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Was hältst du von folgendem Test für potenzielle Staatschef:innen: Das Amt dürfen nur Menschen haben, die schon einmal selbst Möhren gepflanzt haben. Wie sonst sollen sie die Anliegen von Gemüsebäuer:innen verstehen? Gemüse ist ja auch sehr gesund. Wir können die Zukunft unseres Landes nur in die Hände einer Person geben, die mindestens einen Schrebergarten hat, in dem sie selbst Gemüse zieht!
Klingt absurd, oder? Finde ich auch. Aber ich möchte in diesem Newsletter eine Frage stellen: Ist meine Forderung nach Gemüsekompetenz merkwürdiger als ein Statement, das der konservative Anwalt Will Chamberlain kürzlich auf X abgegeben hat? Chamberlain, der bei der Präsidentschaftskampagne von Ron DeSantis mitgearbeitet hat, meinte, dass Kamala Harris, die derzeitige Vizepräsidentin und mögliche Präsidentschaftskandidatin der Demokraten, nicht Präsidentin werden sollte, weil sie keine eigenen leiblichen Kinder hat.
Zwar hat Harris zwei Stiefkinder, aber das „zählt nicht“, findet Chamberlain. Denn die Sorgen von Eltern und Familien – ich nehme an, er meint: „richtige“ Eltern und Familien – würden für sie immer abstrakt bleiben. Weil Harris keine Kinder geboren hat, hätte sie auch keinen echten Anteil an der Zukunft des Landes.
https://x.com/willchamberlain/status/1815150185300759014
Ich will Kinder natürlich nicht ernsthaft mit Möhren vergleichen. Aber Chamberlains Post ist nicht nur beleidigend gegenüber allen Erwachsenen, die sich um Kinder kümmern, mit denen sie nicht biologisch verwandt sind. Er zeigt auch ein unsinniges Verständnis dessen, was gute Politiker:innen ausmacht. Sie zeichnet nämlich gerade aus, dass sie nicht jede Erfahrung selbst gemacht haben müssen, um die Probleme und Belange unterschiedlicher Gruppen der Bevölkerung verstehen zu können. Wenn sie von einem Thema keine Ahnung haben, brauchen sie Fachleute, die sie beraten. Und eine kleine grundlegende menschliche Fähigkeit namens Empathie. Forscher:innen glauben – Chamberlain weiß dies eventuell nicht – dass diese Fähigkeit wesentlich zur Entwicklung der Menschheit beigetragen hat. Dank Empathie konnten unsere Vorfahren in Gemeinschaften überleben, eben weil wir uns in die Belange anderer hineinversetzen können.
Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich möchte gerne von Politiker:innen regiert werden, die nicht nur Themen interessant finden, die für sie selbst und ihren eigenen biologischen Nachwuchs wichtig sind. Neben Chamberlain haben aber offenbar auch andere Schwierigkeiten mit diesem Konzept, etwa der mögliche nächste US-Präsident-Vize, J.D. Vance. Dieser hat in einem Interview 2021 behauptet, die USA würden „von einem Haufen kinderloser Katzenfrauen regiert, die mit ihrem eigenen Leben und den Entscheidungen, die sie getroffen haben, unglücklich sind. Deshalb wollen sie auch den Rest des Landes unglücklich machen.“ Vance hat selbst zwei Söhne und eine Tochter und ist ein wunderbares Beispiel dafür, dass biologisch eigene Kinder den Charakter von Menschen nicht automatisch besser machen. Wie die Schauspielerin Jennifer Aniston in ihrer Story auf Instagram schrieb: „Mr Vance, ich bete, dass Ihre Tochter das Glück hat, eines Tages eigene Kinder bekommen zu können. Ich hoffe, dass sie sich nicht einer künstlichen Befruchtung als zweite Option unterziehen muss. Denn Sie versuchen, ihr auch diese zu nehmen.“
Ganz nebenbei gab es natürlich noch nie einen amerikanischen Präsidenten, der ein Kind geboren hätte.
Ich hätte eine Idee: J.D Vance und alle, die sich um den beschränkten Erfahrungshorizont von Politiker:innen Sorgen machen, könnten jetzt sofort damit beginnen, ein paar Erfahrungen außerhalb ihrer üblichen Erfahrungswelt zu sammeln. Wie wäre es mit Praktika in der Altenpflege, im Krankenhaus, als Putzkräfte oder meinetwegen auch im Gemüseanbau?
Natürlich hätten sie dann weniger Zeit für großspurige Posts in sozialen Netzwerken. Aber das wäre ja vielleicht ganz in Ordnung.
Schlussredaktion: Isolde Ruhdorfer, Bildredaktion: Theresa Bäuerlein