran, dass es ein authentisches Selbst nur im Verhältnis zu dem anderen geben kann. Ein authentisches Selbst kann sich nur vor einem gemeinsamen, so nennt er es, „Horizont“, abzeichnen. Wir müssen also gemeinsame Überzeugungen haben von der Beschaffenheit der Welt. (Das ist das, was mit der Rede von den „alternativen Fakten“ zerstört werden soll.) Und wir müssen unsere gemeinsamen natürlichen Lebensgrundlagen würdigen und schützen, denn sonst bleibt nichts, vor dessen Hintergrund sich irgendeine Individualität abzeichnen könnte.
Es ist schwer, sein wahres Selbst zu finden, wenn das Haus von den Fluten weggespült wird
Die Bedürfnisse der Bevölkerungen in reichen Industrienationen müssen neu justiert werden, weil ihre Befriedigung zweifelsohne dazu beiträgt, die Klimakatastrophe zu beschleunigen und die Ungleichheit in der Welt zu vergrößern. Aber wir müssen das Streben nach Individualität oder Authentizität deswegen nicht aufgeben. Die Kosten für unsere Suche nach der eigenen Authentizität bürden wir anderen auf. Für die wird es schwer, ihr wahres Selbst zu finden, wenn sie in der Hitze verdorren oder das Zuhause von einer Sturzflut weggespült wird. Und so wird die Welt von Tag zu Tag ungleicher, aber uns selbst haben wir immer noch nicht gefunden.
Da uns exzessiver, durch Konsum definierter Individualismus überhaupt erst an den Punkt gebracht hat, an dem der ganze Planet existenziell gefährdet ist, muss die Diskussion über das gute Leben geführt werden.
Einen solchen Versuch unternahmen im Jahr 2010 Wissenschaftler:innen, die sich in Tokio unter dem Label „Konvivialismus“ (vom lateinischen con-vivere, miteinander leben) trafen, um darüber zu diskutieren, was ein gutes Leben ausmacht, das nicht auf Kosten anderer geführt wird. Der Konvivialismus verbindet Kapitalismuskritik und die Forderung nach Umverteilung extremer Privatvermögen mit einer Neudefinition von Reichtum und Wohlstand. 2020 veröffentlichten die Konvivialisten ein Manifest für eine „post-neoliberale Welt“, das von über 300 Intellektuellen aus 33 Ländern unterzeichnet wurde, darunter Noam Chomsky, Maja Göpel, Eva Illouz und Chantal Mouffe. Die Autor:innen des Manifests scheinen an Taylor anzuknüpfen: Sie fragen, wie man Menschen Grenzen aufzeigt, die an kein Jenseits glauben und daher im Diesseits versuchen, im Konsum ihr authentisches Selbst ausdrücken. Das Manifest fragt:
„Wie soll man Ungläubige, Gottlose, ‚Moderne‘ – vor allem, wenn sie nicht mehr an die ‚weltlichen Religionen‘, den Kommunismus, die Republik, den Sozialismus, den Fortschritt und so weiter glauben – davon überzeugen, auf die Hybris, auf den kindlichen Allmachtwunsch zu verzichten, wenn sie auf keine jenseitige Belohnung mehr hoffen und keine jenseitige Strafe mehr fürchten?“
Wenn es also keinen strafenden Gott gibt, der individuellen Authentizität alleine aber moralisch nicht zu trauen ist, dann sind andere Prinzipien nötig, um ein gutes und gerechtes Leben zu führen.
Dafür muss man sich die Frage nach den legitimen Bedürfnissen stellen. Die Konvivialisten drücken sich nicht um eine Definition – die klar dem kategorischen Imperativ Kants entlehnt ist: Legitim ist die Politik, „die es den Einzelnen ermöglicht, ihre besondere Individualität zu entwickeln, indem sie ihre Fähigkeiten entfalten, ihr Vermögen zu sein und zu handeln, ohne anderen zu schaden und mit Blick auf eine für alle gleiche Freiheit.“
Wie wäre es mit Obergrenzen für Klamotten?
Die Frage nach der Legitimität von Bedürfnissen ist nicht neu. Die linken Philosoph:innen André Gorz und Ágnes Heller entwickelten bereits in den 1960er und 1970er Jahren Bedürfnistheorien, die heute noch Konzepte für ein neues Wirtschaften im Angesicht der Klimakatastrophe beeinflussen, erklärt der französische Soziologe Razmig Keucheyan.
So atmet etwa das 2012 erschienene Manifest des französischen Thinktanks Négawatt (ein Negawatt ist eine Einheit für eingesparte Energie) den Geist von Gorz und Heller. Négawatt setzt sich für eine radikale Transformation Frankreichs ein, um das Land bis 2050 klimaneutral zu machen. Der gegenwärtige Konsumismus, so die Autor:innen des Manifests, habe keine Zukunft. Eine Negawatt-Gesellschaft müsse bestimmte Konsummöglichkeiten daher als schädlich ablehnen. Dabei greifen die Autor:innen auf die Unterscheidung verschiedener Klassen von Bedürfnissen zurück.
In dem erstaunlich technokratisch formulierten Text heißt es:
„Ähnlich wie wir heute Elektrogeräte oder Wohnräume anhand von ‚Energielabels‘ klassifizieren, die von A bis G reichen, ist es möglich, auch unsere Bedürfnisse auf einer Skala einzuordnen. Diese reicht von den lebenswichtigen Bedürfnissen, auf deren Erfüllung kein Mensch verzichten kann, bis zu den ‚schädlichen‘ Bedürfnissen, deren Befriedigung uns oft egoistischen und belanglosen Genuss verschafft [und dabei] direkt oder indirekt der Umwelt oder anderen, heute oder in der Zukunft lebenden, Menschen schadet. Zwischen diesen beiden Polen können wir eine Rangfolge definieren, die von lebenswichtigen über essenzielle, dann unentbehrliche, nützliche, angemessene, nebensächliche, belanglose, extravagante bis hin zu inakzeptablen Bedürfnissen reicht.“
Konkret fordert Négawatt unter anderem durchaus mehrheitsfähige Maßnahmen wie längere Gewährleistungsfristen und eine leichtere Reparierbarkeit technischer Produkte. Aber man schreckt auch nicht davor zurück, zum Beispiel im Bekleidungssektor Obergrenzen für die Menge der auf dem Markt zirkulierenden Waren ins Spiel zu bringen. Ein Limit für Klamotten. Wenn schon ein freiwilliger Veggie Day zu „Ökodiktatur“-Geschrei führt, mag man sich gar nicht vorstellen, was los wäre, wenn eine Rangordnung von Bedürfnissen (von A bis G) breit diskutiert werden würde.
Sehr unterschiedliche Akteure wie die illiberale Verwaltung von Singapur, die Autobesitzrechte meistbietend versteigert, die Konvivialisten und die von linken Theoretiker:innen wie Gorz und Heller inspirierte Négawatt-Gruppe, setzen sich für Konsumlimits ein, wenn auch mit sehr unterschiedlichen Strategien. Ja, das sind keine Massenbewegungen, aber es zeigt, dass der Handlungsbedarf überweltanschaulich erkannt wurde.
Ein dauerhaft gutes Produkt ist ein Wunder
Die Lebensstile werden sich ändern – entweder durch Einsicht oder durch politische Steuerung. Ich weiß nicht, ob es ein Zentralkomitee zur Ermittlung der Legitimität von Bedürfnissen geben wird, ob vielleicht Bürger:innenräte Mitspracherechte bei der Klassifizierung von Bedürfnissen erhalten. Sollte die Einhegung ungehemmter Bedürfnisbefriedigung jedoch ohne Prozesse der demokratischen Aushandlung stattfinden, landen wir womöglich bei Auktionen für Befriedigungsrechte, bei denen Kreuzfahrten, SUV-Besitz oder Wohnungen mit hohen Decken meistbietend versteigert werden und dann eben das Dreifache kosten.
Ich würde nicht neun Artikel lang meine Enttäuschung über die Dinge des Alltags dokumentieren, wenn mir an diesen Dingen nichts gelegen wäre. Ja, ein dauerhaft gutes Produkt ist ein Wunder, denn es dürfte eigentlich nicht existieren: Es gibt sie aber eben doch, diese Wunder.
Die Dinge, mit denen wir uns umgeben, werden auf eine Art Teil von uns. Wir erkennen Menschen auch an ihrem Geschmack und identifizieren sie mit den Waren, die sie konsumieren: der Kleidung, die sie tragen, dem Teppich in ihrem Wohnzimmer, der Teekanne auf ihrem Tisch. Die Dinge, mit denen wir uns umgeben, nur als Ausdruck von Narzissmus oder als wackelige Stabilisatoren unserer Identität zu betrachten, greift zu kurz. Sie sind eben auch dinggewordener Erfindungsgeist, Ausdruck von Kreativität und – um es im Werkbund-Slang zu sagen – Kunstsinn. Umso enttäuschender, wenn die Dinge, für die ja endliche Ressourcen verbraucht werden, hinter dem, was sie sein könnten, zurückbleiben.
Das Problem sind nicht die Dinge selbst, das Problem sind die falschen Anreize, immer wieder neue und nicht zwingend bessere Dinge hervorbringen zu müssen. Das Problem ist, dass Lebensentwürfe für viele nur entlang von Statussymbolen vorstellbar sind. Das Problem ist, dass Milliardäre aus Jux ins All fliegen, weil es auf Erden nichts mehr zu kaufen gibt, das sie nicht schon besäßen, während sie der Mittelschicht hinfälliges Zeug verkaufen, eingesponnen in verführerische Erzählungen von Fortschritt und Selbstverwirklichung, damit wir den Krempel nicht sofort als solchen erkennen. Die Verkrempelung der Welt ist ein spätes Signal, unsere Bedürfnisse zu hinterfragen, wie sie zustandekommen und ob sie vor unserem gemeinsamen Horizont Bestand haben können. Wenn wir uns nicht als Planet darauf einigen, was uns wirklich wichtig ist, war es das nämlich mit der Individualität und damit auch mit allem Streben nach Authentizität.
Also müssen wir uns gemeinsam, nicht nur individuell, sondern auf gesellschaftlicher, politischer Ebene, auf die Suche machen nach dem guten Leben in Verantwortung füreinander und für die, die sich nicht ausgesucht haben, uns nachzufolgen.
Redaktion: Theresa Bäuerlein, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert