Es war ein Termin, um den ich etwas kämpfen musste: Unternehmen, die Fleisch aus Tierzellen im Labor züchten, verraten fast nie, wie genau sie ihr Produkt herstellen. Man kann auch nicht einfach hingehen und sich einen Burger bestellen. Laut der New York Times haben bisher nur etwa 700 Menschen auf der Welt jemals Zellfleisch gekauft – und sie haben es allesamt in Singapur getan, das als erstes Land 2020 Laborfleisch die Zulassung erteilt hat. Wann es in Europa so weit sein wird, kann noch niemand sagen. Ich wollte nicht warten. Und weil Singapur sehr weit weg ist, fuhr ich nach Israel.
Israel ist klein und extrem technologiefreundlich, im Verhältnis zu seiner Größe hat es sehr viele Start-ups hervorgebracht. Manche nennen es das zweite Silicon Valley der Welt. In Israel sitzen drei führende Start-ups für zellkultiviertes Fleisch: Aleph Farms, SuperMeat und Future Meat Technologies. Die möglichen Gewinne sind riesig: Laut der Unternehmensberatung McKinsey & Company könnte der Markt für Fleisch aus dem Labor bis 2030 ein Volumen von 25 Milliarden Dollar erreichen. Und das wäre noch immer nur ein Bruchteil des globalen Fleischmarkts, der auf 1,4 Billionen Dollar geschätzt wird.
Die Israelis haben noch einen anderen Grund, in Laborfleisch, auch „In-vitro-Fleisch“ oder „Clean Meat“ genannt, zu investieren: Der kleine Staat hat begrenzte Land- und Wasserressourcen und kann einen Großteil seiner Lebensmittel nicht selbst produzieren. Jedes Jahr verzeichnet Israel ein beträchtliches Handelsdefizit bei Nahrungsmitteln. Der Klimawandel wird dieses Problem wahrscheinlich noch verschärfen.
Seit zehn Jahren habe ich kein Fleisch mehr gegessen
Nach unzähligen E-Mails, Telefonaten und Whatsapp-Nachrichten bekam ich einen Termin bei SuperMeat. Shir Friedman, Co-Gründerin des Unternehmens, bot mir an, einen Burger aus kultiviertem Hühnerfleisch zu probieren, den die SuperMeat-Techniker entwickelt haben.
Man muss dazu sagen, dass ich seit zehn Jahren kein Fleisch mehr gegessen habe. Ich war also ziemlich aufgeregt.
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Kurze Zeit später sitze ich auf einem Barhocker in einem schwarz gestrichenen Raum, vor mir eine schmale Küchenzeile mit Regalen, in denen Weingläser, kleine Topfpflanzen und Flaschen mit Anisschnaps und Rotwein stehen. Der Burger, ein paniertes, rundes Patty in der Größe meines Handtellers, brutzelt bereits in einem Fettbad. Durch eine Glasfront kann ich in das Labor von Supermeat sehen, darin die metallenen Zylinder der Fermenter, in denen, erklärt mir Friedman, kleine Klumpen Hühnerzellen in einer Nährflüssigkeit wachsen. Dieses Fleisch verdient die Bezeichnung „Laborfleisch“ noch, weil die Produktionsstätte ziemlich klein ist. In Emeryville in Kalifornien hat das Unternehmen Upside Foods im November 2021 eine 53.000 Quadratmeter große Fabrik eröffnet – die größte, die jemals für kultiviertes Fleisch errichtet wurde.
Meine Nase nimmt Fett wahr und, ganz eindeutig, Huhn
Neben mir stehen Säcke mit getrockneten Pflanzenproteinen, ich sehe Klumpen aus texturierten Erbsen und eine Plastikdose mit ganzen Korianderkörnern.
Der Raum riecht nach Frittierfett. Und nach Huhn. Shir Friedman, eine zierliche Frau mit blonden Locken, rotem Lippenstift, schwarzer Schürze und knallblauen Einweghandschuhen, bereitet den Burger persönlich zu. Nach fünf Minuten nimmt sie ihn aus der Fritteuse und legt ihn auf ein Hamburgerbrötchen, zusammen mit einem Salatblatt, rohen Zwiebelringen, einer Tomatenscheibe, eingelegter Gurke, Senf und veganer Mayonnaise. „Ist es okay, wenn ich Ihnen den Burger einfach in die Hand gebe?“, fragt sie und überreicht mir noch ein paar Blätter Küchenrolle.
Ich rieche an dem Burger. Meine Nase nimmt Fett wahr und, ganz eindeutig, Huhn. Das Patty besteht nur zu dreißig Prozent aus Zellfleisch, der Rest ist Pflanzenprotein. Was genau ich gleich essen werde, weiß ich aber nicht. Jahrelang nutzten Wissenschaftler:innen, die Fleisch aus Zellen züchteten, dafür fötales Kälberserum als Medium. Das ist genau das, wonach es klingt: Blut aus dem Fötus einer Kuh. Das klingt nicht nur etwas unappetitlich, sondern ist auch teuer: Ein Liter dieses Serums kann über 1.000 Dollar kosten. Mittlerweile gibt es günstigere, möglicherweise sogar pflanzliche Alternativen. Ihre genaue Zusammensetzung ist bisher noch eines der größten Geheimnisse von Laborfleischunternehmen. SuperMeat verwendet nach eigenen Angaben kein Kälberserum.
Ich kaue, ich schmecke, ich bin desorientiert
Als ich hineinbeiße, explodiert der Fleischgeschmack in meinem Mund. Mein erster Gedanke: „Stimmt ja, so schmeckt Huhn!“ Mein Körper, meine Zunge erinnern sich. Beinahe muss ich lachen: Ich habe in den vergangenen zehn Jahren viele Fleischersatzprodukte probiert, darunter auch diverse Huhnersatzversuche. Einige fand ich nicht schlecht. Aber in diesem Moment wird mir klar, dass nichts davon auch nur annähernd wirklich nach Huhn geschmeckt hat. Die Konsistenz kriegen viele hin. Aber nicht den Geschmack. Zum ersten Mal seit zehn Jahren schmeckt etwas, das ich esse, wirklich nach Tier. Der Effekt ist bizarr. Mein vegetarisches Selbst signalisiert mir: „Du willst das nicht essen, das ist Fleisch!“ Mein Verstand aber weiß, dass ich kein Huhn esse, sondern ein Kunstprodukt. Ich kaue, ich schmecke, ich bin desorientiert.
Friedman, die meinen Gesichtsausdruck sieht, lächelt. „So reagieren alle, denen wir den Burger geben“, sagt sie. Selbst Experten, behauptet sie, hätten Schwierigkeiten, echtes Hühnerfleisch und dieses Kunstprodukt auseinanderzuhalten. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Aber ich schaue auf den angebissenen Burger in meiner Hand, auf das Burgerpatty, das die gleiche Farbe und die gleichen typischen Stränge hat wie ein echter Chickenburger, und ich denke, dass ich Laborfleisch vielleicht unterschätzt habe. Denn anders als alles pflanzliche Ersatzfleisch, das ich bisher probieren konnte, könnte ein Produkt wie dieses tatsächlich überzeugten Fleischesser:innen schmecken. Und nicht nur jenen, die bereit sind, statt Fleisch etwas Fleischähnliches aus Pflanzen zu essen. Das ist auch das Ziel, sagt Friedman. „Ob Veganer unser Produkt wollen werden, ist für uns nicht entscheidend“, sagt sie. „Wir wollen an die großen Fleischhersteller verkaufen.“
Wann und ob wir Konsument:innen Fleisch aus Zellkulturen in unseren Supermärkten kaufen können, ist noch unklar. Es gibt immer noch viele technische Fragen zu lösen, Lebensmittelbehörden müssen die Produkte freigeben und die Herstellung ist weiterhin teuer, auch wenn die Kosten langsam sinken. Unternehmen wie der brasilianische Fleischriese JBS, Milliardäre wie Bill Gates, Prominente wie Leonardo DiCaprio und Regierungsbehörden wie die Qatar Investment Authority haben fast drei Milliarden Dollar in Laborfleischunternehmen investiert.
Der kleine Burger, den ich bei SuperMeat aß, würde etwa 30 Dollar kosten. Das ist immer noch viel zu teuer – für Unternehmen, um damit Gewinn zu machen, und für die meisten Konsument:innen, um es sich leisten zu können. Aber es ist ein Schnäppchen im Vergleich zum ersten Laborfleisch-Burger, den der niederländische Forscher Mark Post 2013 der Welt präsentiert hat: Er kostete in der Herstellung 250.000 Euro.
Auch bei Solarenergie oder bei Elektroautos dachte anfangs niemand, dass sie von Bedeutung sein werden – weil sie zu teuer waren und ihre Funktion schlechter erfüllten als die Produkte, die sie ersetzen wollten.
Shir Friedman glaubt, dass SuperMeat Anfang 2023 sein Hühnerfleisch an Restaurants verkaufen wird. Das kalifornische Unternehmen Upside Foods will seine Produkte noch in diesem Jahr direkt an Konsument:innen verkaufen. Wir werden sehen – bisher haben die Laborfleisch-Startups noch fast jede Deadline gerissen. Aber wenn es so weit ist, hat das Fleisch, an das wir bisher gewöhnt sind, zum ersten Mal ernstzunehmende Konkurrenz.
Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert