Eigentlich wollte ich einen ganz anderen Text schreiben. Einen, der zuversichtlich nach vorne blickt, in eine Zukunft, in der es ein großes Problem, das wir heute haben, nicht mehr geben muss. Nämlich, dass Menschen, die gerne Fleisch essen wollen, dafür in den meisten Fällen auf ein System zurückgreifen müssen, das fühlende Lebewesen wie Ikea-Schränke behandelt, wie billig zu produzierende Massenware.
Viel spricht dafür, dass dieses System schon bald ernsthafte Konkurrenz bekommt, dass wir in zehn Jahren Hähnchen-Döner und, ja, sogar Entenstopflebern essen werden können, die nie aus einem tatsächlichen Tier herausgeschnitten wurden. Ich rede von Laborfleisch.
Winston Churchill, der Roastbeef und Brathähnchen liebte, träumte schon 1931 davon. Damals schrieb er einen Artikel, in dem er sich vorstellte, wie die Welt 50 Jahre später aussehen könnte:
„Wir werden der Absurdität entgehen, ein ganzes Huhn zu züchten, um die Brust oder den Flügel zu essen, indem wir diese Teile separat unter einem geeigneten Medium züchten.“ Churchill lag gründlich falsch mit dem Jahr, 1981 aß noch kein Mensch Laborfleisch. Aber seit Ende 2020 werden in Singapur tatsächlich zum weltweit ersten Mal Chicken Nuggets verkauft, für die kein Tier geschlachtet wurde.
Vielleicht hat Laborfleisch gerade seinen Tesla-Moment
Es gibt Stimmen, die sagen, dass Laborfleisch gerade seinen Tesla-Moment habe. Elektroautos gibt es schon seit dem 19. Jahrhundert, aber lange waren sie keine echte Alternative zu Verbrennern: zu langsam, zu wenig Reichweite. Der Durchbruch passierte, als Tesla Motors Lithium-Ionen-Akkus, wie sie auch für Laptops verwendet werden, in schicke, zweisitzige Sportwagen einbaute und 2008 zu verkaufen begann. Der Roadster konnte bis zu 201 Stundenkilometer fahren und hatte eine Reichweite von bis zu 500 Kilometern. Das überzeugte auch den letzten Skeptiker, dass E-Autos cool und schnell sein konnten.
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Laborfleisch wird aus Stammzellen gezüchtet, die sich in einer Nährlösung vermehren, danach wachsen sie in einem Bioreaktor zu Muskelsträngen heran.
Die Idee ist genial, das Verfahren aber auch umständlich und teuer. Den ersten Laborfleisch-Burger hat der Pharmakologe Mark Post an der Universität Maastricht entwickelt. Er bestand aus über 20.000 dünnen Strängen, von Muskelgewebe hergestellt, und kostete über 300.000 Dollar. Aber mittlerweile vermelden Laborfleisch-Entwickler einen Durchbruch nach dem anderen. Der Zeitpunkt, an dem das Produkt überzeugend und günstig genug für die Massenproduktion wird, rückt näher. Eat Just, das Unternehmen, das Singapur die Fake-Chicken-Nuggets verkauft, will als Nächstes in Katar eine Fabrik für Laborfleisch bauen und es von da aus in die Welt exportieren. Nach dem Willen des Unternehmenschefs könnte es schon in zwei Jahren so weit sein.
Eine bescheuerte Wahl für Verbraucher:innen
Das sind gute Nachrichten. Für alle, die sich Sorgen um Klimaschutz, Tierwohl und Ausbeutung machen, aber auch für mich persönlich, weil ich seit zehn Jahren über die Probleme der Fleischproduktion schreibe und meinen Leser:innen damit auf die Nerven gehe, dass Fleischverzicht allein nicht reicht, sie zu lösen.
Ich müsste begeistert sein. Als Journalistin bin ich es auch. Dies ist eine sehr spannende Zeit. Das Fleisch im Supermarktregal und die blutigen Steaks im Restaurant könnten in zehn Jahren ganz andere Produkte sein als heute. Wenn Laborfleisch wirklich nachhaltiger und fairer hergestellt wird als das meiste Tierfleisch heute, wenn wir also nicht ein schlechtes, klimaschädliches, ausbeuterisches Produkt mit einem anderen schlechten, klimaschädlichen, ausbeuterischen Produkt ersetzen, dann ist das eine großartige Entwicklung!
Als Konsumentin muss ich aber sagen, dass ich mich in dieser Situation hilflos und, sorry, ein bisschen verarscht fühle. Wie sind wir an einen Punkt gekommen, an dem wir uns freuen müssen, dass es eine technische (Teil-)Lösung für ein eigentlich perverses Problem gibt? Bei dem wir Verbraucher:innen die bescheuerte Wahl zwischen echtem Fleisch aus einem unerträglichen System und Fleisch-Fakes aus Laboren haben?
Ach ja, komplett verzichten dürfen wir natürlich auch. In dem Wissen, dass unsere persönliche Einschränkung so gut wie keinen Effekt hat. Weil es verdammt noch mal nicht unser Job als Verbraucher:innen ist, mit unseren Kaufentscheidungen eine bessere Welt herbeizushoppen.
Das Tier ist längst zur Technologie geworden
Sobald Laborfleisch geschmacklich und preislich nah genug an echtes Tierfleisch heranrückt, wird die Wahl ziemlich einfach für alle, die keine Lust auf Verzicht haben. Wer Laborfleisch skeptisch sieht, weil es ein Kunstprodukt ist – im Gegensatz zum natürlich gewachsenen Fleisch echter Tiere – sitzt leider einer Illusion auf. Die traurige Wahrheit ist: Die Natürlichkeit ist zumindest der industriellen Tierhaltung längst abhanden gekommen, das Tier ist zur Technologie geworden. Wir brauchen keine Tiere, sondern irgendwelche Apparate, die Fleisch produzieren. Warum sonst gibt seit Jahren Überlegungen, Nutztiere biotechnisch so zu verändern, dass sie einfach nicht mehr leiden? Blinden Hühnern etwa geht es in Massenställen besser. Warum nicht Rinder und Schweine ohne Schmerzrezeptoren, vielleicht sogar ganz ohne Bewusstsein züchten?
„Es ist erstaunlich, wie weit wir zu gehen bereit sind und mit wie viel Einfallsreichtum, um diese Industrie zu schützen – anstatt sie abzubauen und zuzugeben, dass sie ein unüberwindbares ethisches Dilemma darstellt“, schreibt ein Kommentator unter einem preisgekrönten Aufsatz eines Studenten an der Oxford Universität, der diesen Überlegungen nachgeht.
Aber Schluss mit der Bitterkeit. Ich bin bereit, Laborfleisch gut zu finden, wahrscheinlich werde ich das Zeug auch essen, warum nicht. Aber für mich und wahrscheinlich viele andere Konsument:innen ist diese Entwicklung so, als wäre es unser Traum, in den Alpen zu wandern – und stattdessen bietet man uns eine Virtual-Reality-Brille und einen Zerstäuber mit Kräuterwiesenaroma. Ja, die Erfahrung mag täuschend echt sein. Aber die Welt, die damit zusammenhängt, ist nicht die, von der wir geträumt haben.
Schlussredaktion: Bent Freiwald, Bildredaktion: Till Rimmele.