Illustration einer weiblichen Person welche ihr Gesicht in den Händen vergräbt.

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Sinn und Konsum

„Leute gelten schon als traumatisiert, wenn sie einen Autounfall beobachten“

Noch nie haben wir so viel über verletzende Erfahrungen wie Mobbing und Diskriminierung gesprochen wie heute. Trotzdem reden wir ständig einander vorbei. Was ist da los?

Profilbild von Theresa Bäuerlein
Reporterin für Sinn und Konsum

Sind die Menschen in Deutschland wütender als früher? Eins ist klar: In unserer Sprache steckt mehr Schmerz. Wir reden häufiger über verletzende Erfahrungen wie Trauma und Missbrauch, Rassismus und psychische Krankheiten. Der Ton ist härter geworden, die Verständigung gleichzeitig komplizierter. Die Philosophin Maria-Sibylla Lotter hat zwischen diesen beiden Entwicklungen einen Zusammenhang beobachtet. Sie meint: Diese Begriffe haben ihre Bedeutung verändert. Weil das für viele unbewusst passiert, reden wir oft aneinander vorbei.


Frau Lotter, aus den USA hört man seit Jahren immer wieder Geschichten wie die einer Schülerin aus Miami, die sich auf Facebook über ihre Lehrerin beschwert hat. Sie bekam einen Verweis wegen „Cyberbullying“. Für mich klingt dieser Begriff wahnsinnig übertrieben. Kennen Sie so etwas aus Deutschland?

So weit ist es hier noch nicht. Aber ich beobachte, dass sich unser Verständnis von einer bestimmten Art von Begriffen auffallend verändert hat. Das sind Begriffe, die Verletzungen und Verletzlichkeiten betreffen. Trauma oder Depression etwa. Oder Gewalt, Hass, Mobbing. Das erste Mal ist mir das aufgefallen, als mein Sohn in der Schweiz eine Primarschule besuchte, er war ungefähr sieben. Eines Tages rief uns die Lehrerin an und erzählte, unser Sohn sei gewalttätig. Mir wurde gesagt, er hätte eine Waffe eingesetzt. Ja, und dann stellte sich heraus, dass er vor der Stunde seinen Schal genommen und versucht hat, mit den Schalenden den einen oder anderen zu erwischen, der gerade in die Klasse ging.

Eine Waffe!

Ich dachte erst, das sei eine Lehrerin mit einem sehr speziellen Sprachgebrauch. Aber beim Elternabend stellte ich fest, dass die anderen Lehrer dieses Vokabular – Gewalt! Waffe! – überhaupt nicht übertrieben fanden. Was Leute wie ich für normales kindliches Verhalten hielten, all das Gekabbel und Unsinn, bevor ein siebenjähriges Kind in der Klasse brav stillsitzen muss, wurde als eine problematische erste Gewaltbereitschaft betrachtet. Und die Gegenstände, die ein Kind in so einer Situation zufällig greift, sind dann eben Waffen. Ich hatte auch den Eindruck, dass die Lehrer den Eltern nicht als Personen von gleich zu gleich begegneten, sondern als Vertreter eine höheren Lehre mit einer Sensibilisierung, die sie in der Ausbildung gelernt hatten.

Wenn ich diese Geschichte höre, denke ich, dass Sie vielleicht an eine Schule mit besonders eifrigen Lehrer:innen geraten sind.

Das war eine ganz normale staatliche Grundschule, daran lag es nicht. Ich beobachte mittlerweile überall, dass Begriffe wie zum Beispiel Gewalt auf neue oder schwächere Phänomene ausgedehnt werden, die vorher gar nicht davon erfasst wurden. Der australische Psychologieprofessor Nick Haslam nennt das „Concept Creep“. Das „Creep“ steht für „schleichend“, der Begriff weitet sich also ganz allmählich und umfasst neue Bedeutungen. Haslam unterscheidet dabei zwischen einer vertikalen und einer horizontalen Dehnung. Horizontal bedeutet, dass Begriffe sich über neue Phänomene ausdehnen, die davon vorher gar nicht erfasst wurden. Zum Beispiel dehnt man den Gewaltbegriff auch auf ungleich verteilte Bildungschancen oder Einkommen aus, das ist dann „strukturelle Gewalt“. Vertikale Ausdehnung bedeutet, dass die Begriffe auf immer schwächere Phänomene angewandt werden. Heute bezeichnen nicht wenige auch Vorurteile als Gewalt, das ist dann „epistemische Gewalt“.

Wie passiert so ein Concept Creep?

Die Gesellschaft wird progressiver. Und wenn Gewalt, Hass und Rassismus aufgrund eines Wandels in den moralischen Vorstellungen und den sozialen Verhältnissen in ihren massiven Formen zurückgehen, wird man für die feineren Phänomene aufmerksam. Je mehr dann darüber kommuniziert wird, desto mehr entsteht aber auch der Eindruck, es würde nicht einen Rückgang, sondern einen Zuwachs an Gewalt, Hass und Rassismus geben. Die Studierenden, die ich heute habe, sind aufgrund der medialen Berichterstattung nicht selten davon überzeugt dass der Rassismus in der westlichen Gesellschaft seit den Fünfzigerjahren ständig zugenommen hat. Das ist ein irreales Weltbild. Gleichzeitig wird die begriffliche Dehnung von Begriffen wie Rassismus durch akademische Diskussionen vorangetrieben, die von Personen ausgehen, die ich moralisch-politische Entrepreneure nenne. Das sind progressive Akademiker, die bestimmte Vorstellungen davon haben, was sich in der Gesellschaft verbessern sollte. Zudem wollen sie in ihrem Fach Karriere machen und müssen sich in ihrer Forschung von anderen unterscheiden. Und da bietet es sich natürlich immer an, dass man einen neuen Begriff erfindet, wie strukturelle Gewalt, Mikroaggressionen und dergleichen. Von neuen Begriffen geht immer eine gewisse Faszination aus. Der britische Philosoph Alfred North Whitehead hat sie „geistige Köder“ genannt. Eine Weile kursieren diese Begriffe nur im akademischen Milieu, ein paar Jahre später werden sie aber auch durch Journalisten und Lehrer verbreitet, die diese Begriffe von der Universität mitbringen.

Sprache verändert sich doch dauernd, weil Menschen und Gesellschaften sich verändern. Wo ist das Problem?

Es gibt verschiedene. Ein Verständigungsproblem entsteht daraus, dass die Veränderung nicht überall gleichzeitig passiert. Die meisten Menschen gebrauchen Begriffe wie „Rassismus“ oder „Hass“ heute noch so, wie sie das als Kinder gelernt haben. Eine akademisch gebildete Elite glaubt jedoch, dass eine Einsicht in die wahren politischen Probleme jetzt eine andere Begriffsverwendung erfordert. Wenn wir uns aber nicht mehr einig darin sind, wie Tatsachen angemessenerweise zu beschreiben sind – ob ein Schal etwa eine Waffe sein kann – können wir uns schlechter verständigen. Wenn mir also, sagen wir, Rassismus vorgeworfen wird, kann es sein, dass ich das als extremen Angriff empfinde. In meinen Augen bedeutet Rassismus, dass ich manche Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe für minderwertiger halte als andere. Mein Gesprächspartner hält aber vielleicht schon meinen Glauben, ich sei keine Rassistin, für einen untrüglichen Beweis meines Rassismus. Dann reden wir natürlich aneinander vorbei. Andere Begriffsverschiebungen wie bei „Trauma“ oder „Depression“ sind den meisten hingegen gar nicht bewusst. Dann nehmen viele sie nicht als eine neue Verwendung von Begriffen wahr, sondern als eine Veränderung der Lebenswelt. Sie wundern sich etwa, warum die Menschen heute so leicht „traumatisiert“ sind und die Depressionen zunehmen. Und interpretieren das so, dass die Kultur irgendwie nicht mehr stimmt und die Menschen immer mehr psychische Probleme haben.

Nick Haslam hat 2016 eine Forschungsarbeit veröffentlicht, für die er sich Konzepte wie Missbrauch, Mobbing, Trauma, psychische Störungen, Sucht und Vorurteil angesehen hat. Er kam zu dem Schluss, dass die Grenzen dieser Begriffe weiter geworden sind, weil wir immer sensibler dafür werden, was anderen Schaden zufügt. Das ist doch gut, oder?

Ja, für diese begrifflichen Dehnungen gibt es meist erst einmal
gute Gründe. Nehmen wir den Begriff „Trauma“. Der wurde im 19. Jahrhundert ursprünglich auf Hirnverletzungen angewendet. Wenn ein Soldat aus dem Krieg zurückkam und es nicht geschafft hat, sein normales Leben wieder aufzunehmen, hat man das als Charakterschwäche angesehen. Man wusste natürlich, dass Kriegsrückkehrer geschädigt sind, aber hat daraus nicht geschlossen, dass sie besondere Aufmerksamkeit und Rücksicht benötigen. Da sind Medizin und Gesellschaft sensibler geworden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Traumabegriff zunehmend auf psychologische Phänomene angewendet. Man hat etwa für Soldaten mit bestimmten Problemen eine Posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Das verändert auch den Umgang der Mitmenschen mit den Betroffenen. Sie betrachten den Zustand des Betroffenen nicht mehr als etwas, das ganz normal in den Verantwortungsbereich dieser Person selber fällt. Man versteht, dass sie Hilfe braucht. Heute wird der Traumabegriff aber immer mehr auf beliebige Phänomene angewendet, die irgendwie damit zu tun haben, dass Menschen etwas zustößt, das negativ in ihnen nachwirkt. Leute gelten schon als traumatisiert, wenn sie einen Autounfall beobachten und diese Erfahrung eine Weile nachhallt.

Ein Problem dabei ist, dass die Sprache entleert und unpräzise wird. Damit die Aussage „XY ist durch dieses Ereignis traumatisiert“ irgendeinen Sinn hat, muss ich Kriterien haben, um festzustellen, ob die Aussage wahr ist oder falsch. Wenn aber Begriffe wie Trauma, Gewalt und Hass so stark gedehnt werden, dass ich entsprechende Aussagen kaum noch falsifizieren kann, werden sie zu bloßen Sprachhülsen. Das führt dazu, dass man sich beim Sprechen nicht mehr gegenseitig informiert, sondern nur noch so tut als ob.

Ich gebe zu, dass ich erst kürzlich zu einem Freund gesagt habe, es sei eine traumatische Erfahrung für mich gewesen, dass eine Netflix-Serie abgesetzt wurde. Das war natürlich ein Witz. Aber mir fällt in meinem Umfeld schon auf, dass wir das Wort „Trauma“ ziemlich großzügig verwenden.

Wenn Sie das ironisch gemeint haben, zeigt es eher an, dass die begriffliche Dehnung den Traumabegriff noch nicht ganz entleert hat – die ironische Verwendung eines Ausdrucks funktioniert ja nur, solange andere sie überhaupt als übertrieben wahrnehmen können. Erst wenn das nicht mehr geht, ist das Wort ganz unbrauchbar geworden.

Ein weiteres Problem, über das wir noch nicht gesprochen haben, ist die Veränderung des Selbstverständnisses durch die begriffliche Dehnung. Nehmen sie den Begriff Depressionen. Vielleicht stellen sie fest, dass es mehr Menschen mit Depressionen in ihrem Umfeld gibt. Das hat auch damit zu tun, dass der Begriff jetzt auf Phänomene angewendet wird, die man früher ganz selbstverständlich als normale Krisenerscheinungen gesehen hat, die jedem im Leben öfter mal zustoßen. So verleitet man die Betroffenen natürlich auch dazu, sich nicht mehr als selbstverantwortlich, sondern als Kranke zu begreifen.


Ein Porträt von Maria-Sibylla Lotter, die lächelnd nach links schaut.

Foto: Privat

Maria-Sibylla Lotter, Jahrgang 1961, ist Professorin für Ethik und Ästhetik an der Ruhr-Universität Bochum. Sie hat in Freiburg, Berlin und St. Louis Philosophie, Ethnologie und Religionswissenschaft studiert. 2010 hat sie an der Universität Zürich habilitiert. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Geschichte der Philosophie und der Ethik, Schuld und Verantwortung, Lüge und Täuschung, die ästhetischen Dimensionen der Ethik, Ethik des Alltagslebens und Film.


Man könnte doch auch sagen: Früher wurde nicht anerkannt, dass Menschen depressiv sind und die Erwartung war, dass man sich halt zusammenreißt. In diesem Sinne ist es doch auch wieder positiv, dass wir heute sensibler sind.

Da haben Sie Recht. Besonders, wenn es um eine Depressivität geht, auf die man wirklich keinen Einfluss nehmen kann, die eine nicht-gewöhnliche Form der Traurigkeit ist und zum Beispiel genetisch bedingt. Dass man das als Krankheit anerkennt, ist natürlich eine ungeheure Erleichterung für die Betroffenen. Abgesehen davon, dass sie dann eben auch die nötige medizinische Unterstützung erhalten. Aber wenn die Traurigkeit, Schlaflosigkeit, Mutlosigkeit, Antriebsschwäche und so weiter als Depression interpretiert werden, die typische Begleitumstände von gewöhnlichen Lebenskrisen nach Todesfällen oder Trennungen sind, dann glaube ich nicht, dass das für die Menschen immer gut ist. Oder jedenfalls für ihre Fähigkeit, ihr Leben selbst zu bewältigen.

Haslam sieht die Gefahr, dass „alltägliche Erfahrungen pathologisiert“ werden und „ein Gefühl der tugendhaften, aber ohnmächtigen Opferrolle gefördert wird.“

Concept Creep kann Menschen, die sich einer Opfergruppe zurechnen, suggerieren, dass sie leicht traumatisierbar seien. Und andere verstehen sich dann als Beschützer und glauben, dass sie jeden in die Schranken weisen müssen, der etwa eine Frau mit einer potentiell misogynen Bemerkung verletzen könnte. Wer einer diskriminierten Gruppe zugehört, glaubt oft, es sei seine oder ihre Pflicht, potentielle verbale Gewalttäter in ihre Schranken zu weisen. Ich bin natürlich auch dafür, dass sich Schwule, Frauen, Schwarze wehren sollten, wenn sie den Eindruck haben, sie werden auf irgendeine Weise abfällig behandelt oder betrachtet. Aber es gibt nun einmal viele Missverständnisse zwischen Menschen, immer rumpelt es irgendwie in der menschlichen Interaktion, und wenn man hier nicht eine gewisse Großzügigkeit und einen gewissen Humor pflegt, kommt ein aggressiver selbstgerechter Ton hinein. Das ist für das wechselseitige Verstehen tödlich.

Das Problem ist doch, dass die Arbeit dann bei den Betroffenen liegt. Müssen die sich immer auf langwierige Gespräche einlassen? Haben nicht diejenigen, die in einer privilegierten Position sind, die Aufgabe zu verstehen, wie sie andere verletzen?

Ja, das klingt theoretisch irgendwie gut, bloß ist es nicht anwendbar. Die Welt ist nicht so aufgeteilt, dass immer, wenn zwei Menschen da sind, einer ganz eindeutig unprivilegiert und einer privilegiert ist und man daraus irgendwelche Pflichten ableiten könnte. Meistens ist es so, dass sich jeder für ein Opfer hält. Die einen halten sich für ein Opfer, weil sie einer gesellschaftlichen Gruppe angehören, die diskriminiert wird, die anderen halten sich für ein Opfer des Zeitgeistes oder einer feindlichen Einstellung der anderen. Meistens ist es beides. Wenn in der Kommunikation Irritationen aufkommen, dann muss nachgefragt und verhandelt werden. Und dann können beide Seiten etwas davon lernen. Es kann ja sein, dass man aus Versehen etwas sagt, was die Gesprächspartnerin ganz anders aufnimmt. Es könnte aber auch sein, dass der Sprechende etwas Neues lernt, nämlich, dass eine bestimmte Redewendung ganz unangenehm aufgefasst werden kann. Das ist etwas, das sich in einer offenen und wohlwollenden Form des wechselseitigen Austausches allmählich herausstellen kann.

Kann es sein, dass Debatten in Deutschland manchmal auch deswegen entgleisen, weil wir amerikanische Begriffe übernehmen?

Ja, oft führt es zu Missverständnissen, wenn Begriffe aus einem anderen kulturellen Kontext übernommen werden. Ich merke das auch an meinen Studierenden. Wenn zum Beispiel im akademischen Bereich in Deutschland das Wort „Hassrede“ benutzt wird, ist damit „Hate Speech“ gemeint. „Hate Speech“ bedeutet, dass man sich in einer Weise ausdrückt, die andere Personen oder Gruppen herabsetzt und verunglimpft. Meine Studierenden denken aber zunächst, es ginge um Hass als Emotion, weil sie natürlich die Begriff deutsch verstehen.

Ist das nicht ein Problem, das sich mit der Zeit selbst erledigt? Vielleicht sind wir gerade in einer Zeit, in der diese Begriffe verschoben werden und für spätere Generationen wird es ganz normal sein, Begriffe wie Trauma, Depressionen und Rassismus breiter zu verwenden.

Ich glaube nicht, dass das ein reines Generationenproblem ist, sondern auch ein soziales. Es geht um die Verständigungsmöglichkeiten zwischen einem Teil der Akademiker und all denen, die nie an der Universität waren. Das kann sich natürlich auch politisch auswirken. Wenn die einen die anderen für unsensibel halten und die anderen die einen für spinnert und überempfindlich, dann haben wir ein Problem. Verständigung funktioniert immer nur dann gut, wenn die Menschen sich gegenseitig Urteilskraft zutrauen, auch wenn sie andere Ansichten haben. Ich glaube, wir kommen alle relativ gut damit zurecht, dass andere Menschen andere Meinungen haben, politisch und moralisch. Aber wenn man unterstellt, die Meinung der anderen Seite ergäbe sich aus einer mangelnden Sensibilität oder umgekehrt einer Überspanntheit und Ideologisierung, dann funktioniert es eben nicht mehr.

Entsteht dieses Verständigungsproblem vielleicht auch deswegen, weil wir heute so viel schriftlich kommunizieren?

Schriftliche Kommunikation ist grundsätzlich sehr schwierig, selbst wenn man nicht das Problem vom Concept Creep hat. Weil das, was jemand schreibt, auf alle möglichen Weisen verstehbar ist. Wenn eine Person in Eile ist, formuliert sie vielleicht unabsichtlich auf eine Weise, die auf andere unfreundlich und aggressiv wirkt. Das würde alles im mündlichen Kontakt nie passieren, weil man auch unbewusst sofort merkt, ob die Person gerade in Hektik oder Eile ist. Wenn dann mal ein sprachlicher Unfall passiert oder eine Betonung ein bisschen unfreundlich erscheint, kann man nachfragen. Das alles geht ja nicht im Schriftlichen.

Wie ging die Geschichte mit ihrem Sohn und seiner Schal-Waffe eigentlich aus?

Wir haben ihn später auf eine andere Schule gegeben. Auf eine Privatschule, wo den Kindern noch erlaubt wurde, sich ganz normal zu kabbeln. Mit dem schmerzhaft teuren Schulgeld konnten wir uns leichter abfinden als mit der Pathologisierung kindlicher Unruhe und mit Machtkämpfen.

Sie haben ihren Sohn auf eine Privatschule geschickt, damit er sich kabbeln konnte?

Da durften sie sogar mit Stöcken aufeinander schlagen. Allerdings wurde ihnen dann gesagt, dass sie sehr aufpassen müssten. Und das fand ich gut, weil sie auf diese Weise ja auch lernen, die Grenzen zu erkennen und erfahren konnten, wann man zu weit geht. Diese ganzen Lernprozesse, die nötig sind, um die Perspektiven anderer einzunehmen, tun eben manchmal auch weh.


Redaktion: Philipp Daum; Schlussredaktion: Susan Mücke; Bildredaktion: Till Rimmele