Die Automatisierung des Supermarkts ist angeblich einem Moment der Ungeduld entsprungen. Es war das Jahr 1984, David R. Humble soll in der Schlange einer Supermarktkasse gestanden haben, als ihm der alles verändernde Gedanke kam: „Das muss doch schneller gehen!“ Kurze Zeit später überzeugte er die Chefs der Technologiefirma, für die er arbeitete, einen Ableger zu gründen und ihn zu dessen Präsidenten zu machen. Die neue Firma hieß CheckRobot Inc. und sie stellte die ersten Selbstbedienungskassen her.
Im Jahr 1987 beschrieb ein Reporter der L.A. Times die Selbstbedienungskasse als „Revolution“ im Supermarkt. Die meisten Jobs, prophezeite er, seien dort bald überflüssig. Und wirklich: Die Selbstbedienungskasse, kurz SBK, wurde zu einem Symbol für die Automatisierung als Jobkiller. Oder, wenn man es optimistisch sehen will, ein Symbol für das utopische Versprechen: Keiner müsste mehr arbeiten, alle hätten immer frei, wie dieser Autor schreibt.
Die Selbstbedienungskasse ist noch nicht einmal ein richtiger Roboter, sie hat den klobigen Charme eines Tageslichtprojektors, und doch führt sie die Armee der Maschinen an, wenn es um die Frage geht: Werden sie uns eines Tages einfach alle ersetzen? Uns alle Arbeit abnehmen, wenn man es gut meint? Alle Jobs vernichten, wenn nicht?
Diese Fragen stellt man sich seit den 1980er Jahren. Und was ist passiert? Nicht viel. Ja, in Baumärkten und bei Ikea gibt es zusätzliche Selbstbedienungskassen, die meist von einem Menschen überwacht werden. Manch ein Netto, Edeka oder Rewe hat jetzt auch Selbstbedienungskassen. Aber die große Revolution ist ausgeblieben. Warum haben die Selbstbedienungskassen die Kassierer:innen nicht verdrängt? Und was können wir daraus lernen über eine Welt, die wir zunehmend mit Maschinen teilen? Bleibt der Mensch der Maschine am Ende eben doch überlegen?
Ich bin Physiker und finde solche Fragen wahnsinnig interessant. Deswegen ist dieser Text nur der erste von insgesamt drei Artikeln, in denen ich mir anschaue, wie sehr wir uns wirklich sorgen sollten, wenn es um Künstliche Intelligenz geht. Meine Recherche startet dort, wo auch du alle paar Tage hingehst: im Supermarkt.
Alles nur, weil die Kunden es so wollen?
Supermarktketten führen ein strenges Kommunikationsregime. Das stelle ich fest, als ich in München nach einem Markt mit Selbstbedienungskasse suche, einfach um mal mit Kund:innen und Verkäufer:innen ins Gespräch zu kommen. Schwerer als gedacht! Ich werde weggeschickt. Keine Journalisten, man dürfe nicht, der Job hänge daran, und ich solle doch bitte die Presseabteilung fragen.
Ich schicke also eine E-Mail.
Meine schriftliche Anfrage, ob ich mal mit einer Marktleiterin vor Ort sprechen könne, lehnen Rewe, Edeka und Aldi ab. Keine Zeit. Interessanterweise antwortet mir eine Presstelle direkt, dass sich die Anzahl der Mitarbeiter:innen in den Filialen mit SBKs in den vergangenen Jahren sogar erhöht hätte. Dabei hatte ich gar nicht nach Jobkürzungen gefragt. Das macht mich neugierig.
Die Ketten argumentieren gerne, dass sie die SBKs nur für die Kunden einführen, als besseren Service, für kürzere Wartezeiten, wenns mal voll ist. Und auch für die Angestellten sei es besser: Die würden eben andere Aufgaben übernehmen, sich mehr um die Kunden kümmern. Win-win!
Ich bin skeptisch, ob das stimmt. Es gibt jedenfalls Argumente, die dagegen sprechen: Der SBK-Hersteller Strongpoint preist auf seiner Webseite an, dass man dank seiner Kasse nur noch eine:n statt acht Mitarbeiter:innen brauche und so Kosten sparen könne. Er bietet sein Produkt als „Solution“ an, also als Lösung. Natürlich, ganz lösen ließe sich das „Problem“, dass man Menschen an der SBK braucht, noch nicht. Irgendwer müsse einen Code eintippen, wenn eine Kundin etwas falsch gescannt hat. Immerhin aber rühmt sich Strongpoint, seine SBKs könnten dank automatisiertem Alterscheck auch ohne Hilfe eines menschlichen Mitarbeiters Alkohol verkaufen.
Wer hat denn nun Recht? Die Hersteller? Die Supermärkte? Sparen wir am Ende wirklich nur Zeit und keine Jobs ein, wenn wir unsere Produkte selbst einscannen? Oder wäre das zu schön, um wahr zu sein?
Welche Jobs automatisiert werden und welche nicht
Die Website mit dem vielversprechenden Namen „Will Robots Take my Job“, basierend auf einer Studie zweier Oxford-Forscher, gibt Kassierer:innen ein Automatisierungsrisiko von 89 Prozent. Es gebe nur zwei schwer zu automatisierende Kompetenzen, die einigermaßen wichtig für den Job seien: Auf die Handlungen von Kund:innen reagieren und die Fähigkeit, sich um andere Menschen zu kümmern.
Der Job-Futuromat vom Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB), das zur Bundesagentur für Arbeit gehört, sieht keine Chance mehr für die Kassier:innen. Automatisierbarkeit: 100 Prozent. Alle zwei Kerntätigkeiten – Abrechnen und Kassieren – seien heute schon automatisierbar. Der Beruf „Kassierer:in“ ist demnach im Wesentlichen von Maschinen machbar.
Game over für die Menschenkasse? Nicht ganz, erklärt mir Britta Matthes in einem Videocall. Sie leitet die Forschungsgruppe „Berufe in der Transformation“ am IAB in Nürnberg. Der Futuromat ist ihr „Baby“. „Also Kassiererin“, sagt sie, „den Beruf kann man gar nicht erlernen.“ Zwar gebe es viele Menschen, die ausschließlich an der Kasse arbeiteten, aber sie sieht das eher als Einsatzbereich. Schaue man sich nur diese Aufgabe an, könne man natürlich den Menschen vollständig durch die Selbstbedienungskasse ersetzen. Bei dem Ausbildungsberuf der Einzelhandelskauffrau und des Einzelhandelskaufmannes sei das anders. Da kämen andere Aufgaben hinzu, die nicht so leicht ersetzbar seien. Kundenbetreuung etwa oder eben die Beaufsichtigung der SBKs. „Berufe ändern sich mit der Zeit“, sagt Matthes.
Die Vorstellung, dass du eines Tages deinen Job verlierst, weil sich deine Chefin eine Maschine anschafft, die genau deine Arbeit machen kann, ist also naiv. Eher verändert sich deine Arbeit, neue Aufgaben kommen hinzu, alte fallen weg. Dennoch: Auch die Tätigkeit einer Einzelhandelskauffrau ist laut Futuromat zu 75 Prozent automatisierbar.
Gewerkschaften fürchten schon lange, dass der Stellenabbau schleichend und versteckt passiert. So erklärt es mir auch Marcel Schäuble, er ist bei Verdi zuständig für den Bereich Handel in Hessen. Aus seiner Erfahrung könne er sagen, dass bei den Filialen, bei denen Selbst-Checkout eingeführt wurde, früher oder später weniger Stellen neu besetzt werden würden. Das zu belegen, sei aber schwierig, gibt er zu.
Schaut man beim Bundesamt für Statistik nach, stellt man fest: Die Arbeitsplätze im Einzelhandel in Deutschland sind insgesamt sogar gestiegen, auch in Supermärkten. Schäuble vermutet, Supermärkte würden zunehmend zu Erlebniszentren werden, mit Sushi-Bars und Safttheken. Daher die zusätzlichen Arbeitsplätze. Aber kann das Einsparungen bei der Arbeit an der Kasse aufwiegen?
Vielleicht ist das die falsche Frage. Denn die Selbstbedienungskasse als vermeintlich große Jobvernichtungsmaschine klemmt. In Deutschland besonders schleicht sie sich nur sehr schleppend ein, obwohl Deutschland ein Supermarktland ist und ein Roboterland. Dass es nicht so läuft, liegt auch an einer deutschen Eigenheit: der Liebe zum Bargeld.
Bewahrt die Liebe zum Bargeld uns vor der Zukunft?
Selbst-Checkout ist eine umstrittene Angelegenheit, so wie Rosenkohl. „Automatisierung aus der Hölle“ titelt ein Autor der österreichischen Zeitung Der Standard. „Everybody hates Self-Checkout“, urteilt ein amerikanischer Lokalsender. Ein britischer Soziologe hat sogar ein Buch geschrieben über die Zumutung, als Kunde Tätigkeiten zu übernehmen, die früher einfach Service waren. Am besten treffen den Unmut die vielen Self-Checkout-Memes, die sich im Netz finden.
Ich gebe an dieser Stelle zu: Ich mag die Selbstbedienungskasse. Das erste Mal bin ich 2012 in einem Tesco auf eine SBK gestoßen, einem Supermarkt in Dublin. Self-Checkout war damals in Deutschland noch kein Ding. Die Vorteile schienen mir offensichtlich: Ich konnte a) meine Einkäufe im eigenen Tempo einpacken, ohne den Joghurt zu zerquetschen, b) meine Kopfhörer dabei durchweg drinlassen, ohne unhöflich zu sein, c) tatsächlich gelegentlich eine lange Mittagszeitschlange an der klassischen Kasse umgehen, d) es bewerkstelligen, an manchen Tagen mit niemandem zu reden. Jahre später, während der Pandemie, kam noch hinzu: Minimaler Kontakt mit Menschen.
In Deutschland hat es die Selbstbedienungskasse allerdings schwer. Das EHI Retail Institute – laut Eigenangaben ein wissenschaftliches Institut, das zu Handelsthemen forscht – hat vor ein paar Jahren einen Auftrag von Self-Checkout-Herstellern bekommen. Es sollte herausfinden, warum es nicht läuft mit der Selbstbedienungskasse in Deutschland. Daraus ist die „Initiative Self-Checkout“ entstanden. Dieses Projekt bringt regelmäßig Analysen und Prognosen zur Verbreitung und Akzeptanz von SBKs heraus. In der jüngsten von 2021 werden der Selbstbedienungskasse „rosige Aussichten“ prognostiziert. Aber die Zahlen dazu sind eher ernüchternd. Knapp 1.000 Supermärkte in Deutschland haben jetzt Self-Checkout. Das sind gerade mal drei Prozent der Märkte.
Ich rufe den Projektleiter der „Initiative Self-Checkout“ an. Warum klemmt die SBK? „Stationärer Self-Checkout“, korrigiert mich Frank Horst, er habe sich angewöhnt, das so zu nennen. Gebremst wurde der stationäre Self-Checkout vor allem auch dadurch, dass Deutschland immer das Land der Barzahler gewesen sei. In Deutschland wurden anfangs alle SBK mit einer Bargeld-Bezahloption installiert. Die Bargeld-Option macht die Kassen allerdings deutlich teurer. Sie lohnt sich also weniger.
Vielleicht ist es ein Frage der Generationen und der Gewohnheit. Wer wünscht sich heute noch zurück in die Zeit, wo man Geld nicht beim Bankautomaten, sondern nur zu bestimmten Öffnungszeiten an einem Bankschalter abholen konnte? Auch Frank Horst sagt, die Bargeld-Mentalität ändere sich. Bei neuen Supermärkten entscheide man sich meistens für stationären Self-Checkout.
Es gibt einen anderen Grund, warum die Selbstbedienungskasse dennoch für die Supermärkte nicht mehr die Zukunft sein könnte. Warum sie nur die Vorstufe einer sehr viel radikaleren Änderung im Supermarkt ist. Darauf bringt mich ein sehr freundlicher Marktleiter in einem Münchner Supermarkt, den ich anspreche, als er gerade auf der Rampe zum Lager steht.
Er könne nicht mit mir reden, leider, sein Job hänge daran. Als ich gehen will, sagt er mir dann doch: Die Selbstbedienungskassen da draußen, kosteten die Hälfte des Personals den Job. Ich solle mir aber mal den neuen Netto-Discounter ansehen ein paar Straßen weiter. Da würden bald alle ihren Job verlieren.
Warum die Supermarktrevolution doch kommt – aber ohne Kassen
Was für ein Twist!
Dazu passt Franz Kafkas „Kleine Fabel“:
„Ach“, sagte die Maus, „die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, dass ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, dass ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, dass ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe.“
„Du musst nur die Laufrichtung ändern“, sagte die Katze und fraß sie.
Was sagt uns das? Alles ist wirklich so schlimm, wie du denkst, aber nicht aus den Gründen, die du im Blick hast. Oder: Es kommt drauf an. Es kann doch gut ausgehen, vorausgesetzt du bist die Katze. Ich sage: Die Selbstbedienungskasse ist nicht der Jobkiller, für die sie lange gehalten wurde. Aber vielleicht eine andere Technologie: der kassenlose Supermarkt.
Auf den ersten Blick ist der kleine Netto-Discounter in der Karl-Theodor-Straße in München-Schwabing genau das: ein ganz normaler City-Discounter. Drei lange Regalreihen, 220 Quadratmeter. Ungewöhnlich ist nur die Decke, die sieht aus wie in einem Borg-Raumschiff: Schwarze Boxen, lange Kabelstrecken, hunderte etwa CD-große Scheiben, die in alle Richtungen zeigen. Das sind die optischen Sensoren.
Der „Pick-and-Go“-Supermarkt funktioniert ganz ohne Kassen. Ich muss vorher die Netto-App herunterladen, beim Reingehen scanne ich einen QR-Code, damit bin ich im System. Die Sensoren verfolgen, wohin ich gehe, welche Cola ich aus dem Kühlschrank nehme, welche Nudelpackung ich aus dem Regal greife und dann doch wieder zurücklege. Für mich unsichtbare Waagen unter den Produkten überprüfen zusätzlich, was fehlt oder was hinzugekommen ist. Am Ende laufe ich wieder hinaus und bekomme automatisch einen digitalen Kassenzettel in der App. Ein Supermarkt mit künstlicher Intelligenz, heißt es am Eingang, und ganz ohne Gesichtserkennung. Für alle, die sich darum sorgen sollten.
Künstliche Intelligenz, sagt die Netto-Pressesprecherin Christina Stylianou, so nenne man ja heute vieles. Das System erkenne eben die Interaktionen mit dem Regal und in Kombination mit Wiegetechnologie dann die Entnahme von Waren.
Geht es nicht auch darum, Kundenverhalten zu analysieren? Wer vor welchem Regal wie lange stehen bleibt etwa?
Die eingesetzte Technik sei „absolut DSGVO-konform“, die Bewegungsdaten blieben anonym und nach Verlassen der Filiale würden die erfassten Produktinformationen gelöscht und es würden keinerlei Einkaufsdaten ausgewertet. Alles diene nur dem „optimalen Einkaufserlebnis“.
Amazon hatte vor ein paar Jahren mit dem kassenlosen Supermarkt angefangen, Amazon Go heißt das. Und jetzt wollen die etablierten Ketten das natürlich auch haben, für die Konkurrenzfähigkeit. Rewe hat ein Pilotprojekt in Köln, Tesco und Aldi Süd testen in London und Netto seit Dezember 2021 in München.
Ich treffe den Technischen Projektleiter in der Netto-Filiale, er erklärt mir die Tücken des Systems. Aber weil Netto-Mitarbeiter aus Fachbereichen nicht zitiert werden dürfen, spricht hier die Pressesprecherin Stylianou. Pick and Go auf 220 Quadratmetern findet sie „technisch betrachtet beachtlich“, aber die Technologie auf einer größeren Ladenfläche anzuwenden, sei noch schwer.
Eine Kasse gibt es aber doch noch in dem Münchener Zukunfts-Netto. Für die Leute, die keine Lust auf die App haben. Das Ziel sei laut Stylianou, für jeden Kundenwunsch das entsprechende „Einkaufserlebnis“ anbieten zu können. Das System sei eher etwas für Stammkunden. Aber: „Wer Pick and Go einmal nutzt, nutzt es gerne erneut.“
Und ich frage mich, ob das die Zukunft ist. Und eben doch das Ende der Arbeit im Supermarkt?
„Der Umbau hat die Personalanzahl vor Ort nicht beeinflusst“, sagt die Pressesprecherin. Es gebe ja noch viel zu tun. Zum Beispiel müssten die Regale sehr genau eingeräumt werden, um das System zu unterstützen. Auch im kassenlosen Supermarkt arbeiten noch Menschen. Schließlich gibt es sogar neue Jobs. Etwa den eines Projektleiters, der sich um die neue Technik kümmert.
Aber Regale einräumen, kann das nicht auch eine Maschine? Und könnte sich nicht auch ein Roboter um die Technik kümmern?
Was Roboter können – und was nicht
Bist du ein Roboter? Oder baust du Roboter oder baust du Roboter, die Roboter bauen? Dann ist gerade eine gute Zeit für dich. Die Roboterdichte hat sich laut der International Federation of Robotics weltweit verdoppelt in den vergangenen fünf Jahren. In Deutschland kommen 371 Roboter auf 10.000 Arbeiter:innen, damit stehen wir Ende 2021 auf Platz vier der Rangliste, nur Japan, Südkorea und Singapur sind noch automatisierter. Und die Nachfrage bleibt groß: Fachkräftemangel!
Roboter in die Fabriken! Sind schon längst da.
Roboter in die Pflege! Schön wärs.
Roboterhunde für die Polizei in NRW! Uh, why not.
https://www.youtube.com/watch?v=LmL77K29Agk
Es gibt seit diesem Sommer sogar ein paar Roboterarme in einer Bar in der Münchner Innenstadt, die sollen Mojitos mixen können. Ich hatte darüber nachgedacht, mich dort mit einem Robotik-Forscher aus München zu treffen. Die Idee habe ich schnell verworfen, als ich abends einmal an der Bar vorbeilief und hineinschaute. Die beiden Roboterarme mixten gar keine Cocktails, sondern tanzten, tanzten richtig schlecht, komplett aus dem Takt, zu sehr aufdringlicher Musik.
Also fahre ich stattdessen ins „Cyber Valley“ im Südwesten Deutschlands und besuche das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung in Stuttgart. Dort treffe ich Werner Kraus, den Leiter der Robotik-Abteilung, in der Montage- und Expimentierhalle der Industrieroboter.
Die Halle ist turnhallengroß, darin reihen sich Käfige aus Metallgitter und Plexiglas. In den Käfigen stehen die Greifer, große Roboterarme, die beispielsweise Elektrobatterien zerlegen sollen. Als Industrieroboter, lerne ich, kann sich nur qualifizieren, was mindestens drei Achsen hat, frei programmierbar ist und Arbeiten in der Produktion erledigt.
Die Robotik komme aus den Fabriken, besonders aus der Autoindustrie, erklärt Kraus. Früher seien die Montagehallen von Benz, VW und Ford die „Fürstentümer“ der Roboter gewesen. Heute sei man in der Phase der Demokratisierung, und in Zukunft heißt es: Roboter für alle.
Wir gehen vorbei an zwei jungen Mitarbeitern, die vor einem Roboterarm hocken, der irgendwelche scharfkantigen Metallstücke ineinander steckt. Wenn alles gut läuft, weiß der Roboter durch maschinelles Lernen, wie er rumwackeln muss, falls sich die Stücke verhaken.
Um die Kosten zu reduzieren, setze man nun darauf, auch die Programmierung und Feinjustierung der Roboter zu automatisieren, sagt Kraus. Das wäre dann die Automatisierung der Automatisierung. Ob er sich Gedanken mache darüber, dass es irgendwann keine Jobs mehr geben wird, frage ich. Kraus überlegt kurz und sagt dann: „Nein.“ Schließlich gebe es gerade großen Facharbeitermangel, zum Beispiel beim Schweißen. Und die Roboternachfrage sei so hoch, irgendjemand müsse sie bauen und einsetzen.
Wir gehen hinauf zu den Servicerobotern. In einem kleinen Raum steht ein Metallregal gefüllt mit Chipspackungen, Mehl, Dosen. Davor schlummert der Rob@Work, ein Roboter auf Rädern mit einem Greifarm, der schnabelförmig endet.
Kann dieser Roboter einen Supermarkt aufräumen?
Man habe zwanzig Jahre daran gearbeitet, den Roboter etwas aus der Kiste greifen zu lassen, sagt Kraus, jetzt arbeite man an der anderen Richtung, der Griff zurück in die Kiste. Darin steckt die Tragik der Robotik: Vieles, was uns Menschen total leicht fällt, ist für Roboter verdammt schwer zu meistern. „Hard things are easy, easy things are hard“, sagt Kraus.
Hunderte Kilos hochheben: easy.
Einen Schraubenzieher um 359,9 Grad drehen: easy.
Aber Treppen steigen? Eine Türklinke benutzen? Einen Eierkarton in einen Einkaufskorb stellen? Das sind die richtig schweren Aufgaben für Roboter.
Vielleicht müssen wir uns, wenn wir uns vor den Robotern fürchten, nur dieses Unterschieds bewusst werden.
Warum fast niemand von einem Roboter therapiert werden will
„There should be sunshine after rain, these things have always been the same“, singen die Dire Straits. Ähnlich optimistisch zeigen sich die meisten Ökonom:innen: Automatisierung killt Jobs, aber nicht Arbeit. Neue Jobs entstehen, wenn alte verschwinden. Wer hätte sich im 19. Jahrhundert schon gewünscht, Webdesignerin zu werden? Oder Journalist für ein Online-Magazin. Bisher sind immer genug Jobs neu entstanden.
Ich habe die Krautreporter-Community gefragt, ob sie sich Sorgen machen, ihren Job an einen Roboter zu verlieren. 95 Prozent der Teilnehmenden sagten: Nein. In derselben Umfrage antworte ein Großteil, Maschinen könnten ruhig im Supermarkt abkassieren (83 Prozent). Nicht ganz so populär als Automatisierungskandidaten sind Autofahren (66 Prozent) und Hasskommentare löschen (56 Prozent). Fast niemand will von einem Roboter therapiert (nur sechs Prozent) oder unterrichtet werden (fünf Prozent). Geburtstagswünsche automatisieren wollen immerhin 13 Prozent. Diese Umfrage, bei der 333 Menschen mitgemacht haben, ist nicht repräsentativ. Aber in den Antworten steckt doch schon drin, was fast jeder aus dem Bauch heraus sagen würde, nämlich worin Menschen gut sind und worin Maschinen.
Sozial, überraschend oder selten sollten unsere Jobs sein, wenn sie vor den Maschinen sicher sein sollten, schreibt der Journalist Kevin Roose in seinem Buch „Futureproof“. Sozial, weil Maschinen zwar gute Produkte erzeugen, aber Menschen besser darin sind, Gefühle zu erzeugen. Überraschend, weil Menschen mit Unerwartetem viel besser zurechtkommen als Maschinen (etwa wenn jemand versucht, mit den falschen Münzen zu bezahlen). Und selten, weil sich Maschinen vor allem auf den durchschnittlichen Fall gut einstellen lassen.
Ich habe es übrigens doch noch geschafft, mit einer Verkäuferin in einem Stuttgarter Supermarkt zu sprechen. Sie betreut die Selbstbedienungskassen, trägt anders als die anderen Mitarbeiterinnen hier kein T-Shirt, sondern ein blaues Hemd. Ob sie Sorge hat, durch die Automatisierung ihren Job zu verlieren, frage ich.
Nein, sagt sie, lacht und räumt einen zerknüllten Kassenzettel vom Scanfeld. „Nicht in unserer Zeit.“ Sie arbeite schon seit Jahren hier, erzählt sie, früher sei es viel stressiger gewesen ohne die Selbstbedienungskassen, jetzt habe man mehr Zeit für die Kunden. „Wenn man so lange im Einzelhandel arbeitet, muss man das lieben.“
Was denn? Sie zuckt mit den Achseln und sagt: „Alles.“
Bei der Frage, was ein Computer niemals können wird, gewinnt übrigens laut der KR-Umfrage genau diese Kombination aus sozial, überraschend und selten: Liebe.
Redaktion: Lisa McMinn, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert