Jede Woche schreibt Theresa Bäuerlein in ihrem Newsletter „Was ich gelernt habe” über den Sinn von Arbeit. Heute hat sie ihren Newsletter an unsere derzeitige KR-Praktikantin Mariya ausgeliehen. Die vertritt in ihrem Gastbeitrag eine starke These, die Theresa überrascht hat: Mariya will am liebsten gar nicht arbeiten.
Ich bin Teil der sogenannten „Generation Z“, über die viel geschrieben und geflucht wird. Das sind Menschen, die Ende der Neunziger und in den Zweitausendern geboren wurden. Die ersten sind jetzt Mitte 20, beenden gerade Studium und Ausbildung und fangen an zu arbeiten. Zugleich kursieren seit der Corona-Pandemie Begriffe wie „Quiet Quitting“ (leises Kündigen) und „The Great Resignation“ (Die große Kündigung), weil immer mehr Menschen ihre Arbeit infrage stellen.
Auch wenn man mich strenggenommen „Berufsanfängerin“ nennen könnte, so bin ich doch beim Arbeiten nicht neu. Meinen ersten Job hatte ich mit 16 in einer Bäckerei und habe seitdem fast durchgängig gearbeitet; in Cafés, Schuhgeschäften, Callcentern, Redaktionen und NGOs. Während des Studiums, während der Pandemie, während des Krieges. Mit meinen 25 Jahren habe ich sexuelle Übergriffe auf der Arbeit erfahren, wurde angeschrien, runtergemacht, ausgebeutet und hatte fast einen Burnout. Überrascht, dass ich nicht mehr will?
Rente ist für mich eine Wunschvorstellung
Viele in meinem Alter lernen die Berufswelt über ihre schlimmere Seite kennen – den Niedriglohnsektor. Ich habe mich mal für einen Job in einem Restaurant/Café beworben und hätte ihn bekommen – vorausgesetzt, sagte man mir, ich könne damit umgehen, dass der Koch mich anschreit und ab und zu Teller wirft. So sei sie halt, die Gastro. So habe ich früh in meinem Leben gelernt, dass mein Wohlbefinden und meine Grenzen den Arbeitgeber:innen nicht wichtig sind.
Habe ich einfach Pech gehabt? Mein Social-Media-Feed meint: Nein, ich bin nicht allein. Auf der Diskussionsplattform Reddit existiert eine Ecke, in der Menschen über ihre schlechten Erfahrungen mit der Arbeit reden – der Subreddit r/antiwork. Der Kanal hat weltweit über 2,4 Millionen Mitglieder und den offiziellen Slogan „Arbeitslosigkeit für alle, nicht nur für die Reichen!“. Es gibt natürlich auch eine deutsche Version auf Reddit, r/antiarbeit. Hier werden Erfahrungen geteilt, hier wird der Wut Luft gemacht, es werden Gruppen und Aktionen organisiert, es wird politisch und philosophisch weitergebildet und Memes haben hier auch einen Platz. In den FAQs steht unter anderem: Ich hasse meinen Job, was soll ich tun?
Es ist vor allem eine antikapitalistische Bewegung, die die Arbeit nicht verändern oder reformieren will, sondern schlicht damit aufhören möchte. Die Idee eines solchen Abolitionismus ist nicht neu, sondern tief verankert in der anarchistischen und linken Theorie und Literatur, wie dem Buch „Recht auf Faulheit“ von Paul Lafargue (1883) und der Erzählung „Bartleby der Schreiber“ von Herman Melville (1853).
Besonders prominent ist dabei der Gedanke, dass es ok ist, nur Lohnarbeit zu betreiben und keine Karriere machen zu müssen. Ich kenne wenige Menschen in meinem Alter, die eine Karriere haben wollen – dafür ist die Zukunft zu ungewiss. Wozu Karriere machen, wenn wir alle durch den Klimawandel sterben werden? Wozu schuften, wenn wir sowieso in die Altersarmut rutschen werden?
Ich will nicht hart arbeiten
Vor diesem Hintergrund finde ich es umso überraschender, dass jungen Generationen mit so viel Wut nachgesagt wird, sie wollen nicht arbeiten und seien faul. Die „Generation Weichei“ (FAZ) oder auch „Generation Feierabend“ (ELLE) hätte „(…) eine eingeschränkte Konzentrationsfähigkeit, Ausdauer und Kontaktfähigkeit “(Zeit) und sei „nicht mehr bereit, sich für ihren Job zu engagieren“ (TAZ). 63 % der Arbeitgeber:innen sagten in einer Umfrage des DIHK, es fehle Jugendlichen an Motivation, Leistungsbereitschaft und Belastbarkeit.
In einem Interview mit dem Variety Magazin sprach Kim Kardashian davon, dass heutzutage keiner mehr arbeiten wolle. Ihr Tipp: „Get your fucking ass up and work! – raff’dich verdammt nochmal auf und arbeite!“ Und Personalverantwortliche in fast allen Branchen sind sich (angeblich) einig: Junge Leute wollen nicht mehr arbeiten. Dabei ist dieser Vorwurf nicht sonderlich neu: Das „Nobody-wants-to-work-anymore“ Mantra existiert seit 1894, wie der Forscher Paul Fairie hier zeigt.
Ich will nicht arbeiten. So what? Sollten wir nicht alles Mögliche dafür tun, so wenig Arbeit wie möglich machen zu müssen? Wann ist bitte viel arbeiten zu wollen zu einem solchen Statussymbol geworden?
Moment, darauf habe ich sogar eine Antwort aus einem soziologischen Klassiker: In „Die protestantische Ethik und der ‚Geist‘ des Kapitalismus“ beschreibt der deutsche Soziologe Max Weber Anfang des 20. Jahrhunderts, wie Arbeit zu einem Dienst zu Gottes Ehren wurde und Fleiß zu einer „innerweltlichen Askese“. Bloß nicht zu lange schlafen, keine Zeit verschwenden, tun statt reden. Bei der Säkularisierung der Gesellschaft verschwand der religiöse Aspekt. Zurück blieb die moderne Berufsethik, deren Auswüchse eben auch die Productivity-Influencer und Kim Kardashians dieser Welt sind.
Arbeitslosigkeit bekommt mir gut
Klar, man könnte mir trotzdem weiter vorwerfen, ich sei faul und unmotiviert. Doch die Erfahrung zeigt etwas anderes. Kurz vor meinem Bachelor-Abschluss habe ich meinen Job gekündigt und war sechs Monate arbeitslos. Eigentlich wollte ich nur einen Monat frei machen, aber dann fing ein Krieg in meiner Heimat Ukraine an. Plötzlich war ich täglich mit Geflüchtetenhilfe beschäftigt. Abseits davon habe ich endlich meine Wohnung sauber gemacht, Freunde wieder gesehen, mit meiner Oma gesprochen. Ich habe auch angefangen, Programmieren zu lernen, einen Blog aufgebaut, Content-Marketing gelernt, und angefangen zu malen. Meine Therapeutin sagte, ich sei aufgeblüht – arbeitslos zu sein hätte mir gutgetan.
Es geht mir nicht darum, mich vor Arbeit zu drücken, die gemacht werden muss. Nur wird diese Arbeit nicht immer bezahlt. Auch Care-Arbeit, emotionale Arbeit, Hausarbeit und der dazugehörige „Mental Load“, freiwillige Arbeit, Aktivismus und Selbstfürsorge sind Formen von Arbeit. Sie alle brauchen Zeit und Energie.
Es geht mir darum, meine Zeit mit Dingen zuzubringen, die wichtig sind und die Welt bereichern – nicht mit profitmaximierender Beschäftigungstherapie. Nicht jede Arbeit, die gemacht werden muss, wird bezahlt – und bei Weitem nicht jede bezahlte Arbeit muss auch wirklich gemacht werden.
Ich schreibe aus einer sehr privilegierten Position, das weiß ich. In den meisten meiner Jobs wäre nichts Schlimmes passiert, hätte ich sie nicht gemacht. Und in gewisser Weise kommt meine Frustration auch daher: Egal, wie viele Softgetränke, flexible Arbeitszeit und Stehtische man mir anbietet, es ändert nichts daran, dass ich etwas mache, was nicht gemacht werden muss. So als würde ich dafür bezahlt werden, in einer Wohnung Blumen zu gießen, während der Herd in Flammen steht. In seinem einflussreichen Buch Bullshit Jobs nennt der Soziologe David Graeber dieses Phänomen sogar „spirituelle Gewalt“.
Dem immer größer werdenden Unmut gegenüber der Arbeitswelt begegnen Unternehmen mit Konzepten der „New Work“: Das Arbeitsumfeld attraktiver gestalten, die Gesundheit fördern, starke Teams aufbauen und kleine Geschenke verteilen. Einer der absurden Auswüchse dieses an sich guten Ansatzes war zum Beispiel die Klatsch-Kampagne für Pflegekräfte in der Pandemie.
Gerade deshalb finde ich r/antiwork so sympathisch: New Work ist Yoga und Achtsamkeitstraining, aber trotzdem Bullshitjobs. Antiwork ist Gewerkschaften, faire Löhne und ein Fuck-You-Fund. Es geht darum, dass Menschen aus allen Berufszweigen weniger arbeiten können sollten. Es geht auch darum, dass Gen Z, die dank des Personalmangels gerade mehr Druck auf Arbeitgeber:innen ausüben können, damit eine nachhaltige Veränderung für alle Generationen bewirken: Wenn die Praktikant:innen sich krank melden wegen Kater, warum nicht auch andere? Es geht mir persönlich auch darum, das Denken zu erweitern und zu sehen: Arbeit kann man nicht nur neu denken – man kann sie auch wegdenken.
Redaktion: Theresa Bäuerlein, Schlussredaktion: Lisa McMinn, Fotoredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Iris Hochberger