Ein gutes Produkt, ein dauerhaft gutes Produkt, ist ein Wunder, denn es dürfte eigentlich nicht existieren.
Neulich musste ich eine neue Duscharmatur kaufen, weil die alte wegen innerer und offenbar irreparabler Verkalkung nur noch ein Rinnsal durchließ. Die neue Armatur wurde mit einem sehr steifen Schlauch ausgeliefert. Ich nahm an, dass er mit der Zeit flexibler werden würde, aber das war nicht der Fall. Der neue Schlauch hat, im Gegensatz zum Vorgängermodell, eine richtige und eine falsche Orientierung, die man ihm nicht ansieht, auf die man aber beim Duschen Rücksicht nehmen muss. Ich muss die Brause nun auf eine sehr bestimmte Weise halten, um nicht ständig gegen einen unmäßigen Zug anduschen zu müssen. Es klingt genauso albern, wie es sich anfühlt: Ich drehe die Handbrause immer wieder experimentell um sich selbst, um herauszufinden, was der störrische Schlauch eigentlich will. Ständig muss man irgendwie umgreifen, weil man mit dem neuen Schlauch nicht mehr einfach nur duschen kann.
Ich will nicht hinnehmen, dass mir dieses Ding, das immerhin von einem führenden deutschen Markenartikler stammt, mir jeden Morgen eine eckige, entwürdigende Körperpflegechoreographie aufzwingt. Vor allem aber will ich mich nicht mit meinem Brauseschlauch befassen müssen. Das hat doch alles schon mal funktioniert!
Duschen dank Drehwirbel
Fast alle Produkte haben Eigenschaften, die erst durch ihr Fehlen auffallen. Ihre Anwesenheit führt nicht zu besonderer Zufriedenheit, ihre Abwesenheit hingegen zu großem Frust. Diese Selbstverständlichkeiten heißen „Hygienefaktoren“, ein Begriff, der zurückgeht auf den amerikanischen Psychologen Frederick Herzberg. Er veröffentlichte 1959 eine Studie zu der Frage, was Menschen bei der Erwerbsarbeit motiviert. Darin fand er heraus, dass wichtige Faktoren wie ein angemessenes Gehalt oder professionell agierende Vorgesetzte noch nicht zu Zufriedenheit führen. Sie verhindern lediglich Unzufriedenheit. In diesem Sinne, so der Forscher, sind diese Faktoren wie die Hygienemaßnahmen in der Medizin: Sie verhindern Krankheiten – aber mehr auch nicht. Für richtige Zufriedenheit braucht es mehr.
Herzbergs Überlegungen passen auch ganz allgemein zu Produkten und Dienstleistungen und finden seit Jahrzehnten dort Anwendung. Wenn man beispielsweise Gäste besserer Hotels nach ihrer Zufriedenheit fragt, erinnern sie sich an den unerwarteten Begrüßungssnack beim Check-in oder frische Blumen auf dem Zimmer, berichten aber eher selten von sauberer Bettwäsche oder warmem Wasser im Bad.
Beim Brauseschlauch, das lernte ich auf die harte Tour, ist einer dieser Hygienefaktoren der „beidseitige Drehwirbel“. Die Anschlussmuttern des Schlauchs sind normalerweise so konstruiert, dass sie sich frei drehen können, während man die Brause in der Hand hält. Dank Drehwirbel kann man Duschen wie ein normaler Mensch. Irgendwann kam aber ein führender Hersteller auf die Idee, dass dem Fortschritt doch am ehesten gedient sei, wenn man die Verdrehverhinderung nur noch an einem Ende des Schlauchs einbaut – oder einfach ganz weglässt.
Das, was nicht nur ich an einem Schlauch vollkommen normal finde, ist mittlerweile ein Feature und trägt beim Hersteller Grohe den Namen „TwistFree“, was laut Website ermöglicht, dass „der Brauseschlauch alle Bewegungen vorwegnimmt, ohne sich zu verdrehen“. Man will mir ernsthaft weismachen, der Schlauch ahne quasi, welches Körperteil ich als Nächstes abdusche, woraufhin er meine Bewegungen vorwegnimmt. Die Dusche als Künstliche Intelligenz, mindestens! Dabei ist der Verdrehschutz „kein neues Feature aus den letzten Jahren“, wie mir die Grohe-Pressestelle bestätigt. Dennoch kosten die „TwistFree“-Schläuche knapp das Dreifache (etwa 35 Euro) der verdrehanfälligen (um die 12 Euro). Zumindest in Amazons Warenchaos ist das so, die Vergleichbarkeit wird durch unterschiedliche Schlauchlängen aber auch nicht gerade leichter.
Bei meinem Schlauch jedenfalls hatte der Hersteller den Drehwirbel eingespart. Und da ich den Schlauch online gekauft hatte, fiel mir erst nach der Montage auf, dass eine wesentliche Produkteigenschaft fehlt.
Unternehmen fächern ihre Produktportfolios auf, indem sie Produkten wichtige Eigenschaften entziehen, so dass es einen Anreiz gibt, das teurere Produkt zu kaufen, das dieser Eigenschaft noch nicht verlustig gegangen ist. Damit diese Strategie aufgeht, muss ich aber wissen, dass mein Anspruch an so triviale Produkte wie Brauseschläuche offenbar von dem einfachsten Produkt nicht mehr befriedigt werden kann. Es ist wie Inflation, nur mit Waren: Das, was das Vorgängerprodukt noch konnte, kann jetzt nur noch die Premiumversion des Produkts.
Klebrige Handyhüllen und fusselige Brillenputztücher
Und der Vertriebsweg, Versand- statt stationärem Handel, sorgt dafür, dass man die Hinfälligkeit der Waren erst bemerkt, wenn sie bereits daheim angekommen (und installiert) sind. Dabei müssen es nicht mal offensichtliche Defekte sein. Produkteigenschaften, die man beim Onlinekauf nicht wahrnehmen kann oder übersieht, würden phänomenologische Folianten füllen. Wie oft entpuppt sich ein via Bildschirm bestellter Artikel als unerwartet leicht (Wasserkocherfuß), laut (Netzteil), klebrig (Handyhülle), flimmernd (Schreibtischlampe) oder fusselig (Brillenputztuch). So viel Schrott, wie wir online kaufen, würden wir im stationären Handel niemals anschaffen. Auch wegen bequemer Zahlungsmethoden wie „Google Pay“, „Apple Pay“ oder integrierten Ratenzahlungen wie „Buy now, pay later“ des Finanzdienstleisters Klarna, kaufen wir schneller und damit mehr. Amanda Mull schreibt im „Atlantic“, wie es ist: „Onlineshopping ist zu schnell für gute Entscheidungen.“
Und wenn die Ware dann daheim angekommen ist, nimmt uns der Krempel in Geiselhaft. Aus einer informierten, vernünftigen Kaufentscheidung wird die trübe Abwägung zwischen der Macht des Faktischen (das Ding ist halt nun da) und der theoretischen Möglichkeit, doch noch ein besseres Ding zu finden, dafür aber alles wieder einpacken zu müssen, zu hoffen, einen QR-Code für das Rücksendelabel vorzufinden und dass die Ware nicht per Hermes zurückgeschickt werden muss. Und dann geht die Recherche von vorne los, dabei hatte man doch schon das gut bewertete Produkt gekauft! Ermattet von diesen Gedanken, findet man sich mit seiner Anschaffung eben ab. So wichtig ist es ja nun auch nicht!
Die Konsumsituation, in der wir uns vorfinden, ist ein gigantischer Verkrempelungszusammenhang. Eigenschaften wie Textur, Gewicht, Ergonomie oder Robustheit, die sich über Handyscreens nicht gut vermitteln lassen, fallen unter den Tisch. Das heißt nicht, dass man offline zwangsläufig bessere Kaufentscheidungen trifft. Es erklärt aber, warum Online-Käufe so oft einen schalen Nachgeschmack hinterlassen.
Online kaufen heißt oft: gerade noch akzeptable Produkte kaufen
Nun könnte man all diesen Problemen entgegenhalten, dass der Onlinekundschaft das scharfe Schwert der Rezension in die Hand gegeben wurde – eine Möglichkeit, die im Warenhaus oder dem Fachhandel gar nicht existiert. Aber wie oft bestellt man ein Produkt, das Hunderte oder gar Tausende hervorragende Bewertungen hat, nur um sich dann enttäuscht zu fragen: Warum finden das alle so toll? Es müssen gar nicht eingekaufte Fake-Bewertungen die Ursache sein. Viel plausibler ist es, dass die Tausenden Kunden, die Wasserhähne und Schreibtischlampen online bewerten, nicht nur keine Möglichkeit, sondern auch kein Interesse an einem ernsthaften Vergleich haben. Wieso auch, ihr Job ist es ja nicht, Produkte zu bewerten. Sie machen es aber trotzdem.
Die rezensierende Kundschaft vergleicht meist nicht Produkte miteinander, sondern ihre Erwartungen mit ihrem Eindruck. Vergibt ein glücklicher Saugroboter-Kunde 5 Sterne, bedeutet das nicht, dass sein Saugroboter besser ist als der mit durchschnittlich 4,3 Sternen. Der 5-Sterne-Roboter erfüllte lediglich die Erwartung des Kunden. Was seine Erwartung war oder wie sie zustande gekommen ist, wissen wir so gut wie nie. Drum hüte man sich vor dem ceterum censeo so vieler positiver Produktbewertungen: Tut was es soll.
Der Eindruck von jemandem, der schon andere Saugroboter im Einsatz hatte, wäre sicherlich aussagekräftiger als der eines Einsteigers im Markt. Ob Amazons Zauberformel, die die durchschnittliche Produktbewertung berechnet, das Urteil der erfahrenen Kundin höher gewichtet, darf man bezweifeln. Aber wissen können wir es nicht, denn Amazon berechnet die Bewertung mit einem intransparenten Algorithmus. (Dass er intransparent ist, muss übrigens nicht schlecht sein, weil das Gaunern zumindest etwas erschwert, sich mit Tricks bessere Bewertungen zu erschleichen.)
Der Online-Kaufprozess ist auf Schnelligkeit und die Lieferung gerade noch akzeptabler Produkte ausgelegt. Auch deshalb bitten die meisten Onlinehändler um Rezensionen, aber immer schon wenige Tage (oder gar Stunden) nach dem Kauf. Ich wurde noch nie nach Ablauf der Garantie- oder Gewährleistungsfristen um eine Rezension gebeten, obwohl das eine bessere Aussage über die Dauerhaftigkeit eines Produkts erlauben würde. Es liegt auf der Hand, dass die Durchschnittsbewertungen durch eine solche verzögerte Bewertung schlechter werden würden. Die Händler können aber nicht so spät fragen, da sehr viele Produkte nach zwei Jahren gar nicht mehr im Einsatz sind oder nicht mehr angeboten werden und eine Rezension hinfällig werden würde. (Wer einen Samsung-Fernseher kauft, bekommt den vagen Hinweis des Herstellers, dass etwa zwei Jahre lang mit Software-Updates zu rechnen sei. Dies gilt selbst für die Spitzenmodelle, die viele Tausend Euro kosten.) Das ist ein Kernproblem unserer Konsumsituation: Ein dauerhaft gutes Produkt darf in unserer Wirtschaftsordnung eigentlich nicht existieren. Die Zufriedenheit der Kundschaft, wenn sie denn überhaupt erreicht wird, darf nur kurz anhalten, denn das Nachfolgeprodukt, das Upgrade, die neue Version steht schon in der Tür.
Standards werden zu aufpreispflichtigen Features
Wer aber nun annimmt, dass der Nachfolger die Fehler des Vorgängers behebt, irrt. Denn neue Glanzpunkte müssen her, die sogenannten „Begeisterungsmerkmale“. Sie sind quasi das Gegenstück zu den Hygienefaktoren, die wir oben kennengelernt haben. Identifiziert hat diese Art des Glitzers 1978 der Japaner Noriaki Kano 1978. Als „Kano-Modell“ zog seine Arbeit in die Betriebswirtschaft ein. Laut Kano bedarf es unerwarteter, überraschender Eigenschaften, um im Wettbewerb zu bestehen: Es gilt, die Kundschaft nicht nur nicht zu enttäuschen, sie will auch begeistert werden. Begeisterungsmerkmale werden damit zu Produkteigenschaften, mit denen man werben kann. Produkteigenschaften aber, die sich nicht bewerben lassen, sind ein Problem.
Unternehmen haben dann zwei Möglichkeiten: Sie lassen die nicht bewerbbare Eigenschaft unter den Tisch fallen, um Herstellungskosten zu sparen. Oder sie jazzen die Eigenschaft zu einem aufpreispflichtigen Feature hoch, für das ein Aufpreis fällig wird. Etwa für einen Premium-Duschschlauch, mit dem man tatsächlich normal duschen kann. So oder so, das Ergebnis ist für die Kundschaft unerfreulich.
Eine Produkteigenschaft, die ich bislang nicht auf dem Schirm hatte, war die Wandstärke von Siphons. Neulich hatte ich den Klempner im Haus. Er zeigte mir eine auffällig brüchig aussehende Stelle an dem u-förmig gebogenen Rohr im Badezimmer: „Das Material, das die Hersteller heute verwenden, ist so dünn, da können Sie mit dem Daumen ein Loch reindrücken.“ Ich hielt das für einen Witz. Dann drückte er mit dem Daumen ein Loch rein. Ich sagte, das Rohr hätte ja auch schon vorher porös ausgesehen an der Stelle. Seine Erklärung dafür war noch irrer: „Das ist von den Reinigungsmitteln.“ Das Rohr wurde 2007 eingebaut, keine zwanzig Jahre später ist es hin. Es ist 2024, und ich habe offenbar ein Rohr löchrig gereinigt. Dass diese Siphons über die Jahre zudem nicht billiger, sondern teurer geworden sind, fügte mein Klempner achselzuckend hinzu.
Heuschrecken im Badezimmerkartell
Eine mögliche Erklärung für das, was hier vor sich geht, lieferte der damalige SPD-Vorsitzende Franz Müntefering im Jahr 2005. Es war der Sommer der „Heuschreckendebatte“. Er verglich die Strategien mancher anonymer Investoren mit einer Heuschreckenplage. Durch seine rumpelige Wortwahl richtete Müntefering den Blick der Öffentlichkeit auf Finanzinvestoren, die deutsche Unternehmen aufkaufen, die Belegschaft dezimieren, mit den so gesparten Personalkosten rückwirkend den Kaufpreis bezahlen und das so zusammengeschrumpfte Unternehmen gewinnbringend weiterveräußeren. Tatsächlich passierte ziemlich genau das mit der Firma Grohe, dem deutschen Traditionshersteller für Sanitärprodukte (und Erfinder der Duschstange). Die Grohe-Familie verkaufte das Unternehmen 1999 für rund 1,2 Milliarden Euro an die britische Private-Equity-Firma BC Partners, angeblich wegen der „unerträglichen politischen Rahmenbedingungen“, wie Charles Grohe mitteilte. Gerhard Schröder war gerade Kanzler geworden, vielleicht war es das.
Der Begriff Private Equity taucht bei Firmenübernahmen immer wieder auf. Er bedeutet schlicht, dass es sich um Beteiligungsgesellschaften handelt, die nicht börsennotiert sind und die ihr Geld in andere Firmen investieren – zum Wohle der Private-Equity-Gesellschafter. Manchmal gehört diesen Beteiligungsgesellschaften das Geld selbst, manchmal haben die Investoren wiederum selbst Investoren – denen sie dann Wertsteigerungen schulden. BC Partners verbesserte die Produktivität, vermied schmerzhafte Einschnitte und verkaufte Grohe im Jahr 2004 weiter an zwei andere Private-Equity-Firmen.
Diese beiden Beteiligungsgesellschaften, eine aus den USA, eine aus der Schweiz, teilten Grohe unter sich auf, bauten Arbeitsplätze ab, schlossen Werke, verlagerten noch größere Teile der Produktion in die bereits bestehenden Werke in Portugal und Thailand – und natürlich wurde überall optimiert, was es zu optimieren gab. Die Strategie ist beim Kauf von Markenartiklern wie Grohe immer gleich: Die Kunden werden schon weiterhin die Produkte des namhaften Sanitärherstellers kaufen, sicherlich auch zu höheren Preisen, gegebenenfalls auch in schlechterer Qualität. So bekannt ist die Marke, so erdrückend die Marktmacht.
Eine Marktmacht übrigens, die das Unternehmen, zusammen mit scheinbaren Konkurrenten wie Villeroy & Boch, Duravit und Hansa, in einem großen Badezimmerkartell über Jahre zu bewahren gewusst hatte. Millionen Kund:innen hatten zu viel für ihre Badezimmerausstattung bezahlt, weil die Sanitärfirmen, anstatt sich Konkurrenz zu machen, die Preise gemeinsam künstlich hochhielten. 2017 entschied der Europäische Gerichtshof, dass die beteiligten Firmen Hunderte Millionen Euro Bußgelder zahlen müssen. Die illegalen Geschäftspraktiken fielen übrigens nicht in die Zeit der sogenannten Heuschrecken, die hatte der Familienbetrieb auch so gepflegt – und das bereits seit den 1990ern.
Hättest du nein gesagt zu den japanischen Milliarden?
Den aus billigerer Produktion und höherem Verkaufspreis entstandenen Gewinn ziehen Private-Equity-Firmen als Messgröße heran, wenn es darum geht, das Unternehmen wieder zu verkaufen: praktisch garantierte Gewinne auf Jahre, wer würde da nein sagen? Tatsächlich verkauften die beiden Beteiligungsgesellschaften Grohe 2014 an den japanischen Baustoff- und Innenausbaukonzern Lixil und die staatliche Development Bank of Japan für drei Milliarden Euro. Fast das Dreifache des Preises, den Familie Grohe nur fünfzehn Jahre vorher erzielt hatte. Keine schlechte Performance in einem Markt, der nicht gerade für rasantes Wachstum à la Apple oder Google steht. Wer heute im Baumarkt einen hoffentlich besonders flexiblen Brauseschlauch des Weltmarktführers aus Deutschland kauft, hilft der maroden japanischen Wirtschaft.
Aber so läuft es: Die Eigentümer entscheiden, was mit ihrem Unternehmen geschieht – und wenn die Eigentümer Finanzinvestoren sind, die sich vorrangig für die Maximierung der Gewinne ihrer Gesellschafter (also der Investoren hinter den Investoren) interessieren, dann ist alles, was bei Grohe geschehen ist, folgerichtig und zwingend. Wenn du dein Geld den Grohe-Investoren gegeben hättest und dann kommen die Japaner und winken mit den Milliarden, hättest du nein gesagt?
Wenn man den Einstieg der Finanzinvestoren hätte vermeiden wollen, hätte die Familie Grohe 1999 nicht verkaufen dürfen. Sie strich die Gewinne ein, was Gründersohn Charles Grohe aber nicht daran hinderte, Jahre später von „Termiteneinfall“ zu sprechen, als die Schweizer und die Amerikaner seine alte Firma umbauten. Mit dem Verkauf war die Möglichkeit der Familie dahin, auf die Unternehmenskultur einzuwirken. Und womöglich gab es bei Grohe ja wirklich Sparpotenzial. Wo gibt es das nicht? Der Kulturwandel, den ein solcher Eigentümerwechsel mit sich bringt, kann folgenschwer sein, wenngleich auch von außen schwer zu beurteilen.
Aber es gibt einen Zusammenhang zwischen, auch inflationsbereinigt, immer teurer werdenden Produkten des täglichen Lebens, deren gleichzeitiger Aufladung mit Marketinggeklingel wie „TwistFree“ – und den Renditeinteressen der Leute, die in Firmen investieren, die in Firmen investieren.
Also so Leute wie mich.
Wenn ich mich morgens in der Dusche, frustriert vom störrischen Schlauch, um mich selbst drehe, wäre es eine gute Zeit, sich an die eigene Nase zu fassen. Denn wenngleich ich nicht in Private-Equity-Fonds investieren kann, so gehöre ich doch zu den vielen Millionen Deutschen, die Geld zumindest indirekt in Unternehmen investieren.
Die woke Agenda der ETFs?
Auch ich bin den Empfehlungen von Finanzjournalist:innen (auch bei Krautreporter) gefolgt und habe Geld in ETFs angelegt. Das sind Fonds, die sich aus den gleichen Aktien zusammensetzen wie Börsenindizes. So ein Fonds könnte also den DAX abbilden (die 40 größten Aktiengesellschaften Deutschlands) oder den Nasdaq Composite (über 3.000 US-Technologie-Unternehmen). In Deutschland gibt es so viele Anleger:innen wie noch nie und ihr Interesse an ETFs ist enorm. 7,6 Millionen Deutsche besitzen zwar keine einzige Aktie direkt, wohl aber Anteile an Aktienfonds oder ETFs. Vor allem ETFs, die den Index MSCI World abbilden (das sind rund 1.500 große Unternehmen aus 23 Industrienationen), gelten als lohnende und relativ robuste Geldanlage. ETF-Marktführer ist die Marke „iShares“. Dahinter steht eine Firma, deren Namen auch Nichtanleger:innen schon mal gehört haben dürften: der größte Vermögensverwalter der Welt, Blackrock, mit über zehn Billionen Dollar unter Verwaltung. Wenn man also einen iShares-ETF kauft, kauft man nicht direkt Aktien der enthaltenen Unternehmen, sondern gibt Blackrock sein Geld, um es entsprechend auf die Unternehmen im Index zu verteilen.
Halten diese Unternehmen nun Aktionärsversammlungen ab, stimmt Blackrock für die ETF-Kund:innen ab. Erst seit 2022 haben manche größere Blackrock-Kunden dabei so etwas wie ein Mitspracherecht. Und seit 2023 können auch Privatkund:innen in den USA das grundsätzliche Abstimmungsverhalten von Blackrock beeinflussen, wenn auch nur sehr grob. So kann man bestimmen, dass Blackrock im Sinne katholischer Werte abstimmen soll oder ob einem Nachhaltigkeitsstandards besonders wichtig sind. Auf konkrete Einzelentscheidungen hat man also keinen Einfluss, nur auf eine grobe politische Richtung. Die Option, dass alles bleibt wie bisher und Blackrock nach eigenem Ermessen entscheidet, bleibt auch erhalten und drei Viertel der Großkunden machen davon Gebrauch.
Diese neuen Möglichkeiten der Einflussnahme sind das Ergebnis erbitterter politischer Auseinandersetzungen in den USA, in denen Firmen wie Blackrock von linker wie rechter Seite vorgeworfen wird, politisch falsch zu agieren. Der Vorwurf von rechts entzündete sich an speziellen ESG-Fonds (Environmental, Social und Governance, also Umwelt, Soziales und Unternehmensführung), die nur in Unternehmen investieren, die bestimmte Kriterien der nachhaltigen und ethischen Unternehmensführung erfüllen. Dass hier Kriterien jenseits von Wachstum und Gewinn Einzug in die Finanzierung von Unternehmen nehmen sollen, ist der amerikanischen Rechten ein Dorn im Auge, da dort die libertäre Überzeugung verbreitet ist, der Staat habe sich auf ein absolutes Minimum an Aufgaben und Vorgaben zu beschränken. Dass mit Blackrock ein Unternehmen die Erfüllung politisch gewünschter ESG-Ziele als Voraussetzung für ein Investment (durch einen bestimmten Fonds) betrachtet, wird als „woke Agenda“ dargestellt – und mit allen Mitteln bekämpft. So dürfen staatliche Einrichtungen in Texas nicht mehr in ESG-Fonds investieren, womit Blackrock natürlich Provisionen entgehen. (Dass dieses Gesetz selbst eine staatliche Intervention ist, ficht die US-Republikaner nicht an, die es verabschiedet haben.)
Von linker Seite wiederum lautet der Vorwurf, Blackrock investiere nach wie vor Unsummen in Öl und Gas und trage damit eine Verantwortung für die katastrophale ökologische Entwicklung des Planeten.
Um sich dieser politischen Schraubzwinge zu entwinden, verweist Blackrock nun auf die neuen Möglichkeiten der Mitbestimmung der Aktionäre – also das Argument, das im Kapitalismus immer zieht: Wir machen doch nur das, was unsere Kundschaft will. Geholfen hat es nicht: Gleich zwei ESG-Fonds schloss das Unternehmen 2023, offenbar unter dem Druck von rechts außen. Auch die Blackrock-Konkurrenz steht unter Druck. Insgesamt zwölf ESG-Fonds wurden in den USA im vergangenen Jahr geschlossen.
Investor:innen brauchen Krempel
In Deutschland ist der politische Gegenwind nicht so stark, aber die Nachhaltigkeitsziele der Unternehmen sind auch nur für acht Prozent der Privatanleger:innen von Bedeutung. Natürlich, denn sie wollen ja möglichst bald eine Rendite für ihre Investition sehen und die Erfüllung meist freiwilliger Auflagen für das, was gute Unternehmensführung und Nachhaltigkeit genannt wird, kostet erstmal nur Geld – schlecht für den Aktienkurs. Die Privatanleger:innen können sich also eigentlich nur wünschen, dass die Unternehmen, in die sie investieren, weiterhin neue Produkte auf den Markt bringen, die sich mit der Zeit als Krempel erweisen, damit deren Nachfolger verkauft werden können. Und das nennen wir dann Fortschritt.
Aber ein Fortschritt, der die Produktion und Anschaffung immer neuer Waren erfordert, erzeugt die Probleme erst, deren Lösung er vorgibt zu sein. Ein so verstandener Fortschritt braucht Scheitern am Gegenwärtigen, er braucht das immerzu Unfertige, Unzufriedenstellende. Die Frage muss gestellt werden: Was war Fortschritt? In der nächsten Folge der „Verkrempelung der Welt“.
Redaktion: Theresa Bäuerlein, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert