Darf es die bunte Biokarotte vom kleinen Bauernhof in der Region sein – oder die große Tüte von Aldi? Die Wahl scheint klar, immer mehr Verbraucher:innen achten darauf, aus welcher Art von Landwirtschaft ihre Lebensmittel kommen. Und auch die KR-Community war sich in meiner Umfrage einig: Lieber regional, auch wenn es etwas teurer wird.
Aber sind kleine Landwirtschaftsbetriebe wirklich die Zukunft? Sollten kleine Höfe mit Millionen an Subventionen aufgepäppelt werden – oder sind Großkonzerne wie Monsanto für die Ernährungssicherheit unverzichtbar?
Ich habe mit dem Agrarökonom Achim Spiller darüber gesprochen, wie wir in Zukunft Gemüse produzieren und konsumieren werden. Spiller hat als Teil der Zukunftskommission Landwirtschaft die letzte Bundesregierung beraten.
Der Markt für Obst und Gemüse wird von Preisdumping, Supermarktketten und Lobbys bestimmt. Wenn ich kann, kaufe ich deshalb regional produzierte Biolebensmittel von kleinen Bauernhöfen – auch, wenn das teuer ist. Den KR-Leser:innen geht es genauso.
Woher wissen Sie denn, dass die kleinen Betriebe besser sind? Dass sie nachhaltiger sind und zum Beispiel auch die Tiere besser halten? Die Forschungslage ist nicht sehr umfangreich, deutet aber darauf hin, dass es keinen generellen Zusammenhang zwischen Betriebsgröße und Nachhaltigkeit gibt.
Die kleinen Betriebe sind also nicht unbedingt nachhaltiger?
Nein. Manche schon, andere nicht. Aber die Gesellschaft denkt das. Außerdem ziehen die meisten Menschen den David dem Goliath vor – sie möchten die kleinen Betriebe erhalten. In den letzten 15 Jahren ist im Lebensmittelbereich das Qualitätsbewusstsein angestiegen und das Preisbewusstsein ein bisschen zurückgegangen. Außerdem haben Nachhaltigkeit und Regionalität an Bedeutung gewonnen. Deshalb steht auch im Bericht der Zukunftskommission Landwirtschaft, dass der Strukturwandel möglichst aufgehalten werden sollte, also kleine Höfe erhalten bleiben.
Jährlich geben in Deutschland durchschnittlich 3.560 Höfe auf. Wenn sie nicht einmal nachhaltiger sind, ist es überhaupt sinnvoll, die Höfe zu erhalten und damit diesen Strukturwandel aufzuhalten?
Die Gesellschaft möchte das, das zeigt sich auch immer wieder in Studien. Und aus meiner Sicht als Konsumforscher ist das ein legitimes Argument in der politischen Diskussion. Andere Ökonom:innen würden sagen, das ist Wunschdenken. Und es wird auch nicht ganz billig, das umzusetzen.
Wie meinen Sie das?
Die Gesellschaft, wir, werden dafür bezahlen müssen. Die Landwirtschaft bewegt sich auf einem freien Weltmarkt. Getreide- und Milchpreise entscheiden sich dort.
Und auch in Europa herrscht ein harter Wettbewerb. Sollte man zum Beispiel Fleisch- oder Tierwohlabgaben einführen, bedeutet das, dass die Verbraucher:innen etwas mehr bezahlen – und dieses Geld direkt an die Landwirtschaft fließt. Wie viel genau die Gesellschaft sich das kosten lassen will, das ist eine der offenen Fragen.
Im Bericht der Zukunftskommission Landwirtschaft werden auch mehr Klimaschutz, Biodiversität und Tierwohl sowie eine gesündere Ernährung gefordert. Sind die Konsument:innen denn bereit, dafür zu bezahlen?
Dazu haben wir mehrere Studien gemacht. Die Verbraucher:innen stimmen mehrheitlich zu, weil sie selbst sehen, dass es Handlungsbedarf gibt. Aber dafür brauchen wir eine staatliche Regulierung von Greenwashing. Auf vielen Produkten steht heute klimaneutral, auch wenn nichts oder wenig dahintersteckt. Die große Nachhaltigkeitstransformation in der Landwirtschaft funktioniert aber ohnehin nicht allein übers individuelle Konsumverhalten. Wie auch bei der Energie- und Mobilitätswende wird es nicht ohne einen klaren politischen Rahmen und Finanzierungen gehen.
Gerade erleben wir eine historische Inflation. Auch Lebensmittel werden teurer. Unter diesem Druck verringert sich doch sicher die Motivation der Verbraucher:innen, mehr zu zahlen für nachhaltigeres Gemüse?
Der Wertewandel wird nicht einfach wieder verschwinden, nur weil gerade die Preise steigen. Das sind grundlegende Prozesse, die über Jahre und Generationen andauern. Wenn mir Tierwohl und Klimaschutz wichtig sind, dann verändert sich das nicht plötzlich, weil die Preise steigen. Die Einstellung rückt dann vielleicht etwas in den Hintergrund, aber die Werthaltung als solche bleibt bestehen.
Einigen Landwirt:innen machen sich gerade aber Sorgen, zum Beispiel weil der Umsatz in der Direktvermarktung zurückgeht. Das bedeutet, dass gerade weniger Menschen direkt bei den Erzeuger:innen kaufen, weil es dort teurer ist, als in den Supermärkten. Viele Erzeuger:innen fragen sich jetzt, ob sie aufs falsche Pferd gesetzt haben und nicht einfach doch billig produzieren sollten. Ich glaube, das müssen die Landwirt:innen als Durststrecke sehen, langfristig wird sich das erholen.
Dieser Text ist Teil des Zusammenhangs „Was kostet dein Gemüse wirklich?“. Im ersten Teil der Reihe erkläre ich, wer von den Dumpingpreisen in deutschen Supermärkten profitiert.
Und was würde passieren, wenn die Entwicklung voranschreitet und die deutsche Landwirtschaft in Zukunft nur noch aus großen Betrieben bestünde?
Dann hätten wir in ganz Deutschland eine Betriebsstruktur wie in den neuen Bundesländern. Das wäre auf jeden Fall nicht so, wie viele Verbraucher:innen sich ihre ideale Landwirtschaft wünschen.
Im letzten Jahrzehnt sind die landwirtschaftlichen Betriebe immer größer geworden: Die Zahl der Betriebe mit 100 Hektar Fläche und mehr ist in den Jahren 2007 und 2017 von 5.300 auf 37.100 gestiegen. Warum?
In der Landwirtschaft wird Kapital immer wichtiger. Viele Prozesse werden technologisiert und das kostet. Es wird in der Landwirtschaft mehr Geld für Technologie ausgegeben als in fast allen anderen Industriezweigen in Deutschland und das wird sicherlich auch in Zukunft weitergehen. Für kleine Betriebe ist es schwierig, das aufzubringen.
Kleine Höfe haben also keine Chance mehr?
Doch, aber sie müssen sich spezialisieren, damit sie im Strukturwandel mithalten können. Sie müssen zum Beispiel auf Direktvermarktung ihrer Produkte setzen oder ihr Einkommen durch Urlaubsmöglichkeiten auf dem Bauernhof, Ferienwohnungen oder Solaranlagen aufbessern.
Und Subventionen helfen gar nicht weiter?
Mehr als die Hälfte der Ackerfläche in Deutschland ist Pachtland und gehört den Landwirt:innen nicht mehr selbst. Und die Verpächter:innen preisen die Subventionen, die heute im Wesentlichen als sogenannte Direktzahlungen pro Hektar landwirtschaftliche Fläche gezahlt werden, in die Pachtzahlungen ein. Das heißt, mit den Subventionen finanzieren wir zum Großteil eine wohlhabende Gruppe, nämlich Eigentümer:innen von Boden.
Über 50 Prozent der Agrarsubventionen kommt gar nicht mehr bei den Landwirt:innen an, das ergeben Studien. Das muss dringend verändert werden. In Deutschland sind sich da viele Expert:innen einig, aber auf EU-Ebene steht der Plan noch aus, die Subventionen zu reformieren.
Der Strukturwandel betrifft nicht nur Deutschland. Eine aktuelle Studie für den EU-Agrarausschuss schätzt, dass bis 2040 EU-weit weitere 6,4 Millionen Bauernhöfe verschwinden werden. Agrarkonzerne und Großbauern argumentieren immer wieder, dass ihre Marktmacht gerechtfertigt sei, weil ohne sie die Ernährungssicherheit auf der Welt gefährdet wäre.
Man kann sagen, dass das Welternährungssystem über die vergangenen Jahre hinweg relativ auf Kante genäht war. Wir konnten die steigende Zahl der Weltbevölkerung grundsätzlich ernähren. Aber jetzt steigt die Zahl der Hungernden wieder. Aktuell sind 811 Millionen Menschen von Hunger betroffen. Die Sicherstellung der Welternährung ist zwar in erster Linie ein Verteilungsproblem, aber eben auch ein Produktionsproblem. Wir müssen also aufpassen, dass wir global wirklich genug produzieren. Das zeigt gerade die Ukraine-Krise.
Die Großkonzerne haben also recht. Wir brauchen vor allem viele Karotten, nicht nachhaltige bunte.
Wir benötigen für eine nachhaltige Landwirtschaft auch Innovationen, also zum Beispiel trockenheitsresistentes Saatgut und GPS-gestützte Farm-Roboter. Dazu bedarf es leistungsfähiger Unternehmen, die solche Produkte für die Landwirtschaft entwickeln, aber auch Start-ups. Die Unternehmen müssen den technischen Fortschritt voranbringen: mehr Produktion, aber gleichzeitig eben auch mehr Umweltschutz und mehr Tierschutz.
Ob das eine so hochkonzentrierte Branche, die über viel Kapital verfügt, besser kann, oder mehr mittelständische Player im Markt sein müssten, das ist eine ganz schön schwierige Frage. Was man als Ökonom:in dazu sagen kann: Ein Markt, der so viel Macht hat, dass neue Anbieter keine Chancen mehr haben, ist langfristig schädlich. Ob das derzeit der Fall ist, sollte das Bundeskartellamt im Auge behalten.
Heute kontrollieren gerade einmal vier Konzerne – Bayer, Corteva, ChemChina und Limagrain – mehr als 50 Prozent des weltweiten Saatguts. Gigantische Monopole dominieren also die globale Nahrungsmittelversorgung.
Sehr hochkonzentrierte Märkte sind aus ökonomischer Sicht immer problematisch. Wenn es zu wenige Anbieter gibt, könnte es zu Absprachen zwischen diesen Unternehmen kommen. Wenn sich dann Kartelle bilden, haben Newcomer keine Chance mehr in einem solchen Markt.
Früher gab es mehr unabhängige Unternehmen: Saatgutunternehmen, die chemische Industrie, die sich mit Pflanzenschutz beschäftigt, und solche, die Agrartechnik produzieren. Heute ist die Tendenz, dass diese Felder alle in einem Unternehmen zusammenwachsen.
Landwirtschaft ist arbeitsintensiv, die Erträge sind abhängig von unberechenbaren Ereignissen. Wird damit in Zukunft überhaupt Geld zu verdienen sein?
Manchmal wird in der Öffentlichkeit das Bild gezeichnet, allen landwirtschaftlichen Betrieben ginge es schlecht. Das stimmt so nicht. In der Tierhaltung, Milchproduktion und in der Schweinehaltung ist das durchschnittliche Einkommen gesunken. Dem Ackerbau aber ist es nicht schlecht ergangen in den vergangenen Jahren, da haben manche Betriebe sehr gut verdient, denn Deutschland ist ein Gunststandort für die Getreideproduktion.
Landwirt:innen haben mir auch erzählt, dass sie sehr viele Lebensmittel wegschmeißen müssen, vor allem Obst und Gemüse, weil sie nicht den ästhetischen Ansprüchen der Supermärkte genügen. Wird sich das in Zukunft ändern?
Die Fehlerfreiheit bei Obst und Gemüse ist ein großes Problem. Häufig sind die Anforderungen so extrem, weil der Handel selbst unter Druck steht, den Verbraucherinnen und Verbrauchern ein möglichst makelloses Angebot bieten zu können. Kund:innen greifen zu den frischesten Produkten.
Die Gemüseabteilung ist häufig imageprägend für Supermärkte – gefällt den Kund:innen nicht, was dort liegt, weil das Gemüse zum Beispiel nicht makellos ist, kaufen sie womöglich in einem anderen Markt.
Aus diesem Wettbewerbsdilemma kommen wir nur heraus, wenn es verbindliche Regeln gibt, die alle erfüllen müssen.
Womit wir wieder bei den Konsument:innen wären. Ist da eine Entwicklung zu beobachten?
Als wir vor 20 Jahren in Göttingen angefangen haben, in der Hochphase der „Geiz-ist-geil-Bewegung“, waren wir nicht sicher, ob sich die Menschen in Zukunft vielleicht nur noch für Autos interessieren werden. Stattdessen hat ein Wandel unserer Werte stattgefunden: Lebensmittel und eine nachhaltige Ernährung sind für die Menschen relevanter geworden. Heute werden in den Sozialen Medien mehr Bilder über Essen als über Autos gepostet.
Redaktion: Thembi Wolf, Schlussredaktion: Lisa McMinn, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert und Aline Joers