Ein Mann telefoniert mit einem Kabeltelefon und ist komplett in das Kabel des Telefons eingewickelt

Credit: Christoph Rauscher

Sinn und Konsum

Auf einer Skala von 1–10: Wie sehr willst du den Support anschreien?

Die Kundschaft wird messbar wütender, und die Falschen müssen es ausbaden. Schuld an schlechtem Service sind Unternehmen, die in einer Fantasiewelt leben.

Profilbild von Gabriel Yoran

Neulich hatte ich ein Kundendiensterlebnis von so unwirklicher Schönheit, dass ich erwartete, jeden Moment aufzuwachen.

Wir haben ein gebrauchtes Kinderhochbett angeschafft (mit Rutsche!), eine bayerische Massivholzkonstruktion aus hundert Balken und sehr langen Schlossschrauben, offensichtlich gebaut, um gleich mehrere Atomkriege zu überstehen. Die Vorbesitzerfamilie hatte uns eine mystische, handgeschriebene Aufbauanleitung überlassen, die aber nur versteht, wer schon mal so einen Indoor-Abenteuerspielplatz aufgebaut hat. Der erste Aufbauversuch ging schief, also versuchte ich, die offizielle Anleitung zu bekommen. Auf der Website des Herstellers war sie nicht, dafür aber eine Telefonnummer, direkt auf der Homepage, einfach so, man musste nicht mal klicken. Es gab keine Warteschleife und es ging auch kein Gesprächsroboter dran, der mich über den Datenschutz belehrte, sondern eine freundliche Person, die mir gleich ein Aufbau-PDF zumailte. Meine Freude war groß ob dieser unerwartet normalen, geradezu menschlichen Interaktion, zumal mit einer Firma, die nichts an mir verdient hat und dies auch auf absehbare Zeit nicht tun wird.

Normalerweise laufen Anrufe bei Hotlines anders ab. Sie beginnen mit einer Reihe nicht ganz wahrer Behauptungen. Ihr Anruf ist uns wichtig. Der nächste Kundenbetreuer ist gleich für Sie da. Und: Um unsere Servicequalität zu verbessern, zeichnen wir das Gespräch auf.

Wichtige Anrufe erkennt man gemeinhin nicht daran, dass sie von einem Roboter entgegengenommen werden. Der nächste Kundenbetreuer ist vielleicht nach einer halben Stunde für mich da. Und die Aufzeichnungen haben nicht so sehr mit der Servicequalität zu tun als mit der Überwachung des Personals.

Gebt mir doch einfach das PDF!

Manchmal muss man aber den Kundendienst anrufen, und nicht immer geht es so gut aus wie bei den bayerischen Bettenbauern. Zum Beispiel, wenn man wie ich etwas tut, womit niemand rechnen kann: umziehen – mit einem Samsung-Fernseher vom Typ „The Frame“. Diese Geräte kann man wie einen Bilderrahmen bündig an die Wand hängen. Dafür haben sie eine spezielle Halterung aus Blechplatten, Schrauben, Bügeln und Magneten. Und eine riesige Papierschablone, die man zur Montage an die Wand klebt, um an den richtigen Stellen zu bohren. Diese Schablone macht man durchs Bohren kaputt (oder man verliert sie). Aber dann zieht man um und braucht sie wieder.

Laut einer Umfrage wollen 90 Prozent der Deutschen sich bei Problemen zuerst selbst helfen – ich auch! Ein in den letzten Jahrzehnten sozialisierter Mensch erwartet, die Schablone als PDF im Supportbereich der Herstellerwebsite zu finden. Da suchte ich auch, fand aber nichts. Auch nicht anderswo im Netz. Ich fand nur andere Verzagte, die ebenfalls nach der Schablone suchten. In einem Forum bekam eine Frame-Kundin von einem Schlaubischlumpf den Tipp, doch einfach die Halterung an die Wand zu halten und die Bohrlöcher durchzupausen. Doch die Schablone gibt es aus einem Grund: Samsung verwendet die gleiche Halterung für Fernseher verschiedener Größen, weshalb sie aus zwei Platten besteht, die je nach TV-Größe verschieden weit voneinander entfernt in die Wand geschraubt werden müssen.

Merke: Wenn du ein Problem hast, findest du online immer Leute, die dir sagen, dass du falsch gekauft, falsch montiert und generell ein falsches Leben hast. Trotzdem sind Foren, in denen sich die Betroffenen selbst helfen, oft wertvoller als die Support-Websites der Hersteller. Und natürlich findest du Do-it-Yourself-Videoanleitungen auf Youtube! Videos, die die Reparatur von Waschmaschinen erklären, haben teilweise Hunderttausende Views. Die gesuchte Schablone gab es da natürlich auch nicht.

Nach etlichen fruchtlosen Versuchen, die Sache mit der Samsung-Website zu klären, rief ich die Hotline an, wo man von nichts wusste, mir aber eine E-Mail-Adresse nannte, die es nicht gibt. In einem weiteren Anruf bekam ich eine andere Adresse, hinter der tatsächlich eine freundliche Person arbeitete, die mir mit dem Hinweis, dass sie nicht wüsste, ob es das richtige sei, tatsächlich ein PDF „aus dem Archiv“ schickte, welches ich dann im Copyshop ausdruckte, da ich seit zehn Jahren keinen Drucker mehr besitze (die Digitalisierung des kleinen Mannes).

Kundendienstler müssen die Gräben zuschütten zwischen dem Anspruch eines Unternehmens und der Wirklichkeit der zermürbten Kundschaft. Kundendienstler sind, wenn es gut läuft, der Geist in der Maschine. Denn nicht immer reicht es, ein PDF hervorzaubern. Oft sind die Probleme so komplex, dass sie nicht (oder nicht sofort) helfen können. Und immer öfter werden sie angeschrien. Obwohl sie die Probleme, deretwegen wir in den Hotlines landen, nicht zu verantworten haben. Wer dann?

Es wird messbar mehr geschrien

Der kleine bayerische Möbelbauer und der koreanische Mischkonzern haben etwas gemeinsam: Sie hätten sich die teure 1:1-Kommunikation und mir Nerven sparen können, indem sie einfach bereits existierende Dokumente auf ihre bereits existierenden Websites stellten – eine sehr bescheidene Form von Open Source. Das Kinderbett wird mit seiner Nachhaltigkeit beworben, da liegt es doch nahe, dass es weiterverkauft wird. Aber in der Vorstellung des Herstellers heftet man die Anleitung, nachdem man sie in eine Klarsichtfolie gesteckt hat, in den Aktenordner „Anschaffungen 2000-2010“, wo man sie beim Weiterverkauf leicht wiederfindet. Tatsächlich steht auf der ersten Seite der Aufbauanleitung sogar: „Diese Anleitung darf nur zusammen mit dem Produkt weitergegeben werden“, eine wichtigtuerische Forderung, der sich die Dame am Telefon zum Glück widersetzt hat.

Mehr zum Thema

Auf den Supportseiten fehlen unerklärlicherweise Dokumente, und Chatbots verstehen meine Probleme auch nicht. Also muss man anrufen und dem Sprachroboter immer wieder „andere Frage“ antworten und auch mal eine halbe Stunde zu ständig sich wiederholender Musik warten. Einmal lief ein Song der finnischen Band Him in der Warteschleife, in dessen Refrain mehrmals „Join me in death“ gesungen wird. Das ist bestimmt eine Metapher für etwas, und ich wünschte, ich dächte mir das aus. Und dann fliegt man aus der Leitung und probiert es nochmal. Nach weiteren Minuten „Join me in death“ bin ich dann zumindest wirklich dankbar, wenn ich endlich eines persönlichen Kontakts habhaft werde.

Jetzt besteht leider die nicht geringe Wahrscheinlichkeit, dass man es mit einer Supportkraft zu tun hat, die in einer sehr anderen Zeitzone arbeitet, meine Sprache nur teilweise versteht und sich geradezu religiös an ihr Skript hält (was normal ist bei den am schlechtesten geschulten Leuten, genannt „Level 1“, mit denen man als Erstes verbunden wird). Und dann wird geschrien. Das tat die Kundschaft im Jahr 2022 messbar mehr (oder erhob zumindest häufiger ihre Stimme) als im Vergleichsjahr 2015.

Kaputtes Produkt, trotzdem ganz zufrieden

Um sich nervlich zerrüttete, ausfallend werdende Menschen psychisch auf Distanz zu halten, arbeiten manche Kundendienstler mit Pseudonymen, aber nicht überall ist das erlaubt. Sie kitten die Bruchstellen in den Geschäftsprozessen, sie arbeiten das weg, was nicht wegautomatisiert wurde, sie wissen, welche Macken das Produkt hat und was nicht auf der Unternehmenswebsite steht. Wenn es gut läuft. Immer öfter tut es das nicht: Laut einer jährlich durchgeführten Studie im Auftrag der Wirtschaftswoche wird der Kundenservice deutscher Unternehmen immer schlechter.

All die Beteuerungen der Hotlineansagen, die Servicequalität stetig verbessern zu wollen, all die angeblich zur Qualitätssicherung mitgehörten Gespräche, all die Umfragen nach Gesprächsende, bei denen man auf einer Skala von eins bis zehn bewerten soll, wie gut einem geholfen wurde – all dieses Bohei hilft offensichtlich nicht, denn die Kundenzufriedenheit fällt seit Jahren, international und messbar. Die Financial Times berichtet von einem Neun-Jahres-Tief bei der Kundenzufriedenheit im Vereinigten Königreich. Und in den USA hat sich die Anzahl der Haushalte, die wenigstens einmal im Jahr den Kundendienst kontaktieren mussten, seit 1976 verdoppelt und liegt nun bei 66 Prozent. Man fragt sich, wer die genügsamen anderen 34 Prozent sein sollen, aber der Trend geht auch in anderen Erhebungen zu vermehrten Beschwerden.

Die Anzahl der Beschwerden muss aber keine Aussage über die Kundenzufriedenheit treffen. Sie ist nämlich notorisch schwer zu greifen. Die immer wieder gestellten Fragen à la „Würden sie das Produkt weiterempfehlen, auf einer Skala von eins bis zehn?“ produzieren sehr unterschiedliche Ergebnisse, je nachdem, wann man fragt (direkt nach dem Kauf, drei Monate später, unmittelbar nach einem erfolgreichen Hotlinegespräch). Auch deshalb bekommt man die Frage wieder und wieder gestellt (was vermutlich der Kundenzufriedenheit nicht zuträglich ist). Die Kundenzufriedenheit kann aber selbst dann noch hoch sein, wenn das Produkt Probleme macht, einem aber schnell und kulant geholfen wird. Mein Leihfahrrad der Berliner Firma Dance war in wenigen Wochen zwei Mal kaputt, aber jedes Mal wurde das Problem schnell und an Ort und Stelle behoben, es gab sogar Gutschriften als Entschuldigung. Wie steht es um meine Kundenzufriedenheit? Die ist ganz gut, weil meine Probleme immerhin Gehör fanden. Unumstritten ist jedoch, dass bei industriell produzierten Waren der Kunde idealerweise gar nicht in Kontakt treten soll mit dem Kundendienst, weil der teuer ist und die womöglich niedrigen Gewinnmargen des Produkts auffrisst.

Es ist leichter, einen Ferrari zu bauen als einen Ford

Der Mobilitätsanalyst Horace Dediu hat dafür ein gutes Beispiel. Er schreibt, dass es billiger ist, einen Ferrari zu bauen als einen Ford. Er benutzt das überspitzte Beispiel eines unzuverlässigen Formel-1-Autos, um das sich sofort ein Team in der Boxengasse kümmern kann, weil Geld keine Rolle spielt. Aber wenn ein kleiner Ford oder Toyota ausfällt, dann ist er vermutlich das einzige Verkehrsmittel, mit dem eine Krankenschwester in der amerikanischen Provinz zur Arbeit kommen kann. Und sie hat, im Gegensatz zur Ferrari-Kundschaft, keinen Zweit- oder Drittwagen zur Verfügung. Der Kleinwagen muss besser zusammengebaut sein und robustere Technik haben als der von Hand montierte Sportwagen, weil die Gewinnmargen an ihm viel kleiner sind. Ein oder zwei Werkstattaufenthalte auf Garantie würden den kleinen Gewinn vernichten, den der Hersteller mit solchen Fahrzeugen pro Stück erzielt.

Es gibt Unternehmen wie Toyota, die ihre Produkte absichtlich so bauen, um dem Kundendienst möglichst wenig Arbeit zu machen. Und dann gibt es Firmen, die noch im Kundendienst versuchen, ihre Kundschaft zu übervorteilen. In manchen Branchen wird es der Kundschaft absichtlich schwer gemacht, sich zu beschweren – insbesondere dort, wo ihr eine gesetzlich garantierte Kompensation zusteht. Laut Harvard Business Review ist der entnervt aufgebende, nicht auf seinen Rechten beharrende Mensch in vielen Businessplänen eingepreist. Der Frust bleibt nämlich für das Unternehmen folgenlos, wenn man nicht um seine Rechte kämpft und es keine Alternativen gibt, wie das in vielen Infrastrukturmärkten der Fall ist. In vielen Regionen der Welt kann man seinen Strom- oder Gasanbieter nicht wechseln, also macht der Monopolist, was er will. Und auch bei Fluggesellschaften gilt auf Strecken ohne relevante Konkurrenz: Die Sitzabstände schrumpfen, die Sitze selbst werden kleiner. Und die Kundschaft macht mit, weil sie muss. Die Kundenzufriedenheit ist im Keller, die Gewinne gehen durch die Decke – bei einigen amerikanischen Fluggesellschaften ist das ganz normal.

Aber selbst weniger zynisch betriebener Kundendienst frustriert die Kundschaft – was an immer komplexer werdenden Produkten liegt. Dass die Menschen, die Produkte kaufen, durch immer neue Modelle, Varianten und Tarife verwirrt und gestresst sind, ist seit Jahrzehnten bekannt. Tatsächlich sind viele Dinge aber mittlerweile zu komplex für die, die sie verkaufen.

Komplexität ist selbstverstärkend und erzeugt immer mehr Komplexität. Ohne absichtsvolles Tun haben viele Organisationen daher über die Jahre ihre Angebote immer komplexer gemacht, was zu Problemen führt, die sie entweder nicht willens oder imstande sind zu antizipieren. Die Bahn-Website zum Beispiel erlaubt den Kauf von Tickets für Züge, von denen ein anderer Teil des Unternehmens schon weiß, dass sie nicht fahren werden, weil die Strecke durch eine Überflutung unterspült ist. Dieses Wirrwarr ist keine Absicht. Das bei dem Verkauf von Bahnfahrten ins europäische Ausland ist es schon: Ohne internationale Standards wäre der Flugverkehr undenkbar, aber Bahngesellschaften wehren sich seit Jahren dagegen, weil sie Angst vor Preisvergleichen haben und im Gegensatz zu Airlines auf ihre Treibstoffe Steuern zahlen müssen, wie Don Dahlmann bei „Gründerszene“ erklärt.

Bock auf den „besten Deal hinten“?

Eine andere Strategie, die Komplexität hinzufügt, ist aggressives Upselling. Fluggesellschaften wie Ryanair, die verzweifelt versuchen, gleichzeitig Billigflieger zu sein und trotzdem Geld zu verdienen, behelligen Reisende mit der Frage, wie viel mehr sie dafür bezahlen würden, als erster ein Flugzeug besteigen oder verlassen zu dürfen, ob sie „Zusätzliche Beinfreiheit vorne“ oder den „Besten Deal hinten“ haben wollen.

Ein Screenshot von der Ryanair-Website

Screenshot aus dem Buchungsprozess der Ryanair-Website | Quelle: Screenshot Ryanair

Aber es ist nicht nur die (absichtliche und zufällige) Komplexität der Produkte, die uns in die Arme des Kundendienstes treibt. Manchmal ist es auch einfach nur sehr schwer, einen Wäscheständer zu verschicken.

Neulich wollte ich so einen kaufen, einen besonders großen für den angewachsenen Haushalt, und dachte mir: Jetzt kaufst du mal was Gutes, ohne Plastikteile, die irgendwann unter nassen Laken zusammenbrechen (das geschah mit dem Vorgänger). Ich fand eine etwas zu teure, aber todschicke Konstruktion der niederländischen Firma Brabantia und bestellte das Produkt direkt beim Hersteller. Zuhause aufgestellt, dämmerte uns, dass alle Stangen quer eingebaut wurden, so dass es keine ausreichend lange Stange gibt, um etwa nasses Bettzeug aufzuhängen. Das hätte ich dann wieder über geöffnete Türen werfen müssen, wie so ein Tier. (Man hätte das auf der Website erkennen können, ja.) Das Gestell musste also leider zurück und an dieser Stelle bereute ich, dass ich nicht bei Amazon bestellt hatte. Brabantia akzeptiert Rücksendungen nur via DPD und dessen Leute kommen nicht nur nicht zu mir, ihre nächste Filiale ist eine Drogerie der Kette Budni. Ich liebe Budni wirklich, weil der Laden genau ein oder zwei Versionen (aber nicht mehr) der einen Sache hat, die ich gerade dringend brauche (Fusselrolle, Filtertüte, belgische Schokolade mit karamellisierten Salzbrezeln). Aber wer einen niederländischen Wäscheständer zurückschicken möchte, macht sich dort keine Freunde. Der riesige Karton muss nämlich im Laden rumstehen, in meinem Fall vor der saisonalen Aktionsware, weil es anderswo nicht genug Platz dafür gibt. Das ist kein Wunder, denn das Geschäft ist ja keine Postfiliale, sondern eine Drogerie. Da es aber auch fast keine Postfilialen mehr gibt, akzeptieren wir die Verkrempelung von Kiosken, in denen wir über Kartons steigen müssen, um ein Snickers zu kaufen, aber das ist eine andere Geschichte. Eine Budni-Mitarbeiterin guckte mich streng an und nahm nach würdelosem Gejammer meinerseits die Rücksendung in Empfang: „Aber auf Ihr Risiko!“

Die Amazonisierung der Kundschaft

Der zweite Versuch, einen großen Wäscheständer zu kaufen, trieb mich in die Arme der Marke Vileda, deren hässliches Gestell zwar wenig vertrauenerweckende Plastikscharniere hat, aber immerhin konventionell (längs) orientiert und sogar ausziehbar ist. Auch hier bestellte ich beim Hersteller selbst, weil die ausziehbare Version in Berlin nirgends vorrätig war und ich noch dachte, es müsse doch auch ohne Amazon gehen. Jedenfalls nahm die Vileda-Website meine Bestellung entgegen, nur um mich daraufhin komplett zu vergessen. Tage und Wochen gingen ins Land, irgendwann rief ich bei der sehr freundlichen Hotline an, deren Mitarbeiterin mich über Lieferschwierigkeiten in Kenntnis setzte, aber beteuerte, die Ware müsse jetzt wirklich jeden Moment eintreffen.

Der Moment kam nicht und eine weitere Woche später stornierte ich die Bestellung und fand mich auf der Amazon-Website wieder. Auch dort gab es Lieferschwierigkeiten, aber man nannte mir vor der Bestellung immerhin einen groben Liefertermin. Ein paar Tage später kamen dann zwei Trockengestelle – das von Amazon und das stornierte von Vileda. Nach dem Erlebnis mit dem niederländischen Gestell hatte ich nun berechtigte Sorge, die überzählige Ware an Vileda nur zurückgeben zu können, indem ich sie auf einem eigens angemieteten Hovercraft durch brennende Reifen hindurch den Rhein hinunter nach Weinheim kutschierte. Dort ist der Sitz der Firma hinter Vileda, die allen Ernstes Freudenberg Home and Cleaning Solutions heißt.

Es kam dann anders. Der Vileda-Kundendienst schrieb mir bündig, ich könne den Ständer behalten und müsse auch nichts dafür bezahlen. Wenn das keine Home and Cleaning Solution ist! Also schickte ich, weil es so einfach ist, Dinge an Amazon zurückzuschicken, den Amazon-Ständer zurück. Niemand maßregelte mich für den zu großen Karton, er wurde klaglos von einem netten DHL-Mann an der Wohnungstür abgeholt. Das Geld hatte ich wenige Stunden später wieder auf dem Konto und da Amazon ja als böse gilt, hatte ich nur kurz ein schlechtes Gewissen, ein an sich tadelloses Produkt zurückzuschicken.

Was lernen wir daraus? Logistik ist schwer, Einkaufen außerhalb von Amazon oft Glückssache und am Ende hat zwar niemand etwas an meinem Wäschegestell verdient, aber ich weiß, dass ich nächstes Mal reumütig wieder bei Amazon bestelle. Der Erfolg dieses Unternehmens liegt nicht an seinem guten Beschwerdemanagement, sondern darin, die Bedürfnisse der Kundschaft zu befriedigen, so dass es erst gar nicht zu Beschwerden kommen muss. Und darin, wie beiläufig die Erwartungen immer weiter in die Höhe zu schrauben, was E-Commerce ist. Was mir bei den Wäscheständern passiert ist, lässt sich unter Amazonification oder „Amazonisierung“ der Kundschaft fassen. Wir wissen ja jetzt, dass es absolut möglich ist, Dinge am nächsten oder sogar am gleichen Tag der Bestellung zu erhalten, dass es legitim und einfach ist, Dinge zurückzuschicken – und dass bei Fragen sofort jemand da ist, der hilft. Diese Standards sind unglaublich hoch und auch nur erfüllbar, weil weit über hundert Millionen Menschen Prime-Abonnenten sind und damit verlässlichen Umsatz generieren, unabhängig von eigentlichen Bestellungen. Andererseits sorgt das Prime-Abo dafür, noch mehr bei Amazon zu bestellen, weil man ja schon bezahlt hat.

Wie die Netflix-Taste auf die Fernbedienung kommt

Wenn die Unternehmen doch wissen, dass ihre Produkte komplex sind und die Lieferketten nicht zuverlässig, warum sind dann nicht wenigstens die Supportbereiche der Websites besser? Lebenspraktischer sortiert vielleicht, nach den Situationen, in denen sich echte Menschen befinden (habe eines eurer Produkte gebraucht gekauft, bin mit eurem Produkt umgezogen, würde gerne nasse Laken aufhängen). Die Gründe für dieses Versagen haben auch damit zu tun, wie große Organisationen strukturiert sind.

Was für Firmen wie Samsung existiert, sind einerseits Personen, die Fernseher mit bestimmten Eigenschaften kaufen. Wenn das Unternehmen aus der Marktforschung weiß, dass die Leute Netflix gucken wollen, stellt sich die Produktentwicklung die Frage, woran der Kunde erkennt, dass das Produkt dieses Bedürfnis erfüllt. Diese Frage ist entscheidend, wenn man verstehen will, warum Produkte so sind, wie sie sind: Es hat vermutlich etwas damit zu tun, der Zielgruppe ein Signal zu geben, an dem sie erkennen kann, dass das Produkt die gewünschte Eigenschaft hat. So kommt die Netflix-Taste auf die Fernbedienung (und auch, weil Netflix dafür bezahlt).

Andererseits gibt es dann noch die andere Gruppe, die sich an den Kundendienst wendet mit Problemen, die vorher irgendwie antizipiert werden müssen, denn man muss den Kundendienst ja schulen. Die Probleme, die sich ein Hersteller vorstellen kann, sind meist vom Ende her gedacht, und das Ende ist immer eine bestimmte Funktion des Produkts.

– Wie kann ich Netflix schauen?
– Drücken Sie die Netflix-Taste auf Ihrer Samsung-Fernbedienung.

Im besten Fall lernt eine Organisation aus dem Kundenfeedback und verbessert das Produkt. Das ist schon schwer genug, denn der Kundendienst hat nicht in jeder Organisation einen Stuhl am Vorstandstisch. Dringt die Kundendienstleitung durch mit ihren Vorschlägen? Oder werden deren Empfehlungen immer wieder abgebügelt, weil es sich nicht lohnt, die vielen unterschiedlichen Probleme im Vergleich kleiner Gruppen zu lösen? Und so lange die Verkaufszahlen stimmen, scheint das Produkt ja so schlecht nicht zu sein!

Die Gruppe der Fernsehkäufer und die Gruppe der Fernsehproblemistas werden von unterschiedlichen Abteilungen bedient, die unterschiedliche, gar widerstreitende Interessen haben. Ein grundsätzliches, wiederkehrendes, schwer zu lösendes Problem an der Wurzel so vieler schlechter Produkterlebnisse und eine Hauptursache für die Verkrempelung der Welt: Es gibt in großen Organisationen oft nicht die Rolle, die sich im alltagspraktischen Sinn in die Nutzerschaft hineinversetzt. Und selbst wenn es diese Rolle in einem Unternehmen gibt, hat sie fast nie den Einfluss, die Interessen der von ihr vertretenen Gruppe durchzusetzen.

Organisationen wissen nicht, dass sie Organisationen sind

Die von den Unternehmen durchaus gewonnenen Erkenntnisse lassen sich nicht einfach innerhalb einer bestimmten Abteilung umsetzen. Probleme interessieren sich nicht für Organigramme. Probleme liegen gerne quer zu den Strukturen großer Organisationen – und damit auch ihre Lösungen.

Zu allem Überfluss wissen Organisationen nicht, dass sie Organisationen sind. Sie kennen nur sich und ihre Welt und ihre Fachtermini. Und weil Menschen in Organisationen die ganze Zeit von ihrer Organisation umgeben sind wie Fische von Wasser, können sie irgendwann nicht mehr wissen, wie es so ist außerhalb der Organisation. Sie können sich dann nur noch mit Mühe vorstellen, in der Aufmerksamkeit ihrer Kundschaft keine wichtige Rolle zu spielen. Da sie sich die ganze Zeit mit ihren Waren und Dienstleistungen befassen und die Strukturen ihrer Organisation mehr oder weniger kennen, nehmen sie unausgesprochen an, dass das auch für die Welt da draußen gilt.

Man kann dies gut beobachten, wenn man mit Menschen redet, die in Konzernen arbeiten. Mir hat mal ein Bahnmitarbeiter erklärt, warum es ganz normal ist, dass die Anzeigetafeln an den Bahnsteigen nichts davon wissen, welcher Zug da gerade auf dem Gleis steht und deshalb oft Blödsinn zeigen. Es sind halt verschiedene Tochtergesellschaften zuständig!

Egal ob in Behörden oder der Privatwirtschaft: Menschen in großen Organisationen erklären real existierende Probleme oft (korrekt) mit organisatorischen Ursachen, die sie achselzuckend hinzunehmen hätten. Mit den Jahren schreitet ihr Corporate Stockholm-Syndrom dann manchmal so weit voran, dass sie, auf solche Phänomene angesprochen, das wissende Gesicht derer machen, die sich in der strukturellen Unlösbarkeit der Probleme suhlen, weil ihnen ja nichts anderes bleibt. Die Komplexität ist dann ihre Aufgabe, nicht ihre Reduzierung. Komplexität wird zur Ideologie.

Probleme werden mit der Beschreibung von Ursachen erklärt, die als gegeben hingenommen werden und um die – bestenfalls – herum gearbeitet werden kann. Und natürlich haben die meisten Mitarbeitenden keine Alternative dazu, sich zu arrangieren mit den Strukturen, die ein sinnvolles Arbeiten verunmöglichen. Ihre Anpassungsbemühungen, ihre Workarounds erhöhen die Komplexität von Organisationen dann aber noch weiter. Wenn das Management nicht aufpasst, sind Organisationen irgendwann auf einer Flughöhe unterwegs, die weit jenseits der Welt ihrer Kundschaft liegt.

Nachdem der Fernseher dank der mühsam errungenen Schablone endlich hing, ließen wir uns auf dem Sofa nieder, nur um eine zitternde Verfärbung in der rechten oberen Ecke des Bildschirms zu beobachten, die sich mit der Zeit über das gesamte Bild ausbreitete. Ein Gespräch mit der Samsung-Hotline endete mit der Empfehlung, den Fernseher in ein autorisiertes Servicecenter zu bringen. Ich wurde nach meiner Postleitzahl gefragt und bekam eines genannt, „in Bentwisch“. Das sagte mir nichts, also wiederholte ich meine Berliner Postleitzahl.

„Ja ja, das ist das nächste Servicecenter von Ihnen aus!“

„Ich habe noch nie von Bentwisch gehört, wo ist das denn?“

„Das ist in Rostock.“

„Das ist eine zweistündige Autofahrt weit weg!“, protestierte ich. Aber aus der globalen Perspektive des weltweiten TV-Marktführers Samsung ist Rostock natürlich quasi ein Berliner Vorort. „Gibt es in Berlin kein Servicecenter?“

„Kein autorisiertes.“

Die Mitarbeiterin hatte noch eine Idee. „Schicken Sie den Fernseher mit der Post dorthin!“

„Ich schicke einen 50-Zoll-Fernseher mit der Post nach Rostock?“

Ich rief das Servicecenter in Bentwisch an, vielleicht in der Hoffnung darauf, dass man in Rostock die Raumzeit krümmen oder mir sonstwie entgegenkommen könnte. Nach der obligatorischen Versicherung der Warteschleife, man sei gerade „in Sachen Kundenzufriedenheit mit anderen Kunden im Gespräch“, folgte ein Freizeichen. Einige Minuten lang, dann legte ich auf.


Redaktion: Theresa Bäuerlein, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos; Audioversion: Iris Hochberger

Auf einer Skala von 1–10: Wie sehr willst du den Support anschreien?

0:00 0:00

Einfach unterwegs hören mit der KR-Audio-App