Milliarden Menschen haben in den vergangenen Monaten mindestens einmal erlebt, was es bedeutet, in einem Lockdown abgeriegelt zu sein. Und Corona ist noch lange nicht vorbei, ebensowenig wie die Kontaktbeschränkungen. Forscherinnen haben untersucht, welche Auswirkungen solche Sperren haben – und wie man am besten damit umgeht.
Lockdowns sind stressig, weil sie Unsicherheit, Angst und soziale Isolation erzeugen. Die Gegenwart flößt uns Angst ein und ist zudem noch langweilig, die Zukunft scheint ungewiss: Wann wird das enden? Viele Menschen versuchen, diese Situation zu bewältigen, indem sie in die Vergangenheit blicken und sich an Dinge erinnern, die wir früher tun konnten. Die Sache hat aber einen Haken: Der Blick zurück führt oft nicht dazu, dass wir uns besser fühlen. Das zeigt unsere jüngste Studie, die wir im Journal of Positive Psychology veröffentlicht haben.
Es überrascht nicht, dass viele in die Vergangenheit blicken, um sich besser zu fühlen. Forscher:innen aus dem Fachbereich der Positiven Psychologie haben sich schon früher die Wirksamkeit dieser Strategie angesehen. Sie sind Expert:innen für Themen wie Glück, Optimismus, Geborgenheit, Vertrauen, individuelle Stärken, Vergebung oder auch Solidarität. Bei ihren Untersuchungen haben sie eine Reihe von Interventionen entwickelt, um das Wohlbefinden zu verbessern, die entweder in Therapien oder in die tägliche Selbstfürsorge integriert werden können.
Sie haben drei Möglichkeiten herausgearbeitet: Nostalgie, Dankbarkeit und das „bestmögliche Selbst“ – das ist eine Methode der Positiven Psychologie.
Jeder dieser Ansätze steht für eine bestimmte Zeitebene: Nostalgie bedeutet eine sentimentale Sehnsucht nach der Vergangenheit, indem man sich an bestimmte Ereignisse erinnert. Im Gegensatz dazu ist Dankbarkeit auf die Gegenwart gerichtet und bedeutet, dass wir über gute Dinge nachdenken, die heute geschehen. Die „bestmögliche Selbst“-Methode hingegen bedeutet, an unsere bestmöglichen Leistungen in der Zukunft zu denken. Welche der Strategien funktioniert am besten?
Im Experiment schneidet die Nostalgie am schlechtesten ab
Um dies herauszufinden, stellten wir eine Gruppe von 261 Frauen während des ersten Lockdowns in Großbritannien (März bis Mai 2020) zusammen. Wer sich wundert, warum keine Männer dabei waren: Es hatten sich zu wenige gemeldet. Bei diesen Frauen untersuchten wir die Auswirkungen der drei verschiedenen Zeithorizonte auf das Wohlbefinden.
Die Teilnehmerinnen waren zwischen 18 und 63 Jahre alt. In einer einzelnen zweiminütigen Sitzung wendeten sie entweder eine Nostalgie-, Dankbarkeits- oder „bestmögliche Selbst“-Herangehensweise an. Anschließend bewerteten sie ihre positiven und negativen Gefühle, die sozialen Beziehungen zu anderen, ihr Selbstwertgefühl und den Sinn im Leben – und wurden mit einer Kontrollgruppe verglichen (die keine dieser Übungen machte).
Sowohl die Dankbarkeits-Kandidatinnen, als auch diejenigen, die sich ihr „bestes Selbst“ vorgestellt hatten, spürten positive Wirkungen: Auf einer sozialen Ebene fühlten sie sich enger mit anderen verbunden als diejenigen, die sich auf die Vergangenheit konzentrierten. Die Teilnehmerinnen, die sich auf die Zukunft konzentrierten, berichteten insgesamt auch stärker von positiven Gefühlen.
Nostalgische Gefühle mögen für manche als Strategie gut funktionieren. Aber unsere Studie zeigt, dass Menschen ein Gefühl von Verlust empfinden können, wenn sie eine schöne Vergangenheit mit einer sehr unsicheren Gegenwart vergleichen. Dies hat dann negative Auswirkungen auf ihr Wohlbefinden. Eine bessere Bewältigungsstrategie kann es sein, das Positive in der Gegenwart zu finden, indem wir dankbar für die Dinge sind, die wir trotz allem noch tun können. Oder ein Gefühl des Optimismus zu wecken, indem wir an die Zukunft denken.
Unsere Sprache spiegelt dieses Wissen wieder: Davon zeugen bekannte Ratschläge wie: „Sei dankbar für die kleinen Dinge“, „du kannst von Glück reden“ oder „habe Freude an den kleinen Dingen des Lebens.“ Dankbarkeit ist auch ein zentraler Punkt in vielen Religionen. Immer geht es darum, sich auf die Vorteile zu konzentrieren, die im Hier und Jetzt zu finden sind.
Auch Redewendungen wie „auch das wird vorübergehen“ und „es gibt ein Licht am Ende des Tunnels“ heben die Bedeutung des Zukunftsdenkens hervor, während Vorstellungen wie „in der Vergangenheit feststecken“ oder „weitermachen!“ die negativen Auswirkungen widerspiegeln, die Grübeln haben kann.
Was den aktuelle Lockdown von dem ersten unterscheidet
Der erste Lockdown war schwierig zu handhaben, hat viele verunsichert und sozial isoliert. Aber es gab auch Faktoren, die ihn einfacher gemacht haben: Die Situation war noch ungewohnt, und es fühlte sich an, als ob wir alle gemeinsam betroffen wären. Außerdem waren viele noch optimistisch, dass die weltweite Pandemie bis zum Sommer vorbei sein würde. Vielerorts gab es den schönsten Frühling aller Zeiten. Die Sonne schien und die Menschen genossen das Draußensein.
Für diejenigen von uns, die von zu Hause aus arbeiten konnten, die einen Garten hatten und Beschäftigungsmöglichkeiten, war Dankbarkeit in dieser Zeit relativ einfach. Auch der hoffnungsvolle Blick in die Zukunft war möglich, weil wir naiv glaubten, dass diese Zukunft gar nicht so weit weg sei.
Aber der zweite Lockdown ist anders. Dankbarkeit setzt voraus, dass wir den Nutzen im Hier und Jetzt finden können. Im Herbst und Winter aber sind die Tage nass und dunkel. Noch schlimmer ist, dass viele Menschen mittlerweile ihre Angehörigen und ihre Lebensgrundlage verloren haben - was es viel schwieriger machte, Dankbarkeit zu empfinden. Auch erscheint es jetzt problematischer, sich auf die Zukunft zu konzentrieren. Ein Ende der Pandemie ist ja zur Zeit nicht wirklich in Sicht. Viele von uns sind in der Zwischenzeit in einer Welt voller harter Beschränkungen angekommen.
Aber der Mensch ist erfinderisch, und der Impfstoff ist bereits wieder ein Grund zur Hoffnung. Es wird nur eine Frage von Monaten sein, bis eine signifikante Anzahl von Menschen geimpft sein wird. Was wir jetzt tun müssen, ist einfach, immer über den nächsten Schritt nachzudenken. Denn alles geht einmal vorbei.
Jane Ogden ist Professorin für Psychologie an der Universität von Surrey. Sie forscht zu Essverhalten und Adipositas, Kommunikation in der Beratung und Frauengesundheit.
Amelia Dennis ist Doktorandin in Sozialpsychologie an der Universität von Surrey. Ihre Forschungsinteressen umfassen Bindungsorientierungen und Interventionen der Positiven Psychologie, wie Nostalgie und Dankbarkeit.
Ihren Artikel veröffentlichten sie auf Englisch bei The Conversation. Hier könnt ihr den Originalartikel lesen.
Übersetzung: Vera Fröhlich; Redaktion: Theresa Bäuerlein; Schlussredaktion: Susan Mücke; Fotoredaktion: Till Rimmele.