Du liest diesen Text auf einem Bildschirm. Würde es dir besser gehen, wenn ich ihn dir ausdrucken und per Post schicken würde? Die Frage ist nicht so seltsam, wie sie vielleicht klingt. Denn es gibt ein Vorurteil gegenüber digitalen Medien: nämlich, dass sie auf eine diffuse Weise schlechter für unser Wohlbefinden sein sollen als Gedrucktes. Mehr noch, es gibt eine Hierarchie der Mediennutzung: Lesen ist besser für uns als Fernsehen, Musik hören erhebender als Computerspiele zocken. Das ist keine offizielle Rangliste, aber würdest du dem widersprechen?
Vielleicht ja, vielleicht gehörst du zu den Menschen, die von einem Samstag auf Netflix genau so stolz erzählen wie von einem Nachmittag mit Nietzsches Werken. Falls das so ist: Glückwunsch, du bist eventuell schlauer als ich. Bis vor ein paar Tagen war ich fest davon überzeugt, dass es Medien gibt, mit denen Zeit zu verbringen, einfach grundsätzlich besser ist. Nicht nur, weil sie dem Gehirn etwas Interessanteres zu tun geben, sondern weil sie mir guttun, meinem Wohlbefinden. Dann habe ich eine kürzlich erschienene Studie gelesen, die genau diese Effekte untersucht. Und bei mir ein paar ziemlich stabil gebaute Gedankengebäude ins Wanken gebracht hat.
Bildschirme machen uns hilflos und abhängig – oder?
Bevor ich weiter auf die Studie eingehe, zwei wichtige Anmerkungen: Erstens, es handelt es sich um einen Preprint. Das heißt, die Studie ist zwar schon öffentlich zugänglich, hat aber noch kein Begutachtungsverfahren durchlaufen. Warum ich trotzdem jetzt schon darüber rede? Weil ich darin einen Gedankenanstoß finde, der bestehen bleibt, auch wenn sich die wissenschaftlichen Erkenntnisse noch ändern sollten. Zweitens, soziale Medien waren nicht Teil dieser Studie. Die sind noch mal eine ganz andere Kiste (um es streng wissenschaftlich auszudrücken). Warum, habe ich in diesem Artikel beschrieben.
Zurück zur Studie: Die Wissenschaftler:innen, die an britischen und österreichischen Institutionen forschen, stellen darin fest, dass die Menschen in den vergangenen Monaten Medien aufgrund von Corona sehr viel stärker genutzt haben. Klar, was sollen wir während Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen schon machen (an dieser Stelle meine Hochachtung an alle, die stattdessen Decken gequiltet oder Querflöte spielen gelernt haben). Darum geht es den Forscher:innen jedoch nicht, sondern um die Tatsache, dass wegen dieser höheren Nutzung auch besonders viel über die Abhängigkeit der Menschen von Technologie geredet wurde. Die ja vermeintlich schlecht ist. Traditionelle Medien wie Bücher gelten als wohltuende Beschäftigung im Lockdown, „neuere“ Medien wie Computerspiele als schädlich. Bildschirme machen uns hilflos abhängig, Medien zum Anfassen tun gut.
Wer sich schlecht fühlt, nutzt Medien anders
Dieses Vorurteil färbt auch die Wissenschaft, meinen die Forscher:innen. Weil die Wirkung neuerer Medien kritischer untersucht wird. Für diese Studie nun haben sie sich sieben neuere und ältere Medienarten zusammen angesehen: Musik, TV, Filme, Videospiele, (E-)Bücher, (digitale) Zeitschriften und Hörbücher. Die Wirkung dieser Medien haben sie bei einer repräsentativen Kohorte von Menschen in Großbritannien betrachtet, und zwar über sechs Wochen während des ersten nationalen Lockdowns im April und Mai 2020. Sie fragten in Umfragen sowohl Zeiten ab, in denen die Teilnehmer:innen diese Medien nutzten, als auch Zeiten, in denen sie es nicht taten. Dabei wollten sie erstens verstehen, wie es den Menschen emotional erging – also wie glücklich oder ängstlich sie sich fühlten. Und zweitens, wie zufrieden die Teilnehmer:innen allgemein mit ihrem Leben waren und wie sinnvoll sie die Dinge fanden, die sie taten.
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Sie stellten fest: Für die Beteiligten spielte es keine wichtige Rolle, welches Medium sie nutzten. Auch die Menge an Zeit, die sie damit verbrachten, war unwesentlich. Kleine Effekte konnten die Forscher:innen vor allem beim Vergleich von Nutzer:innen und Nicht-Nutzer:innen sehen: Die Befragten, die Medien nutzten, fühlten sich generell ein bisschen schlechter als diejenigen, die es nicht taten. Das funktionierte auch umgekehrt: Wer sich schlechter fühlte, verbrachte eher Zeit mit Medien. Die Forscher:innen sahen diese Effekte allerdings nicht in Bezug auf die allgemeine Lebenszufriedenheit der Menschen. Sondern darauf, wie glücklich oder ängstlich die Befragten sich während der sechs Wochen der Studie fühlten.
Teilnehmer:innen, die Fernsehen und Videospiele nutzten oder Musik hörten, fühlten sich ein bisschen schlechter als diejenigen, die das nicht taten. Wieder funktioniert das vielleicht auch in der anderen Richtung: Wer sich schlecht fühlt, sieht womöglich eher fern oder hört Musik. Fürs Lesen oder für Audio-Bücher konnten die Forscher:innen keinen solchen Effekt erkennen.
Zu meinen besten Kindheitserinnerungen gehören Computerspiele
Ziemlich überraschend, oder? Natürlich sind das keine endgültigen Antworten. Das war auch nicht das Ziel der Studie: Die Wissenschaftler:innen wollten anfangen, Lücken in der Forschung zu schließen. Aber unabhängig davon, ob und wie sich die Erkenntnisse noch ändern, finde ich einen Hinweis interessant, der am Ende der Studie steht: Wenn wir über die Wirkung von Medien auf unser Wohlbefinden reden, reicht es nicht, sich die Dosis anzusehen – also wie viel Zeit wir mit Medien verbringen. Interessanter ist, was wir mit Medien machen. Für mich heißt das auch: Ob wir in Zeiten von Kontaktbeschränkungen vor Netflix versinken oder die gesammelten Werke von Thomas Mann lesen, macht vielleicht einen Unterschied bei der Frage, wie viel wir hinterher wissen. Aber das allein sagt nichts darüber aus, wie gut es uns geht.
Ein US-Amerikaner sagte mir einmal: Die Deutschen erkennt man immer daran, dass sie am Flughafen Bücher lesen. Gut, das ist jetzt schon ein paar Jahre her, mittlerweile dürfte es anders sein. Aber was sich nur langsam ändert, ist die Vorstellung, dass manche Medien grundsätzlich bildender und bekömmlicher sind als andere. Ich liebe Bücher. Ich bin ein Mensch, der schon als Kind auf Partys vor den Bücherregalen stand. Aber zu meinen schönsten Kindheitserinnerungen gehören die Stunden, die ich mit meinem großen Bruder bei Computerspielen verbracht habe. Andererseits habe ich sehr, sehr viele Texte gelesen, die mir überhaupt nichts gebracht haben. Als Studentin habe ich teilweise sogar versucht, beim Fahrradfahren zu lesen. Das geht, man darf nur nicht gleichzeitig Kaffee trinken. Ein Zeichen von Intelligenz ist es eher nicht, fürchte ich.
Schlussredaktion: Susan Mücke