Ein meditierender Gartenzwerg

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Sinn und Konsum

Spiritualität: Geht das auch in normal?

Vor zehn Jahren brachte ein Meditationsseminar mein Selbstbild ins Wanken. Kurz dachte ich, ich würde zur Esoterikerin werden.

Profilbild von Theresa Bäuerlein
Reporterin für Sinn und Konsum

Am vierten Nachmittag des Schweigeseminars bemerke ich, dass mein Gesicht schmilzt. Ich sitze auf einem steifen Kissen in einer schwach beleuchteten Halle, umgeben von stummen Menschen, die wie ich seit Tagen meditieren. Meine Lippen kribbeln, scheinen über ihre Konturen herauszutreten wie Wasser.

Später, zurück in meinem Zimmer, schaue ich in einen kleinen Spiegel mit Holzrahmen, der an der Wand hängt. Mein Gesicht sieht völlig normal aus. Meine Lippen sind wie immer. Und doch spüre ich, wie sie wabern, als würde ich Grimassen schneiden. Offenbar ist das, was mit mir los ist, nichts, das ein Spiegel zeigen kann.

In den Tagen danach werden die Empfindungen noch stärker, breiten sich über meinen ganzen Körper aus. Gleichzeitig spüre ich immer mehr inneren Frieden, ein Gefühl von Weite und Glück.

Nach dem Seminar war ich sicher, etwas Wichtiges entdeckt zu haben: Eine neue Art, mich zu erleben. Das beunruhigte mich ebenso sehr, wie es mich anzog. Ich wollte unbedingt mehr davon. Doch worauf ließ ich mich da ein? Ich habe nie viel mit Religion anfangen können und fand es seltsam, mich auf einmal für spirituelle Seminare anzumelden. Ich machte mir Sorgen, dass ich da lauter Spinner oder weltfremde Esoterikerinnen treffen und am Ende vielleicht selbst eine von ihnen werden würde.

Es ist nicht überraschend, dass ich so dachte. Unter rational-wissenschaftlich orientierten Menschen hat Spiritualität einen schlechten Ruf. Weil sie Spiritualität und Esoterik gleichsetzen. Als würde beides auf dem Glauben an Dinge aufbauen, die nicht beweisbar sind. Aber das stimmt so nicht.

Sie inszenieren Erleuchtung auf Instagram

In den Jahren nach meiner Gesichtsschmelze stieß ich auf eine Frage, die der Philosoph Thomas Metzinger in einem Essay gestellt hat. Sie fasst meine Neugier von damals in Worte, ebenso wie mein Unbehagen: „Gibt es eine Form von Spiritualität, die nicht selbstgefällig, klebrig oder kitschig ist, bei der man keinen kognitiven Selbstmord begeht und nicht auf mehr oder weniger subtile Form, seine Würde als kritisches rationales Subjekt verliert?“

Diese Antwort ist heute vielleicht wichtiger als je, denn viele suchen ein neues spirituelles Zuhause. Weil die Herausforderungen unserer Zeit, wie die Krise liberaler Demokratien, die Klimakrise und dazu ein Gefühl zunehmender Einsamkeit, das Bedürfnis nach Sinn, Verbundenheit und Orientierung dringender machen. Gleichzeitig wenden sich immer mehr Menschen in Deutschland von etablierten Glaubensgemeinschaften ab.

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Laut einer Studie der Universität Bielefeld von 2017 gaben 15  Prozent der Befragten in Westdeutschland und 10 Prozent in Ostdeutschland an, sich als „spirituell, aber nicht religiös“ zu betrachten. In einer Umfrage in der KR-Community, an der über 500 Menschen teilgenommen haben, machten 38 Prozent der Teilnehmenden diese Angabe. (Rund 33 Prozent bezeichneten sich als „weder spirituell noch religiös“, rund 24 Prozent als „spirituell und religiös“. Etwa vier Prozent fanden sich in keiner dieser Definitionen wieder.)

Achtsamkeit und Meditation sind für viele Menschen inzwischen ein Anker geworden. Millionen User:innen weltweit laden sich Achtsamkeitsapps wie „Headspace“ und „Calm“ auf ihre Handys. Bei jungen, gebildeten Großstädter:innen hat die Yogamatte den Gottesdienst abgelöst, meint meine Kollegin Rebecca Kelber.

Gleichzeitig wird unter dem Label „Spiritualität“ ein wildes Durcheinander angeboten, von Kristallen für Traumaheilung über Manifestationskurse bis zu Treffen mit tibetischen Lamas. Spirifluencer inszenieren auf Social Media ihre Erleuchtung und verkaufen Sinn und Heilung auch auf Ratenzahlung.

Wissenschaftsfeindlichkeit ist in dieser Szene ein echtes Problem. Vielleicht weil Menschen, die nach Erklärungsansätzen abseits der Wissenschaft suchen, generell anfälliger für alternative Fakten sind. Das wissen wir spätestens seit der Corona-Pandemie, als sich Rechtsextreme und Yoga-Lehrer:innen auf den gleichen Demos wiederfanden. Die Sozialpsychologin Pia Lamberty und die Publizistin Katharina Nocun haben in ihrem Buch „Gefährlicher Glaube. Die radikale Gedankenwelt der Esoterik“ beschrieben, wie politisch brisant esoterisches Gedankengut sein kann. Auch Waldorfschulen sind deshalb in den vergangenen Jahren zunehmend in die Kritik geraten.

Was viele nicht wissen: Spiritualität ist durchaus ohne esoterische Elemente möglich, wenn man beides voneinander abgrenzt. Esoterik funktioniert nur mit dem Glauben an übersinnliche Kräfte. Spiritualität kann auch ohne diesen Überbau auskommen.

Was heißt schon „geistige Welt“?

Die Verwirrung bei diesem Thema liegt auch daran, dass es keine festgelegten Definitionen für diese Begriffe gibt. Ich habe wissenschaftliche Arbeiten durchsucht, Expert:innen befragt und 524 Antworten aus der KR-Community gelesen und weiß nun, dass jede:r etwas anderes darunter versteht.

Die KR-Leser:innen sind Esoterik gegenüber eher misstrauisch. Bene schreibt: „Esoterik ist für mich: Räucherstäbchen anzünden, um Geister zu vertreiben, Wünschelrutengehen und Tarot – übernatürlicher und abergläubischer Unsinn.“ Spiritualität sehen die meisten Umfrage-Teilnehmer:innen hingegen eher positiv. Manche definieren sie als Sinnsuche, andere als Glauben an etwas, das größer ist als man selbst oder wofür wissenschaftliche Erklärungen nicht ausreichen. Das Wort „Gott“ kommt unter 524 Antworten in meiner Umfrage 41-mal vor.

„Esoterisch“ bedeutet im Wortsinn „nach innen gerichtet“. Der Begriff bezeichnet Lehren, die nur für einen kleinen Kreis bestimmt sind, im Gegensatz zu „exoterischem“ Wissen, das allgemein zugänglich ist.

Der Kulturhistoriker Wouter J. Hanegraaff sieht Esoterik als Sammelbegriff für Traditionen, die dem westlichen Rationalismus fremd sind, wie Magie, Kabbala oder Alchemie.

„Spiritualität“ wiederum geht auf das lateinische Wort „spiritus“ zurück, das man mit „Geist“ übersetzen kann. Deswegen beziehen sich viele Definitionen von Spiritualität auf einen Glauben an eine geistige Welt.

Aber was heißt schon „geistige Welt“? Meinen wir, wie Rudolf Steiner, der Begründer der Anthroposophie, eine unsichtbare Realität mit Wesen wie Engeln? Ist es spirituell, an Wunder zu glauben, wie es laut eines Spiegel-Artikels zwei Drittel der Deutschen tun? Oder Liebe, Erfolg und Glück aus dem Universum ins persönliche Leben manifestieren zu wollen, wie die Influencerin Laura Malina Seiler, der Hunderttausende in den sozialen Netzwerken folgen?

All diese Vorstellungen zeigen, wie unterschiedlich Menschen das Konzept einer geistigen Welt verstehen können. Doch man kann sie auch auf eine nüchterne Weise definieren, jenseits von Religion, Esoterik und Dogmen. Diese geistige Welt meint einfach: das eigene Gehirn und Bewusstsein. Wie KR-Leser Magnus schreibt: „Spiritualität ist nach innen gerichtet, ist das Bestreben, mittels eigener Erfahrung und Reflexion die Natur des Bewusstseins besser zu verstehen.“

„Spirituelle Personen wollen nicht glauben, sondern wissen“

So halten es Vertreter:innen einer rationalen Spiritualität, von denen es immer mehr gibt. Der Philosoph Thomas Metzinger betont in seinem Buch „Bewusstseinskultur“ die Bedeutung von Spiritualität für die persönliche Entwicklung und gesellschaftliche Werte, ohne dabei aber auf übernatürliche Konzepte zurückzugreifen. Metzinger hat zudem einen bekannten Aufsatz geschrieben, mit dem Titel „Spiritualität und intellektuelle Redlichkeit“, in dem er Spiritualität mit Wissenschaft vergleicht. Darin sagt er: „Spirituelle Personen wollen nicht glauben, sondern wissen.“

Ähnlich setzen sich der Psychologe und Meditationsforscher Ulrich Ott oder die Ärztin Natalie Grams für eine rational fundierte Spiritualität ein. Ott erklärt in seinem Buch „Meditation für Skeptiker“ die Effekte von Meditation auf das Gehirn und die Psyche.

Grams hat ihren Patient:innen früher Globuli verschrieben und ist mittlerweile die wohl bekannteste Homöopathie-Kritikerin Deutschlands. Dafür erntet sie Hass und Drohungen. Dabei ist sie eigentlich keine Hardcore-Esoterik-Feindin. „Wenn jemand sagt, dieser Heilstein hilft mir, weil eine gute Fee gute Energie reingesetzt hat, ist das für mich okay. Wenn er aber diesen Heilstein einer Person mit Brustkrebs gibt und sagt, deswegen musst du keine Chemo und keine Operation machen, denn allein die gute Feenenergie wird dir helfen, dann kritisiere ich das.“

Spiritualität, erklärt sie mir in einem Zoom-Call, bezeichnet für Grams vor allem Sinnhaftigkeit. „Das bedeutet, dass man eine persönliche, positive Antwort auf das Rätsel findet, das man sich selbst ist. Antworten wie: Ich möchte möglichst gesund leben. Ich möchte ein guter Mensch sein.“

Ich zögere. Auch wenn ich es gut finde, Spiritualität ohne Hokuspokus zu betrachten, ist mir diese Definition ein wenig zu nüchtern. „Sinnhaftigkeit‘ fühlt sich an wie ein weiterer Punkt auf der To-Do-Liste, wie Sport treiben oder Pausenbrote schmieren“, sage ich. Grams lacht, sie versteht sofort, was ich meine. „Das Wort Spiritualität bietet einem vom Kopf und vom Gefühl her mehr an, man hat sofort so ein wolkigeres Gefühl im Kopf und die Sehnsucht nach etwas, das über den drögen Alltag hinausreicht“, meinte sie. „Das hat ja auch was Schönes.“

Ich fühlte mich ertappt. Das Gefühl von Magie, das ich in meinem ersten Vipassana-Seminar erlebt habe, hat viel mit dieser Sehnsucht zu tun. Schließlich wollte ich das, was ich bei meinem Freund sah. Er, der sonst ständig redete und in Bewegung war, saß während seiner Meditation versunken auf seinem Bett. Anschließend wirkte er gelöst und friedlich. Also hatte ich mich für das Schweigeseminar angemeldet. Zum ersten Mal fragte ich mich damals vor dem Spiegel mit meinen wild kribbelnden Lippen, ob es vielleicht doch etwas gab, das sich der Logik entzog.

Tatsächlich war ich weder kurz vor einer Psychose noch kurz vor der Erleuchtung, sondern erlebte ein Phänomen, das typisch für diese Art von Meditation ist. Es handelte sich um die Vipassana-Meditation nach S.N. Goenka, bei der die systematische Beobachtung körperlicher Empfindungen eine zentrale Rolle spielt. Das Fließen, das ich erlebt habe, nennt man „Free Flow“ oder „Bangha“, ein Wort aus der altindischen Pali-Sprache, das „Auflösung“ bedeutet.

Dieses Phänomen ist in der Wissenschaft noch wenig erforscht. Studien zeigen, dass intensive Meditationserfahrungen die Aktivität in Hirnregionen verändern, die für die Wahrnehmung und Verarbeitung von Körperempfindungen zuständig sind.

In einem Interview mit dem Magazin Moment nennt der Meditationsforscher Ulrich Ott Erfahrungen wie diese „Zustände, in denen sich unser normales, konventionelles Weltbild deutlich verändert: das Verhältnis von mir zur Welt, das Zeitempfinden, das Raumempfinden.“

So etwas kann ziemlich überwältigend sein. Deshalb ist es naheliegend, dass Menschen Erfahrungen wie diese in einen religiösen oder übernatürlichen Rahmen stellen, um ihnen eine Bedeutung zu geben. In vielen Kulturen und Religionen gelten derartige Bewusstseinszustände als mystische Erlebnisse, die eine tiefere Verbindung zu etwas Größerem, Übersinnlichem oder Göttlichem eröffnen.

Daher kommt es vielleicht, dass sich in der spirituellen Szene eine wilde Mischung aus Menschen mit sehr unterschiedlichen Zielen tummelt. Manche sind interessiert daran, sich selbst und ihr Leben zu hinterfragen oder suchen nach etwas, das ihnen Sinn gibt. Sie wollen verstehen, wie die Welt aussieht, wenn man aus seinem alltäglichen Gedankenkarussell aussteigt, wenn man persönliche Ansichten beiseitelegt und die Welt aus jener Perspektive betrachtet, die der Philosoph Thomas Nagel als „Blick von nirgendwo“ bezeichnet. Das ist eine Sichtweise, bei der man sich selbst und die Welt ohne die Brille persönlicher Rollen und Identitäten betrachtet. Was bleibt von mir übrig, wenn ich mich weder über meinen Beruf definiere, noch über meine Beziehung, meine Familie, mein Aussehen oder meine Herkunft?

Andere jagen lieber die nächste abgefahrene Erfahrung, haben die Realität längst hinter sich gelassen, versuchen sich von Licht zu ernähren und halten sich für Wiedergeburten von Priesterinnen oder Königen. Man begegnet wirklich auffallend vielen wiedergeborenen Adligen in der Szene.

In der spirituellen Szene gibt es keine Qualitätskontrolle. Dennoch entstehen zunehmend Angebote, die Spiritualität mit einem wissenschaftlich fundierten Welt- und Menschenbild verbinden. Der US-Neurowissenschaftler Sam Harris etwa hat eine App mit Meditationen und spirituellen Kursen entwickelt, deren Claim lautet: „Ein neues Betriebssystem für dein Gehirn“ („A new operating system for your mind“). Harris hat außerdem ein Buch für rationale Spiritualität geschrieben, das als „Gebrauchsanweisung für Transzendenz“ beschrieben wird. Die Idee: Religionen und spirituelle Traditionen haben sehr effektive Methoden entwickelt, die Möglichkeiten des menschlichen Bewusstseins auszuloten und Zugang zu innerem Frieden, Freude, Mitgefühl und Transzendenz zu finden. Dazu gehören auch fundamentale Einsichten wie die, dass ein persönliches Selbst nicht existiert.

Das mag seltsam klingen, ist aber durchaus eine legitime und plausible Auffassung, die von einigen Neurowissenschaftler:innen und Philosophen unterstützt wird. Zahlreiche Studien deuten darauf hin, dass das Gefühl eines kohärenten Selbst lediglich eine Konstruktion des Gehirns ist. Buddhistische und mystische Traditionen teilen häufig diese Sichtweise.

Leider begegnete ich nicht dem Ursprung des Universums

Es ist jedoch eine Sache, das intellektuell zu begreifen und eine andere, es tatsächlich zu erleben. Spirituelle Techniken wie Meditation und Selbstreflexion bieten da eine Systematik, um das Gefühl eines „Ichs“ aufzulösen oder zu relativieren. Das kann eine positive Einsicht sein, aber auch eine verstörende.

In den Jahren nach dem Vipassana-Seminar habe ich mich mit Tantra, Yoga, Buddhismus und allen möglichen Formen von Meditation beschäftigt. Manchmal musste ich tibetische Gottheiten visualisieren oder eine halbe Stunde lang summen. Ich habe spirituellen Lehrer:innen zugehört, Bücher von Mystiker:innen gelesen und jedes Jahr mindestens eine Woche in Schweigeseminaren verbracht. Die meisten Erfahrungen waren positiv. Ich bin aber auch Menschen begegnet, die von spirituellen Praktiken und Erfahrungen zutiefst destabilisiert waren und die in psychologischer Behandlung besser aufgehoben gewesen wären.

Das Schlimmste für mich war mein Ayahuasca-Trip, bei dem ich einen Sud aus Pflanzen konsumierte, der starke psychoaktive Effekte auslöst. Ursprünglich wurde er von indigenen Völkern des Amazonasgebiets in rituellen Zeremonien verwendet, doch in den letzten Jahrzehnten hat Ayahuasca auch im Westen Verbreitung gefunden. Manche sollen unter dem Einfluss des Suds ja dem Ursprung des Universums begegnen. Ich hingegen lag fünf Stunden lang auf dem Boden, und alle meine Sinne waren völlig überfordert. Es war, als wäre ich gezwungen, das Video zu „Lucy in the Sky with Diamonds“ in einer Endlosschleife zu gucken und zwar mit zehnfacher Geschwindigkeit und maximaler Lautstärke, während mich abwechselnd Eisregen und Hitzewellen plagten.

Warum tut man sich sowas an? Ich tue es, weil meine spirituelle Sehnsucht ziemlich groß ist. Damit bin ich nicht allein. Spiritualität ist tief in unserer menschlichen Natur verwurzelt, meint der Neurowissenschaftler Michael Ferguson, der an der medizinischen Fakultät in Harvard lehrt. Ferguson und sein Team haben herausgefunden, dass spirituelle Erfahrungen im periaquäduktalen Grau, einem evolutionär alten Teil des Gehirns, verankert sind. Was aber nicht heißt, dass alle Menschen interessiert an Spiritualität sind: „Manche Menschen werden durch Musik kaum angesprochen, andere hingegen sind hochmusikalisch. Und so ist das auch bei Spiritualität“, so Ferguson.

Ich kann kein einziges Instrument spielen, aber Meditieren fällt mir leicht.

Manche würden vielleicht sagen, dass es Spiritualität entzaubert, wenn man versucht, sie wissenschaftlich zu ergründen. Ich würde dem nicht zustimmen. Meine Nichte ging eine Weile in einen Waldorf-Kindergarten. Eine Mitarbeiterin sagte ihrer Mutter, meiner Schwester, dass man Kindern bis zum Alter von sieben Jahren keine wissenschaftlichen Erklärungen liefern sollte. Kinder sollten bis dahin in einer magischen Weltsicht leben, die man nicht durch rationale Erklärungen stören sollte. Wenn das Kind fragte, wo Wolken herkommen, sollte man zum Beispiel sagen, die Wolken würden von Zwergen gemacht. Meine Schwester fand das absurd. „Wieso ist es weniger magisch zu verstehen, dass Wolken aus Wasserdampf entstehen?“, meinte sie.

Ich finde, sie hat recht. Der US-Astrophysiker Neil deGrasse Tyson sagte einmal, dass die Moleküle in unserem Körper bis zu den Sternen zurückverfolgt werden können. „Diese Atome und Moleküle sind in uns, weil das Universum in uns ist. Wir sind also nicht nur im übertragenen Sinne, sondern ganz wortwörtlich Sternenstaub.“

Wenn ich darüber nachdenke, wirft mich das um. Wer braucht da noch Zwerge?

Das Seminar mit der Gesichtsschmelze liegt jetzt fast 14 Jahre zurück. Meine Befürchtungen haben sich nicht bestätigt, ich bin weder Teil einer Sekte geworden, noch habe ich den Anschluss an das rational-wissenschaftliche Weltbild verloren. Was mir manchmal fehlt, ist eine Community von Menschen, die diese Art von Spiritualität schätzen. Für sie gibt es keine Kirchen und keine Gemeinden. Ob sich das irgendwann ändert?


Redaktion: Astrid Probst, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos; Audioversion: Iris Hochberger

Spiritualität: Geht das auch in normal?

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