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Reden wir heute mal übers Glück. Keine Lust? Kann ich gut verstehen. Das Glück nervt derzeit. Wie ich einmal in einem Artikel beschrieben habe, will uns eine wachsende Glücksindustrie schon länger weismachen, dass sich ein gutes Leben auch immer gut anfühlt: Wer Glück sucht, macht sich unglücklich.
Jetzt kommt hinzu, dass uns immer mehr Apps und Tools vorgeschlagen werden, die helfen sollen, unser Glück zu tracken und zu messen. Und zwar, indem wir ständig Informationen dazu eingeben, wie es uns in diesem Moment geht. Sogar die Health App auf meinem iPhone will von mir wissen, wie ich so drauf bin (vielleicht ein weiterer Grund, weniger Zeit mit dem Handy zu verbringen). Ich kann darin meine Emotionen und Stimmungen erfassen und einen Fragebogen zu meiner mentalen Gesundheit ausfüllen. Das habe ich gemacht. Anschließend sagte mir die App, ich würde eine milde Angstsymptomatik zeigen, mein Depressionsrisiko sei dafür nur minimal. Hilfreiche Ratschläge gab sie mir dazu nicht, schlug aber vor, dass ich den Fragebogen in zwei Wochen noch einmal ausfüllen sollte.
Wie glücklich bist du JETZT IN DIESEM MOMENT?
Kann ja nicht schaden? Hm, vielleicht doch. Das legt zumindest eine Studie nahe, die schon ganz zu Beginn dieses Trends erschienen ist, also bereits 2011 (da waren Smartphones noch relativ neu). Leitfrage der Studie war, ob es das „natürliche Erleben von Glück“ verändert, wenn man sich ständig mit dem Thema Glück beschäftigt. Für das Experiment schickten die Forschenden innerhalb von zwei Wochen täglich 1, 3 oder 6 Textnachrichten an 162 Student:innen. Jede Nachricht enthielt drei Fragen: „JETZT IN DIESEM MOMENT: Wie glücklich fühlst du dich? Genießt du, was du gerade tust? Wie positiv fühlst du dich dem Leben gegenüber? 1 = überhaupt nicht … 9 = extrem.“
Das Ergebnis des Experiments war nicht eindeutig. Aber manche Teilnehmenden, die sowieso schon zu negativen Gefühlen neigten, erlebten es als eher unangenehm, Glücks-SMS zu bekommen – weil sie diese noch mehr daran erinnerten, dass es ihnen gerade nicht gut ging. Leuchtet ein.
Es lohnt sich, darüber nachzudenken, wie wir überhaupt auf die Idee kommen, dass wir die ganze Zeit nach einem Gefühl von Glück streben sollten. Ich habe dazu einen ziemlich interessanten Artikel in der New York Times gelesen. Daraus stammt folgendes Zitat (die Hervorhebungen sind von mir):
In früheren Jahrhunderten erwartete man von den Christen, dass sie ernsthaft, fromm und auf das Jenseits ausgerichtet waren. Dann wurde ihnen beigebracht, „dass Fröhlichkeit Gott gefällt“, wie Peter Stearns, Professor für Geschichte an der George Mason University, 2012 in einem Artikel für die Harvard Business Review schrieb. Während man in früheren Epochen Schuldgefühle hatte, weil man in dieser gefallenen Welt zu glücklich war, konnten die Menschen nun etwas ganz Neues empfinden: Schuldgefühle, weil sie nicht glücklich genug waren.
Im 20. Jahrhundert wurde der Zwang, messbar und nachweislich glücklich zu sein, mit dem modernen Arbeitsplatz verknüpft – insbesondere mit dem Interesse an der Produktivität der Mitarbeiter. Dieser Imperativ erlangte 1952 mit dem Bestseller des protestantischen Pfarrers Norman Vincent Peale, „Die Macht des positiven Denkens“, neue Bedeutung.
Die Sozialkritikerin Barbara Ehrenreich bemerkte, dass Dr. Peales Buch an Führungskräfte als Produktivitätssteigerung für ihre Mitarbeiter vermarktet wurde. „Geben Sie dieses Buch Ihren Mitarbeitern. Es zahlt sich aus!“ verkündete eine von ihr zitierte Werbung. Glück wurde somit nicht nur zu einem emotionalen, sondern auch zu einem finanziellen Imperativ.
Spätestens, wenn man diesen Zusammenhang versteht, ist klar, dass wir das zwanghafte Glücks-Tracking unserer Handys und anderer Tools sehr, sehr skeptisch sehen sollten. Das gilt natürlich genau so für die teils gruseligen Inhalte von Happiness-Coaches in den sozialen Medien, die es vielleicht sogar gut meinen, aber ihren Follower:innen mit Self-Care-Routinen, Cacao-Ritualen und Pärchenfotos im Sonnenuntergang ganz schön Glücksleistungsdruck machen.
Ich weiß nicht, was dagegen hilft, außer vielleicht dieser kluge Satz: „Es ist die Jagd nach dem Glück, die das Glück vertreibt.“ Er stammt von dem österreichischen Psychiater Viktor Frankl, der mehrere deutsche Konzentrationslager überlebt hat.
Schlussredaktion: Isolde Ruhdorfer.