Collage: Verschiedene Screenshots aus dem Programm Slack.

Screenshots Slack/Krautreporter

Sinn und Konsum

Viele arbeiten, als wären sie den ganzen Tag auf Facebook

Tools wie Slack oder Microsoft Teams, die die Arbeit erleichtern sollen, machen sie oft stressiger und sorgen dafür, dass wir mehr Fehler machen. Wie wir bei Krautreporter das gelöst haben.

Profilbild von Theresa Bäuerlein
Reporterin für Sinn und Konsum

Es passiert nicht jeden Tag, dass ein Tipp aus einem Sexratgeber zu unserer Arbeitsweise bei Krautreporter passt. Aber in dem Buch „Kommt zusammen“ der Sexualpädagogin Emily Nagoski (hier habe ich darüber geschrieben) steht tatsächlich ein Ratschlag, den wir bei Krautreporter seit Neuestem umsetzen. Nagoski erklärt in ihrem Buch nämlich, was ein Kontextwechsel ist. Damit ist der Prozess gemeint, der in unserem Gehirn geschieht, wenn wir von einer Aufgabe zu einer anderen wechseln. Ihn zu verstehen, meint Nagoski, ist nicht nur wichtig für Menschen, die ihr Sexleben verbessern wollen, sondern für alle, die konzentriert arbeiten möchten.

Sagen wir, ich möchte fokussiert an diesem Artikel arbeiten, doch dann kommt ein Kollege an meinen Schreibtisch, der Feedback zu einer Themenidee braucht. Oder jemand ruft an, um mich daran zu erinnern, dass gerade eine wichtige Besprechung stattfindet, die ich vergessen habe (kommt natürlich nie vor). Oder ich bekomme eine Whatsapp-Benachrichtigung einer Freundin, von der ich nur den ersten Halbsatz lesen kann: „Ich möchte dich gar nicht beunruhigen …“ (Das ist mir tatsächlich beim Schreiben dieses Artikels passiert!)

All das sind Kontextwechsel, weil ich gedanklich von einem Thema zu einem ganz anderen umschalten muss, auch wenn ich in diesem Moment gar nicht bereit dafür bin. Dieses Umschalten könne manchmal mehr Energie kosten, als die Aufgabe selbst, schreibt Nagoski.

Arbeiten, als wären wir den ganzen Tag auf Facebook

Nach zehn Jahren Krautreporter haben wir begriffen, dass wir täglich mit einem System arbeiten, welches uns von einem Kontextwechsel zum nächsten jagt. Es sorgte dafür, dass wir uns ständig beschäftigt fühlen können, sogar gestresst, während gleichzeitig wichtige Aufgaben liegen blieben. Aber, das ist die gute Nachricht: Wir haben eine Lösung gefunden.

Das System, das ich meine, ist Slack – eine Kommunikationsplattform, die Gruppen ermöglicht, in Kanälen organisiert zu chatten und einzelnen Teammitgliedern direkt zu schreiben. Sie funktioniert ähnlich wie Microsoft Teams, eine Plattform, auf der 2023 weltweit etwa 300 Millionen Menschen täglich aktiv waren. Laut Schätzungen lag die Zahl der Slack-Nutzer 2023 bei etwa 32,3 Millionen.

Ein paar davon sind wir bei Krautreporter.

Schon seit der Crowdfunding-Kampagne, aus der 2014 Krautreporter entstanden ist, kommuniziert das Team über Slack. Das erleichtert die Kommunikation enorm. Hat aber einen großen Nachteil: Denn mit Slack zu arbeiten ist fast, als würde man sich den ganzen Arbeitstag auf Facebook herumtreiben. Jede neue Nachricht, Erwähnung oder Aktivität in einem Kanal löst eine Benachrichtigung aus, was zu einem ständigen Strom von Unterbrechungen führen kann. Es ist, als würde einem beim Arbeiten ständig jemand auf die Schulter klopfen.

Der Effekt davon ist dramatischer, als man vielleicht denkt. Das Problem bei Kontextwechseln ist, dass unser Gehirn nicht darauf optimiert ist, ständig zwischen unterschiedlichen Aufgaben oder mentalen Zuständen zu wechseln. Eine Mutter im Homeoffice etwa jongliert ständig zwischen Zuständen wie „Fokus“, „Organisation“, „Stress“ und „Ruhe“, je nachdem, ob die Chefin anruft, ein Kind Hilfe braucht oder sie die Buchhaltung für das nächste Quartal macht. Jeder dieser Zustände braucht mentale Ressourcen.

Man ist ständig beschäftigt, aber nie wirklich produktiv

Wenn wir an einer Aufgabe arbeiten, ist es so, als würde unser Gehirn auf einer mentalen Tafel herumzeichnen, erklärt die Informatikerin Gloria Mark in einem Artikel der New York Times. Wenn dann zum Beispiel jemand anruft, um über etwas zu reden, das nichts mit dem Thema auf der Tafel zu tun hat, wird die Tafel leergewischt und neu beschrieben. „Jedes Mal, wenn Sie Ihre Aufmerksamkeit auf eine neue Aufgabe lenken, muss sich Ihr Gehirn neu orientieren“, so Mark.

Sie sollte es wissen. Denn sie forscht seit den frühen 2000er Jahren dazu, wie sich Unterbrechungen auf die Arbeitsweise von Menschen auswirken, besonders im Zusammenhang mit digitalen Technologien. Marks fand Folgendes heraus: Wird ein Menschen bei der Arbeit unterbrochen, braucht er durchschnittlich 25,5 Minuten, um ein ursprünglich unterbrochenes Projekt wieder aufzunehmen. Wenn wir also schnell mal schauen, was hinter der neuesten Benachrichtigung von Slack steckt, dauert das vielleicht nur ein paar Minuten. Tatsächlich kostet uns die Benachrichtigung aber viel mehr Zeit. Weil wir unmittelbar nach der Unterbrechung eine Weile brauchen, um wieder in eine Aufgabe zurückzufinden. Was wiederum dazu führen kann, dass man parallel an unterschiedlichen Projekten arbeitet und nichts zu Ende bringt. So kann das frustrierende Gefühl entstehen, ständig beschäftigt, aber nie wirklich produktiv zu sein.

Schon in einer Studie (PDF) von 2008 stellten Mark und Kolleg:innen fest, dass Menschen versuchen, diesen Zeitverlust durch eine schnellere Arbeitsweise zu kompensieren. Am Ende machen wir mehr Fehler und sind gestresster.

Mehr noch: Häufige Kontextwechsel hemmen kreative Prozesse, die oft eine längere ununterbrochene Denkzeit erfordern. Dafür begünstigen sie eine oberflächliche Verarbeitung von Informationen. Kein guter Deal.

So gesehen kann Slack ein ziemliches Desaster sein. Die Benachrichtigungen sind standardmäßig aktiviert und stören den Arbeitsfluss. Zwar kann man die Benachrichtigungen anpassen oder reduzieren, aber das effektiv zu konfigurieren, erfordert Zeit und Wissen. KR-Leser Andreas, der in seinem Job Slack und Microsoft Teams in großen Konzernen, aber auch kleineren Unternehmen einführt, schrieb mir: „Aus meiner Erfahrung nutzen die meisten Leute die Tools in den Standardeinstellungen, wie sie von Beginn an daherkommen.“

Manchmal arbeiten wir nicht mit, sondern trotz Slack

Besonders seit der Umstellung auf unsere neue Arbeitsweise, die mein Kollege Bent hier beschrieben hat, stellten wir mehr denn je fest, dass viele von uns sich mental überlastet fühlten. Selbstorganisiertes Arbeiten bedeutet viele kleinteilige Aufgaben für jedes Teammitglied. Jeden Morgen um 9.30 Uhr gab es ein Meeting für alle. Wenn man sich dann noch durch alle Slack-Benachrichtigungen arbeitet, ist es auf einmal Mittag, das Nachmittagsloch gähnt schon um die Ecke und die Zeit, in der unsere Köpfe am besten und kreativsten funktionieren, ist vorbei.

Natürlich kann man Slack auch einfach abstellen. Das braucht nur einen Mausklick. Slack auszuschalten ist aber schwer, wenn alle Kolleg:innen damit arbeiten, online sind und gefühlt ständig jemand auf eine Antwort wartet. Das kennen auch die KR-Leser:innen. „Slack längere Zeit abzuschalten (oder gar nicht erst einzuschalten), fühlt sich unangenehm an, weil ich befürchte, dass ich dringende Nachrichten von Kolleg:innen verpassen könnte. Außerdem erkenne ich bei Slack Parallelen zu Social-Media-Apps: Ich habe ständig das Bedürfnis, in die Channels zu schauen und neue Nachrichten zu lesen, so lange, bis alle Channels gelesen sind und nichts mehr da ist“, schrieb mir KR-Leser Thomas.

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Was Thomas beschreibt, ist kein Einzelfall. Fast jede Software ist so gebaut, dass Nutzer:innen sie so viel und oft wie möglich anschauen und benutzen sollen. Das gehört zur Strategie digitaler Produkte. Deshalb markiert Slack nicht nur jede neue Nachricht an mich, es hebt auch jeden Kanal hervor, in dem irgendjemand zu irgendeinem Thema eine neue Nachricht geschrieben hat, und zeigt mir unter dem bedrohlichen Titel „Ungelesen“ jeden einzelnen Beitrag, den ich noch nicht gesehen habe, aber offenbar sehen sollte. Slack benutzt also tatsächlich die gleichen Mechanismen, um die Aufmerksamkeit der Nutzer:innen einzufangen, wie Social Media. Slack soll bei der Arbeit helfen, aber manchmal erledigt man sie eher trotz Slack.

Eine Lösung für dieses Problem fanden wir endlich diesen Sommer. Ich hatte zwei Monate in den USA verbracht und dort mit neun Stunden Zeitverschiebung zu meinen Kolleg:innen in Berlin gearbeitet. Was den Nachteil hatte, dass ich manchmal um vier Uhr morgens kalifornischer Zeit in Meetings saß. Aber den gewaltigen Vorteil, dass auf Slack für mich über fast den ganzen Arbeitstag hinweg nichts passierte. Wenn ich anfing zu arbeiten, hatten die Kolleg:innen schon Feierabend oder schliefen. Auf einmal, stellte ich fest, arbeitete ich viel konzentrierter und produktiver als sonst – und war gleichzeitig weniger gestresst. Ich konnte einfach abarbeiten, was anstand und war irgendwann tatsächlich fertig – ein ganz ungewohntes Gefühl.

Als ich meinen Kolleg:innen davon berichtete, setzten wir endlich etwas um, über das wir schon lange nachgedacht hatten: Stillarbeit vom Beginn des Arbeitstags bis 13 Uhr. In dieser Zeit gibt es Meeting nur noch in Ausnahmefällen. Und: Auch Slack schweigt bis mittags. Die Benachrichtungen sind teamübergreifend ausgeschaltet. Zwar gibt es immer Kolleg:innen, die einander Nachrichten schreiben. Ganz lässt sich das nicht vermeiden – besonders für diejenigen, die täglich damit beschäftigt sind, unsere Artikel auf die Seite zu bringen. Aber alles, was nicht zu diesen Aufgaben gehört und auf Slack kommuniziert wird, kann und darf bis zum Nachmittag warten.

Das funktioniert – aber nur, weil wir uns als Team darauf geeinigt haben. Es ist nämlich viel einfacher, die Finger von Slack zu lassen, wenn man weiß, dass gerade niemand eine Antwort erwartet.


Redaktion: Astrid Probst, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos