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Maria Voronovich / Getty Image

Sinn und Konsum

Was tue ich, wenn mich mein Partner manipuliert?

„Du hast schon wieder den Schlüssel verlegt, Schatz!“ Oder: „Hast du etwa vergessen, dass der Besuch heute kommt?“ Erstaunlich viele KR-Leser:innen berichten, dass sie von ihrem Partner manipuliert werden. Das nennt man Gaslighting. Manchmal hilft dagegen nur ein radikaler Schritt.

Profilbild von Pia Saunders

Als es nachmittags an ihrer Haustür klingelt, geht KR-Mitglied Sabine zur Tür, und vor ihr steht ein fremder Mann. Klaus, Sabines Ehemann, begrüßt den Fremden mit den Worten: „Hallo Hans, komm rein!“ Und sagt zu Sabine: „Du kennst ihn ja schon lange, ich habe dir ja gesagt, dass er heute kommt.“ Nur: Sabine kennt Hans nicht. Und Klaus hat ihr auch nichts von einem Besuch erzählt.

Dieses Ereignis klingt erst einmal banal. Vielleicht sind Sabine oder Klaus ja einfach vergesslich? Doch solche oder ähnliche Situationen kommen in Sabines Ehe regelmäßig vor. Als ihr eine Freundin von ähnlichen Szenen aus der eigenen Ehe erzählt, und darüber, wie sie deswegen manchmal an ihrem Verstand verzweifelt, wird Sabine stutzig: Sie kennt das manipulative Verhalten, das ihre Freundin beschreibt – von ihrem eigenen Mann. Dinge, von denen sie sicher ist, sie hätten sich anders zugetragen, als Klaus es behauptet.

Sabine hat der Krautreporter-Redaktion eine Mail geschrieben und um Rat gefragt. Sie, und alle Personen bis zu diesem Punkt der Geschichte, heißen eigentlich anders. Sabine schreibt in einer Mail: „Besonders häufig kommt es vor, dass Klaus behauptet, mir etwas erzählt, mich über etwas informiert, mir etwas gezeigt zu haben, was er einfach nicht hat. Und wenn ich dann einwende, dass das nicht stimmt, kann er ziemlich böse werden.“ Sabine informiert sich und findet heraus, dass das merkwürdige Verhalten ihres Mannes einen Namen hat: Gaslighting, eine Form der emotionalen Manipulation. Sabine will mehr darüber wissen und hat uns aus diesem Grund folgende Frage gestellt: „Gaslighting, was ist das genau und wie können Frauen damit umgehen?“

Ich habe der KR-Community Sabines Frage weitergegeben und 120 Antworten bekommen, in denen die KR-Leser:innen ihre Erfahrungen teilen und Ratschläge geben. Lena rät Sabine, „sich sofort innerlich abzugrenzen und Aufklärung zu verlangen“, während Bernd empfiehlt, die Situation zu ignorieren. Zusätzlich zu den Tipps der Community habe ich mit zwei Psycho- und einer Paartherapeutin gesprochen. Sie alle kommen in dieser zwölften „Gebrauchsanweisung für dein Leben“ zu Wort.

Das sagt die Psychotherapeutin

„Gaslighting ist eine Form des emotionalen Missbrauchs. Es handelt sich um Manipulation, die darauf abzielt, das Opfer von sich abhängig zu machen“, sagt mir die Psychotherapeutin Stephanie Sarkis im Videointerview. Sie hat ein Buch über das Phänomen geschrieben: „Gaslighting: Recognize Manipulative and Emotionally Abusive People – and break free“. Dieser emotionale Missbrauch funktioniere so: Der Gaslighter versuche, die Realitätswahrnehmung seines Opfers derartig zu manipulieren, dass es nicht mehr wisse, was wirklich passiert ist und was nicht. Das Opfer werde in diesem Prozess immer abhängiger vom Gaslighter, denn der kontrolliere die Version der Realität.

Meist beginnt Gaslighting mit kleinen Verwirrungen: Ein verlegter Schlüsselbund, eine vergessene Verabredung. Ein Gaslighter fädelt geschickt Situationen ein, um in seinem Opfer den Verdacht zu säen, es wäre verwirrt, vergesslich und könne sich auf die eigene Wahrnehmung nicht verlassen. Diese Kleinigkeiten häufen sich jedoch mit der Zeit zu Lügen.

Ein Gaslighter, erzählt Sarkis, zielt auf das Selbstwertgefühl seines Opfer. Er kritisiert es für seine mutmaßliche Vergesslichkeit und versucht ihm einzureden, es käme alleine nicht zurecht. Ein Gaslighter möchte seinem Opfer glaubhaft machen, dass das eigene Umfeld, Familie, Freunde, einen schlechten Einfluss haben. „Ziel des Gaslighters ist es, die volle und alleinige Aufmerksamkeit seines Opfers zu erhalten“, so Sarkis.

Gaslighting kann in vielen Situationen stattfinden: in der Familie, in Freundschaften, Beziehungen, im Beruf. Seit dem Präsidentschaftswahlkampf in den USA 2016 taucht Gaslighting auch vermehrt in politischen Debatten auf. Die Psychoanalytikerin und Wissenschaftlerin Robin Stern schrieb bereits 2007 das Buch „The Gaslight Effect“. Auch sie beobachtet, dass Gaslighting zunehmend thematisiert wird, seit die USA mit Donald Trump einen Präsidenten haben, dem immer wieder Manipulation und die Verbreitung falscher Fakten vorgeworfen werden.

Bei Sabine ist es der eigene Ehemann, der versucht, ihre Wahrnehmung zu manipulieren. Wie können Menschen mit Gaslighting in einer Beziehung umgehen? Sabine erzählt mir, dass sie zwar glaube, für sich Wege gefunden zu haben, mit dem Verhalten ihres Mannes umzugehen. Doch immer wieder sage ihr auch eine innere Stimme, sie mache sich etwas vor: „Kann man mit so einem Menschen leben, ohne kaputtzugehen?“, fragt sie mich am Telefon.

Das sagen die KR-Leser:innen

120 Leser:innen haben sich auf meinen Aufruf per Mail gemeldet. Es hat mich erschrocken, wie viele von ihnen Gaslighting erlebt haben: von Vorgesetzten, Freunden, Partnern, besonders häufig in der Familie. Doch die Leser:innen haben auch Ratschläge geschickt.

Viele Leser:innen rieten Sabine und anderen Betroffenen, sich auf die eigene Wahrnehmung zu verlassen. So schlägt Stephanie Sabine vor, nach Vorfällen die Situation und die eigenen Gefühle aufzuschreiben: „Die Aufzeichnungen können eventuell helfen, Verhaltensmuster zu erkennen, anstatt ihren eigenen Verstand anzuzweifeln, weil sie sich nicht mehr sicher ist, ob sie sich richtig erinnert.“ Den gleichen Rat hat auch KR-Leserin Julia: „Es sind oft kleine Situationen im Alltag, die man schnell vergisst. Das Gefühl, dass etwas nicht stimmt, wächst aber. Sobald man merkt, dass sich solche Dinge häufen, würde ich sie notieren: Was ist passiert? Was war komisch?“

Aufschreiben, das ist auch der erste Tipp der Gaslighting-Expertin Robin Stern. Sie ist Autorin des Buches „The Gaslighting Effect“ und Psychoanalytikerin. Ich habe mit ihr ein Videointerview geführt. Sie sagt: Das Aufschreiben könne dabei helfen, die Kontrolle über die eigenen Gedanken zu behalten.

Ein Teil der Leser:innen rät, den Gaslighter nicht mit Vorwürfen zu konfrontieren. „Damit steigt man nur in eine Diskussion ein, in der die andere Person noch mehr Vorwürfe bringt“, schreibt KR-Leser Torsten. Für ihn ist klar: Sabines Mann würde sie in einer Diskussion nur für vergesslich erklären oder bloßstellen. Ganz anders sieht das Lennard: „Wenn ich mir sicher bin, dass ich Hans nicht kenne, und Sabines Mann aber darauf besteht, würde ich nach den Details fragen, in welchen Situationen er mir von ihm erzählt haben sollte. Schließlich würde ich in den Konflikt gehen und Sabines Mann konfrontieren, warum er so gehandelt hat.“

Für die Psychoanalytikerin Robin Stern liegt die Wahrheit in der Mitte: „Wenn Sie schon früh in einer Beziehung Gaslighting erkennen, sprechen Sie es an!“ Voraussetzung ist dabei natürlich, dass der manipulierende Part bereit ist, an sich zu arbeiten. Denn: Nicht alle manipulieren ihre Mitmenschen absichtlich, erklärt die Psychotherapeutin Stephanie Sarkis. Einige hätten dieses Muster unbewusst als Kinder von ihren Eltern übernommen. Diese Menschen seien manchmal bereit, sich therapeutische Hilfe zu holen. In diesen Fällen könne es erfolgversprechend sein, das Verhalten seines Partners anzusprechen. Wie in jeder Beziehung hänge die Reaktion des Gegenübers davon ab, wie man es ausspricht, so Gaslighting-Expertin Stern.

Oft genug aber ist das Gaslighting krankhaft, und häufig mit anderen psychischen Krankheiten gekoppelt, zum Beispiel einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Stephanie Sarkis sagt: „Narzissten möchten ihren Partner von sich abhängig machen, denn das ist die einzige Möglichkeit, wie sie ihre volle Aufmerksamkeit bekommen können.“ Für Beziehungen, in denen pathologisches Gaslighting betrieben wird, hat Sarkis wenig Hoffnung: „Die dauerhafte Lösung besteht normalerweise darin zu gehen, weil diese Beziehungen nicht besser werden. Sie neigen eher dazu schlechter zu werden, und der emotionale Missbrauch kann ein Schritt in Richtung körperliche Misshandlung sein. Die beste Option ist in diesem Fall die Trennung.“

Eine Meinung, die auch viele KR-Leser:innen teilen: Einige von ihnen raten Sabine zur Trennung, wenn Situationen wie die des unerwarteten Besuchers häufiger vorkommen. So schreibt zum Beispiel Anna: „Ich denke nicht, dass das die einzige Situation ist, die Sabine erlebt hat, sondern eine von mehreren. Ich kann Sabine nur raten, einer Vertrauensperson davon zu erzählen. Ich würde meinen Partner konfrontieren und mich trennen.“ Das sieht auch Eric so: „Bestätigt sich der Verdacht, dass der Partner derart manipuliert, sollte Sabine mindestens eine Beziehungspause oder eine Trennung initiieren. Das sollte sie auch, wenn die Vertrauensbasis durch solche Erlebnisse und Wahrnehmungen zerstört wurde.“

Sabine erzählt mir am Telefon, dass sie Wege gefunden habe, mit dem Verhalten ihres Mannes umzugehen. Als der unerwartete Besucher vor ihrer Tür stand, ließ sie sich ihre Verwunderung nicht anmerken: „Ich habe freundlich reagiert und Hans willkommen geheißen“. Sie habe gelernt, dass es nichts bringe, solche Situationen zu thematisieren, denn das führe meist nur zu Diskussionen nach dem Motto „Du kannst nichts, du taugst nichts, du bist verrückt“. Früher oder später würde ihr Mann von alleine das Gespräch suchen, doch auch dann lässt Sabine sich nichts anmerken: „Ich reagiere dann ganz ruhig und sage, dass mir das gar nicht aufgefallen sei und ich schon wisse, was ich tue“. Ihr Mann stapfe dann davon und es sei wieder Ruhe, erzählt Sabine. „Er kann es nicht gut vertragen, wenn ich einfach darüber hinwegsehe“, sagt sie.

Das ergibt durchaus Sinn, erklärt Psychotherapeutin Sarkis: „Das ist die sogenannte Grey-Rock-Methode. Gaslighter erhoffen sich von ihrer Manipulation Drama, Streit, Reaktionen. Wenn sie merken, dass sie diese nicht bekommen, dass ihr Verhalten am Gegenüber abprallt, nehmen sie sich in der Regel zurück. Doch das ist nur eine vorübergehende Lösung, es ist keine dauerhafte Antwort auf das Problem.„“

Doch Sabine hat damit ihren Frieden gemacht. Seit 40 Jahren ist sie mit ihrem Mann verheiratet, „und ich liebe ihn auch“, betont sie. Als er vor einiger Zeit an Krebs erkrankte, habe sich Sabine außerdem das innerliche Versprechen gegeben, die Erkrankung mit ihm „durchzustehen“, erzählt sie. Die Phasen, in denen ihr Mann sich manipulativ verhalte, würden kommen und gehen. Zudem kenne sie die Kindheit ihres Mannes: „Weil ich weiß, wo sein Verhalten herrührt, kann ich ein gewisses Verständnis dafür aufbringen, nur Toleranz bringe ich dafür keine auf. Ich spiele seine Spielchen einfach nicht mit.“

Das sagt die Paartherapeutin

Sabines Weg ist eine Möglichkeit, mit einem manipulierenden Partner umzugehen. Was aber kannst du tun, wenn du in einer frischen Beziehung bist und merkst: Da stimmt etwas nicht!? Die Paartherapeutin Vera Matt hat mir und euch eine Strategie in vier Schritten mitgegeben:

„Wehret den Anfängen!“ rät mir Vera Matt am Telefon als erstes. „Wenn Worte und Taten eines Menschen, den man gerade kennenlernt, nicht zusammenpassen, sollte man das Weite suchen.“ Zu ersten Anzeichen für Gaslighting können bereits ein komisches Gefühl nach einem Gespräch gehören, zum Beispiel das Gefühl, das einem die Worte im Mund verdreht wurden. Auch, wenn sich das Gaslighting erst in der Beziehung zeigt, rät Matt dazu, es sofort zu thematisieren: „Wenn ich zum Beispiel merke, dass mein Partner versucht, mich von meinem Umfeld zu isolieren, sollte ich ihn direkt damit konfrontieren“. Denn: „Nichts ist wichtiger als die eigene Realität. Die eigene Wahrnehmung muss als die wahre herausgearbeitet werden – auch dem Partner gegenüber“. Je mehr dieser auf den ersten Blick unwichtig erscheinenden Situationen passieren, desto schwieriger ist es, sie im Nachhinein zu klären.

Das eigene Umfeld stärken: Wer in eine Beziehung mit einem Gaslighter gerät, braucht ein besonders starkes Umfeld, sagt Vera Matt: „Man braucht Menschen, an die man sich wenden kann, die einem helfen, die eigene Wahrnehmung wieder zu stärken und einem bestätigen, dass sie nicht fehlerhaft ist.“ Ein starkes Umfeld außerhalb der Beziehung hilft, aus der emotionalen Abhängigkeit vom Gaslighter zu kommen. Aufbau und Feedback von außen spielen eine große Rolle, sowohl in der Beziehung als auch, wenn die Entscheidung zur Trennung gefallen ist: „Nach einer Trennung muss das Selbstbild, das unter der konstanten Abwertung durch den gaslightenden Partner gelitten hat, wieder aufgebaut werden“, sagt Vera Matt.

Abwägen: Meist passieren ähnliche, kleine Situationen mehrmals. „Wenn ich einmal, zweimal, dreimal mit meinem Partner darüber gesprochen habe und es ändert sich trotzdem nichts, muss ich mich fragen: ‚Kann ich das? Kann ich damit leben, dass ich verletzt, abgewertet werde?’“, sagt Vera Matt. Manche Menschen finden einen Weg, mit einem Gaslighter zu leben, aber sie sollten sich fragen: Welchen Preis zahle ich dafür? Und ist er zu hoch?

Gehen: „Wenn die Antwort auf die Frage ‚Kann ich damit leben?’ ‚Nein’ ist, müssen Sie gehen“, sagt Paartherapeutin Matt. „Gaslighting ist pathologisch. Gaslighter haben eigene Unzulänglichkeiten, die sie durch das Abwerten ihrer Partner kompensieren. Sie brauchen zwar eine Therapie, aber als erwachsene Menschen sind dafür selbst verantwortlich. Man kann einen Partner nicht gesund reden“, so Matt. Und sie fügt hinzu: „In einer Partnerschaft macht man sich gegenseitig stark. Sie findet auf Augenhöhe statt. Eine Beziehung sollte kein Minenfeld sein! Frei und gleichberechtigt kann man keine Beziehung mit einem Gaslighter führen. Dazu fehlt das Fundament.“


Herzlichen Dank an alle KR-Leser:innen, die sich beteiligt haben: Petra, Simone, Tom, Stephanie, Lena, Nadja, Matthias, Neele, Bernd, Caro, Johanna, Conny, Gudrun, Lena, Florian, Amanda, Elisa, Marco, Tilo, Alex, Mina, Marie, Michael, Fritz, Anna, Elisabeth, Max, Bettina, Anne, Lennard, Chris, Vera, Bella, Julia, Antoinette, Merle, Mike, Meike, Heike, Wiebke, Denise, Manu, Conny, Nina, Martin, Anne, Ella, Ulrike, Gero, Sabine, Uli, Barbrosa, Alegría, Katarina, Hans-Jochen, Christiane, Sonja, Brigitte, Sabrina, Lila, Martina, Daniel, Birgit, Janina, Kali, Cora, Christian, Jonathan, Ming, Artur, Birgit, Anja, Daniela, Petra, Ulf, Torsten, Nina, Karla, Katrin, Karolin, Julia, Marie, Eric, Ilka, Nicole, Judith, Joachim, Christina, Andrea, Fabian, Sabine, Ina, Annette, Silke, Fran, Anne, Florian, Anja, Silke, Volker, Ursula und Ingrid. Bleibt gesund!

Redaktion: Philipp Daum, Schlussredaktion: Bent Freiwald, Bildredaktion: Martin Gommel.