Eigentlich ist über Glück schon so viel geschrieben worden, dass ich mir geschworen hatte, in keinem meiner Texte jemals die Frage zu stellen: „Was macht Menschen glücklich?“ Weil ich glaube, dass die Frage nach dem persönlichen Glück mittlerweile zu einem fürchterlichen Klischee geworden ist. Vor meinem geistigen Auge erscheinen sofort Motivationssprüche und Bilder von Leuten, die sich schlank vor Sonnenuntergängen stretchen. Aber natürlich ist die Frage relevant. Sie wird es immer sein. Man muss sie nur jenseits dieser Klischees stellen.
Deswegen arbeite ich gerade an der Recherche zu einem Text, der sich gegen die Klischees vom Glück wendet, die uns alle nerven. Um eines der hartnäckigsten geht es jetzt schon, in diesem Newsletter: Das Klischee, das Geld für Glück keine Rolle spielt.
„Sie ist eine tolle Mutter“, sagte etwa eine Freundin neulich über eine gemeinsame Bekannte. „Sie bringt ihren Kindern bei, dass Geld nicht wichtig ist im Leben und dass sie einfach tun sollen, was sie glücklich macht.“ Ich sagte: nichts. Denn so sympathisch ich die Absicht dahinter finde, so wenig überzeugend finde ich diese Aussage. Denn Geld ist natürlich spätestens in dem Moment sehr wichtig, in dem man Probleme hat, seine Miete zu bezahlen, wie meine Kollegin Rebecca Kelber erlebt hat (sie beschreibt es in diesem Text: Geld ist dir egal? Das ist (wahrscheinlich) eine Lüge).
Zwei Formen von Glück
Viel wichtiger aber noch ist die Tatsache, dass mehr Geld auch dann glücklicher machen kann, wenn man keine existentiellen Probleme hat. Zumindest bis zu einer gewissen Höhe des Einkommens. Die beiden Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman und Angus Deaton haben dazu 2010 diese berühmte Untersuchung veröffentlicht, in der sie ziemlich genau beziffern, bis zu welchem Jahreseinkommen Geld Menschen glücklicher macht: 75.000 US-Dollar, das wären heute umgerechnet etwa 63.000 Euro. Bis zu diesem Jahresgehalt steigt das Glück eines Menschen also wegen seines Einkommens. Danach verliert Geld diese Wirkung. Dabei berücksichtigten die Forscher zwei Formen von Glück, nämlich das aktuelle emotionale Wohlbefinden – wie viel Stress, Traurigkeit, Wut oder Freude und Liebe Menschen erleben – und andererseits die allgemeine Lebenszufriedenheit.
Dieses Jahr ist sogar eine neue Studie erschienen, bei der ein weiterer Ökonom der ersten noch widerspricht: Matthew A. Killingsworth kam zu dem Schluss, dass Menschen auch nach der 75.000-Dollar-Grenze noch glücklicher werden, wenn sie mehr verdienen. Allerdings geht das auch nicht endlos so weiter, glaubt Arthur C. Brooks, der in Harvard Management lehrt und einen Podcast über Glück hostet: The Art of Happiness (in der Folge „How to Buy Happiness“ spricht er über die Killingsworth-Studie). Laut Brooks ergeben die Daten der Killingsworth-Studie, dass das Geld-Glück-Plateau einfach höher liegt, als angenommen: nämlich bei etwa 100.000 Dollar. Danach flacht die Glückskurve signifikant ab.
Das ist ein Newsletter von Theresa Bäuerlein. Parallel zu unseren langen Magazin-Texten verschicken unsere Reporter:innen immer wieder kurze Analysen, Lesetipps und Rechercheskizzen, die einen Blick in ihre Arbeit hinter den langen Stücken ermöglichen sollen. Manche der Newsletter sind Kickstarter für anschließende, tiefere Recherchen. Und manche halten wir für interessant auch für Leser:innen, die die einzelnen Newsletter gar nicht abonnieren. Deswegen holen wir sie ab und an auf die Seite.
Milliardäre sind also nicht automatisch glücklicher als Besserverdiener, weil sie sich Louis-Vuitton-Skateboards für 8.250 US-Dollar kaufen können oder eine mit Kristallen überzogene Hochzeitstorte, logisch. Aber dass viel Geld und viel Glück nichts miteinander zu tun haben, stimmt auch nicht.
Wo jetzt die 100.000 hernehmen?
Ich lege hiermit offen, dass ich keine 100.000 im Jahr verdiene. Sogar ganz entschieden keine 100.000. Das ist angesichts der Killingsworth-Ergebnisse ein bisschen frustrierend. Andererseits ist es wichtig zu verstehen, warum viel Geld diesen Effekt hat. Besserverdiener, sagt Killingsworth, sind auch deswegen glücklicher, weil sie mehr Kontrolle über ihr Leben haben. „Sie können das an der Pandemie sehen. Menschen, die von der Hand in den Mund leben und ihren Job verlieren, müssen vielleicht den erstbesten Job annehmen, um sich über Wasser zu halten, auch wenn es einer ist, den sie nicht mögen. Menschen mit einem finanziellen Polster können auf einen Job warten, der besser zu ihnen passt. Bei großen und kleinen Entscheidungen hat man mit mehr Geld mehr Wahlmöglichkeiten und ein größeres Gefühl von Autonomie.“
Hinzu kommt, dass man mit Geld andere Menschen für Tätigkeiten bezahlen kann, die man selbst nicht aussteht. Und dass Geld auch Zeit kaufen kann – Zeit, die man mit Familie und Freund:innen verbringen kann.
Das heißt also auch: Wenn ich die 100.000 mit einer 70-Stunden-Woche verdiene, bleibt für die Freude an diesem Geld wenig Zeit.
Wenn man genug Geld zum Leben hat, rät Arthur Brooks dazu, den Überschuss nicht wegzukonsumieren, sondern ihn in andere Menschen zu investieren: In gemeinsame Erlebnisse mit Freund:innen und Familie zum Beispiel, aber auch in Spenden und Zeit, die man als Freiwillige:r Organisationen schenkt, die man unterstützen möchte. Denn all das sind ebenfalls wichtige Glücksfaktoren. Und das geht auch mit weniger als 100.000.
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Schlussredaktion: Susan Mücke