Collage: Autorin Theresa Bäuerlein fährt in einem brennenden Kajak über das Wasser.

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Sinn und Konsum

Wie ich nicht zum härtesten Mann der Welt wurde

Seit kurzem folge ich einem sehr muskulösen Influencer. Plötzlich frage ich mich: Bin ich zu viel mehr in der Lage, als ich bisher dachte?

Profilbild von Theresa Bäuerlein
Reporterin für Sinn und Konsum

Wann hat man wirklich etwas im Leben erreicht? Eine neue Antwort, die ich gefunden habe, lautet: Wenn andere Menschen beginnen, den eigenen Namen als Verb zu benutzen. So ergeht es in diesen Tagen David Goggins. „I gogginsed it“ schreiben Menschen auf Reddit oder Instagram. Damit meinen sie, dass sie eine krasse körperliche Leistung erzielt haben, ihre Leistung beim Gewichtheben verdoppelt etwa, oder ihre Rennstrecke.

Wer ist der Mann, dem all diese Verehrung gilt? Goggins ist 49 Jahre alt, sieht aber mindestens zehn Jahre jünger aus. Er besteht hauptsächlich aus strammer Haut und Muskeln, besitzt den Körperfettanteil einer unreifen Paprika und ist berühmt für seine extreme, manche würden sagen, abartige körperliche und mentale Ausdauer. Das Internet bezeichnet ihn als „Ausdauersportler und Ex-Navy-Seal“. Das klingt relativ normal. Goggins ist nicht normal.

Um bei den Navy Seals aufgenommen zu werden, einer Elite-Einheit des US-Militärs, soll er innerhalb von weniger als drei Monaten 45 Kilo abgenommen haben. Ein andermal hat er innerhalb von 24 Stunden 4.030 Liegestütze gemacht. Damit setzte er 2013 den Weltrekord. Bei seinem ersten 24-Stunden-Rennen brach er sich mehrere Mittelfußknochen in beiden Füßen, bekam Stressfrakturen, Schienbeinbrüche, Muskelfaserrisse und pisste Blut. Er rannte die 103 Meilen der Strecke trotzdem zu Ende. Goggins akzeptiert keine körperlichen Grenzen, Leiden ist für ihn scheinbar eine Art Treibstoff.

Dass ich diesem Mann seit kurzem auf Instagram folge, gemeinsam mit 11,3 Millionen anderen, ist mir schon ein bisschen peinlich. Darf man als 43-jährige urbane Vegetarier-Feministin einen Helden toxischer Männlichkeit inspirierend finden?

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Ich vermute stark, mein Profil ist nicht typisch für seine Zielgruppe. Ich nehme sogar an, dass die meisten seiner Fans alles Mögliche gut finden, das ich ablehne: Selbstoptimierung bis zum Gehtnichtmehr, Gefühle runterschlucken, Zusammenreißen bis zum Herzinfarkt. Womöglich folgen viele Goggins-Fans auch den derzeit populären Vaterfiguren des Internets, die Autorität ausstrahlen wie Alleinverdiener in den 50ern, Jordan Peterson etwa, oder gar dem selbsterklärten Frauenfeind Andrew Tate.

Wie also kann es sein, dass Goggins mich irgendwie fasziniert? Dass sein Einfluss in letzter Zeit sogar ein bisschen mein Leben verändert hat, wenn ich ehrlich bin? Oder, um es im Goggins-Stil zu sagen: Was zur Hölle ist mit meinem gottverdammten Hirn los?

Auf der Suche nach Antworten werde ich Muskeln spüren, von denen ich nicht wusste, dass ich sie hatte. Ich werde von einem Stuhl fallen, beinahe ein Buch verbrennen und einen Kurs anfangen, vor dem ich seit zwanzig Jahren Angst hatte. Vor allem aber werde ich mich fragen, ob ich vielleicht völlig unterschätzt habe, wozu ich in der Lage bin.

Beherrsche deinen Geist?

Es begann damit, dass ich einen Obstsalat machte. Dabei stand ich in der Küche und hörte einen Podcast, den mir Youtube vorgeschlagen hatte. Er hieß „How to Build Immense Inner Strength“ (wie man enorme innere Stärke aufbaut). Normalerweise lauten die Titel der Vorschläge in meinem Feed eher „Die 100 Stunden-Lasagne“ oder „Unglaubliche Teppich-Transformation!“. Ich war interessiert. Es handelte sich um den Podcast des Neurowissenschaftlers Andrew Huberman, für den er zwei Stunden und siebenunddreißig Minuten mit David Goggins sprach.

Sehr lange Podcasts höre ich fast nie zu Ende. In diesem Fall war es anders. Ich habe eigentlich kein Bedürfnis danach, „enorme innere Stärke“ zu entwickeln. Aber etwas war faszinierend an dieser Person David Goggins, etwas packte mich an seiner Geschichte, seiner Ausstrahlung und vielleicht einfach auch seinem Irrsinn. Mehr noch, ich bestellte mir bald daraufhin sogar Goggins’ Buch. Es heißt „Can’t Hurt Me – Beherrsche deinen Geist und erreiche jedes Ziel“. Während ich diesen Text schreibe, steht die deutsche Ausgabe auf Platz 16 der Spiegel-Bestsellerliste. Auf dem Cover ist ein Foto von Goggins in einer weißen Navy-Uniform und wenn ich es in einem Buchladen gesehen hätte, wäre ich hundertprozentig daran vorbeigelaufen.

Wie ich aus dem Buch erfahre, verlief David Goggins’ Leben über die ersten beiden Jahrzehnte ziemlich traurig. Trunnis Goggins, der Vater des jungen David, war Alkoholiker und misshandelte seine Kinder und seine Frau, körperlich wie seelisch. In ihrer Nachbarschaft gehörte die Familie zudem zu den wenigen Nicht-Weißen, was David das Gefühl gab, ein Außenseiter zu sein. David stand schon mit sechs Jahren bis spätabends hinter dem Tresen der Rollschuhdisko seines Vaters. Tagsüber in der Schule war er so müde, dass er regelmäßig einschlief. Er stotterte und entwickelte eine Lernschwäche. Seine Aufgaben schaffte er nur, weil er von anderen Schüler:innen abschrieb.

Schließlich verließ die Mutter den Vater und zog mit den Kindern zu den Großeltern nach Brazil im Bundesstaat Indiana. Dort war David sicher vor seinem Vater, dafür erlebte er, wie der Ku-Klux-Klan durch die Straßen zog, auch in der Schule wurde er rassistisch beschimpft. Als junger Mann trat er dann in die Armee ein, wollte als Rettungsflieger zur Luftwaffe. Sein Plan scheiterte, weil bei ihm während der Ausbildung eine Sichelzellenanämie diagnostiziert wurde. Mit knapp Mitte zwanzig war Goggins unglücklich verheiratet, verdiente seinen Lebensunterhalt als Kammerjäger für Restaurants und stopfte viel zu viele Schoko-Milchshakes und Mini-Donuts in sich hinein. Es sah nicht gut aus für ihn.

„Wir geben nur 40 Prozent dessen, was wir leisten können“

Heute sagt er, dass ihm irgendwann klar wurde, dass ihm niemand helfen würde. Also beschloss er, der „härteste Mann der Welt“ zu werden. Was ein bisschen klingt wie etwas, das sich jeder wütende Fünfjährige irgendwann vornimmt. Aber, man muss es ihm lassen: Im Gegensatz zu den meisten Fünfjährigen hat er den Plan durchgezogen.

Es ist schwer zu beschreiben und noch schwerer zu glauben, was dieser Mann sich und seinem Körper in den Jahren danach alles angetan hat. Man könnte die Vorsilbe „ultra“ vor sein ganzes Dasein setzen. Er hat dutzende Ultra-Marathons und Ultra-Triathlons absolviert. Er ist ultra-ambitoniert, ultra-erfolgreich und ultra-erbarmungslos seinem Körper gegenüber. Dreimal hat er die berüchtigte Höllenwoche der Navy Seals durchgestanden. Die Höllenwoche gehört zum Aufnahmeverfahren und dauert fünfeinhalb Tage, in dieser Zeit dürfen die Rekruten nicht mehr als vier Stunden pro Nacht schlafen, müssen 20 Stunden am Tag laufen, schwimmen und Boote auf ihren Schultern durch die Gegend tragen. Das ist nicht nur anstrengend, sondern auch gefährlich. Zuletzt ist 2022 ein Rekrut unmittelbar nach der Höllenwoche gestorben, an einer Lungenentzündung.

Goggins selbst brauchte für sein Training mehrere Anläufe, weil auch er eine Lungenentzündung bekam und sich bei den Übungen die Kniescheibe brach. Er schaffte es trotzdem und entwickelte auf dem Weg dahin die leicht gruselige, aber irgendwie auch beeindruckende Überzeugung, dass die meisten Menschen nur 40 Prozent ihrer tatsächlichen Leistungsfähigkeit erreichen, egal, in welchem Bereich – weil sie aufhören, wenn es weh tut.

Die 40 Prozent hat er sich ausgedacht, sie haben keine wissenschaftliche Basis. Was er damit meint, versteht man anhand eines Wendepunkts, den er in seinem Buch beschreibt. Als er sich für die Aufnahmeprüfung der Navy Seals bewerben will, wiegt er dafür 45 Kilo zu viel und muss diese irgendwie innerhalb von drei Monaten abnehmen. Also steigt er erstmal in seine Joggingschuhe und nimmt sich vor, sechs Kilometer zu laufen. Nach 400 Metern bleibt er mit rasendem Herzen stehen und muss sich hinsetzen. Er geht nach Hause, schmeißt sich aufs Sofa, den Tränen nah, und trinkt einen Schokoshake. Dabei denkt er über seine Ängste nach, das Gefühl, nie genug zu sein. Und kommt zu dem Schluss, dass seine einzige Chance auf ein besseres Leben darin besteht, diese Gefühle als Antrieb zu nutzen.

„Ich versenkte den Shake im Mülleimer, schnürte meine Schuhe und ging wieder nach draußen. Während meines ersten Versuchs hatte ich nach 400 Metern ernsthafte rasende Schmerzen in meinen Beinen und in der Lunge verspürt (…) Dieses Mal spürte ich denselben Schmerz, mein Herz raste wie ein heiß gelaufener Automotor, aber ich lief weiter, und der Schmerz ließ nach (…) Damals habe ich zum ersten Mal begriffen, dass nicht alle physischen und mentalen Grenzen real sind und dass es meinem Wesen entsprach, viel zu früh aufzugeben.“

https://www.instagram.com/p/C0aSBXsPW2O/

Was liegt eigentlich hinter der Erschöpfung?

Es dauerte eine Weile, bis ich verstand, was mich an dieser Geschichte so elektrisiert. Es ist nicht dieser Aufstieg von ganz unten nach ganz oben, der ja nur eine weitere Variante des mittlerweile leicht abgenutzten amerikanischen Traums ist. Aber, frage ich mich, woher weiß ich eigentlich, was meine Grenzen sind? In den letzten drei Jahren, also eigentlich seit Beginn der Pandemie und dem Gefühl der Dauerkrise, fühle ich mich viel erschöpfter als früher. Ich habe gelernt, das ernstzunehmen, mich öfter auszuruhen und deswegen nicht schuldig zu fühlen, was gar nicht so einfach ist. Aber was, wenn ich mit der Vorsicht zu weit gegangen bin? Vielleicht hatte ich auf dem Weg dahin, besser mit mir umzugehen, eine übertriebene Abneigung gegen Selbstüberwindung gewonnen? Was also, wenn hinter meiner Erschöpfung womöglich noch Energiereserven lagen, die ich niemals anzapfe – weil ich gar nicht auf die Idee komme? Vielleicht hatte Goggins Recht und ich holte nur 40, oder meinetwegen 60 oder 70 Prozent dessen aus mir heraus, was möglich war.

Ich habe garantiert kein Bedürfnis danach, einen Ultra-Marathon bis zum Nierenversagen zu laufen. Aber ich fange wieder an, ins Fitnessstudio zu gehen. Und zwar nicht, wie sonst, um auf dem Laufband herumzulungern und Podcasts zu hören, sondern zum Gewichtheben. In meinem Fitnessstudio gibt es einen Bereich, den ich für mich persönlich als „Testosteron-Raum“ abgespeichert habe. Dort stehen andere, komplexer zu bedienende Fitnessgeräte als im Rest des Studios, vor allem aber gibt es dort die richtig schweren Hanteln. In der Luft dieses Raums hängt immer ein stechender Schweißgeruch. Fast alle Anwesenden sind Männer, unter deren knappen Sportleibchen sich dicke Muskeln klumpen. Jede:r darf den Testosteron-Raum betreten, aber in den fünf Jahren meiner Mitgliedschaft habe ich es nur getan, wenn im Rest des Studios die 3-Kilo-Hanteln alle belegt waren (im Testosteron-Raum benutzt die niemand). Nun betrat ich ihn mit einem neuen Gefühl, schaute mich um und dachte: Warum eigentlich nicht?

Ich ließ mich von einem Trainer in die Testosteron-Geräte einweisen, spürte Muskeln, von denen ich nicht wusste, dass ich sie hatte und war danach so erschöpft wie überhaupt noch nie nach dem Fitnessstudio. Auf dem Heimweg kaufte ich meinen Muskeln in der Drogerie noch Proteinpulver. Es war vegan und hatte Zimtcrunchie-Geschmack. Es fühlte sich verdammt gut an.

Ich bin sicher, Goggins würde darüber lachen. Sein Proteinpulver besteht vermutlich aus der rohen Milch einer besonders aggressiven Büffelart und schmeckt nach gar nichts, höchstens nach Zorn. Aber ich will gar nicht Goggins sein. Ich möchte nur ein bisschen gogginsen.

Vielleicht ist es die Midlife-Crisis?

Dennoch bleibt ein leichter Zweifel. Einerseits beglückwünsche ich mich selbst zu meiner Offenheit für neue Erfahrungen. Ich habe meine weichen Ärmchen im Fitnessstudio-Spiegel gesehen und Stahl erahnt. Na schön, vielleicht nicht gerade Stahl. Gleichzeitig frage ich mich: Bäuerlein, was ist los mit dir, ist das jetzt die Midlife-Crisis?

Mitten in dieser Sinnkrise treffe ich einen Freund zum Mittagessen. Der Freund hat einen kleinen Sohn und ist gottfroh, dass der Junge im Jahr 2024 in seiner Kita sowohl Gefühle haben darf, als auch lange Haare bis zum Hintern. Ich sage ihm, dass ich mich ein bisschen schuldig fühle, weil Goggins für seinen Sohn vermutlich das schlimmste Vorbild wäre, das er sich vorstellen kann. Ich denke besonders an eine Stelle in Goggins’ Buch, die kurz in mir den Wunsch weckt, ein lustiges Feuerchen damit anzufachen.

„Sir, mein Schwanz wird hart, wenn ich nur daran denke, wie diese klaffenden Muschis im Laufe der Woche das Handtuch werfen werden – dieser Haufen von Jammerlappen“, verkündet ein Typ namens Psycho-Pete, auf Seite 107 in Goggins’ Buch. Psycho-Pete ist einer der Ausbilder beim Navy-Seal-Training und die Muschis sind seine Rekruten. Gut, es ist sicher nicht leicht, Menschen für eine extrem anstrengende Ausbildung zu motivieren, an deren Ende sie andere Menschen umbringen können sollen. Möglicherweise gibt es im Gehirn dafür wichtige militärische Rezeptoren, an die nur dumme, obszöne Sprachmoleküle binden können. Ich kenne die Studienlage dazu nicht. Aber „klaffende Muschis“? Es kostete mich mehr als 40 Prozent meiner mentalen Stärke, um danach noch weiterzulesen. Allein wegen Passagen wie dieser könnte ich das Buch niemals ernsthaft empfehlen.

Mein Freund sagt: „Es ist doch klar, warum du Goggins interessant findest. Wenn mir jemand erzählt, dass man mit Härte und Selbstdisziplin alles erreichen kann, ist das genau der Text, der Männern schon immer erzählt wird. Genau der Kram, den ich mein Leben lang loszuwerden versuche. Für dich ist es anders. Du wurdest nie mit toxischer Männlichkeit geimpft.“

Das leuchtet mir sofort ein. Kraft und Selbsthärte sind keine Werte, die man traditionell mit Weiblichkeit verbindet. Vielleicht sind sie gerade deshalb für mich so berauschend. Als Kind besaß ich zwar eine alte Kassette mit einem schmissigen Lied der Berliner Gripsparade, deren Refrain ging „Mädchen sind genauso schlau wie Jungen, Mädchen sind genauso frech und schnell.“ Den ersten Teil habe ich problemlos geglaubt, aber das mit der Schnelligkeit nie. Ich habe auch keinen Sinn darin gesehen, körperlich besonders stark zu sein. Wozu, wenn doch jeder untrainierte Mann wahrscheinlich stärker sein wird, als ich?

Aber was, wenn es gar nicht darum geht, sich mit anderen zu vergleichen, sondern wenn ich einfach so stark sein könnte, wie es für mich möglich ist? Obwohl ich Selbstoptimierungsskeptikerin bin, gefällt mir diese Idee. Schlimm an der Selbstoptimierungkultur ist ja der Anspruch immer besser sein zu wollen als andere, und das auch ständig zeigen zu müssen. Anders als Goggins will ich aber gar nicht die härteste Frau der Welt sein, und es ist mir egal (na gut, fast egal), ob es an mir irgendwann in einem Jahr vielleicht Bauchmuskeln zu bewundern gibt. Ich will einfach wissen, ob ich überhaupt welche haben kann.

Meine Lieblingsstelle in dem Interview, das ich damals beim Obstsalatschneiden gehört habe, ist jedoch eine, an der es überhaupt nicht um Kraft oder Muskeln geht. Vielmehr spricht Goggins darüber, wie er lernt. Er arbeitet unter anderem als Rettungssanitäter und bildet sich jeden Tag mehrere Stunden lang mit medizinischem Lernmaterial weiter. Weil er eine Lernschwäche hat, ist das für ihn sehr schwer. „Es ist unglaublich frustrierend, wie mein Gehirn funktioniert. Ich muss alles auswendig lernen, damit ich es behalten kann“, sagt er. Für mich ist dies die sympathischste Aussage in dem ganzen Gespräch. Weil es nicht darum geht, wie hart und noch härter ein Mensch sein kann. Sondern darum, dass es okay ist, eine Sache nicht besonders gut zu können – man kann sie trotzdem schaffen.

Ich hatte immer Angst, Autofahren zu lernen, weil ich als Teenager mehrere Autounfälle hatte. Ich dachte, ich bräuchte irgendwann mal eine Therapie, um damit fertig zu werden. Stattdessen habe ich mich im Goggins-Rausch nun einfach bei der Fahrschule angemeldet. Die erste Stunde war okay, nach der zweiten Stunde schloss ich mich Zuhause im Bad ein und bekam einen zwanzigminütigen Weinkrampf. Ab der dritten Stunde wurde es besser.

„Man muss Reibung in seinem Leben haben. Es muss Reibung in deinem Leben geben, damit du vorankommen kannst“, sagt Goggins. Das ist eine Botschaft, die ich mitnehmen kann. Und eine, die ich anscheinend gebraucht habe.

Niemand kann andererseits wollen, dass Menschen so mit ihrem Körper umgehen, wie Goggins es tut. Ich will es jedenfalls nicht. Vielleicht kann er es noch nicht mal selbst. Vor drei Jahren hat Goggins ein Video gepostet, darin hält er sein linkes Schienbein in die Kamera. Es hat beunruhigende Dellen wie eine Grillpfanne – die Nachwirkung einer Beinoperation, bei der ihm Monate zuvor Schrauben und Platten ins Bein eingesetzt werden mussten. Er habe deswegen vorerst sein Lauftraining aufgeben müssen, erklärt er. Anschließend legt er sich auf eine Bank und stemmt Gewichte. „Das Leben ist dein ultimativer Gegner“, ruft er dabei entschlossen, „wir müssen lernen, uns anzupassen und alle Hindernisse, die sich vor uns auftun, überwinden!“

Wenn das Leben dein ultimativer Gegner ist, habe ich schlechte Nachrichten: Es gewinnt nämlich immer. Neulich wollte ich eine Flasche Olivenöl vom Schrank holen. Dafür stieg ich auf einen Stuhl. Auf dem Weg nach unten durchfuhr mein linkes Bein ein Höllenschmerz, ich krümmte mich auf dem Boden. Am nächsten Tag humpelte ich zum Arzt. Eine alte Frau machte mir mitleidig Platz auf dem Gehweg. Nicht Schlimmes, bloß eine Zerrung, meinte der Arzt. „Aber gehen Sie die nächsten Wochen nicht ins Fitnessstudio.“

Meinen Namen, befürchte ich, wird nie jemand als Verb verwenden. „Ich habe gebäuerleint“ klingt, man muss es ehrlich sagen, aber auch einfach nicht cool.


Redaktion: Bent Freiwald, Schlussredaktion: Astrid Probst, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert

Wie ich nicht zum härtesten Mann der Welt wurde

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