Ich schreibe hier einen Satz hin, bei dem manche meiner Kolleg:innen wahrscheinlich wiehernd lachen werden:
Im Büro arbeiten ist gar keine so schlechte Idee.
Warum das die Kolleg:innen amüsieren wird? Ich bin sehr selten im Büro. Diesen Newsletter zum Beispiel schreibe ich von meinem Homeoffice-Schreibtisch aus. Neben mir ist kein Mensch, nur ein Drachenbaum, der besorgniserregend krumm Richtung Fenster wächst. Meinen Arbeitsplatz zuhause habe ich nicht erst seit der Pandemie. Ich war schon im Homeoffice, als alle noch an ein Bier aus Mexiko dachten, wenn das Wort „Corona“ fiel. Das hat Gründe: Ich arbeite in Büros einfach wesentlich schlechter. Ich kann mich nicht konzentrieren, wenn andere reden, ich trinke viel zu viel Kaffee und zwischen 14 und 16 Uhr werde ich so produktiv wie ein stark motiviertes Faultier (die erreichen eine Höchstgeschwindigkeit von 1,7 Stundenkilometern). Im Homeoffice passiert mir das alles nicht.
Das soll kein Hieb gegen Faultiere sein: Ich respektiere diese Tiere sehr, wie dieser Artikel von mir beweist:
Das Ende des Homeoffice?
Deswegen habe ich sehr genau hingehört, als das Bundesarbeitsgericht am Dienstag dieser Woche in einem Grundsatzurteil entschieden hat, dass Unternehmen digital genau erfassen müssen, wie viele Stunden Arbeitnehmer:innen arbeiten. Damit bestätigt das Gericht eine EU-Vorgabe von 2019. Dieser Artikel gibt einen guten Überblick darüber, wie es zu dem Urteil kam.
Der Bundesregierung dürfte das nicht gefallen. Im Koalitionsvertrag steht: „Im Dialog mit den Sozialpartnern prüfen wir, welchen Anpassungsbedarf wir angesichts der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Arbeitszeitrecht sehen. Dabei müssen flexible Arbeitszeitmodelle (z.B. Vertrauensarbeitszeit) weiterhin möglich sein.“
Viele machten sich sofort Sorgen, dass dies das Ende der sogenannten Vertrauensarbeitszeit sein könnte, bei der Mitarbeitende sich ihre Arbeitszeit so einteilen, wie es für sie am besten funktioniert. Mühsam errungene flexible Arbeitsmodelle und Homeoffice-Tage, so die Befürchtung, könnten wieder gestrichen werden. Diese Sorge ist berechtigt, aber aus anderen Gründen. Bedroht werden könnte diese Freiheit zum Beispiel durch Arbeitszeitschutzregeln, die vorschreiben, dass zwischen den Arbeitstagen elf Stunden Ruhezeit liegen müssen. Wenn du also einmal mittwochnachts arbeitest, weil dein Kind tagsüber krank war oder eine Deadline ansteht, darfst du am Donnerstagmorgen eigentlich nicht gleich wieder zur Arbeit erscheinen. Und was, wenn man spazieren geht, um über ein schwieriges Projekt nachzudenken? Kann das als Arbeit erfasst werden?
Das neue Urteil bedroht das Homeoffice allerdings nicht. Denn die Arbeitszeit muss ja nur digital erfasst werden. Das heißt, du musst nicht zwangsläufig wie in alten Zeiten eine Pappkarte an einer Stechuhr im Büro abstempeln.
In jedem Fall ist das Urteil ein guter Anlass, um in diesem Newsletter über drei interessante Untersuchungen und Statistiken über Homeoffices und flexibles Arbeiten zu reden. Sie könnten nützlich sein, wenn du das nächste Mal mit deinen Vorgesetzten verhandelst oder wenn du als Chef:in entscheiden musst, wie viel Freiheit du deinen Angestellten erlaubst.
Und obwohl ich ein Fan des Homeoffice bin, werde ich am Ende erklären, warum das Büro, das viele schon für tot erklärt haben, vielleicht doch nicht sterben sollte.
Nach der Rückkehr ins Büro: Stress und Angstzustände
Erstens. Jedes Vierteljahr erscheint eine Umfrage mit dem knalligen Namen Future Forum Pulse. Dahinter steckt das US-Unternehmen Slack, eine Online-Plattform, die Mitarbeitende vieler Unternehmen benutzen, um zu miteinander zu kommunizieren (auch wir bei Krautreporter). Seit Juni 2020 befragt Slack regelmäßig sogenannte Wissensarbeiter:innen aus verschiedenen Ländern zu ihrer Produktivität, ihrem Zugehörigkeitsgefühl bei der Arbeit und wie sie am liebsten arbeiten möchten. Mit dem sperrigen Begriff „Wissensarbeiter“ sind Arbeitende gemeint, die nicht für ihre körperliche Arbeit bezahlt werden, sondern vor allem für kognitive und mentale Tätigkeiten. Etwa Journalist:innen, die Newsletter schreiben.
In meinem Newsletter schreibe ich jede Woche über die wichtigsten Dinge, die ich gelernt habe. In der ersten Staffel des Newsletters geht’s ums Arbeiten: um Stress und das Ende des Burnouts, den Sinnkult, den Produktivitätskult und um die Frage, warum To-do-Listen oft so schlecht funktionieren. Beruhend auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, meiner Erfahrung und mithilfe von Expert:innen. In der letzten Folge habe ich darüber geschreiben, warum es ein Problem ist, wenn wir Selbstwert und Produktivität miteinander verbinden.
Für die im April 2022 erschienene Slack-Umfrage wurden rund 10.000 Wissensarbeiter:innen in den USA, Australien, Frankreich, Deutschland, Japan und Großbritannien befragt. Ziel war, herauszufinden, wie es Menschen, die coronabedingt viel von zuhause gearbeitet haben, nach der Rückkehr ins Büro ging.
Die wichtigsten Ergebnisse:
- 34 Prozent der Wissensarbeiter:innen weltweit, die Vollzeit ins Büro zurückkehrten, erlebten arbeitsbedingt das höchste Maß an Stress und Angstzuständen seit Beginn der Erhebungen im Sommer 2020.
- Nicht leitende Angestellte arbeiteten fast doppelt so häufig wie leitende Angestellte fünf Tage pro Woche im Büro und berichteten über doppelt so viel arbeitsbedingten Stress und Ängste.
- Wissensarbeiter:innen, die wenig oder gar nicht in der Lage sind, ihre Arbeitszeit selbst zu bestimmen, werden im kommenden Jahr mit 2,6-fach höherer Wahrscheinlichkeit einen neuen Arbeitsplatz suchen, als Arbeitnehmer mit flexiblen Arbeitszeiten.
Auch interessant: Führungskräfte fordern besonders häufig Büroarbeit, bleiben aber auch am häufigsten zum Arbeiten zuhause.
Man muss natürlich dazu sagen, dass Slack ein Produkt verkauft, dass flexibles Arbeiten ermöglicht. Das ist kein neutraler Hintergrund für eine solche Umfrage. Und auch im Homeoffice waren viele Menschen deutlich gestresster, etwa Eltern kleiner Kinder, die während der Pandemie von zuhause arbeiteten und gleichzeitig ihre Kinder betreuen mussten. Dennoch sind die Ergebnisse interessant, vor allem, wenn man sie im Kontext mit anderen sieht.
Wer flexibler arbeiten darf, kündigt seltener
Zweitens. Im Juli 2022 ist eine Studie über hybrides Arbeiten der Stanford-Wissenschaftler Nicholas Bloom, Ruobing Han und James Liang erschienen. Hybrides Arbeiten bedeutet, dass Mitarbeitende abwechselnd zuhause und am Arbeitsplatz arbeiten. An der Studie nahmen 1.612 Ingenieur:innen, Marketing- und Finanzmitarbeiter:innen eines großen Technologieunternehmens teil, bei denen Mitarbeitende nach einer merkwürdigen Regelung ins Homeoffice geschickt wurden: Alle mit ungeraden Geburtstagen durften mittwochs und freitags von zuhause aus arbeiten. Die anderen gingen täglich Büro. Die drei wichtigsten Erkenntnisse dieser Studie:
- Bei den Hybrid-Arbeiter:innen verringerte sich die Fluktuationsrate um 35 Prozent – das heißt, sie haben seltener gekündigt.
- Außerdem waren sie nach eigener Einschätzung zufriedener und ihre Work-Life-Balance verbesserte sich.
- Die Produktivität stieg leicht – die Mitarbeitenden schätzten eine Steigerung um 1,8 Prozent, die Anzahl der geschriebenen Programmzeilen stieg jedoch objektiv um 8 Prozent.
Im Anschluss an das Experiment stellte das Unternehmen sich komplett auf hybride Arbeit um. Weil es sich lohnt.
Nicht jede:r kann zuhause gut arbeiten
Drittens. Das Statistische Bundesamt hat im Juni 2022 seine Zahl der Woche dem Homeoffice gewidmet. Im vergangenen Jahr haben demnach so viele Menschen wie noch nie von zuhause gearbeitet.
Rund ein Viertel aller Erwerbstätigen in Deutschland waren 2021 zumindest gelegentlich im Homeoffice, fast doppelt so viele wie 2019, also vor der Corona-Pandemie. Jede:r zehnte Berufstätige arbeitete während der Pandemie sogar jeden Tag von zuhause aus.
Je nach Branche gibt es aber große Unterschiede. Am häufigsten arbeiteten im Jahr 2021 Dienstleister:innen von Informationstechnologie, also etwa Webdesigner (ganze 75,9 Prozent der Angestellten), Verwalter:innen und Führungskräfte von Unternehmen sowie Mitarbeitende von Versicherungen von zuhause aus. Im Gesundheitswesen konnten das nur 5,4 Prozent, im Baugewerbe waren es 8,1 Prozent.
Zu viel Flexibilität ist auch Stress
Das bringt uns zu einem wichtigen Punkt. Denn bei all dem sollten wir nicht vergessen: Das Bundesarbeitsgericht wollte mit seinem Urteil nicht flexibles Arbeiten bremsen, sondern Ausbeutung verhindern. Tatsächlich geht die Entscheidung auf die Klage eines Betriebsrats einer sozialen Einrichtung in Nordrhein-Westfalen zurück.
Denn: Wenn niemand gearbeitete Stunden zählt, zahlt auch niemand Überstunden. Ich kenne definitiv Menschen, die lieber stempeln sollten, weil sie nach einem Arbeitstag abends um neun noch E-Mails verschicken.
Deswegen müssen Fans flexibler Arbeitsmodelle immer mitbedenken, dass Unternehmen diese auch zum Nachteil von Mitarbeiter:innen ausnutzen können.
Erst letztes Wochenende habe ich mit dem CEO eines Hightech-Unternehmens gesprochen, das Niederlassungen in mehreren Ländern hat. Wir standen auf seiner Dachterrasse, er hatte einen abgefahrenen, teuren Grill angeworfen, den ich nur aus Videos von Food-Influencern kenne. Das Unternehmen schließe nun sämtliche Büros, erzählte er. Denn Büroräume sind sehr teuer und wer Mitarbeiter:innen ins Homeoffice schickt, kann viel Geld sparen. „Was ist mit denen, die zuhause keinen ruhigen Ort zum Arbeiten haben? Zum Beispiel, weil sie sich mit Kindern eine kleine Wohnung teilen?“, fragte ich. Für die müsse man sich Lösungen überlegen, zum Beispiel Schreibtische in Co-Working-Spaces anmieten, meinte er.
Gut möglich, dass das für einige Mitarbeitende kein Vorteil ist, sondern noch mehr Stress bedeutet. Deswegen ist das Büro manchmal eben doch eine sehr gute Idee. Mobiles Arbeiten ist nur dann gut, wenn man es will – nicht, wenn man es muss.
Redaktion: Lisa McMinn, Bildredaktion: Philipp Sipos, Schlussredaktion: Susan Mücke, Audioversion: Christian Melchert