Homosexuelle dürfen nicht von katholischen Priestern gesegnet werden, verlautete es jüngst aus Rom. Damit bekommen sie auf der langen Liste der Dinge, die Geistliche — vom Autobahnzubringer bis zu Waffen — segnen, keinen Platz. Die Begründung lautete: Gott segnet keine Sünde.
Nach katholischem Glauben ist nur Heterosexualität erlaubt. Und selbst die nur unter zwei Bedingungen, nämlich, dass sie innerhalb der Ehe stattfindet und ausschließlich der Fortpflanzung dient. Von Masturbation bis zur Homosexualität ist alles andere verboten. Die katholische Sexualmoral passt also auf einen Bierdeckel. Das will etwas heißen in einer Welt, von der viele sagen, dass sie immer komplizierter werde.
Der Papst selbst hatte sich vor der Veröffentlichung des Schreibens mehrfach, wie es von Beobachtern bewertet wurde, positiv über Homosexuelle geäußert. Das hat die Glaubenskongregation, eine Zentralbehörde der katholischen Kirche, zu ihrer Stellungnahme bewogen, die als “responsium ad dubium” vefasst wurde, als Antwort auf einen Zweifel. Eine der positiven Äußerungen des Papstes war der äußere Anlass dafür: Franziskus sagte in einem Interview, dass homosexuelle Paare in einer staatlichen Zivilehe rechtlichen Schutz für sich erhalten sollten. Das wurde allgemein hin als Aufwertung von homosexuellen Menschen empfunden. Die aber keinerlei Auswirkung auf die katholische Morallehre haben würde, da der Papst sich ja nicht darauf bezogen hatte.
Um doppelt sicherzugehen, wurde die Aussage des Papstes erst aus dem Interview getilgt — sie kam nun wieder zum Vorschein, als die nicht autorisierte Abschrift des Interviews auftauchte — , zudem verfassten die Glaubenswächter ihr Antwortschreiben, um noch einmal klar die katholische Position zu zementieren. Der Papst, so heißt es, erteile dem Schreiben nun seinen Segen.
Im Prinzip ist es ein wahnwitziger Vorgang, der vor Augen führt, wie bitter es um das Pontifikat von Papst Franziskus bestellt ist: Denn die vom ihm, nicht nur an dieser Stelle, aufgeworfene Frage nach der Haltung der Kirche zur Homosexualität wird von seiner obersten Glaubensbehörde nun in Ton und Inhalt scharf zurück gewiesen. Und das nicht zum ersten Mal.
Ein Desaster für den Papst
Für viele roch es nach der Wahl des Argentiniers Jorge Mario Bergoglio zum Papst Franziskus nach Aufbruch. Dann brachte eine Familiensynode, die einberufen wurde, um die Bierdeckel-Sexualmoral zu diskutieren, nichts Neues zustande. Das Ansinnen, dass wiederverheiratete Geschiedene die Sakramente empfangen dürfen, ließ man kalt abblitzen. Ein Desaster für den Papst, der nach Ansicht vieler dafür gewesen war.
Um sich das Ausmaß dieser pastoralen Katastrophe etwas besser vorstellen zu können: Zu Christi Zeiten wurden die Menschen im Durchschnitt dreißig Jahre alt. „Bis dass der Tod euch scheidet“ hat deshalb in einer Welt, in der Menschen gerne 70, 80, 90 Jahre oder älter werden, eine ganz andere Dimension. Was man sich in jungen Jahren versprach, war aufrichtig gemeint, aber ein Mensch ist mit 30 ein anderer als mit 50. Es gibt keine Garantie, dass jede Ehe den Veränderungen des Lebens standhalten kann.
Gerade von einem Papst, der eines Tages aus heiterem Himmel zur Verwunderung des Päpstlichen Haushalts ein „heiliges Jahr der Barmherzigkeit“ ausrief, dürfte man eine solche, am Menschen orientierte, barmherzige Lehre erwarten.
Und dann ist da noch die Amazonas-Synode, auf der die Seelsorge in Brasilien diskutiert werden sollte. Eine Idee war, ob man vielleicht in den Tiefen des Amazonas-Regenwaldes verheiratete Priester einsetzen könnte. Die Hardliner in Rom sahen das als eine Finte, die dazu führen sollte, aus einer Ausnahme in einem entlegenen Winkel den Normalzustand in der ganzen katholischen Welt zu machen. Das Ansinnen wurde abgeschmettert.
Auch beim Thema Frauen am Altar bleibt – selbstverständlich – alles beim Alten: Frauen sind im katholischen Glauben den Männern nicht gleichgestellt, sie dürfen nicht „in persona Christi“ die Sakramente spenden. Jesus war ein Mann, deswegen müssen Priester Männer sein, lautet die Faustformel, mit der die schlichten Gemüter in Rom für die 1,2 Milliarden Katholiken Theologie machen. Auch hier wird dem Papst nachgesagt, dass er gerne über den Status Quo hinausschauen würde. Dabei hat er in allen Punkten, in denen er Modernisierung vorsichtig angeregt hat, nichts zustande gebracht. Wie konnte das geschehen?
Wer in der katholischen Kirche eine Reform möchte, der muss Gedanken gut und standfest theologisch ausformulieren, und sie in den Zusammenhang mit biblischer Offenbarung und kirchlicher Tradition bringen können. Dann braucht es die Kirchenrechtler, die das Theologische rechtlich ausformulieren und wasserdicht machen. Wie im säkularen Staat gilt auch bei der Kirche: Gesetze müssen handwerklich gut gemacht sein, sonst haben sie keine Kraft.
Die Maschinerie der katholischen Kirche funktioniert deshalb schon so lange, weil sie sich als Rechtsgemeinschaft versteht, deren Verfassung und Gesetz im Kanonischen Recht niedergelegt ist. Und drittens bräuchte ein Reformer Menschen, die diese Neuausrichtung im Apparat durchsetzen.
Nichts davon ist Papst Franziskus gelungen. Er stilisiert sich gern als einfachen Pfarrer vom Land, was charmant klingen mag. Aber auch Joseph Ratzinger – Papst Benedikt – nannte sich bei seiner ersten Ansprache als Papst einen „einfachen Arbeiter im Weinberg des Herrn“. Benedikt hatte aber zu dem Zeitpunkt bereits mehrere Jahrzehnte in der Kirchenhierarchie in Rom abgeleistet.
Sie führen Franziskus am Nasenring durch die Manege
Mit Benedikt musste man nicht einer Meinung sein, man wusste aber, woran man war. Wenn er in seiner Zeit als Kardinal nachmittags in einer alten, schwarzen Soutane auf der im Schatten gelegenen Seite des Borgo Pio, unweit des Vatikan, spazierte, hielt er sich nicht nur körperlich fit, sondern durchdachte sein Wirken auch im Hinblick auf seine innerkirchliche Wirksamkeit. Das tat er übrigens schon für seinen Vorgänger Johannes Paul II., der ihn zum Präfekten der Glaubenskongregation und damit zu einem der mächtigsten Männer im Vatikan und der katholischen Welt gemacht hatte.
Beide, Johannes Paul II. und Benedikt XVI., sprachen an Weihnachten und Ostern die Feiertagsgrüße von der Loggia des Petersdoms in vielen Sprachen der Welt. Franziskus, der keine Fremdsprache fließend spricht, hat diesen Brauch abgeschafft. Im Vatikan haben sie darüber geätzt und ihn einmal mehr als Bauerntrampel abgestempelt. Kein geringerer als der pensionierte Papst erklärte der Welt in einem furiosen Aufsatz, was sein Nachfolger mit diesem ominösen Jahr der Barmherzigkeit gemeint haben könnte. Damit hat er dem theologisch nicht sattelfesten Bergoglio vor einer Blamage bewahrt, ihn gleichzeitig aber auch sanft vorgeführt.
Noch heute führen viele der von Joseph Ratzinger bestellten Männer die Geschäfte im Vatikan. Sie führen Franziskus am Nasenring durch die Manege und kassieren einen seiner Vorschläge nach dem anderen ein. Benedikt hat wiederum Standardwerke über Jesus Christus und über die Kirche geschrieben, er ist in der Patristik, also in der Lehre der frühen Kirche in den ersten Jahrhunderten, bewandert wie kein zweiter. Er war als junger Mann beim Zweiten Vatikanischen Konzil dabei, damals noch als junger Revoluzzer. Dieses Konzil hat die Kirche seinerzeit in der Tat reformiert, sie in der modernen Welt positioniert und zum Dialog mit dem Judentum und den anderen Religionen verpflichtet. Ratzinger weiß, wie man Wandel gestaltet — und ihn verhindert. Ratzinger hinterlässt ein Erbe, das noch lange nach seinem Tode wirken wird. Die Kirche jedenfalls funktioniert heute in jedem Fall noch nach dem Takt, den er ihr vorgab, acht Jahre nach seinem Rücktritt.
Während seiner Amtszeit, als er im Jahr 2011 in Deutschland war, hielt er eine Rede, in der er die „Entweltlichung der Kirche“ forderte. Das klang danach, dass die Kirche sich verändern, zu ihrem Kern zurückfinden müsse. Andere Interpreten sahen darin den Angriff Benedikts auf das deutsche Kirchensteuersystem. Dieses ist nämlich mit dem kanonischen Recht nicht kompatibel, da die katholische Kirche in Deutschland den Eindruck erweckt, dass zu ihr nur die gehören, die für den Sakramentenempfang auch jeden Monat ordentlich in ihre Tasche zu greifen bereit sind.
Heute wissen wir, dass Benedikt all das nicht gemeint hat: Für ihn ist die Zeit der Volkskirche zu Ende, eine Zeit, in der die Mehrheit der Menschen in Deutschland und Europa Christen waren. Die Gläubigen seien vom Zeitgeist angesteckt, der, quasi frisch aus der Hölle, jeden Tag relativistisches Zeug aus den Tabernakeln des Bösen — Bildschirme aller Art — in die Hirne, Herzen und Seelen der Menschen ergieße. Nur die auserwählten Wenigen machen angesichts dieser diabolischen Bedrohung die wahre Kirche aus! Mag Benedikt 1965, als das Konzil endete, noch ein Progressiver gewesen sein, änderte sich das mit der 68er-Bewegung, deren Radikalität ihn, den scheuen und ruhigen Mann, in seinen Grundfesten erschütterte. Wenn es in der Kirche still und leer ist, wenn der Irrtum aus ihr vertrieben ist, erst dann ist sie für Benedikt die wahre Kirche.
Es ist gewollt, dass die Herde der Gläubigen kleiner wird
Auch wenn der Herr spricht, dass er gekommen sei, um die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten (Lk. 5,32), hat der Heiland die Rechnung ohne seinen Stellvertreter gemacht: Wenn das Kirchenrecht geschliffen und gekonnt formuliert ist, dann kann selbst der Allmächtige nicht daran rütteln.
So gleitet die Kirche ab in ein Pharisäertum, dass die Menschen in Scharen aus ihr treibt, bis am Ende eine, Ratzinger würde sagen, kleine Herde zurück bleibt. Die kleine Herde ist nicht mehr als eine Sekte, die sich in ihrer selbstgeschaffenen, kleinen Realität abmüht, die eigenen Standards zu halten, was, wie wir wissen, ja nicht gelingt. Der Missbrauchsskandal spricht Bände.
Das mag die Außenstehenden nicht bekümmern. Wichtig ist zu verstehen, dass es gewollt ist, dass die Herde kleiner wird, dass die Menschen sich nach einem „responsum ad dubium“ von der Kirche abwenden. Kopfschüttelnde Reaktionen sowie die Austrittszahlen beirren die Hardliner Benedikts nicht, sondern sie spornen sie noch an: alles richtig gemacht!
Warum betet heute niemand mehr zu den alt-ägyptischen oder griechischen Göttern? Nicht, weil man an sie nicht mehr glauben könnte — an die Auferstehung Christi zu glauben, war und ist eben eine Glaubenssache. Wie es in der Schrift heißt: „Wer es fassen kann, der fasse es“ (Mt. 19,12).
Religionen verschwinden dann, wenn sie die Lebenswirklichkeit der Menschen nicht mehr verstehen und kein Stichwortgeber und Entscheidungshelfer mehr sein können. In diesem Zustand ist die katholischen Kirche, die seit den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts kontinuierlich Gläubige und Einfluss verloren hat.
In dem katholischen Dorf, aus dem ich stamme, hatte eine Familie in der Generation meiner Großeltern noch acht Kinder, das war nichts ungewöhnliches. Eine Generation später waren es nur noch zwei oder drei. Entweder haben die Menschen nicht mehr „geschnackselt“ oder sie haben die Pille genommen.
Ich gehe von zweitem aus. Es sind nie alle Katholiken zur Sonntagsmesse erschienen. Aus den 60 Prozent, die nach dem Kriege kamen, waren zu meiner Ministrantenzeit, in den neunziger Jahren, 25 geworden. Wenn zu Fronleichnam die Prozession durch die mit Blumen geschmückten und Fahnen behängten Straßen unseres Dorfes zog und hunderte Christgläubige, begleitet von der Feuerwehrkapelle, aus vollen Kehlen „Deinem Heiland, deinem Lehrer“ schmetterten und das Knie beugten, wenn der Pfarrer sie mit der Monstranz segnete, bestand kein Zweifel daran, dass der Herrgott katholisch ist.
Heute gibt es nur noch alle paar Jahre eine Prozession, weil die Kirchengemeinden des Tales zusammengelegt sind und der eine Pfarrer sich ja nicht teilen kann. Jedes Jahr ist eine andere Ortschaft dran.
Heute gehen weniger als zehn Prozent der getauften Katholiken in Deutschland regelmäßig zur Messe. Wegen der Pandemie finden zudem, bei uns daheim zumindest, keine Gottesdienste mehr statt; meine mittlerweile in die Jahre gekommene Lieblingstante schaut am Sonntag den Gottesdienst im Fernsehen. Von meinen Freundinnen und Freunden, die mit mir Ministranten waren, gehen die wenigsten noch regelmäßig zum Gottesdienst. Ich sage das, um aufzuzeigen, dass eben nicht die wegbleiben, die noch nie gekommen wären, sondern die gehen, die doch eigentlich ein Leben lang dabei bleiben wollten.
Heilige Messe und Blowjob nebeneinander
Als ich im September 1998 begann, für ein Jahr an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom zu studieren, fielen mir schon an meinem ersten Tag die kreisrunden Löcher auf, die in die Holzwände der Trennkabinen in der Herrentoilette im Erdgeschoss, gleich neben der Cafeteria, gefräst waren. Für jeden, der seine Pubertät nicht hinterm Mond verbracht hat, war klar, für was diese Öffnungen da waren. Für die Unschuldigen unter den Leser:innen: Auf der einen Seite der hölzernen Trennwand, die ironischerweise nach altem Beichtstuhl roch, schob ein Seminarist, Priester oder Mönch sein erigiertes Glied hinein, auf der anderen Seite wurde es behände von einem anderen Seminaristen, Priester oder Mönch in den Mund genommen.
Bei meinem letzten Besuch in Rom vor einigen Jahren habe ich meine ehemalige Universität, die Gregoriana, wieder besucht. Die Cafeteria ist noch an ihrem alten Ort, modernisiert, so wie die Toilettenanlagen nebenan. Die Kabinen sind jetzt gemauert, um dem augenscheinlichen Nebeneinander von Heiliger Messe und Blowjob ein Ende zu bereiten.
Doch mit dieser kosmetischen Änderung ist nichts gewonnen. Entweder die Kirche reformiert sich grundlegend oder ihre Tage sind gezählt.
Von Franziskus ist hier nichts zu erwarten. Aufgrund seines Rücktritts nur von Unwissenden als Interims-Papst belächelt, hat doch keiner so sehr die katholische Kirche im 20. und 21. Jahrhundert geprägt wie Joseph Ratzinger. Vom Verbot des Frauenpriestertums bis zu den grundlegenden Äußerungen zu menschlicher Sexualität: Alles wanderte über seinen Schreibtisch, alles trägt seine Handschrift. Benedikt der Große!
Papst Franziskus mimt päpstlich vor sich hin, irgendwo hinten im Kräutergarten. Den Eingang zum Weinberg haben ihm die Prälaten nicht gezeigt.
So ist Benedikt und seinen Mannen am Ende etwas Unerhörtes, ein Kunststück gar, gelungen: Während des Pontifikats eines liberalen Papstes haben die Liberalen die Kirche auf Nimmerwiedersehen verlassen. Und so hören manche, wenn das Portal der Kirche ein letztes Mal hinter ihnen ins Schloss fällt, ein sanftes, gehauchtes „Pfiat erna!“. Was auf Bayrisch bedeutet: „Leben Sie wohl!“
Alexander Görlach ist Honorarprofessor für Ethik und Theologie an der Leuphana Universität in Lüneburg. Der promovierte Theologe und Linguist studierte unter anderem an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom.
Redaktion: Theresa Bäuerlein; Schlussredaktion: Tarek Barkouni; Bildredaktion: Till Rimmele; Audioversion: Christian Melchert.