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Ich hatte ein doppeltes Aha-Erlebnis. Und zwar, weil ich zwei Bücher gelesen habe, die beide etwas erklärt haben, das ich sehr nützlich finde: den Unterschied zwischen Wollen und Mögen. In dem einen Buch ging es um Sex, in dem anderen um Essen. Zwei Dinge also, die nur sehr wenige Menschen interessieren. Haha. Im Ernst: Gerade, weil diese beiden Themen im Leben der meisten Menschen eine so große Rolle spielen, im guten wie im schlechten, ist es sehr wichtig, den Unterschied zwischen „Wollen“ und „Mögen“ zu kennen – und, ehrlich gesagt, auch ziemlich befreiend.
Viele von euch haben schon meinen Artikel über das Buch „Kommt zusammen“ der Sexualpädagogin Emily Nagoski gelesen, in dem sie diesen Unterschied beschreibt. Sie erklärt, wie grundlegend verschieden die beiden Konzepte von „Wollen“ und „Mögen“ im Gehirn verankert sind. Begehren ist in einem großen Netzwerk von Dopamin-Schaltkreisen verankert. Je stärker dieses Netzwerk aktiviert wird, desto intensiver bemühen wir uns, ein Ziel zu erreichen. Vergnügen entsteht in kleineren Bereichen des Gehirns, in denen Opioide und Endocannabinoide übermitteln, wie gut sich eine Erfahrung anfühlt. Diese Stoffe regulieren unter anderem Appetit, Schmerzempfinden und Stimmung. Das bekannte „Runner’s High“ wird nicht nur durch Endorphine, sondern wahrscheinlich auch durch das Endocannabinoid-System ausgelöst.
Im Zusammenhang mit Sex ist „Wollen“ demnach „Begehren“. Es ist mit einem tiefen Gefühl des Unbefriedigtseins verbunden. Es motiviert uns, etwas zu erreichen, das wir noch nicht haben, zum Beispiel diese sexy Person, die in der Kaffeebar hinterm Tresen steht. „Wollen“ ist die Erwartung des Glücksgefühls, das eintritt, wenn die Person dir, sagen wir, den Rücken krault.
„Mögen“ hingegen hat mehr mit der unmittelbaren Zufriedenheit zu tun, wenn du den Moment genießt. Es ist mit einem Gefühl von Wohlbefinden und Zufriedenheit verbunden. Die Person krault dir den Rücken, und du genießt es richtig.
„Mögen“ wird dauernd unterschätzt
In seinem Buch „The Hunger Habit“ erklärt der Neurowissenschaftler Judson Brewer das gleiche Prinzip. Allerdings geht es nicht um begehrenswerte Personen, sondern um Essen. Nehmen wir als zufälliges Beispiel einfach Schokolade. Es ist dir möglicherweise schon aufgefallen, aber der Gedanke an Schokolade kann Wollen auslösen – den Drang, sich die Tafel aus dem Küchenschrank zu holen und sie zu verputzen. „Mögen“ wiederum ist das unmittelbare positive Gefühl, das man beim Essen der Schokolade empfindet – eigentlich. Schwierig dabei ist, dass das Verlangen, die Schokolade zu essen, sich viel stärker anfühlen kann als der eigentliche Genuss. Wir essen oft aufgrund eines Drangs oder Gewohnheitsmusters, das durch das Wollen ausgelöst wird, ohne dabei bewusst wahrzunehmen, ob wir das Essen wirklich genießen. Was im schlechteren Fall dazu führt, dass man die Schokolade einfach in sich reinmampft, sogar über den Punkt hinaus, an dem es sich gut anfühlt. Wir können Essen also wollen, wenn wir es schon gar nicht mehr mögen. Das Verlangen kann so stark sein, dass wir nicht mehr spüren, wie voll, wie übersatt wir eigentlich schon sind.
Laut Brewer ist es deswegen wichtig, ein Gefühl für das „Mögen“ zu entwickeln – was fühlt sich wirklich gut an? Viele haben das beim Essen verlernt.
Sicher ist dir an diesem Punkt schon klar, dass der Unterschied zwischen „Wollen“ und „Mögen“ weit über Sex und Essen hinaus relevant ist. Brewer schlägt als Beispiel vor, sich den eigenen Kleiderschrank vorzustellen und darin ein Kleidungsstück, das man gerne trägt. Der Gedanke daran löst kein sehnsüchtiges „Wollen“ aus, es gehört einem ja schon. Aber was ist mit dem tollen Mantel, den der Kollege neulich anhatte oder den Laufschuhen, für die man neulich eine Instagram-Werbung angezeigt bekam? Wenn Kleidung bei dir nichts auslöst, lässt sich das Objekt der Begierde beliebig mit etwas anderem ersetzen.
Das Gefühl von „Wollen“ oder „Verlangen“ empfinden wir oft als positiv, weil es etwas Berauschendes hat, und es auch wirklich Spaß macht, wenn man das Objekt seiner Begierde ergattert hat. Verlangen kann aber auch schmerzhaft sein, wenn man es eben nicht bekommt. „Mögen“ ist sanfter und wahrscheinlich genau deswegen unterschätzt. „Mögen“ fühlt sich immer gut an.
Vielleicht sollten wir uns öfter auf „Mögen“ statt auf „Wollen“ konzentrieren? Nagoski und Brewer sind dafür. In meinem nächsten Artikel gehe ich genauer darauf ein, warum das beim Thema Essen eine so gute Idee ist.
Schlussredaktion: Susan Mücke