Ein Mittagessen in dreißig Jahren: Was liegt auf deinem Teller? Das ist wahrscheinlich nicht die wichtigste Frage, die du dir über die Zukunft stellst. Aber dennoch eine relevante! Denn wie diese Zukunft aussieht, hat auch damit zu tun, wie die Menschen sich in den kommenden Jahren ernähren werden.
Das gilt vor allem für Fleisch. Wissenschaftler:innen betonen wieder und wieder, dass dies einen großen Einfluss auf das Klima haben kann. „Je mehr Fleisch die Menschen essen und je öfter es von Rindern stammt, desto größer ist der Einfluss“, wie mein Kollege Rico in diesem Text erklärt. Die moderne Tierhaltung könnte auch Pandemien begünstigen, wie der Virologe Christian Drosten neulich in einem Interview sagte: „Eine wachsende Menschheit mit einem wachsenden Fleischhunger: Hier steckt das Risiko für künftige Pandemien.“
Die Frage nach dem Weihnachtsessen in dreißig Jahren ist also nicht nur ein nettes Gedankenspiel, sondern enorm relevant. Also: Essen wir 2051 noch Tiere? Wenn ja, wie viele – und wie haben sie gelebt? Wenn nein, was liegt stattdessen auf deinem Teller? Eine Sojawurst, ein Stück Laborfleischbraten – oder ein Haufen Linsen?
Fleischesser:innen sind eine wichtige Gruppe
Ich will dieser Frage folgen, ihr immer wieder nachgehen. Dieser Text ist ein Anfang. Es geht um eine Umfrage, die ich in der Krautreporter-Community gemacht habe. Ich habe sie gefragt: „Was würde dich davon überzeugen, mit dem Fleischessen aufzuhören?“ Nicht, um einen moralischen Hammer zu schwingen. Sondern um wirklich zu verstehen, wie realistisch eine fleischlose(re) Zukunft ist.
Wie hoch unsere Leser:innen die Dringlichkeit des Themas einschätzen, kann man daran erkennen, wie viele teilgenommen haben: Fast 1.600 Leser:innen haben mir geantwortet. Das ist KR-Rekord. (Meine nächste Umfrage zum Thema gibt es auch schon. Hier kannst du mitmachen: Welche Fragen hast du zu Laborfleisch?)
Meine Umfrage ist nicht repräsentativ. Ich gehe davon aus, dass sich vor allem Menschen daran beteiligen, die sich sowieso schon Gedanken um ihren Fleischkonsum machen. Diesmal habe ich mich außerdem bewusst nur an Fleischesser:innen gewandt. Aus einem einfachen Grund: weil sie eine einflussreiche Gruppe sind. Vegetarier:innen und Veganer:innen können, wie der Göttinger Wirtschaftswissenschaftler Achim Spiller in dieser Vorlesung erklärt, am Markt für Fleisch kaum etwas bewirken; sie kaufen ja keins.
Zwar wächst die vegan-vegetarische Bewegung stark, wie der aktuelle Ernährungsreport des Bundeslandwirtschaftsministeriums zeigt: Heute ernähren sich schon etwa zehn Prozent der Deutschen fleischlos. Laut des Reports im Jahr davor waren es 2020 noch die Hälfte (!). Dieser Effekt hängt mit Corona zusammen, vermuten Forscher:innen, weil die Menschen sich mehr Gedanken über ihre Ernährung machen – und auch darüber, welche Folgen unser Essverhalten für den Planeten und damit letztlich auch für uns hat. Wenn du mehr darüber wissen willst: Ich werde darüber demnächst einen Newsletter schreiben, hier kannst du dich dafür eintragen.
Der Fleischkonsum ging ebenfalls leicht zurück (um 1,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr). Die überwältigende Mehrheit der Deutschen isst aber weiterhin Fleisch.
So also habt ihr in der Umfrage geantwortet:
Gut zwei Drittel der Umfrageteilnehmer:innen können sich grundsätzlich vorstellen, kein Fleisch mehr zu essen, etwas mehr als ein Drittel möchte es auf keinen Fall. Bei denen, die nicht verzichten möchten, gab es einen klaren Hauptgrund: Sie essen zu gern Fleisch. Als am Zweitwichtigsten nannten sie Gründe, die mit Gesundheit und Natürlichkeit zu tun hatten.
„Wollen wir unsere bäuerliche Landwirtschaft aufgeben?“
Was aber, wenn es wirklich einen perfekten Fleischersatz gäbe? Ein Steak aus Pflanzen, das wirklich genau so schmeckt und aussieht wie eins vom Rind? Ein Schweinefilet, dem man nicht anmerkt, dass es aus dem Labor stammt? Für wiederum gut zwei Drittel von denen, die sich eigentlich nicht vorstellen können, auf Fleisch zu verzichten, würde das den Ausschlag geben: Sie hätten dann kein Problem mehr damit zu verzichten.
Aber, und auch das ist interessant: Es bleibt eine große Gruppe, für die es eine Rolle spielt, dass das Fleisch auf ihrem Teller tatsächlich von einem Tier stammt.
Auch für Vegetarier:innen sterben Tiere
Ich vermute, dass zu dieser Gruppe mehr Menschen gehören, die beruflich oder privat mit Nutztieren zu tun haben. Steffi schreibt: „Papa ist Förster und es gibt super-biologisches Fleisch, das sowieso sterben müsste.“ Ein anderes Mitglied, das auch Stefanie heißt, sagt: „Ich kann mir gut vorstellen, kein Fleisch mehr zu essen. Die Frage ist: Wollen wir denn die gesamte Nutztierhaltung aufgeben und damit unsere bäuerliche Landwirtschaft? Ich bin Bäuerin, wir haben einen Milchviehbetrieb mit Ziegen. Was soll mit den männlichen Nachkommen passieren, die keine Milch geben?“
Was Stefanie sagt, ist ein wichtiger Punkt: Kühe, Ziegen und Schafe müssen gebären, damit sie Milch geben. Nur die weiblichen Tiere können wiederum Milch produzieren. Die männlichen Tiere sind für die weitere Milchproduktion also überflüssig und werden geschlachtet. Wer Milch trinkt und Käse isst, nimmt also in Kauf, dass dafür Tiere sterben. Gleiches gilt für Hühner, die männlichen Tiere von Legerassen werden getötet, entweder als Küken oder, bei Zweinutzungsrassen oder in der Bruderhahnaufzucht, ein paar Wochen bis Monate später. Das Kükentöten ist ab 2022 verboten.
Viele Umfrageteilnehmer:innen achten auf Biolabel oder kaufen beim Metzger ihres Vertrauens ein. Andere betonen, dass sie ohnehin bereits wenig Fleisch essen. Diese letztere Gruppe, die oft als Flexitarier bezeichnet wird, ist besonders wichtig für die Frage nach dem Essen der Zukunft. Denn sie ist unter jüngeren Menschen stark.
Ich habe in meiner Umfrage das Alter der Teilnehmenden nicht abgefragt, aber eine repräsentative Umfrage der Grünen-nahen Heinrich Böll Stiftung hat es im Oktober 2020 getan. Ein Viertel der 15- bis 29-Jährigen ist demnach Flexitarier. „Sie essen nur manchmal Fleisch, vor allem in Gemeinschaft, und dann solches, von dem sie wissen, wo es herkommt. Von denen, die Fleisch essen, wollen 44 Prozent künftig den Konsum reduzieren“, steht in der Auswertung der Umfrage.
Noch bemerkenswerter: Fast niemand in der befragten Altersgruppe, egal ob Fleischesser:in oder nicht, findet die heutige Form der Tierhaltung in Ordnung. Fleischkonsum ist also eine starke Generationenfrage. Wer heute 50 ist, hat vielleicht Schwierigkeiten, seine Essgewohnheiten zu ändern. Wer sich in dreißig Jahren zum Abendessen hinsetzt, hat wahrscheinlich längst andere Gewohnheiten.
Es gibt keine Stadt-Land-Spaltung beim Fleisch
Und noch etwas ist aufgefallen: Es stimmt laut der Böll-Umfrage nicht mehr, dass sich vor allem eher gebildete Menschen in Städten um ihren Fleischkonsum Gedanken machen. Zwar gibt es unter Studierenden etwas mehr Veganer:innen. Insgesamt aber sind laut der Studie „erstaunlich geringe Unterschiede bei den soziodemografischen Merkmalen“ zu finden. Auch eine Spaltung zwischen Stadt und Land hat die Umfrage nicht ergeben, genauso wenig wie eine zwischen Ost-West oder Nord-Süd. Ob man Fleisch isst, den Konsum reduziert oder ablehnt, ist heute verstärkt ein politisches Thema und kein privates mehr, glauben die Autor:innen.
Das ist eine wichtige Erkenntnis. Denn es bedeutet, dass die Generation der 15- bis 29-Jährigen einen echten politischen Willen bei diesem Thema hat. Privates Konsumverhalten ist als Hebel nicht stark genug. Politiker:innen überdenken nicht, welche Tierhalter:innen sie subventionieren und der Handel hört nicht auf, mit billigen Schnitzeln zu werben, nur weil mehr Menschen die vegetarischen Köttbullar bei Ikea kaufen. Dafür braucht es eine gesellschaftliche Debatte und politischen Druck. Und beides gibt es jetzt mehr denn je.
Die Menschen in Deutschland hätten die Tierhaltung schon vor zehn Jahren sehr kritisch gesehen, sagte mir die Agrarwissenschaftlerin Gesa Busch, die an der Universität Göttingen am Lehrstuhl Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte forscht. „Früher wurden unsere Studienergebnisse skeptischer aufgenommen, wenn wir sagten, dass die Gesellschaft kritischer wird. Es hieß immer, die Leute kaufen ja doch das billige Fleisch.“ Das hat sich geändert. „Die Branche weiß jetzt, dass sie ein Problem hat. Mittlerweile sagen auch viele aus der Landwirtschaft, wir brauchen eine Transformation.“
Busch führt das auf den gesellschaftlichen Druck zurück. „Die Debatte ist sehr emotional und verankert in der Gesellschaft, deswegen greift auch die Politik das Thema auf. Darauf reagieren dann die Landwirtschaft, Schlachtunternehmen und der Handel. Vor allem viele Landwirt:innen haben Angst, dass sie bald nach höheren Standards produzieren müssen, ohne Kompensation zu bekommen. Das wäre für viele Betriebe das finanzielle Aus. Also hoffen sie auf geeignete Finanzierungskonzepte.“
Auch der neue Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP zeigt, dass etwas in Bewegung ist. 2022 soll endlich ein verbindliches Tierwohllabel kommen, das Haltung, Transport und Schlachtung umfasst. Auch pflanzliche Fleischalternativen will die Regierung fördern. Und Landwirte sollen beim Umbau hin zu mehr artgerechter Tierhaltung Unterstützung kriegen, zum Beispiel bei den Kosten für neue Ställe. Das kostet Milliarden, laut Borchert-Kommission drei bis fünf Milliarden im Jahr. Woher dieses Geld kommen soll, ist noch offen. Im Koalitionsvertrag ist bisher vage von einem „durch Marktteilnehmer getragenen finanziellen System“ die Rede.
Fleischersatz ist Mainstream
Zurück zu meiner Umfrage: Sie zeigt ein weiteres Potenzial. Denn wenn selbst überzeugte Fleischesser zu einem großen Teil bereit sind, auf Fleisch zu verzichten, sofern man ihnen ein perfektes Imitat serviert, spricht das dafür, dass 2051 tatsächlich auf vielen Tellern ein Ersatz-Steak liegen wird. Ich glaube, wir können davon ausgehen, dass es dieses perfekte Produkt wirklich geben wird. Fleischersatzprodukte sind heute schon „keine spleenigen Nischenprodukte mehr, sondern werden Teil des Mainstream-Sortiments“, wie das Zukunftsinstitut schreibt. Ganze Fleischstücke, wie ein Filet, zu imitieren, ist heute noch schwierig, aber bei den stärker verarbeiteten Produkten sieht es anders aus: Schon heute sind pflanzliche und im Labor gezüchtete Burger und Chicken Nuggets um Längen besser als die geschmack- und konsistenzarmen Körnerfladen und Sojabrocken, die noch vor wenigen Jahren das Angebot bestimmten. Und was erst, wenn die veganen Alternativen besser schmecken als das Original?
Viele brauchen Druck von außen, um zu verzichten
Im letzten Teil meiner Umfrage habe ich die zwei Drittel, die sich vorstellen können, auf Fleisch zu verzichten, gefragt, was ihnen dabei helfen würde.
Hier zeigt sich wieder, wie wichtig perfekte Ersatzprodukte sind. Aber auch: dass viele Druck von außen brauchen würden. Zum Beispiel würden sie verzichten, wenn Fleisch sehr teuer wäre oder Fleischesser:innen nicht mehr die Mehrheit ausmachen würden. Wer heute zu einem Grillfest mit Kolleg:innen kommt und vegetarische Wurst mitbringt, wird manchmal immer noch komisch angesehen. Was, wenn es in Zukunft umgekehrt wäre? Ich will keineswegs sagen, dass es ein guter Weg ist, Menschen wegen ihrer Essgewohnheiten auszugrenzen. Aber Tatsache ist, dass das, was als normal gilt, unser Verhalten beeinflusst. Das ist einfach menschlich.
Besser wäre es – und das ist meine persönliche Meinung – wenn es ohne Ausgrenzung funktionieren würde. Wenn diejenigen, die gut auf Fleisch verzichten können oder auch mit veganen Schnitzeln zufrieden wären, ein reiches, bezahlbares Angebot an Alternativen in Supermärkten, Kantinen und Restaurants vorfinden würden. Und wenn diejenigen, die weiter Fleisch von Tieren essen wollen, das ebenfalls könnten. Denn, auch das ist wichtig: Manche Menschen vertragen keine vegetarische oder vegane Ernährung oder künstliche Fleischprodukte, die meistens stark verarbeitet sind. Manche sagen, dass sie auf Fleisch angewiesen sind. Andreas, der an meiner Umfrage teilgenommen hat, schreibt, dass er auf Milchprodukte verzichtet, aber in seinem Beruf mehr als 3.000 Kalorien am Tag verbraucht. „Bei einer fleischlosen Ernährung müsste ich pausenlos essen.“ Und Anna sagt: „Ich brauche manchmal Fleisch als Stärkung, besonders im Herbst.“
Und schließlich ist Genuss auch ein Argument, das ich niemals kleinreden würde (und ich sage das als ziemlich überzeugte Vegetarierin). Gutes Essen ist Lebensqualität. Für manche gehört Fleisch dazu. Das wird sich wahrscheinlich nicht ändern. Wenn es nicht täglich auf den Tisch kommt, sondern ab und zu, zum Beispiel an Weihnachten, dann ist das auch 2051 kein Problem.
Redaktion: Esther Göbel, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Till Rimmele; Audioversion: Iris Hochberger