Unmengen an vollen Einkaufstüten stehen am Boden vor den Füßen einer Frau, die mit ihrem Handy und eingerahmt von weiteren Einkaufstaschen, auf einem Sofa sitzt.

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Sinn und Konsum

Der große Trick – warum wir Dinge kaufen, die wir nicht brauchen

Wir kaufen ständig Dinge, die wir nicht brauchen. Das ist nicht allein unsere Schuld. Die Wirtschaft will das so. Alles begann mit einem Unternehmer in Detroit, der ein Problem hatte: Sein Produkt war zu erfolgreich.

Profilbild von Katharina Mau

Anfang des letzten Jahrhunderts konnten sich nur sehr wenige Menschen ein Auto leisten. Geändert hat das ein Mann namens Henry Ford, Gründer des gleichnamigen Autobauers.

Ford produzierte Autos am Fließband, dadurch wurden sie so günstig, dass sich auch die breite Masse eines kaufen konnte. Anfangs experimentierte Ford noch mit Farben – dann gab es das erfolgreiche Model T nur noch in schwarz. Gleichzeitig war Ford Qualität wichtig: Im Schnitt konnten die Menschen das Model T acht Jahre lang fahren – zwei Jahre länger als jedes andere Auto, das es damals auf dem Markt gab, wie Giles Slade in „Made to Break: Technology and Obsolescence in America“ schreibt. Doch bald hatte der Unternehmer Ford ein Problem: Fast alle Familien, die sich ein Auto leisten konnten, hatten eines. Die sahen alle gleich aus und gingen nicht kaputt.

Hier kommt ein zweiter Mann ins Spiel: Alfred Sloan, von 1923 bis 1937 Chef der konkurrierenden Firma General Motors. Anfangs hatte er keine Chance gegen Ford, dann ließ er seinen Autos ein neues Design verpassen – plötzlich verkauften diese sich. Wenig später gründete Sloan die erste Design-Abteilung bei einem amerikanischen Autohersteller und machte den Designer Harley Earl zu deren Chef. Bei einer Diskussion 1955 sagte Earl: „Unsere große Aufgabe ist es, die Veralterung zu beschleunigen. 1934 hatten die Menschen ihr Auto im Durchschnitt fünf Jahre, heute sind es zwei Jahre. Wenn es ein Jahr ist, haben wir einen perfekten Wert.“

Ford und Sloan sind die Pioniere des modernen Massenkonsums, aber auch der Überflussgesellschaft. Erstmals waren Unternehmen im großen Stil mit dem Problem konfrontiert, dass sie mehr produzieren konnten als die Menschen kaufen wollten.

Heute bringen Autofirmen immer noch ständig neue Modelle auf den Markt, genauso wie Fernseh-, Laptop- und Smartphonehersteller. Klar gibt es dabei auch immer wieder neue technologische Verbesserungen. Aber brauchen wir die wirklich in diesem schnellen Takt?

Als der Autodesigner Earl 1934 seinen Vortrag hielt, sprach er im englischen Original von „obsolescence“, auf Deutsch geschrieben: Obsoleszenz. Das bezeichnet das Prinzip, Produkte von vorneherein so anzulegen, dass sie schneller altern, unmodern oder unbrauchbar werden. Unsere Welt ist voll von Produkten, die genauso funktionieren: Tintenstrahldrucker, Smartphones, Kaffee in Kapseln – mehr verkaufen, immer mehr.

Laut einer Befragung der Forschungsgruppe „Challenge Obsolescence“ nutzen Menschen in Deutschland ihr Smartphone im Schnitt 2,7 Jahre. Als Grund dafür, sich ein neues Smartphone zu kaufen, gaben 54 Prozent an, dass sie ein neues, leistungsfähigeres Modell haben wollten. 48 Prozent sagten, ein neues Gerät bereite ihnen einfach Freude. (Man konnte mehrere Gründe angeben.)

Den Gewinn dafür streichen die Unternehmen ein, der Staat bekommt seinen Anteil als Steuern, die Konsument:innen sind „glücklich“ – alle gewinnen, oder?

Aber schon jetzt hat die Menschheit Probleme all die Ressourcen zu gewinnen, die sie gerade verbraucht (und will deswegen in der Zukunft auch in der Tiefsee graben, wie ich in diesem Krautreporter-Artikel erklärt habe). Bis heute ist es ihr nicht gelungen, das Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch abzukoppeln. Hinter den cleveren Verkaufsstrategien der Marketing- und Designabteilungen steckt also ein größerer, einfacher Zusammenhang: Je mehr sie die Leute verführen Zeug zu kaufen, das diese eigentlich gar nicht brauchen, desto stärker leidet die Umwelt und erhitzt sich das Klima.

Deswegen habe ich mir angeschaut, mit welchen Strategien uns die Industrie verführt – und welche Ideen es gibt, das sich immer schneller drehende Konsumrad zu verlangsamen. Zunächst aber müssen wir nochmal zurück in der Geschichte, zu einem der eindrücklichsten Beispiele für Verkaufstricks, das mir bei der Recherche begegnet ist. Wir müssen über Glühbirnen reden.

Wie kann man mehr Glühbirnen verkaufen? Sie dürfen nur noch halb so lang leuchten

Es gibt Produkte, die kann man noch so oft neu designen, die Menschen nutzen sie trotzdem, bis sie kaputt gehen. Die Glühbirne ist so ein Produkt. Als in den 20er Jahren großen Glühbirnenherstellern die Gewinne wegbrachen, mussten sie sich etwas einfallen lassen.

Es war der Tag vor Weihnachten 1924: Vertreter der größten Glühbirnenhersteller der Welt kamen in Genf zusammen, um das sogenannte Phoebuskartell zu schmieden. Einer ihrer Pläne: Alle Hersteller sollten die Brenndauer ihrer Haushalts-Glühbirnen, die damals bei 1.500 bis 2.000 Stunden lag, auf 1.000 Stunden reduzieren.

Das war gar nicht so einfach, denn die Glühbirnen sollten nicht einfach nur schlechter werden, sondern ziemlich genau nach 1.000 Stunden kaputt gehen. Der Medienwissenschaftler Markus Krajewski und der Journalist Helmut Höge haben in den Archiven des Unternehmens Osram in Berlin recherchiert: „Wir haben eine akribische Korrespondenz zwischen den Fabriken und Laboren des Kartells gefunden, die daran forschten, wie man den Glühfaden und andere Teile verändern könnte, um die Lebensdauer der Glühbirnen zu verkürzen”, schreibt Krajewski in der Zeitschrift IEEE Spectrum. Die Fabriken mussten regelmäßig Probe-Glühbirnen an ein Testlabor schicken. Wenn die länger oder kürzer als die vereinbarten 1.000 Stunden brannten, mussten sie eine Strafe zahlen.

Am Anfang ging der Plan auf: Im Steuerjahr 1926/27 hatten die Mitglieder des Kartells laut Krajewski weltweit 335,7 Millionen Glühbirnen verkauft, vier Jahre später waren die Verkaufszahlen auf 420,8 Millionen gestiegen. Weil der Markt immer größer wurde, begann das Kartell aber zu wackeln und löste sich im Zweiten Weltkrieg endgültig auf.

Das Prinzip, das die Glühbirnenhersteller damals etabliert haben, beschäftigt uns allerdings noch heute: die Form der Obsoleszenz, bei der Produkte so gebaut werden, dass sie nach einer bestimmten Zeit kaputt gehen.

Im Oktober 2018 hat Italien eine Millionenstrafe gegen Apple und Samsung verhängt. Beide Unternehmen hatten Kund:innen aufgefordert, bei ihren Smartphones Updates zu installieren, die zu Fehlern führten und die Smartphones langsamer machten. Frankreich entschied Anfang des Jahres, dass Apple 25 Millionen Euro zahlen muss – aus dem gleichen Grund. Nutzer:innen konnten das Update nicht mehr rückgängig machen und mussten den Akku wechseln lassen oder sich ein neues Smartphone kaufen. Apple bestreitet, dass es darum ging, mehr iPhones zu verkaufen. Viel mehr ginge es darum, die Smartphones durch das Verlangsamen länger funktionsfähig zu halten.

Diese Art der Obsoleszenz ist sehr schwer nachzuweisen und in vielen Fällen auch Definitionssache. Zum Beispiel hat das Öko-Institut in einer Studie verschiedene Beispiele untersucht, eines davon ein Tintenstrahldrucker. Gerade bei günstigen Druckern kommt es vor, dass sie irgendwann streiken – ohne ersichtlichen Grund. Laut der Studie sind in diesen Druckern kleine Schwämmchen verbaut, die die Tinte aufsaugen, die bei jedem Reinigen übrig bleibt. Wenn das Schwämmchen vollgesogen ist, macht der Drucker nicht mehr weiter, damit keine Tinte rausläuft. Das Schwämmchen auszutauschen, ist so teuer, dass viele sich lieber einen neuen Drucker kaufen.

Streng genommen ist also kein Teil eingebaut, das den Drucker nach einer bestimmten Zahl an gedruckten Seiten kaputt gehen lässt. Es wäre aber einfach, den Drucker länger haltbar zu machen, wenn man statt des Schwämmchens einen austauschbaren Behälter einbaut, der die Tinte auffängt – was bei den teureren Druckern auch so ist. Und die Autor:innen kritisieren, dass die Hersteller nicht darüber informieren, dass dieses Teil verbaut ist und der Drucker deshalb nicht so lang halten wird.

Druckerhersteller verwenden übrigens auch gern ein anderes Prinzip, um mehr zu verkaufen: ein günstiger Drucker, der nur mit den teuren Nachfüllpackungen der gleichen Marke funktioniert. Ein Unternehmen, das diese Taktik in die Perfektion getrieben hat, ist Nestlé.

Fast 70 Euro pro Kilo Kaffee für Nespresso-Kapseln

Der junge Ingenieur Eric Favre reiste 1975 mit seiner Frau Anna-Maria nach Rom. Er fragte sich, wieso der Espresso dort besser schmeckte als zuhause und kam darauf, dass es an der Luftzufuhr liegen müsse. „Ich wollte einen italienischen Espresso für Otto Normalverbraucher machen“, sagt Eric Favre dem Journalisten Joel Bedetti für NZZ Folio. Es war wohl nicht ganz einfach, sich mit der Idee bei seinem Arbeitgeber Nestlé durchzusetzen. Aber schließlich entwickelte Favre eine Kapselmaschine und überzeugte seine Chefs, eine eigene Firma innerhalb des Konzerns zu gründen: Nespresso.

Am Anfang versuchte Favre, die Kapselmaschinen an Büros zu verkaufen. Aber niemand wollte sie haben. Zum wirtschaftlichen Erfolg hat Nespresso dann ein anderer verholfen: Jean-Paul Gaillard kam aus dem Marketingbereich und suchte sich Privatmenschen als neue Zielgruppe. Die Kapseln verkaufte Nespresso anfangs per Post, heute im Internet und in Nespresso-Boutiquen. Dadurch entsteht ein Gefühl der Exklusivität, des Besonderen.

Nespresso schaffte es also, dass Menschen, die sich jahrelang Kaffee mit dem Filter, der Drückerkanne oder einer Kaffeemaschine gekocht hatten, auf einmal unbedingt Kaffee in Kapseln kaufen wollten. Eine Werbekampagne mit George Clooney half, ein Gefühl des Luxus zu vermitteln. Dafür geben Menschen deutlich mehr Geld aus – rechnet man den Preis der Kapseln auf das Kilo Kaffee um, kommt man auf fast 70 Euro.

Wer einmal eine Nespresso-Maschine gekauft hatte, musste immer wieder die Kapseln von Nespresso kaufen. Erst seitdem vor ein paar Jahren das Patent ausgelaufen ist, können auch andere Hersteller Kapseln für Nespresso-Maschinen produzieren.

Das Beispiel Nespresso zeigt, wie Firmen es schaffen, dass wir für Dinge, die schon gut funktionieren – Kaffee kochen – auf einmal etwas Neues haben wollen. Hier kann man sich natürlich streiten: Nach diesem Prinzip funktionieren viele Erfindungen. Und manche erleichtern uns bestimmt das Leben oder machen es schöner. Doch vieles kaufen wir auch nur, weil es neu und besonders ist – bis wir feststellen, dass wir es nicht wirklich brauchen.

Mieten statt Kaufen und sich Mechanismen bewusst machen

Es gibt verschiedene Vorschläge, wie man das Problem, dass Hersteller uns zum Kaufen bewegen wollen, lösen oder abschwächen könnte. Einer, der wohl am meisten verändern würde: Hersteller sollten ihre Geräte nicht verkaufen, sondern vermieten. Dadurch hätten sie die Motivation, Waschmaschinen, Drucker oder Kühlschränke so zu bauen, dass sie möglichst lange halten. Und die Menschen, die diese Geräte nutzen, haben einen Anreiz, kaputte Smartphones nicht in der Schublade liegen zu lassen, sondern wieder zurückzugeben, sodass der Hersteller sie reparieren oder wenigstens die Rohstoffe recyceln kann. Das funktioniert auch bei Kleidung. Beim Hersteller Mud Jeans kann man zum Beispiel Jeans leasen.

Andere Vorschläge sind nicht so ambitioniert, würden aber auch schon helfen. Die Autor:innen einer Studie des Instituts für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT) nennen zum Beispiel eine gesetzliche Mindestlebensdauer als mögliche Lösung. Die könnte sich an vergleichbaren Produkten guter Qualität orientieren. Man könnte auch einführen, dass die Hersteller angeben müssen, wie lange ein Gerät hält, je nachdem, wie intensiv man es nutzt. Dadurch würde der Wettbewerb zwischen den Herstellern in eine umweltfreundlichere Richtung gelenkt.

Ein anderer Ansatzpunkt sind Garantie und Gewährleistung. Es gibt eine gesetzlich festgelegte Gewährleistung, die bei neuen Geräten zwei Jahre lang gilt. Sie deckt Schäden ab, die das Gerät schon beim Kauf hatte und man kann das Gerät dort reklamieren, wo man es gekauft hat. Ab dem siebten Monat müssen allerdings die Käufer:innen beweisen, dass das Gerät schon von Anfang an den Fehler hatte. Die Autor:innen der IZT-Studie fordern, dass diese Beweislast für 24 Monate bei den Verkäufer:innen liegen soll. Sie müssten dann beweisen, dass der Schaden erst später entstanden ist. Das würde wiederum einen Anreiz schaffen, langlebige Güter herzustellen.

Und sie fordern, dass die Hersteller Angaben zur Garantie machen müssen. Die Garantie ist bisher freiwillig. Die Hersteller könnten dann auch eine Garantiezeit von null Jahren angeben, dadurch würden sie im Wettbewerb aber schlechter dastehen. Sobald sie eine längere Garantie angeben, haben sie die Verantwortung, dass das Gerät so lange funktioniert.

Ein weiterer Lösungsansatz liegt komplett in unseren Händen als Käufer:innen. Wir können uns diese Mechanismen bewusst machen und immer zweimal überlegen, was gerade der wirkliche Grund ist, dass wir ein neues Modell kaufen wollen. Und wenn wir ganz ehrlich zu uns sind – vielleicht kaufen wir es dann einfach mal nicht.


Danke an Philine, Jele, Norbert, Peter, Christoph, Juliane, Kai, Karl, Christian, Axel, Gero, Dorothea, Günter, Karin, Eva, Stefan, Günter, Yann, Pit, Marina, Ena, Carsten und Katharina für eure Gedanken zum Thema „Dinge, die nicht so lange halten, wie sie sollten“. Auch durch eure E-Mails habe ich entschieden, das Thema breiter aufzuziehen und nicht nur auf die Haltbarkeit einzugehen, sondern auch auf andere Mechanismen.


Redaktion: Rico Grimm; Schlussredaktion: Belinda Grasnick; Fotoredaktion: Verena Meyer.