Wir sehen links die Autorin des Textes und rechts die Sventja Franzen

© Beide Fotos: Alisa Sonntag

Sinn und Konsum

Genießerin trifft Sparerin – wie lange kann man seinen Kontostand ignorieren?

Sventja Franzen möchte reich werden. Dafür arbeitet sie etwa 50 Stunden die Woche und spart die Hälfte ihres Einkommens. Ich möchte nicht verzichten, weder auf Schokokuchen noch auf Freizeit.

Profilbild von Alisa Sonntag
Praktikantin

11.18 Uhr, Hauptbahnhof München. Nach vier Stunden Fahrt starre ich auf Schokokuchen. Ich verbringe eine Menge Zeit in Zügen und die Bäckereien zwischen den Umstiegen sind meist meine einzige Chance, etwas Essbares zu bekommen. Mein Magen ist auf Bahnhof getrimmt.

Ich: Sorry, dass ich so spät bin. Die S-Bahn kam ewig nicht.

Sventja: Kein Problem, jetzt bist du ja da.

Ich: Während ich gewartet habe, bin ich um die Bäckereien herumgeschlichen. Ich kaufe mir unterwegs oft Snacks. Dann musste ich an dich denken. Passt so was in deinen Sparplan?

Sventja: Früher habe ich mir jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit Vollkornecken gekauft, 75 Cent pro Stück. Das habe ich einmal hochgerechnet: Ich habe im Jahr 200 Euro für Vollkornecken ausgegeben! Ich bin fast rückwärts umgefallen. Seitdem esse ich morgens zu Hause einfach Müsli.

Ich: Aber hast du dich dann nicht jeden Morgen geärgert, wenn du am Bäcker vorbeigegangen bist? Mir würde das so schwerfallen!

Sventja: Nein. Ich habe ja nicht auf etwas verzichtet, das mein Leben bereichert hätte. Ich habe einfach eine andere Lösung gefunden.

Sventja bezeichnet sich als „Frugalistin“. Frugal bedeutet: bescheiden. Frugalismus bedeutet im besten Fall: Rente mit 40. Sventja dreht ganz bewusst jeden Euro zweimal um. Sie führt Haushaltsbuch, vergleicht Preise, kauft Aktien. Ihr Ziel: Ein Vermögen aufbauen, das groß genug ist, damit sie notfalls nicht mehr arbeiten muss – und jeden Tag machen kann, worauf sie Lust hat. Sventja arbeitet im Marketing, zusätzlich ist sie selbstständig als Ghostwriterin und unterstützt Menschen bei ihren Bewerbungen. Außerdem führt sie einen eigenen Blog namens Rich Bitch Project. Wenn alles gut läuft, wird ihr Vermögen in diesem Jahr zum ersten Mal sechsstellig sein.

Mich nervt es, über Geld nachdenken zu müssen. Als freie Journalistin bin ich zwar alles andere als wohlhabend, aber mein Einkommen reicht, weil ich keine großen Ausgaben habe. Ich bin 25, einen Plan für meine Altersvorsorge habe ich nicht. Bevor ich mich mit Sventja getroffen habe, wusste ich nicht einmal genau, wie viel ich monatlich ausgebe. Vielleicht wollte ich es auch nicht genau wissen.

Ich besuche Sventja mit diesen Fragen im Kopf: Kann man wirklich ein sorgloses Leben führen, wenn man ständig spart und Aktienkurse beobachtet? Was ist besser: Freiheit oder Sicherheit? Heute zwei Stück Schokokuchen oder morgen ein Haus mit Garten? Und da ist noch diese Stimme in meinem Kopf, die fragt: Sollte ich das nicht auch machen? Um das herauszufinden, bin ich zu Sventja nach München gefahren. Ich möchte einen Blick in ihr Leben werfen. Und sie in meins.

12.50 Uhr: Sventja hat mich auf den letzten Teil ihres Wocheneinkaufs mitgenommen. Er beginnt samstags um neun Uhr. Wenn es nicht gerade in Strömen regnet, radelt sie die vier Kilometer – auf den Komfort des Autos verzichtet sie dafür gern. Sie geht in fünf verschiedene Läden – Aldi, Lidl, DM, Penny, Rewe – und kauft dort jeweils die Produkte mit dem besten Preis-Leistungsverhältnis.

Jetzt braucht sie nur noch ein paar Kleinigkeiten. Trotzdem gehen wir in zwei verschiedene Läden. Sventja seziert eine Ananas mit ihren Blicken und liest mit gerunzelter Stirn die Zutatenliste auf der Erdnussbutter. Palmöl, seufzt sie leise, und stellt das Glas zurück ins Regal.

Ich: Ich gehe zu Hause immer zu Rewe. Und nur dahin. Es liegt auf dem Weg und ich bekomme dort alles, was ich brauche. Ich könnte auch zu Aldi gehen, das ist nur 200 Meter weiter. Aber dort würde ich nicht alles finden und müsste dann trotzdem noch in einen anderen Laden. Das wäre mir zu stressig.

Sventja: Ich versteh das total, dass man sich den Komfort gönnt und die Zeit spart. Aber ich bin einfach nicht bereit, für das gleiche Produkt jedes Mal 30 Cent mehr zu bezahlen.

Ich: Komm schon. Macht das wirklich so einen großen Unterschied?

Sventja: Gehen wir mal davon aus, du bezahlst im Rewe bis zu 30 Prozent mehr, das kommt mir realistisch vor. Angenommen, du kaufst für 450 Euro im Monat ein. Dann würdest du im Rewe für dieselben Produkte 600 Euro zahlen. Jeden Monat. Und du kaufst dein ganzes Leben lang Essen ein!

Sventja was genau, was wie viel kostet – ich achte nicht auf Preise

Ich: Woher kennst du eigentlich den Preis der Waren so genau?

Sventja: Ich habe einfach ein gutes Gedächtnis für Zahlen. Ich weiß, wie viel die Sachen in welcher Jahreszeit wo ungefähr kosten.

Ich: Lass uns das mal testen. Wo kaufst du deine Hafermilch?

Sventja: DM.

Ich: Und wie viel kostet die dort?

Sventja (wie aus der Pistole geschossen): 95 Cent.

Ich: Und die Nudeln, die du kaufst?

Sventja: Die Vollkornpasta von DM kostet zwischen 79 Cent und 1,19 Euro. Manchmal gönnen wir uns eine bunte Special-Pasta von Norma für 1,49 Euro.

Ich: Müsli?

Sventja: Um die 1,79 Euro bei Aldi und 1,45 Euro oder 1,49 Euro bei DM. Die Verpackungen sind aber auch leicht unterschiedlich groß.

Ich (lachend): Krass. Du bist cool!

14.10 Uhr. Man sieht Sventjas Haushalt an, dass sie wenig dem Zufall überlässt. Im Schrank steht ein großes Glas voller Walnüsse. Sie hat sie auf Vorrat gekauft, weil sie günstiger waren. In der Küche steht ein spezieller Kühlschrank, der mit einer sogenannten Null-Grad-Zone dafür sorgt, dass Obst und Gemüse noch länger haltbar bleiben. Sventja hasst es, wenn Essen weggeschmissen wird.

Wir sitzen in Sventjas Küche, sie schnippelt Gemüse. Als aus dem Backofen ein würziger Geruch nach Knoblauch und Rosmarin strömt, kommt Alex nach unten, Sventjas Freund. Er ist „leidenschaftlicher Bastler“, sagt Sventja, und hat oben ein Zimmer mit einem 3D-Drucker und einer CNC-Fräse, die den beiden hilft, vieles reparieren zu können und nicht wegwerfen zu müssen. Zu dritt sitzen wir am Küchentisch und essen Ofengemüse.

Ich: Alex, wie tief hängst du bei der ganzen Frugalismus-Sache eigentlich mit drin?

Alex: Ich betreibe das nicht ganz so intensiv wie Sventja, aber wir haben das gleiche Ziel. Wir wollen beide finanziell unabhängig werden.

Der Sorge um Altersarmut steht die Sorge um das Vermögen gegenüber

Ich: Wäre wahrscheinlich auch schwierig, zusammenzuleben, wenn ihr euch da nicht einig wärt. Ich sehe das bei meinem Freund: Der ist ein viel größerer Sparer als ich. Wenn wir gemeinsam etwas kaufen wollen, ist es meist ein riesiges Drama. Er durchdenkt jede Kaufentscheidung ganz pedantisch. Wir gehen schon seit Jahren nicht mehr zusammen in den Supermarkt, weil ich dabei einfach nur wahnsinnig werde.

Alex: Bei uns funktioniert es gut. Wir haben ein gemeinsames Konto, von dem wir alles für die Wohnung, fürs Auto und natürlich Lebensmittel bezahlen. Aber es hat auch jeder sein eigenes Konto und sein eigenes Vermögen.

Sventja: Das war aber auch ein langer Weg dahin, bis wir beide da unseren Weg gefunden hatten. (schaut zu Alex rüber) Wenn wir größere Strecken mit dem Auto fahren, nehmen wir immer Mitfahrer mit. So haben wir eigentlich keine Benzinkosten und lernen noch nette Leute kennen. Aber am Anfang wollte Alex trotzdem lieber seine Ruhe haben im Auto.

Ich: Krass, wie ihr überall Alternativen gefunden habt. Aber das klingt auch ein bisschen stressig. Findest du, dein Leben ist sorglos, Sventja?

Sventja: Sorglos nicht, aber sorgloser als früher. Wenn ich für etwas kein Geld ausgebe, dann, weil ich es nicht ausgeben will. Früher war die Frage eher, ob ich mir etwas leisten kann. Diese Fremdbestimmung habe ich nicht mehr. Jetzt muss ich zwar herausfinden, wofür ich Geld ausgeben möchte. Aber es gibt nicht mehr diese Grenzen von außen.

Ich: Ich mache mir manchmal Sorgen, dass ich im Alter arm sein werde. Aber ich weiß nicht, was belastender ist: meine Sorge um Altersarmut oder deine Sorge um dein Vermögen. Ich denke mir halt: Bis ich 60 bin, kann noch alles Mögliche passieren. Vielleicht gibt es dann ja das Bedingungslose Grundeinkommen. Vielleicht ist der Dritte Weltkrieg ausgebrochen.

Sventja: Vielleicht wird Geld abgeschafft.

Ich: Ja! Oft ist es unsicher, zu planen. Wir kennen ja die zukünftigen Rahmenbedingungen nicht. Eigentlich muss sich irgendeine Lösung dafür finden, dass die staatliche Rente uns nicht mehr auffangen kann. Das betrifft ja ganze Generationen.

Sventja: Ja, klar. Man muss da seine Balance finden zwischen „Yolo“ und „Ich werd 100 und will vorbereitet sein.“ Das ist wie mit Versicherungen.

Ich: Hast du eine Berufsunfähigkeitsversicherung? Ich will keine haben. Ich meine: Wie wahrscheinlich ist es, dass ich meinen Beruf mal nicht mehr machen kann?

Sventja: Ich habe eine. Better safe than sorry.

Ich: Ich bin ja auch gern einigermaßen vorbereitet, aber dafür reicht mir ein Notgroschen auf dem Konto. Woher kommt dieses große Sicherheitsbedürfnis bei dir?

Sventja: Ich bin schon mit 16 von zu Hause ausgezogen. Da musste ich einige Jahre sehr aufs Geld schauen, weil es so knapp war. Einmal habe ich aus Versehen 30 Euro zu viel ausgegeben, dann hatte ich nicht mehr genug Geld für die Miete auf dem Konto. Zum Glück hat ein Mann von der Bank mich angerufen und mir gesagt, dass die Miete nicht abgehen konnte, weil zu wenig Geld auf dem Konto war. Das will ich nie wieder erleben. Dieses Gefühl hat bei mir eingeschlagen wie eine Bombe. Auf einmal war so etwas Elementares wie das Dach über meinem Kopf nicht mehr sicher. Und es ging so schnell. Ich war nur einmal kurz unaufmerksam.

Ich: Das verstehe ich. Bei mir war es im Studium auch viele Jahre sehr knapp. Aber ich habe daraus eher mitgenommen, dass sich immer eine Lösung oder ein Job findet. Dieses tiefe Bedürfnis, wie du, so viel wie möglich anzusparen, das habe ich nicht. Und ich habe auch überlegt: Ist eine Million nicht eigentlich etwas übertrieben? Reicht nicht viel weniger Geld, um sicher zu sein?

Sventja: Die Frage, wann es genug ist, ist unfassbar schwierig. Ich habe ausgerechnet, dass ich mit einem Vermögen von 500.000 oder 600.000 Euro abgesichert bin, inklusive Weltuntergang und alles. Trotzdem bin ich mir sicher, dass ich, wenn ich die Summe erreicht habe, denke, vielleicht noch einen Puffer obendrauf, falls Mama was passiert. So viel Geld ist das gar nicht. Ich will die Möglichkeit haben, von heute auf morgen mit dem Arbeiten aufzuhören, um meine Eltern pflegen zu können. Ich will mir keine Sorgen machen müssen.

Ich: Das willst du also mit dem ganzen Geld machen – einen Pflegedienst bezahlen?

Sventja: Ja. Ich will gar nichts Besonderes. Ein kleines Häuschen mit Garten. Ich würde auch nicht aufhören zu arbeiten. Nur ein bisschen mit den Stunden runtergehen.

Finanzen wären für mich eine weitere lästige Pflicht, während das Sventja Spaß macht

15.30 Uhr. Wir gehen in ihr Arbeitszimmer. An einer Wand hängt ein großes Whiteboard voller Listen und Stichpunkte. Sventja hat ihre Ziele, Pläne und Projekte darauf geschrieben. Da steht zum Beispiel: „Online-Marketing-Kurs absolvieren“ und „Kinderbuch fertig schreiben“. Außerdem: „100 Wohnungen ansehen.“

Ich: Manchmal fühlt sich dieses Auseinandersetzen mit Geld und Altersvorsorge für mich an wie eine von diesen ganzen Moral-Maßnahmen, die mich sowieso stressen. Ich muss darauf achten, dass ich nicht zu viel, nicht zu ungesund esse, regelmäßig Sport mache, genug schlafe, regelmäßig meditiere, mich weiterbilde, bio und fair kaufe, so wenig Müll wie möglich produziere. Tausend Dinge. Wenn ich mich mit Finanzdingen beschäftigen will, habe ich deswegen immer so ein Gefühl von „Nicht noch eine Pflicht.“ Ich will das nicht.

Sventja (lacht): Ich finde Ernährung schlimmer. Das mit den Finanzen fiel mir leicht. Es hat mir von Anfang an Spaß gemacht.

Ich: Das hat bestimmt auch damit zu tun, wie man aufgewachsen ist. Meine Eltern geben ihr Geld gern aus. Nicht, dass sie so viel hätten. Aber wir haben immer viele Ausflüge gemacht, waren auf Veranstaltungen und Festen und haben uns von Ständen etwas zu essen geholt. Ich habe heute noch eine sehr ausgeprägte Liebe zu schokolierten Früchten. Wenn mein Papa mich aus dem Kindergarten abgeholt hat, sind wir oft noch beim Bäcker vorbeigegangen und haben uns ein Stück Kuchen geteilt.

Und wenn wir mal an einem Samstag nicht wussten, was wir mit uns machen sollten, sind wir oft ins Einkaufscenter gefahren. Dort werde ich heute noch ganz sentimental. Das war für mich immer wie ein riesiges Paradies voller schöner Dinge: im Gartencenter durch die Glasscheibe Kaninchen begutachten, mir in der Parfümerie alles unter die Nase halten und im Spielzeugladen mit großen Augen durch die Reihen gehen und alles ausprobieren. Und zum Schluss ein Softeis mit dieser wunderbaren roten Glasur. Sparen habe ich nicht wirklich gelernt.

Sventja: Ich hab das quasi in die Wiege gelegt bekommen. Meine Mutter war gelernte Kauffrau. Sie hat immer gesagt: „Wer nicht rechnen kann, mit dem wird gerechnet.“ Als ich klein war, haben sich meine Eltern eine Eigentumswohnung gekauft – und sie innerhalb von sechs Jahren abbezahlt. Und dabei haben die auch beide nicht überdurchschnittlich gut verdient. Meine Mama hat einfach gut gewirtschaftet.

Doppelt umrandet und doppelt unterstrichen steht auf Sventjas Whiteboard das Wort „Watchlist“. Darunter: Aktien, in die sie vielleicht investieren will. Auf der Liste stehen unter anderem Amazon, Facebook und Coca-Cola. Alles Konzerne, die ich persönlich eher nicht unterstützen möchte.

Ich: Es gibt noch einen anderen Grund, warum ich bisher nicht ernst gemacht habe mit der Altersvorsorge. Ich finde keine Variante, mit der ich mich identifizieren kann. Diese Idee, dass Wirtschaft immer weiter wachsen muss – das ist ja der Grund dafür, dass Menschen und die Umwelt immer weiter ausgebeutet werden. Aktien funktionieren ja nur, wenn die Wirtschaft wächst. Davon möchte ich nicht profitieren.

Aber ich kann mir auch nicht vorstellen, ganz klassisch in Immobilien zu investieren – eine Immobilie in einer wachsenden Stadt zu besitzen und dann dafür verantwortlich zu sein, dass irgendwer sich die Miete nicht mehr leisten kann. Dass Menschen ihr Viertel verlassen müssen. In der Gegend, in der ich in Leipzig wohne, passiert das gerade überall.

„Nur, weil man eine Wohnung vermietet, ist einem das Schicksal anderer Menschen ja nicht automatisch egal“

Sventja: Ich kann es mir eigentlich ganz gut vorstellen, eine Wohnung zu vermieten. Aber nicht, um ständig die Miete erhöhen zu können. Ich wünsche mir, dass die Mieter dann auch viele Jahre drinbleiben. Ich denke immer an eine nette Omi, die da ganz viele Jahre lebt. Tatsächlich suche ich auch gerade nach einer Wohnung zum Kaufen. Sogar in Leipzig.

Ich: In welchem Viertel denn? Bestimmt im Leipziger Osten, wo ich wohne. Da steht die Gentrifizierung noch ganz am Anfang.

Sventja: Ja, ich glaube tatsächlich.

Sventja schweigt eine Weile. Dann sagt sie: Aber nur, weil man eine Wohnung vermietet, ist einem das Schicksal anderer Menschen ja nicht automatisch egal. Das kann ja auch alles ganz anders laufen.

Ich: Nicht, dass ich jetzt das Gefühl hätte, das trifft auf dich zu. Aber es gibt Studien, die aussagen, dass Menschen, die viel Geld haben, im Schnitt egoistischer sind.

Sventja: Aber ich glaube, das liegt nur daran, dass Geld das verstärkt, was schon da ist. Wer Geld hat, ist nicht mehr abhängig von anderen. Er muss sich nicht mehr verstellen, sondern kann einfach sein, wer er ist.

16.45 Uhr. Sventja zeigt mir ihre Notizen zu ihren Finanzen. Sie hat zwei Bücher: Ein großes Haushaltsbuch, das sie mit wenigen Pausen seit sechs Jahren führt und ein Notizbuch, in dem sie alles festhält, was sie zum Thema Finanzen lernt. Innen ist alles fein säuberlich: blau beschriftete Zeilen auf kariertem Papier, dazwischen jeweils eine freie Zeile. Anstriche, Überschriften, lesbare Schrift. Auch ich führe immer mal wieder ein paar Wochen Haushaltsbuch: Aktuell erfüllt es den Zweck eines kleinen Werbe-Notizblocks voller durchgestrichener Zahlen und Wörter und Abkürzungen, die ich immer wieder vergesse.

Sventja hat auch Listen auf dem Rechner. Eine für den Autokauf. Eine für den Kühlschrankkauf. Eine für Ausgaben, eine für ihr Vermögen. Ein Leben voller prall gefüllter Spalten und Zeilen.

Ich: Hinter deinem Vermögen steckt ja eine Menge Arbeit. Wie viel Zeit steckst du da rein?

Sventja: Wenn ich jetzt alles zusammenzähle, Haushaltsbuch führen, in irgendwelchen Gruppen mitlesen, den Überblick über meine Investitionen behalten – zehn Stunden im Monat sind das bestimmt.

Ich: Puh, darauf hätte ich keine Lust. Ist es dir den ganzen Aufwand wirklich wert?

Sventja: Ja, ich muss zugeben, Listen machen mir auch nicht wirklich Spaß. Aber es lohnt sich. So sehe ich, wie sich mein Vermögen entwickelt, wo ich Verluste mache und wo Gewinne. Das macht dann Spaß und macht mich stolz. So ein bisschen Dagobert-Duck-mäßig, der in seinem Tresor badet und schaut, was geht. Aber ich merke gerade, dass ich entscheiden muss, wie viel Raum ich all dem gebe.

Ich: Wie meinst du das?

Sventja: Ich habe festgestellt, dass das Thema Finanzen und Investieren angefangen hat, eine viel größere Rolle in meinem Leben einzunehmen, als ich eigentlich wollte. In letzter Zeit habe ich mich deswegen manchmal getrieben gefühlt. So ein bisschen wie im Studium, wo man nie wirklich Semesterferien hatte, weil man immer noch eine Hausarbeit schreiben musste. Ich frage mich, ob der Druck, den ich mir da selber mache, das wert ist.

Ich: Hast du nicht eigentlich Bock, dir ein bisschen was zu gönnen – und dann redest du dir ein, dass du das alles nicht willst?

Sventja: Denke ich nicht. Oft gefällt mir die kostengünstige Variante einfach besser, nicht nur wegen des Preises. Das, was ich wirklich brauche, gönne ich mir auch. Zum Beispiel, wenn ich auf Festivals bin: Dann schlafe ich mittlerweile nicht mehr auf dem Campground, sondern in einer Ferienwohnung. Ein ordentliches Bett, eine saubere Dusche – selten für mehr als 20 Euro. Aber einmal hat ein Kumpel auf dem Wacken ein superteures Vier-Mann-Zelt gebucht, das schon für uns aufgebaut war. Das ist jetzt sechs Jahre her und ich ärgere mich immer noch darüber. Das Festival mit ihm war der Hammer, aber das war es einfach nicht wert.

Ich: Ich finds krass, dass du dich darüber so ärgerst. Das habe ich zum Beispiel nicht, dass ich es groß bereue, wenn ich Geld falsch ausgegeben habe. Klar, kurz, im Moment. Aber dann ist es auch wieder gut. Bringt ja nichts.

Gemeinsam sitzen wir vor einem Online-Tool und wollen ausrechnen, wann ich finanziell unabhängig sein könnte. Vorher musste ich meine monatlichen Einnahmen und Ausgaben zusammensuchen. Ich war ganz erschrocken: So viel Geld gebe ich jeden Monat aus? Sventja allerdings ist begeistert. Knapp über 900 Euro Ausgaben, das ist echt wenig, sagt sie. Auch für eine kinderlose Frau in Leipzig. Vielleicht kommt das daher, dass meine Studentinnen-Zeit noch nicht allzu lange her ist.

Der Online-Rechner kommt bei mir auf eine Sparrate von 38,7 Prozent. So viel bleibt von meinen Einnahmen jeden Monat übrig. Nicht, weil ich so viel verdiene, sondern, weil ich so wenig ausgebe. Auch meine Sparrate ist gut, meint Sventja. Im Schnitt würden Menschen in Deutschland nur etwa zehn Prozent ihres Einkommens sparen. Sie selbst hat eine Sparrate von etwa 50 Prozent. Als meine Augen auf der Website zur nächsten Zahl weiterwandern, bin ich erstaunt. „Du kannst in Rente gehen in 22,4 Jahren“ steht da. In 22 Jahren bin ich 48 Jahre alt. Wirklich? Ich frage Sventja, welche Zahlen das Online-Tool bei ihr ausgespuckt hat. Laut der Website könne auch sie genau mit 48 in Rente gehen, sagt sie.

Ich: Weißt du, wovon ich träume für mein Alter? Wahrscheinlich lachst du mich jetzt aus.

Sventja: Erzähl!

Ich: Ich hätte gern eines dieser kleinen, steinernen Häuschen an der Küste der Bretagne. Ganz weit draußen, wo es genug Platz und keine Wohnungsnot gibt. Das würde ich gern an Feriengäste vermieten. Und natürlich ab und an selbst bewohnen. Ich klicke mich regelmäßig durch französische Immobilienwebsites und stelle mir vor, wie schön das wäre.

Sventja (zuckt mit den Schultern): Musst du halt mal durchrechnen.

Später im Zug tippe ich wie von selbst die URL einer französischen Immobilienseite ein. Könnte eines dieser Häuser eines Tages mir gehören? Ich sehe mich schon mit grauen Haaren und Falten um die Augen durch alte, dreckige Fenster aufs Meer starren.

Zu Hause angekommen, setze ich mich hin und rechne grob nach. Mit etwas Glück gibt es eines dieser Traumhäuser schon für 400.000 Euro. Mit spitzen Fingern und Herzklopfen tippe ich Zahlen in den Taschenrechner meines Handys. 400.000 Euro, wann kann ich mir das leisten? Nach dem Erfolgserlebnis mit dem Rentenalter heute scheint mir alles möglich.

Das Ergebnis fällt dann doch etwas ernüchternd aus: Rund 55 Jahre würde es bei meiner aktuellen Sparrate dauern, bis ich mir das Haus leisten könnte. Geringe Ausgaben zu haben, reicht nicht aus, wenn viel Geld zusammenkommen muss. Ich bin wohl doch nicht ganz so reich, wie ich kurz dachte. Den Traum vom Haus in der Bretagne gebe ich deswegen aber nicht auf. Vielleicht sollte ich ja öfter mal was zu Essen zu Hause einpacken.


Redaktion: Philipp Daum; Schlussredaktion: Susan Mücke; Bildredaktion: Martin Gommel.