Glaubst du, dass Frauen mitfühlender sind als Männer? Falls ja, bist du damit nicht allein. Es ist ja ein altes Klischee, dass Frauen zwischenmenschliche Beziehungen wichtiger finden und empathischer sind. Ich habe das, ehrlich gesagt, auch gedacht. Und ich war auch der Meinung, das sei ein Vorteil am Frausein: Denn egal, ob dieses Mitfühlen biologisch bedingt oder anerzogen und gesellschaftlich erwünscht ist, oder eine Mischung aus beidem: Mitfühlen, dachte ich, sei ein Talent, keine Last. Ich bin mir da nicht mehr so sicher.
Wie du vielleicht weißt, recherchiere ich gerade zu den Schattenseiten der Empathie. Dabei bin ich auch auf eine Befragung des Pew Research Centers gestoßen, in der es um Geschlechterunterschiede bei der Empathie geht. Vor ein paar Monaten befragte das Center US-Amerikaner:innen zu ihren Gedanken und Gefühlen, die sie gegenüber anderen Menschen hatten, die in der Pandemie und anderen schlimmen Ereignissen gelitten hatten. Frauen und Männer beantworteten einige der Fragen ziemlich unterschiedlich.
Berührt dich dieses Bild?
Frauen gaben viel häufiger als Männer (71 Prozent gegenüber 53 Prozent) an, dass sie oft traurig werden, wenn sie von Leid hören, dass anderen Menschen zustößt. Mehr Frauen (46 Prozent) als Männer (34 Prozent) sagten, dass sie oft den Wunsch hatten, den Leidenden zu helfen. Und angesichts schlechter Nachrichten sagten Frauen eher als Männer, dass sie oft für die guten Dinge in ihrem Leben dankbar sind (76 Prozent gegenüber 67 Prozent).
Hier sind die Fragen und Antworten und hier die Methodik
Das hat Folgen: Frauen gaben häufiger als Männer an, dass sie nachrichtenmüde sind. Etwa ein Viertel der Frauen hat oft das Gefühl, die Nachrichten abschalten zu müssen. Unter Männern ist es nur ein Fünftel. Und 15 Prozent mehr Frauen als Männer geben an, dass sie sich zumindest manchmal so fühlen. Das Center stellte bereits 2019 bei einer ähnlichen Frage zur Nachrichtenmüdigkeit einen solchen Geschlechterunterschied fest.
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Klar: Hier wurden Amerikaner:innen befragt. Sicher wäre es interessant, sich kulturelle Unterschiede anzusehen, wenn man diese Fragen Menschen in anderen Ländern stellen würde. Dennoch, finde ich, könnte es sich lohnen, über die Ergebnisse nachzudenken. Vor allem, was die Erschöpfung betrifft. Mitfühlen kann nämlich nicht nur nachrichtenmüde machen, sondern auch zu empathischem Stress führen, zu Burnout – und irgendwann sogar zur Gleichgültigkeit, wenn man Mitfühlen einfach nicht mehr aushält.
Ich frage mich: Sind Frauen wirklich mitfühlender – oder ist es für eine Gesellschaft einfach angenehm, wenn eine bestimmte Gruppe den Job des Mitfühlens stärker übernimmt? Wenn Frauen deswegen immer noch stärker in Care-Berufe gehen und unbezahlte Sorgearbeit machen?
Weniger Härte in der Welt zu schaffen ist kein Frauenjob
Ich bin hier voreingenommen, ich bin eine Frau. Deswegen trifft mich diese Frage an einer persönlichen Stelle. Ich habe definitiv gelernt, dass es gutes und erwünschtes Verhalten ist, wenn ich mitfühlend, zugewandt und anderen gegenüber sensibel bin. Als Mann wäre meine Erfahrung vielleicht anders gewesen. Mir scheint, dass Frauen auch heute noch alle ein bisschen Mütter sein sollen, auch wenn sie keine Kinder haben, Stichwort: Mutti Merkel. Frauen sollen sich noch immer über den Schmerz der Welt beugen und angeschlagene Knie küssen.
Ich bin nicht gegen das Mitfühlen. Aber ich bin dagegen, dass dieses Verhalten einem bestimmten Geschlecht zugemutet wird. Weniger Härte in der Welt zu schaffen ist nicht nur der Job von Menschen, die in Stellenanzeigen das w in m/w/d ankreuzen. Und es ist auch generell nicht der Job von Menschen, die einfach anfälliger für den Schmerz von anderen sind.
Schlussredaktion: Lisa McMinn, Bildredaktion: Philipp Sipos; Audioversion: Iris Hochberger