Im Frühling stellte ich auf Twitter (damals hieß es noch so) eine Frage:
„Was habt ihr in euren Jobs gelernt, das sich auch auf euer Privatleben anwenden lässt?“
Zwei Userinnen antworteten: „Wo fange ich an?“ Eine davon war Madita Oeming. Sie ist Pornowissenschaftlerin. Ich gebe zu, mich hat das sehr neugierig gemacht. Was genau lernt man als Pornowissenschaftlerin für sein Privatleben? Also rief ich sie an. Das hat Madita Oeming mir erzählt:
Seit ich mich entschieden habe, Pornos wissenschaftlich zu erforschen, sind und waren permanent Menschen gegen das, was ich tue. Feministinnen. Talkshow-Teilnehmer:innen. Rechte Trolle. Am Anfang sogar meine Mutter. Das war und ist nicht immer einfach für mich. Vom Naturell bin ich eher ein People-Pleaser und hätte mir nie ausgesucht, so viel anzuecken.
Schon an der Uni musste ich erleben, dass Wissenschaftler:innen und Promovierende mir meines Themas wegen die Kompetenz abgesprochen haben. Wenn du in einer Runde alteingesessener weißer Herren über Pornos promovieren willst, wirst du entweder sexualisiert oder nicht ernst genommen. Ein Professor legte mir die Hand aufs Knie, tätschelte es und meinte: „Sie machen ja keine richtige Wissenschaft.“ Und erzählte mir dann, wozu er früher masturbieren musste. Ein anderer hat mich gefragt, ob ich eigentlich selbst Pornos drehen würde und meinte, dafür gäbe es sicher ein Publikum. Er hatte mich nach einer Konferenz im Zug zurück alleine erwischt. Das war sehr unangenehm und ich konnte in der Situation nicht kompetent damit umgehen, sondern bin geflohen.
Ich habe unendlich viel über Sexualität gelernt
Es gibt die Annahme, jemand, der zu Pornos forscht, müsse auch privat nicht nur sexuell offen, sondern auch sexuell verfügbar sein. Journalist:innen und Professor:innen etwa begegnen mir teils mit dieser Haltung. Oft werden mir keine Grenzen zugestanden, weil ich für einen offenen Dialog und Schamlosigkeit plädiere, was mit einer nicht vorhandenen Privatsphäre verwechselt wird. Es kann zum Beispiel passieren, dass mir in einem Interview eine persönliche Frage zu meinem Masturbationsverhalten oder meiner sexuellen Orientierung gestellt wird. Wenn ich das nicht beantworten möchte, heißt es: „Jetzt legen Sie aber die falsche Scham an den Tag! Sie wollen doch Dialog!“ Es ist aber ein großer Unterschied, ob ich als Expertin über ein Thema spreche oder privat. Ich finde sowieso nicht, dass alle ständig mit allen über alles Sexuelle reden müssen. Allerdings wünsche ich mir, dass jede:r mindestens eine Person kennt, mit der das geht.
Ich habe gelernt, wie wichtig diese Auseinandersetzung ist. Was ich in meiner wissenschaftlichen Arbeit lerne, überträgt sich auch auf mein Privatleben. Ich habe unendlich viel über Sexualität gelernt. Für viele Dinge habe ich eine Sprache gefunden, die ich vorher nicht hatte – für Körperteile, Praktiken oder Stellungen. Auch anatomisches Wissen hilft mir. Ich kann meine eigenen Orgasmen mittlerweile präzise beobachten und beschreiben. Und sehr gut formulieren, wie ich angefasst werden möchte und wie nicht. Ich weiß, was ich brauche, um in die Erregung zu kommen. Kenne meine Fantasien. Und habe vor allem gelernt, sie zu akzeptieren. Die Angst von „Bin ich normal?“, über die viele Menschen mit mir sprechen wollen, hatte ich früher auch. Mittlerweile habe ich sie komplett abgelegt. Ich kenne die Studienergebnisse und habe mich zudem mit unzähligen Menschen darüber ausgetauscht und weiß daher heute: Ich bin nicht allein!
Schwulenpornos sind ein gutes Beispiel. Früher hätte ich gedacht, die sind nicht für mich gemacht, also schaue ich das nicht. Mittlerweile ist das eines meiner Lieblingsgenres! Aus der Forschung weiß ich heute auch, dass sehr viele Frauen auf Schwulenpornos stehen. Aber auch ich lerne ständig dazu, denn Frauen sind ja nicht als sexuelle Wesen sozialisiert. Wir haben nicht gelernt, die eigene Lust und Triebhaftigkeit zu akzeptieren. Heute trage ich manchmal ein Goldkettchen, auf dem „Horny“ steht, wenn ich auf eine Bühne gehe. Das hätte ich mich vor zehn Jahren noch nicht getraut.
„Sie machen ja keine richtige Wissenschaft“
Meine Laufbahn als Pornowissenschaftlerin begann ganz ungeplant, als ich für eine Seminararbeit in Kulturwissenschaften über den Roman „Moby Dick“ schreiben wollte. Bei der Recherche bin ich immer wieder über Moby-Dick-Pornos gestolpert. Ein Wortwitz dachte ich, weil „dick“ auf Englisch „Penis“ heißt. Erst fand ich das amüsant. Dann habe ich einen dieser Pornos angeklickt, dessen Vorschaubild eine nackte Frau zeigte, die im Schoß tatsächlich eine Ausgabe von „Moby Dick“ hielt. Ich hatte vorher schon privat Pornos geschaut, aber dann zum ersten Mal mit einem wissenschaftlichen Blick. Dabei wurde mir klar, dass ich alle Analysewerkzeuge, die ich bisher an Filme und Romane angelegt hatte, auch auf Pornos anwenden konnte. Genau das habe ich dann getan. Meine Masterarbeit hatte den Titel „Moby’s Dick“. So wurde ich zur Pornoforscherin.
Tendenziell kommt es mir zugute, dass ich als Frau über Pornos spreche, weil man mir nicht unterstellt, dass ich einfach nur meinem Hobby nachgehe und mich permanent daran aufgeile. Ein Geschlechterstereotyp, von dem ich womöglich mal profitiere. Die Grundannahme der Menschen ist, dass ich als Frau mich über die eigene Abneigung hinweg wissenschaftlich mit Pornos beschäftige. Dabei schaue ich sie ja durchaus auch privat.
Ich bekomme jedoch ziemlich viele übergriffige Nachrichten. Männer schicken mir Dickpics, fragen nach expliziten Fotos von mir oder erkundigen sich, wie teuer es sei, Sex mit mir zu haben. Manchmal weiß ich nicht, wie viel davon mit meinem Thema zu tun hat und wie viel einfach damit, dass ich eine Frau bin, die öffentlich im Internet auftritt.
Die Übergriffe gehen immer von Männern aus. Frauen erzählen mir aber häufig private Details, ohne dass ich danach gefragt habe. Auch das kann grenzüberschreitend sein. Überhaupt haben Menschen einen krassen Redebedarf über Pornos, weil es in unserer Kultur keine Räume gibt, um das zu tun. Oft beschreiben sie mir, wie sie Pornos nutzen und wollen von mir wissen, ob das normal ist. „Ist es okay, wenn ich jeden Tag Pornos gucke?“, oder: „Mich interessieren Pornos gar nicht, was stimmt nicht mit mir?“ Gestern erst schrieb mir jemand, dass er einen ausgeprägten Cuckolding-Fetisch hat und er sich dafür schäme.
Einige Zuschriften und Gespräche haben wirklich einen Beichtcharakter. Ich merke, wie diese Fragen und Sorgen Menschen förmlich auf der Seele lasten. Deswegen nehme ich es ihnen meist nicht übel. Auch wenn ich eigentlich nicht die richtige Ansprechperson für diese Ängste und Geständnisse bin.
Manchmal wird mir erst einen Tag später klar, dass ein Gespräch unangenehm für mich war. Erst kürzlich hatte ich wieder eine Situation mit einem Medienmann, der mir nach unserem Interview unheimlich viele private Details erzählt hat. Das war völlig unangemessen, aber in der Situation habe ich das gar nicht so bewusst wahrgenommen. Ich glaube, dass viele wie ich nicht gut gelernt haben, so etwas zu spüren, Grenzen zu ziehen. Weil die meisten von uns keine Kommunikation über Sex gelernt haben.
Langsam lerne ich, mich abzugrenzen. Einfach ist es nicht. Manchmal ist es ein schmaler Grat zwischen Befreiung und Grenzüberschreitung. Das gilt auch für mich. Mir ist es wichtig, mich mit meinem Thema nicht nur als distanzierte Wissenschaftlerin einzubringen. Nicht so zu tun, als hätte ich selbst keinen Körper und keine Lust. Trotzdem will ich zum Beispiel Studierenden Details über meine eigene Sexualität ersparen. Gerade durch meine eigenen Erfahrungen mit Oversharing bin ich vorsichtiger geworden, wenn ich mit anderen über Privates spreche. Ich frage erst: Ist es okay, wenn ich das mit dir teile, fühlst du dich mit dem Thema wohl? Außerdem habe ich ein starkes Zielgruppenbewusstsein entwickelt, auch dafür, in welchem Kontext ich gerade über meine Arbeit rede. Davon hängt auch ab, ob ich zum Beispiel „Pornos“ oder „Pornografie“ sage, mich als „Porno-Expertin“ bezeichne oder als „Kulturwissenschaftlerin“.
Wieso müssen Menschen echte Orgasmen vor der Kamera haben?
Ich bin Feministin – und leider gibt es im Feminismus ein großes Anti-Porno-Lager. Viele finden Pornos patriarchal und frauenunterdrückend. Andere sehen nur „feministische“ Pornos als akzeptabel. Beide Seiten finde ich schwierig, weil sie dogmatisch sind. Damit habe ich wenige Verbündete. Immer wieder erlebe ich, wie auf Veranstaltungen alle den „feministischen Porno“ feiern – und ich bin diejenige, die es anders sieht. Zum Beispiel wird dabei oft die Authentizität sehr in den Vordergrund gerückt: „echte Orgasmen“ oder „echte Lust“. Für mich ist ein Porno eine Inszenierung wie andere Medien auch, wir sollten nicht grundlegend andere Ansprüche daran stellen. Ja, der Sex soll einvernehmlich sein. Aber wieso darf eine Darstellerin keinen Orgasmus vor der Kamera faken? Wenn man den Anspruch auf Authentizität auf andere Medien überträgt, merkt man, wie absurd das ist. So wird der Sonderstatus von Pornos immer weiter fortgeschrieben.
Mein analytischer Blick ist für viele anstrengend, ich habe oft keine klare Ja/Nein-Antwort, wenn man mich zu Pornos befragt. Außerdem vermittle ich teils unbequeme Wahrheiten. Dass Jugendliche Pornos schauen, ist beispielsweise ein emotionales, angstbesetztes Thema. Viele Menschen möchten sich am liebsten gar nicht damit auseinandersetzen. Wir müssen es aber, denn Pornos sind überall. Trotzdem gibt es erstmal keinen Grund zur Panik, wenn ein 16-jähriger Mensch Pornos guckt. Auch hier warten viele Ambivalenzen.
Wegen meiner Haltung bin ich von Feministinnen schon massiv angegriffen worden. So unangenehm das ist, war es für mich auch eine wichtige Lektion, das auszuhalten. Selbst für meine Mutter war meine Arbeit anfangs schwierig. Sie ist im Alice-Schwarzer-Feminismus sozialisiert worden, wo Porno ein rotes Tuch bedeutet. Am Anfang hätte sie sich sicherlich schon gewünscht, dass ich mich mit etwas anderem beschäftige. Mittlerweile ist sie total stolz und teilt alles, was ich von mir gebe, auf Facebook.
Mein Online-Ich können die Leute doof finden
Die Kompetenzen, die ich als Pornowissenschaftlerin habe, lassen sich auf viele Lebensbereiche anwenden. Wenn man zum ersten Mal vor einer Gruppe von Menschen über sein Thema spricht und sich dabei schämt, fühlt man sich beim dritten Mal schon besser. Wenn man abgelehnt wird, hilft Empathie, um sich in Menschen hineinzuversetzen und zu verstehen, warum sie gegen einen sind. Und: Die Welt geht nicht unter, wenn man Erfahrungen macht, die sich schlecht anfühlen.
Neulich etwa war ich bei einer Gesprächsrunde bei Arte. Da saßen drei pornokritische Stimmen – und ich. Ich fühlte mich argumentativ in die Enge gedrängt. Die Positionen der anderen waren merklich normativ aufgeladen. Aber ich wurde als ideologisch bezeichnet. Dabei fielen Sätze wie: „Studien zeigen, dass …“ Und dann kamen Fehlinterpretationen oder einzelne Ergebnisse, die in drei anderen Studien widerlegt wurden. So etwas macht mich verrückt. Als gäbe es einen wissenschaftlichen Konsens über die Wirkung von Pornos! Gibt es nicht. Ich musste so stark gegensteuern, dass ich als sehr pro Porno wahrgenommen wurde. Aber das war eben meine Rolle auf dem Podium. Ich wurde eingeladen, um ein Gegengewicht zu bilden. Grundsätzlich ist Pornokritik sehr präsent im öffentlichen Bewusstsein. Ich versuche, auch andere Seiten aufzuzeigen. Da muss ich aushalten, dass man mich deswegen manchmal als undifferenzierter wahrnimmt, als ich bin.
Bei Gegenwind versuche ich immer Abstand zu nehmen und zu verstehen: Ich bin hier Projektionsfläche, das hat nichts mit mir als Mensch zu tun. Das ist für mich nicht einfach, denn ich bin ein emotionaler Mensch und erlebe Gefühle sehr körperlich. Mir hilft es, mein öffentliches Ich auch als Persona zu sehen. Mein Online-Ich können die Leute doof finden, deswegen muss ich mich als Mensch nicht infrage stellen.
Ich bin in einen rechten Shitstorm geraten
2019 bin ich in einen rechten Shitstorm geraten, als ich mein Pornoseminar an der Freien Universität Berlin auf Twitter angekündigt habe. Die AfD-Politikerin Beatrix von Storch retweetete das mit den Worten: „Die Chinesen bilden Hunderte Millionen Ingenieure und Programmierer aus und an deutschen Unis schaut man Pornos. Das ist vorsätzliche Schädigung des Steuerzahlers und gezielte Verdoofung der ‚Akademiker“. Ein andermal hat die AfD im Bundestag gefragt, „wie viele studierte Pornospezialisten sich ein Wirtschaftsstandort wie Deutschland denn leisten“ könne. Das ist eigentlich lachhaft, aber hat mich trotzdem eingeschüchtert. Ich bekam schon Zuschriften mit Sätzen wie diesem: „Ich bin froh, dass ich meine Kinder nicht zur Uni geschickt habe, weil da solche Leute wie Sie auf sie warten.“ Andere haben E-Mails an meine Vorgesetzten an der Uni geschrieben, mit der Forderung, dass ich dort nicht arbeiten soll. Ich wurde auch schon öfter als „gestört“ und „pädophil“ bezeichnet, von links und von rechts übrigens.
Fast schlimmer als der Hass von rechts ist es für mich, wenn die linke Porno-Hater-Bubble mich beschimpft. Aus feministischen Kreisen kamen schon Beschimpfungen wie „Patriarchatshure“ oder „U-Boot des Menschenhandels“. Einmal schrieb mir eine Frau: „Du verherrlichst die Degradierung von Frauen, du Stück Scheiße.“ Wie antifeministisch ist es, so gegen die Arbeit einer Frau zu hetzen?
Ich habe gelernt, in Krisensituationen mit Atemtechniken und Affirmationen zu arbeiten. Eine Zeitlang habe ich Entspannungstherapie in einer Gruppe gemacht. Anfangs war das ganz schwierig für mich, weil ich eine so krasse Abneigung gegen alles habe, was irgendwie spirituell ist. Aber ich habe mir die richtigen Elemente rausgeholt und bin mittlerweile fest von der Macht des richtigen Atmens überzeugt. Bevor ich ein Interview gebe, richte ich mich auf, atme und sage mir, dass ich Raum einnehmen und auch laut sein darf. Auf Social Media präsentieren sich ja alle als sehr sicher, ich auch. Aber tatsächlich ist es eine Herausforderung für mich, mir den Platz zuzugestehen und die Aufmerksamkeit, die ich bekomme.
Was mir außerdem hilft, wenn ich beleidigt und angegriffen werde: Aus dem Kopf in den Körper zu gehen, in die Natur, weg vom Bildschirm. Zeit mit Kindern oder Tieren. Starke Reaktionen von Menschen bedeuten ja auch, dass die eigene Arbeit nicht irrelevant ist. Man kann nichts bewegen, wenn man immer nur die Meinung der Mehrheit reproduziert.
Redaktion: Bent Freiwald; Bildredaktion: Philipp Sipos; Schlussredaktion: Susan Mücke; Audioversion: Iris Hochberger