Vor mehr als zehn Jahren hat eine Freundin von mir einmal einen Satz gesagt, über den ich immer wieder nachdenke. Ich schüttele den Kopf, wenn er mir einfällt. Ich denke: „So ein Quatsch!“, und einen Moment lang ist es dann so, als stünde meine Freundin vor mir, diskussionsbereit. Und als wiederholte sie den Satz: „Ich will gar nicht, dass mein Partner mein bester Freund ist.“
Das ist keine Aussage, über die man sich aufregen muss. Ich tue es trotzdem. Der Satz reizt mich, weil ich mir brav vorkomme in meiner Beziehung, wenn ich an ihn denke. Zu brav.
Ich bin mit meinem Mann zusammen, seit ich dreißig bin. Nach acht Monaten haben wir geheiratet. Es passierte ziemlich spontan, eigentlich hatten wir uns beim Standesamt nur erkundigen wollen, wie das geht, dieses Heiraten, und dann war ein Termin frei. Ich trug ein Blumenkleid von H&M. Wir hatten nur fünf Gäste, die Ringe waren geliehen. Meiner passte, in den für meinen Mann klebte mein Onkel Pappstreifen, um ihn zu verkleinern. Die Standesbeamtin spielte die Musik von „Shrek II“. Es war ein sehr guter Tag.
Vielleicht ist Liebe ein statistischer Zufall
Als meine Freundin den Satz sagte, saßen wir auf einem alten Sofa in einem Biergarten, tranken Gin Tonics. Ich weiß nicht mehr, warum sie ihn sagte. Ich weiß nur: Wir hatten beide wenig Ahnung, was eine lange Beziehung zum Überleben braucht. Sie verliebte sich ständig und trennte sich immer spätestens nach einem Jahr. Meine letzte Beziehung war daran gescheitert, dass mein Freund und ich zu viel damit experimentiert hatten, ob eine im Prinzip monogame Liebe ab und zu Abenteuer mit anderen Menschen aushalten könnte. Diese Idee hatten schon viele vor uns, aber wir dachten natürlich, wir hätten sie erfunden.
Bei meinem jetzigen Mann und mir war es anders. Ich wollte nie heiraten. Aber dann war ich sehr verliebt und erstmals überzeugt davon, dass diese Liebe etwas Ewiges hatte. Deshalb ergab ein Ritual Sinn. Vielleicht brauchte ich auch einen Stempel und ein offizielles Dokument, damit ich mir selbst zutrauen konnte, dauerhaft bei einem Mann zu bleiben.
Das ist jetzt elf Jahre her. Wir sind immer noch zusammen. Elf Jahre finde ich stattlich. Viele, die für ihre Hochzeit das Budget eines G-7-Gipfels ausgeben und Ringe kaufen, die ohne Pappstreifen am Finger bleiben, halten nicht so lange durch.
Die ersten drei Jahre unserer Ehe hatte ich mit meinem Mann mehr Streit als überhaupt mit irgendwem in meinem ganzen Leben, bevor ich ihn kannte. Wir sind beide dickköpfig und rechthaberisch. Mit der Energie, die wir ins Streiten gesteckt haben, hätte man ein kleines Land heizen können. Mittlerweile sind wir friedlicher. Ich habe keine Ahnung, wieso unsere Liebe schon so viele Jahre überlebt hat.
Klar, ich könnte Gründe nennen: Ich mag, dass er superschlau ist und meinen kindischen Humor teilt. Manchmal unterhalten wir uns ausschließlich mit Katzengeräuschen. Ich komme nie darüber hinweg, wie weich seine Unterlippe ist. Wie freundlich er mit fremden Menschen umgeht. Und dass er mir ernsthaft das letzte Stück seiner Pizza gibt, wenn ich ihn lang genug anstarre. Aber wenn gute Eigenschaften der Grund dafür wären, dass zwei Menschen sich dauerhaft lieben, wären nicht so viele reizende, kluge Menschen einsam.
Ich kann mir für die Dauer dieser Beziehung also nicht auf die Schulter klopfen. Genauso wenig, wie ich ein Rezept dafür aufschreiben könnte. Vielleicht ist es ein statistischer Zufall, dass wir uns noch lieben. Ich dachte immer, jede zweite Ehe in Deutschland würde geschieden werden, das ist aber ein Mythos. Es sind laut Statistischem Bundesamt viel weniger. Von 1.000 in einem Jahr geschlossenen Ehen werden 320 langfristig wieder geschieden. Und: Verheiratete Paare bleiben heute länger zusammen als noch vor ein paar Jahrzehnten, nämlich durchschnittlich 14,8 Jahre. Das sind etwa drei Jahre und vier Monate mehr als noch 1990.
Ich glaube aber nicht wirklich, dass die Dauer unserer Beziehung Zufall ist. Ich habe eher diesen Verdacht: In Wirklichkeit steckt dahinter, was meine Freundin damals so verächtlich abgetan hat in ihrem Satz: Freundschaft. Ich schätze meinen Mann und vertraue ihm so sehr wie kaum einem anderen Menschen auf der Welt. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass ich einmal Pferde stehlen müsste, wäre er der Partner meiner Wahl.
Ich mag nicht halbnackt in Inline-Skates herumsausen
Der Satz meiner Freundin aber weckt in mir das Gefühl, als würde Freundschaft eine Liebesbeziehung verharmlosen, ihr die Dramatik und Spannung nehmen. Völlig falsch ist das nicht. Jede:r weiß, dass es ziemlich schwierig ist, einen Menschen aufregend und geheimnisvoll zu finden, dem man bescheuerte Kosenamen gibt und den man abends immer laut durchs Wohnzimmer rülpsen hört. Das ist das Dilemma langer Beziehungen: Es ist sehr schwierig, den gleichen Menschen spannend und aufregend zu finden, der uns Verlässlichkeit und Sicherheit bieten soll. Die bekannte Psychologin Esther Perel sagt, wir müssten deswegen immer auf einem schmalen Grad zwischen Vertrautheit und Fremdheit balancieren, um die erotische Spannung zu halten.
Das ist bestimmt ein guter Tipp, aber es klingt auch nach sehr viel Arbeit. Ich führe eine Beziehung ja nicht, um ein weiteres Projekt zu optimieren. Es wäre sehr anstrengend für mich, wenn mein Mann dauernd eingeölt in der Sexschaukel warten würde, wenn ich nach Hause käme. Oder ich kichernd und halbnackt in Inlineskates durch die Wohnung sausen müsste, um für ihn aufregend zu bleiben, wie Cameron Diaz in „Sex Tape“. Ganz ehrlich, dann habe ich lieber weniger Sex.
Wenn ich darüber nachdenke, bin ich mir nicht sicher, was genau der Unterschied zwischen einer Freundschaft und einer Liebesbeziehung ist. Viele würden sagen, es ist der Sex, aber Menschen können sich auch asxuell lieben oder wenn Sex körperlich nicht möglich ist. In der Phase der Verknalltheit ist es einfach. Es ist Teil dieser Verliebheitsphase, ihres Charmes, dass die Gefühle so eindeutig sind, als säße man ausgehungert im Restaurant und der Kellner käme gerade mit dem Essen. Natürlich will ich das! Aber danach?
Einmal habe ich meinen Mann gefragt, was seiner Meinung nach der Unterschied ist. Wir gingen gerade spazieren. Es war der deprimierende Corona-Lockdown-Winter 2021 und wir saßen fast 24 Stunden täglich in unserer Wohnung. Er überlegte nicht lange, sondern blinzelte in die Wintersonne und sagte frech: „Ich weiß es nicht. Vielleicht gibt es ja keinen, nach ein paar Jahren.“ Ich war empört. Denn das warf ja eine wichtige Frage auf: Wieso war er mit mir verheiratet, nicht mit irgendeiner seiner anderen Freundinnen? Wer Streit mit seinem Partner sucht, dem empfehle ich dringend, diese Frage zu stellen. Er hat keine Chance, danach das Richtige zu sagen.
Wir sind jedenfalls zu keinem klaren Ergebnis gekommen, außer dem, dass die Liebe sich irgendwie anders anfühlt. Man redet ja auch von „romantischen“ Beziehungen. Aber wie scharf sind diese Trennlinien wirklich?
Es gibt auch andere Menschen in meinem Leben, für die ich ab und zu romantische Gefühle hege. Ich habe Sehnsucht nach ihnen und mein Herz hüpft, wenn wir uns Nachrichten schreiben. Manchmal ist es eine Freundin, definitiv meine Geschwister. Auch mein Mann hat hier und da eine Bromance.
Ich habe mir Definitionen von Freundschaft angesehen. Sie sind irre kompliziert. „Dyadische, persönliche, informelle Sozialbeziehung“ lautet ein Teil (!) von einer. Ich glaube, Freundschaften sind uns eigentlich ein Rätsel. Genau wie Liebesbeziehungen, auch wenn wir bei Gott versucht haben, sie zu verstehen. Würde man sämtliche Ratgeber und Romane über Liebe auf einen Haufen werfen, bräuchte man einen zweiten Planeten. Mir scheint, die Romane versuchen, etwas Unbegreifliches zu beschreiben. Und die Ratgeber wollen uns helfen, etwas Unkontrollierbares in den Griff zu kriegen.
Da meine Leser:innen oft schlauere Gedanken haben als ich, habe ich die Krautreporter-Community gefragt, was der Unterschied zwischen einer romantischen Beziehung und einer Freundschaft ist. Mehr als 800 Leser:innen haben mir geantwortet. 73 Prozent der Antwortenden sind zur Zeit in einer Beziehung, bei rund 400 dauert diese schon länger als fünf Jahre. Eine klare Mehrheit sagte, dass man mit einem romantischen Partner befreundet sein kann. Definitiv und wenig überraschend wählte die Mehrheit Sex als Unterscheidungsmerkmal zu einer reinen Freundschaft.
Wichtig ist aber: Die Teilnehmenden konnten aus dieser Liste nur einen Punkt wählen. Damit waren viele nicht zufrieden, wie sie mir schrieben. Sex war wichtig, aber sie wollten ihn nicht isoliert betrachten.
Es stimmt natürlich: Wenn Sex der entscheidende Unterschied zwischen einer Liebesbeziehung und einer Freundschaft wäre, hätten wir immer sofort eine feste Beziehung, wenn wir mit Freund:innen schlafen. Wir würden leben wie Präriewühlmäuse.
Manche Wühlmäuse sind Hippies
Präriewühlmäuse sind sehr beliebt bei Forschenden, die verstehen wollen, wie Paarbindung bei Menschen funktioniert.
Diese Tiere haben eine besondere Eigenschaft: Sie sind hoffnungslos romantisch. Wenn zwei Präriewühlmäuse einmal Sex haben, bleiben sie zusammen und folgen einander überall hin. Andere Wühlmausarten tun das nicht. Sie leben wie Hippies und halten nichts von festen Bindungen. Forscher:innen haben herausgefunden dass bei Präriewühlmäusen mehr Oxytocin- und Vasopressin-Rezeptoren in dem Teil des Gehirns sitzen, der mit Belohnung zu tun hat – dem Striatum. Diese Hormone sind mit Gefühlen von Vertrauen, Liebe und Bindung verbunden. Möglicherweise gehen Präriewühlmäuse deswegen engere Bindungen ein.
Vielleicht gibt es Parallelen zum Menschen und die große, lebenslange Liebe ist nur eine Option für entsprechend vernetzte Gehirne. Wie immer bei deterministischen Erklärungen klingt das zu einfach, um wahr zu sein. Aber natürlich ist es erleichternd zu denken, dass unsere Gehirne schuld an allem sind. Und außerdem ist der Gedanke an romantische Wühlmäuse niedlich.
Mein Mann und ich haben uns später doch noch eigene Eheringe machen lassen. Meine Mutter schenkte mir dafür die Füllungen ihrer Goldzähne, die sie mit Keramik hatte ersetzen lassen. Außerdem besaß ich die goldenen Manschettenknöpfe meines Vaters und den Ehering meiner Oma. Das alles brachte ich dem Juwelier in meiner Straße. Der Mann verzog keine Miene, ließ Zähne, Knöpfe und Ring einschmelzen und schmiedete uns zwei hübsche Ringe aus mattem Gold. Ich finde, es ist okay, in der Liebe zu improvisieren.
Allerdings sollte ich vielleicht irgendwann in diesem Text einmal offenlegen, dass ich noch nie ein Buch von Eva Illouz fertig gelesen habe, der großen Liebessoziologin der vergangenen Jahrzehnte. Ich will die Liebe erleben, nicht total enträtseln. Dafür habe ich mich mit dem US-Psychologen Eli Finkel beschäftigt. Wenn Finkel über Beziehungen redet, ist das nicht immer gleich auch Kapitalismuskritik, so wie bei Illouz, das kommt mir entgegen. In meinem Privatleben bin ich sehr für Komplexitätsreduktion.
Eine Liebesbeziehung kann nicht den Job eines ganzen Dorfs erledigen
In seinem Buch „The All-or-Nothing Marriage“ schreibt Finkel, noch vor 200 Jahren hätten wir eine ideale Ehe durch Liebe, Zusammenarbeit und ein Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Familie und Gemeinschaft definiert. Heutige Paare, meint er, wollen all das und dazu noch Prestige, Autonomie, persönliches Wachstum und Selbstverwirklichung. Eine Ehe soll den Menschen in ihr helfen, die beste Version ihrer selbst zu werden. Das bedeutet, dass sich die Menschen immer häufiger an ihre Partner wenden, um Bedürfnisse zu befriedigen, die sie früher von einer ganzen Gemeinschaft erwartet haben.
Dazu passt das für mich interessanteste Ergebnis meiner Umfrage in der KR-Community. Einige Leser:innen schrieben mir, dass ihre Partner:innen gleichzeitig auch ihre besten Freund:innen waren – sie waren damit aber unzufrieden. Der Fokus auf eine einzelne Person sei zu stark, schrieb eine anonyme Teilnehmern. Und Janina sagt: „Ich wäre gern mit mehr Menschen sozial und emotional tief verbunden. (…) Ich unterscheide nur für die Außenwelt zwischen romantisch und platonisch; letztlich geht es mir um Nähe, Verbindlichkeit, Tiefe. Und da ist derzeit freier ‚Beziehungsraum‘ in meinem Leben – da hätte ich gern wieder mehr Menschen.“
Die Soziologinnen Natalia Sarkisian und Naomi Gerstel von der University of Massachusetts in Amherst haben zwei landesweite Erhebungen mit Daten von Familien über soziale Beziehungen in den USA ausgewertet. Dabei fanden sie heraus, dass eine Ehe andere soziale Bindungen tatsächlich schwächt. Im Vergleich zu Alleinstehenden besuchen oder rufen Verheiratete seltener ihre Eltern und Geschwister an. Sie helfen anderen weniger und treffen sich seltener mit Freund:innen und Nachbar:innen.
Manchmal macht mir meine Beziehung Angst
Seit ich das weiß, denke ich ein bisschen anders über den Satz meiner Freundin. „Ich will gar nicht, dass mein Partner mein bester Freund ist“ – vielleicht wollte sie damit gar nicht freundschaftliche Gefühle in Beziehungen entwerten. Vielleicht meinte sie, dass ein einzelner Mensch nicht so viel Platz auf einmal in unserem Leben einnehmen sollte.
Das ist ein Gedanke, mit dem ich etwas anfangen kann. Manchmal, besonders kurz vor dem Einschlafen, macht mir meine Beziehung sogar Angst. Wie konnte ich zulassen, dass ein einzelner Mensch so wichtig wurde? Einer, den ich auf jeden Fall eines Tages verlieren werde, so sicher wie ein Lied irgendwann aufhört?
Ich sollte meine Freundin mal wieder anrufen und sie fragen, wie sie ihren Satz gemeint hat. Seit ich mit meinem Mann zusammen bin, habe ich für meine Freund:innen definitiv weniger Zeit.
Redaktion: Esther Göbel, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos; Audioversion: Iris Hochberger