Ich denke schon länger, dass es eigentlich gut für mich wäre, ein Hobby zu haben. Aber es kommt mir immer vor, als hätte ich Wichtigeres zu tun. Dann las ich den Tweet einer Wissenschaftlerin, der mich zum Nachdenken brachte:
https://twitter.com/christinaholzel/status/1647882268340305923?s=46
Christina Hölzel ist Professorin für Tiergesundheit und Tierhygiene an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Sie hat also einen Job, der nach Ansicht vieler Menschen Hobbys unmöglich macht. Weil die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit in der Wissenschaft noch mehr verschwimmt als anderswo und echte, leidenschaftliche Hingabe an den Beruf und die Forschung angeblich keine begrenzten Arbeitszeiten zulässt.
Übrigens, mit Christina Hölzel haben meine Kollegin Silke Jäger und ich einmal dieses Interview geführt.
Hölzel arbeitet in Vollzeit. Und sie hat Kinder. Dennoch schafft sie es, Hobbys nachzugehen. Sie singt in mehreren Ensembles, reitet und versorgt ein Pferd, das für Langstreckenritte über Hunderte Kilometer trainiert wird. Und manchmal geht sie Surfen. Ich habe für diesen Newsletter mit ihr telefoniert, um zu verstehen, warum Hobbys so wichtig sind, auch und erst recht dann, wenn man wenig Zeit hat. Wenn du meinen Newsletter magst, kannst du ihn übrigens hier kostenlos abonnieren. Folgendes hat mir Christina Hölzel gesagt.
Hobbys sind elementare Selbstfürsorge
„Wenn jemand sagt, erfolgreiche Wissenschaftler:innen könnten keine Zeit für Hobbys haben, finde ich das nachvollziehbar und verständlich. Aber auch bedenklich. Dahinter steckt die Haltung, dass die Forschung einerseits so erfüllend ist, und andererseits so zeitraubend betrieben werden muss, dass gute Wissenschaftler:innen keinen Platz für andere Dinge im Leben haben. Allein aus Diversitätsaspekten finde ich das schwierig, noch lange bevor wir über Hobbys reden. Was ist zum Beispiel mit Menschen, die andere pflegen müssen? Brauchen wir in der Wissenschaft keine Alleinerziehenden? Oder Menschen, die aufgrund körperlicher Einschränkungen nicht ununterbrochen arbeiten können?
Ich würde niemals sagen, dass solche Menschen weniger ‚belastbar‘ sind. Ich glaube, sie sind unglaublich belastbar. Aber wer körperlich eingeschränkt ist, muss so viel mentale und körperliche Energie für tägliche Aufgaben aufwenden, dass vielleicht nicht mehr so viel Vakanz fürs Arbeiten bleibt wie bei anderen.
Richtig problematisch finde ich es, wenn Menschen sich dafür feiern, dass sie keinen Ausgleich neben ihrer Arbeit brauchen und es reicht, wenn sie sich nachts im Schlaf erholen. Ich mache keinen Nine-to-Five-Job, meine Arbeit nehme ich auch mit ins Wochenende. Wenn es dabei konkret um die Forschung geht, freue ich mich sogar darüber. Manchmal fühlt sich meine Arbeit dann wie ein Hobby an. Ich bin aber trotzdem davon überzeugt, dass man von Hobbys profitiert, die nicht die eigene Arbeit sind. Von Begegnungen mit Menschen, die nicht aus der eigenen Arbeitswelt kommen und von körperlicher Bewegung. Ich habe einen Job, in dem man sich fast nicht bewegt, ein Hobby mit Bewegung ist da fast präventive Pflicht.
Die Vorstellung, dass die eigene Arbeit alle verfügbare Zeit einnehmen muss, wenn man sie sehr gut machen will, gibt es natürlich nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in anderen Bereichen, etwa in der Führungsebene und grundsätzlich bei beruflich erfolgreichen Menschen. An Universitäten werden Nachwuchswissenschaftler:innen auf der Anforderungsskala wie zukünftige Professor:innen behandelt. Entsprechend verlangt man von ihnen den Manager-Einsatz, längst bevor sie Manager sind. Ich mache mir Sorgen um die psychische Gesundheit dieser jungen Menschen. Was passiert, wenn sie sich schon so früh auslaugen? Zumal viele später keine Professor:innen werden. Universitäten haben eine Ausbeutungskultur.
Je mehr man im Job zu tun hat, desto mehr Ausgleichendes sollte man tun
Ich bin der Meinung, dass man auch mit einer 60-Stunden-Woche noch Hobbys nachgehen kann. Eine Chorprobe dauert zwei Stunden die Woche.
Für mich sind Hobbys auch deshalb wichtig, weil ich sehr schlecht darin bin, Pausen zu machen. Ich arbeite immer durch. Deswegen brauche ich Hobbys mit einem gewissen Verpflichtungscharakter. Stricken wäre für mich nichts. Wenn ich weiß, das Pferd muss bewegt und versorgt werden oder ich muss zur Chorprobe, weil die zu einer bestimmten Zeit stattfindet, gehe ich da hin. Wobei es natürlich auch eine Frage ist, wie sehr man sich seinem Hobby verpflichtet fühlt. Bei meinen Chorproben fehlen manche Männer oft jedes zweite Mal mit der Begründung, dass sie so viel bei der Arbeit zu tun hatten. Ich lache dann immer etwas bitter in mich hinein – das ist ja auch eine Entscheidung und Selbstinszenierung.
In einem Workshop zur Ressourcenstärkung für Führungskräfte habe ich das Waagschalenprinzip kennengelernt. Dabei wurde uns erklärt, dass viele Menschen dazu neigen, Tag und Nacht zu arbeiten, wenn die Arbeitsbelastung sehr hoch ist. Sie treffen dann keine Freunde mehr oder gehen mal zum Sport. Die Dozentin sagte, im Grunde wäre das Gegenteil richtig: Je mehr man im Job zu tun hat, desto mehr Ausgleichendes sollte man tun.
Gegen diese Idee hatte ich erst einen großen Widerstand. Ich dachte: ‚Wie soll das gehen, du hast ja keine Ahnung von meinem Leben.‘ Es stimmt aber. Das hat mit Erholungsfähigkeit zu tun. Ja, eine Zeitlang kann man nur vier Stunden in der Nacht schlafen und die restlichen Stunden arbeiten. Irgendwann ist die Erholungsfähigkeit aber erschöpft. Und an dieser Stelle ist es für uns wirklich hilfreicher, nicht einfach nur gar nichts zu machen. Denn ‚Nichtstun‘ generiert keine Gegenenergie zu diesem Zustand des Ausgelaugtseins. Natürlich kann man sich auch passiv zu erholen versuchen, aber ich glaube, es ergibt total Sinn, spazieren zu gehen, zu singen, zu reiten, sich befüllen zu lassen. Manche Leute lassen sich sehr viel von ihren Partnerpersonen auftanken. Aber wenn man für sich selbst sorgen muss oder möchte, sind Hobbys elementare Selbstfürsorge.“
Redaktion: Lisa McMinn, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos; Audioversion: Iris Hochberger