Weibliche Person steigt aus einem Smartphone auf, ein Megaphone hochhaltend und auf das Display weisend.

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Sinn und Konsum

Warum dein bestes Argument nicht immer gewinnt

Nichts ist so frustrierend wie ein schlechtes Gespräch über ein wichtiges Thema. Ich glaube, das können wir besser. Hier ist eine interessante Strategie, die ich entdeckt habe.

Profilbild von Theresa Bäuerlein
Reporterin für Sinn und Konsum

Was haben diese Stichworte miteinander gemeinsam: Impfen. Laschet. Depressionen. Gott. Gendern. Die katholische Kirche. Veganismus. Digitalisierung. Baerbock. Flüchtlingspolitik. Telepathie. Salz?

Sie sind der Stoff, aus dem Konflikte sind. Die Krautreporter-Community hat sie mir als Antwort auf die folgende Frage genannt: „Was waren die Themen, bei denen ihr in letzter Zeit mit Gesprächspartner:innen an eure Grenzen gekommen seid?“

Bei manchen dieser Themen ist die nationale Bedeutung überschaubar. Die Frage, ob Fleur de Sel und normales Küchensalz sich in nichts unterscheiden, ruiniert vielleicht entspannte Abende mit Freund:innen, aber nicht das Land. Andere sind wichtiger. Erst recht in den Wochen vor einer Bundestagswahl. Denn was wir denken, bestimmt, was wir wählen.

Auf die Gefahr, ein bisschen feierlich zu klingen: Demokratie braucht den Austausch von Argumenten und Sichtweisen. In den vergangenen Jahren konnte man den Eindruck gewinnen, dass das immer schwieriger wurde. Dass der Ton unangenehmer wurde, dass die Menschen sich zunehmend ergebnislos anbrüllten.

Ich habe eine wilde These. Ich glaube, wir könnten viel bessere Gespräche führen, wenn wir nur wüssten, wie. Damit meine ich nicht Talkshows oder Politiker:innen-Interviews oder Wahlkampfveranstaltungen. Ich meine auch nicht das Triell der Kanzlerkandiat:innen. Sondern Gespräche, in denen es den Teilnehmenden wirklich um einen inhaltlichen Austausch geht. Darum, wirklich offen zu sein für das, was die oder der andere sagt. Auf der Geburtstagsfeier mit Freund:innen. In der Twitter-Diskussion. Beim Anruf bei den Eltern. Drei Einsichten dazu, wie Gespräche besser werden könnten, beschreibe ich in meinen nächsten drei Artikeln. Dies ist die erste Folge. Sie heißt:

Verlasse dich nicht auf deine besten Argumente

Es ist sehr schwer, jemanden von etwas zu überzeugen. Studien über Studien haben in den vergangenen Jahren gezeigt, dass Menschen erstaunlich resistent gegen Fakten sind, wenn sie an eine Sache glauben (oder an sie glauben wollen). Selbst wenn wir uns größte Mühe geben, unvoreingenommen und rational zu argumentieren, scheitern wir oft. „Für die meisten Menschen sind in der Hitze des Gefechts die Regeln außer Kraft gesetzt“, sagt der Nobelpreisträger Daniel Kahneman. Das kann Gespräche enorm frustrierend machen, wie jede:r weiß, der oder die schon einmal mit guten Argumenten in eine Diskussion gegangen ist, an deren Ende niemand etwas anderes dachte als am Anfang.

Ein Grund dafür ist ein Missverständnis: Wir denken, die stärksten Argumente, die wir in Diskussionen bringen können, sind die, die uns selbst am meisten überzeugen. Das mag für Debatten zwischen Politiker:innen und Aktivist:innen gelten, für einen Schlagabtausch also. Für Gespräche im Freundes- und Bekanntenkreis stimmt es aber nicht.

Bombardieren? Keine gute Strategie

„Wir gehen mit Fakten wie mit Waffen um, mit denen wir unsere Gegner besiegen wollen“, sagt der amerikanische Sozialpsychologe Kurt Gray, der dazu forscht, wie Menschen bei schwierigen moralischen Fragen zueinanderfinden können. „Also nehmen wir unser ganzes Arsenal an Fakten und werfen es dem Gegner entgegen – in der Hoffnung, dass er wenigstens ein paar davon aufnimmt und erkennt, dass sie wahr sind. Und dass wir so einen Konsens und eine gemeinsame Basis schaffen, von der aus man eine fruchtbare Diskussion führen kann. Aber das ist völlig falsch.“ Was er meint: Selbst die besten Argumente helfen nicht, wenn dein:e Gesprächspartner:in sich angegriffen fühlt. „Wenn jemand Sie bombardiert, dann versuchen Sie, auszuweichen“, sagt Gray. Auf eine interessante Lösung, die er und seine Kolleg:innen gefunden haben, werde ich in der nächsten Folge dieser Reihe noch zurückkommen.

An dieser Stelle ist es erst einmal wichtig zu verstehen, dass die Bombardier-Strategie, die Gray beschreibt, Menschen an der falschen Stelle verunsichert. Denn unsere wichtigsten Überzeugungen bestimmen nicht nur, was wir über bestimmte Themen denken, sondern auch, wie wir uns selbst sehen. Dieser Punkt, das Selbstbild von Gesprächspartner:innen, spielt in kontroversen Gesprächen eine große Rolle.

Sagen wir, du bist fest davon überzeugt, dass Bildung ein wichtiger Schlüssel für die Lösung sozialer Ungerechtigkeit ist ist. Dann kommt mein Kollege Bent Freiwald mit diesem Text daher: Dieses Buch hat mir gezeigt, dass mehr Bildung kaum ein Problem löst. Darin schreibt er, dass soziale Benachteiligung sogar zunehmen kann, wenn die Bildungschancen steigen. Angenommen, der Text überzeugt dich davon, dass du bei deinem Herzensthema falsch lagst: Was sagt das über dich aus? Und wenn du in diesem Punkt unrecht hattest, woran solltest du noch zweifeln?

Niemand denkt, dass er ein schlechter Mensch mit miesen Werten ist

Je wichtiger uns ein Thema ist, desto bedeutsamer ist es für unsere Selbstwahrnehmung. Deswegen fällt es oft so schwer, jemand anderem in einer Diskussion zuzustimmen, obwohl seine oder ihre Argumente vielleicht sehr überzeugend sind. Denn politische Überzeugungen sind mit unseren tiefsten Werten verbunden; wer sie anzweifelt, hinterfragt nicht nur ein Argument – sondern etwas Essenzielles, das wir über uns denken. Das ist unangenehm. Menschen wollen, so lautet eine grundlegende Annahme der sogenannten Selbstbestätigungstheorie, ein positives und integres Selbstbild bewahren. Deswegen diskutieren wir oft nur scheinbar über Inhalte und tatsächlich über Selbstbilder.

Hinzu kommt: Jeder denkt von sich, er sei moralischer als andere. Niemand argumentiert aus der Überzeugung, ein schlechter Mensch mit miesen Werten zu sein. Auch Klimaleugner:innen und Impfgegner:innen glauben, dass sie für die Wahrheit kämpfen.

Was das Gespräch mit deinem Vater ruiniert

Sagen wir, du hast mit deinem Vater eine hitzige Debatte über das beliebte Aufregerthema Tempolimit. Du bringst das Argument, das dir am stärksten erscheint: Ein Tempolimit auf Autobahnen könnte dafür sorgen, dass 20 Prozent weniger Menschen in Unfällen verletzt werden und sterben. Dahinter steckt ein hoher moralischer Druck: Denn der Subtext dieses Arguments besagt, dass es deinem Vater egal ist, wenn Menschen sterben, wenn er gegen ein Tempolimit ist. Dein Vater weiß, dass das nicht stimmt. Er glaubt außerdem, dass er selbst ein guter, umsichtiger Fahrer ist. Also verteidigt er sich gegen dein Argument – für das er vielleicht zugänglich wäre, wenn es nicht sein Selbstbild gefährden würde. Gut möglich, dass ein weniger schlagendes Argument zu einem besseren Gespräch geführt hätte: vielleicht der Vorschlag, nur auf Landstraßen die Höchstgeschwindigkeit zu senken, weil hier die meisten Unfälle passieren.

Klingt zu einfach? Das Selbstbild hat eine Kraft, die man nicht unterschätzen sollte. Das lässt sich auch an Studien sehen, in denen die Forscher:innen untersuchten, was passiert, wenn man das Selbstbild von Menschen stärkt, bevor man sie Informationen aussetzt.

In dieser Studie etwa stellten die Forscher:innen einen interessanten Effekt fest, der sich zeigte, wenn Klimaleugner:innen eine simple Übung machten. Sie wurden gebeten, sich an einen ihrer wichtigsten Werte im Leben zu erinnern. Anschließend sollten sie eine Situation beschreiben, in der dieser Wert besonders wichtig für sie war und in der sie zufrieden mit sich waren. Das sollte ihr Selbstbild stärken. Danach beantworteten sie Fragen, wie: „Glauben Sie, dass der Klimawandel eine unbewiesene Theorie ist?“ Die Forscher:innen stellten festen: Nach der Übung hielten die Teilnehmenden weniger an falschen Behauptungen fest. Und zwar selbst, wenn sie keine neuen Informationen bekamen. Sie hatten, vermuteten die Forscher:innen, vielleicht vorher schon ein Gefühl dafür, dass etwas mit ihren Überzeugungen nicht stimmte. Aber sie waren erst bereit, das zu akzeptieren, als man sie in ihrem Selbstwertgefühl stärkte.

Die schärfste Waffe wird zum Gummibeil

Man sollte diesen Effekt nicht überschätzen. Wie und wann genau Selbstbestärkung wirkt, ist noch unklar, wie eine neue Studie gezeigt hat. Deine Diskussionsgegner:innen werden wahrscheinlich nicht reihenweise zu Verbündeten, nur weil du ihr Ego streichelst. Das brauchst du auch nicht. Du sitzt nicht in einem wissenschaftlichen Versuchslabor, sondern am Esstisch mit deinen Verwandten. Es reicht, ihr Selbstbild in schwierigen Gesprächen mitzudenken. Und bei der Gelegenheit am besten auch dein eigenes, denn auch du kannst aus der Fassung geraten, wenn dein Selbstbild ins Wanken gerät. Kein Mensch wird zugänglicher, wenn man ihn als Person in die Defensive bringt. Die schärfste argumentative Waffe wird dann harmlos wie ein Gummibeil.

Besser ist es, einmal tief durchzuatmen. Und zwar am besten genau dann, wenn deine Patentante „Wer heilt, hat recht!“ sagt und die Globuli zückt. Mache dir klar, was das Ziel dieses Gesprächs sein soll. Austausch oder K.-o.-Sieg? Wenn du statt deines stärksten dein zweitbestes Argument bringst, ist das vielleicht weniger befriedigend. Aber es könnte die größere Wirkung haben.


Redaktion: Esther Göbel, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Till Rimmele, Audioversion: Iris Hochberger

Warum dein bestes Argument nicht immer gewinnt

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