Vor ein paar Monaten saß ich mit einem Freund zusammen. Er erzählte eine Geschichte, ich nippte an meinem Kaffeebecher aus Bambus. Der Freund sah den Becher, machte eine Pause und schaute mich entsetzt an: „Ist das so ein Ding aus Bambus?“ – „Ja. Gut, oder?“ – „Weißt du, wie schädlich die sind?“
Nein, das wusste ich nicht.
Mein Freund erzählte mir von einem Produkttest, der herausgefunden hatte, dass fast alle getesteten Bambusbecher in Verbindung mit Wärme Schadstoffe freisetzen. Und recycelbar waren sie auch nicht, weil die Becher häufig aus einer Mischung aus Bambusfasern und Melaminharz, also Kunststoff, bestehen. Toll. Dabei hatte ich ihn genau deshalb gekauft. Und jetzt vergifte ich für 9,99 Euro nicht nur die Umwelt, sondern auch mich selbst. Ich stellte den Bambusbecher in den Schrank. Dort steht er bis heute. Ich traue mich nicht, ihn zu entsorgen, wegen der Umwelt.
Seitdem sehe ich die Welt mit anderen Augen. Mir fallen immer mehr Bambusprodukte auf: Bambuszahnbürsten, Bambuskugelschreiber, Bambustoilettenpapier. Und gleichzeitig entdecke ich immer mehr Kritik an vermeintlich umweltfreundlichen Produkten: Bambuszahnbürsten hätten Borsten aus Plastik. Stoffbeutel müssten tausende Male verwendet werden, um nachhaltiger als Plastiktüten zu sein. Sojamilch sei auch nicht besser als Kuhmilch, schließlich muss das Soja auch importiert werden.
Also doch wieder Plastikbecher, Plastikbürste und Plastikflasche? Um meiner Verwirrung abzuhelfen, habe ich mir vier vermeintlich umweltfreundliche Produkte genauer angeschaut. Ein Experte hat ihre Umweltverträglichkeit für uns bewertet.
Die Zahnbürste aus Bambus
Das Versprechen:
„Beim Zähneputzen drei Mal täglich Gutes tun!“, damit wirbt zum Beispiel die Firma Hydrophil, die sich auf die Herstellung von nachhaltigen Hygieneprodukten spezialisiert hat: Zahnbürsten, Cremes, Seifen und anderes. Hydrophil verspricht, klimaneutral, vegan und fair zu sein. Zehn Prozent der Gewinne werden an die Wasserinitiative Viva con Agua gespendet. Die Wertschöpfungskette, so steht es auf der Homepage, „behalten wir bis ins kleinste Detail persönlich im Blick.“ Es gibt dort sogar einen Rechner, der anzeigt, wie viele Tonnen Plastik das Unternehmen schon eingespart haben soll.
Die Methode:
Die beliebteste Zahnbürste ist die nachhaltige Zahnbürste in grün und mit mittelweichen Borsten – gefertigt aus nachwachsenden Rohstoffen, erdölfrei und mit Naturfarben gefärbt. Die „bio-basierten Borsten“ werden aus Rizinusöl hergestellt, das zu Bio-Nylon verarbeitet wird – also Bio-Plastik. Der Griff besteht aus Moso-Bambus, laut Homepage ohne Pestizide, künstliche Bewässerung und Chemie hergestellt.
Eine handelsübliche Zahnbürste besteht aus konventionellem Plastik. Hergestellt aus Erdöl, das aufwändig in seine Einzelteile zerlegt und weiterverarbeitet wird und nicht recycelbar ist. Einer der größten Anbieter in Deutschland, GlaxoSmithKline (dazu gehört Dr. Best) ist nicht so auskunftsfreudig, wenn es um Informationen zu Herstellungsbedingungen geht. Die Suche nach „Herstellung“ oder „Plastik“ auf Dr-best.de liefert null Treffer, ein Link von GlaxoSmithKline zum Thema „Der Umwelt zuliebe“ führt ins Leere – Page not found.
Das Urteil:
Zuerst mal: Verlässliche Urteile in Bezug auf Umweltbilanzen und CO2-Bilanzen sind schwer zu treffen. Es gibt kaum handfeste oder aktuelle Zahlen dazu, schon gar nicht für konkrete Produkte wie eine Bambuszahnbürste. Denn solche Ökobilanzen sind teuer – zu teuer für die meist kleinen Unternehmen, die nachhaltige Produkte versprechen.
Aber wir können uns der Sache zumindest annähern.
Dazu habe ich mit Philipp Sommer telefoniert. Er ist Abfallexperte bei der Deutschen Umwelthilfe. Wie nachhaltig ist die Bambuszahnbürste? Sommer sagt: „Bambus hat tatsächlich geringere Umweltauswirkungen als Kunststoff – bei der Herstellung.“ Bambus wächst natürlich, ist leichter als unser heimisches Holz – und die Weiterverarbeitung ist einfacher: Man kann den Griff der Bürste aus einem Stück Bambus schnitzen.
Problematisch findet Sommer die Entsorgung: Für die Biotonne sind die Rottezeiten des Bambus zu lang, eigentlich gehört die Zahnbürste in die Garten- oder Wertstofftonne. Der Bürstenkopf, der aus (Bio-)Plastik besteht, sollte aber vom Holzgriff getrennt werden. Plastik, auch Bioplastik, darf nicht mit Grünabfällen entsorgt werden.
Insgesamt spricht Philipp Sommer von einer „leichten Empfehlung“ für die Zahnbürste aus Bambus. Laut Umwelthilfe ist die vermutlich beste Zahnputzvariante eine Bürste mit austauschbarem Bürstenkopf, ob aus Bambus oder Plastik. Denn so muss weniger Material hergestellt werden, weniger Müll fällt an und die Umweltbelastung wird reduziert.
Der Rucksack aus Meeresplastik
Das Versprechen:
Millionen Tonnen von Plastikmüll finden jedes Jahr den Weg in die Ozeane. „Keeping our oceans plastic-free“, das verspricht zum Beispiel Got Bag, ein deutsches Startup, das Produkte aus Meeresplastik anbietet.
Die Methode:
Für jeden Rucksack von Got Bag werden 3,5 Kilogramm Meeresplastik geborgen – von einem „Netzwerk aus 1.500 Fischern und 400 Boten“. So beschreibt es Got Bag in einer Pressemitteilung. Es wird aussortiert, gesäubert, danach zu Pellets und später zu Garn weiterverarbeitet. Daraus entstehen die Rucksäcke. Nach eigenen Angaben entsteht ein Rucksack so zu 97 Prozent aus Meeresplastik, sollte das Material den Qualitätsansprüchen des Unternehmens nicht genügen, werden 3 Prozent recyceltes PET verwendet, keine anderen rohen Kunststoffe. Got Bag hat nach eigenen Angaben ein großes Netzwerk aus Zulieferern in China, um möglichst umweltbewusst produzieren zu können. Die fertigen Produkte werden mit dem Zug nach Deutschland geschafft.
Das Urteil:
Dass der Rucksack von Got Bag tatsächlich aus Meeresplastik besteht, ist besonders. Denn laut Philipp Sommer handelt es sich bei vielen Produkten aus Meeresplastik nicht wirklich um Plastik oder Plastikteilchen aus dem Meer. Meist ist es Müll, den man am Strand einsammeln kann. Der Grund ist: Das Meeresplastik ist meist sehr verschmutzt und zerfallen, muss also in der Regel erst aufwändig gereinigt und aufgearbeitet werden.
Das klingt jetzt nach Haarspalterei, oder? Eigentlich sollte man doch froh sein, dass sich jemand des Plastikproblems annimmt? Jein, zumindest nach Sommers Argumentation: „End-of-Pipe-Lösungen“, also die nachträgliche Verringerung von Umweltbelastungen eines Produktionsprozesses, setzen am falschen Ende an. Auch wenn es Firmen wie Got Bag gibt, die tatsächlich Produkte aus 100 Prozent Meeresplastik herstellen: Der beste Plastikmüll ist kein Plastikmüll. Es geht also darum, Plastik zu sparen. „Denn eine unnötige Einwegverpackung, die am Ende leicht wieder in der Umwelt landet, ist nicht umweltfreundlich, nur weil sie aus Meeresplastik besteht“, sagt Philipp Sommer.
Und noch eine Sache sei schwierig: Wenn Firmen ihr umweltschädliches Kerngeschäft mit einigen Produkten aus Meeresplastik schönfärben. Wenn also Coca-Cola, eine der größten Müllschleudern der Welt, eine Plastikflasche vorstellt, die zu 25 Prozent aus Meeresplastik bestehen soll. Denn selbst wenn sie zu 100 Prozent aus Meeresplastik bestehen würde, bleibt es eine unnötige Wegwerfverpackung. Wirklich umweltfreundlich wären dagegen Mehrwegflaschen, die immer wieder gereinigt und erneut befüllt werden.
Der Stoffbeutel
Das Versprechen:
Dieser Klassiker des Umweltschutzes braucht eigentlich keinen Werbeslogan. Er ist trotzdem oft bedruckt, mit lustigen Sprüchen, mit denen man neben der beutelimmanenten Botschaft („Ich habe ein Herz für die Umwelt“) noch für LGBTQ-Rechte oder den örtlichen Buchladen werben kann.
Die Methode:
Kein Plastik, kein Müll, und immer wiederverwendbar. Viel besser als diese durchsichtigen Fetzen aus dem Supermarkt. Oder?
Das Urteil:
Es kommt darauf an. Und zwar darauf, wie oft man eine Tüte benutzt – egal ob sie aus Plastik, Papier, Stoff oder Meeresplastik besteht. Sucht man nach konkreten Studien, die Stoffbeutel mit Plastiktüten vergleichen, unterscheiden sich die Zahlen stark. Manche argumentieren, dass sich der Stoffbeutel gegenüber der Plastiktüte lohnt, wenn man ihn mindestens 82-mal benutzt. Eine dänische Studie aus dem Jahr 2018 errechnet, dass sogar 150 Nutzungen erforderlich seien, wenn man alle Indikatoren mit einbezieht: Also, die Herstellung des Materials, die Produktion des Beutels und dessen Nutzung.
Woran liegt das? Die Zahlen schwanken, weil jede Studie andere Indikatoren benutzt: Manche Studien gehen zum Beispiel davon aus, dass jede Tüte (egal ob Plastik oder Baumwolle) gleich oft verwendet werden kann. Andere argumentieren, dass in eine Baumwolltasche weniger passt als in eine Plastiktüte. Eine einzelne Stofftasche ist natürlich viel aufwändiger als eine einzelne Plastiktüte. Aber eine Plastiktüte ist nicht darauf ausgelegt, besonders oft verwendet zu werden.
Philipp Sommer von der Deutschen Umwelthilfe sagt: „Die Anzahl der Benutzungen entscheidet, da reichen schon 20- bis 30-mal und der Stoffbeutel ist im Vorteil.“
Klar ist: Je öfter man einen Beutel benutzt, desto besser. Wichtig ist also, dass die Beutel auch tatsächlich verwendet werden und nicht nur schick an der Garderobe hängen. Denn der umweltfreundlichste Stoffbeutel – und das gilt eigentlich für alle Produkte – ist der, der gar nicht erst produziert werden muss.
Die Hafermilch
Das Versprechen:
„It’s like milk but made for humans.“ Oatly macht Hafermilch und lustige Sprüche. Die schwedische Firma bietet neben Haferdrinks auch allerhand andere Haferprodukte an, es gibt Matcha-Latte und Gurkenaufstrich.
Die Methode:
Oatly meint: Milch ist für Menschen unnötig. Die Firma hat nach eigenen Angaben bereits vor 30 Jahren ein eigenes Verfahren zur Herstellung von Hafermilch und -produkten entwickelt: The Oatly Way – im Einklang mit den „menschlichen Bedürfnissen und denen des Planeten.“ Kuhmilch hingegen soll aufgrund von Massentierhaltung, Futtermittelimport und dem Ausstoß von Methangasen alles andere als im Einklang mit der Umwelt stehen.
Das Urteil:
Philipp Sommer sagt: „Was den Inhalt angeht, sind Kuhmilchersatzprodukte deutlich umweltfreundlicher als tierische Produkte.“ Die Zutaten für die Hafer-, Soja- oder Mandeldrinks werden zwar manchmal importiert, was dann die Umweltbilanz drückt. Das Futter der Milchkühe aber auch, meist ist es Soja aus Südamerika. Als Faustregel bei den Drinks gilt: Je regionaler, desto besser. Mittlerweile gibt es Hafergetränke vom Bodensee und Sojadrinks aus Österreich. Deswegen gilt: Hafermilch ist besser als Sojamilch. Reismilch und Mandelmilch müssen importiert werden, darum fällt die Bilanz im Vergleich schlechter aus.
Problematisch bei den Getränken sind allerdings häufig die Verpackungen, denn das sind noch sehr oft Getränkekartons. „Getränkekartons sind ein Verbund aus Plastik, Aluminium und Papier, bestehen zu 100 Prozent aus Neumaterial und lassen sich nur schwer recyceln“, so Philipp Sommer von der Umwelthilfe.
Übrigens: Wer nicht auf Kuhmilch verzichten möchte, kauft am besten bio und in der Mehrwegflasche.
Es gilt also: Wir haben es selbst in der Hand, wie viel neues Plastik in Umlauf kommt und ob unsere Einkaufstaschen und Zahnbürsten nur gut aussehen – oder häufig verwendet werden. Denn hier gilt ausnahmsweise: mehr ist mehr!
Was mache ich jetzt mit meinem beschämenden Bambusbecher, der sich in meinem Küchenschrank vermutlich nicht von selbst zurück in seine Einzelteile zerlegen wird? Irgendwann wird er im Restmüll landen und dann verbrannt werden müssen. Irgendwas einsparen oder schonen, konnte ich mit dem Kauf also nicht.
Meinem Bambusbecher-Kumpel versprach ich übrigens, mir nun einen guten alten Kaffee-Thermobecher zuzulegen und ihn dann auch wirklich zu nutzen, so lange wie möglich. Also, bis mich der nächste Bekannte oder der nächste Produkttest vom Gegenteil überzeugt.
Wer wissen möchte, was wir sonst noch gegen die Klimakrise tun können, für den hat die KR-Community einige Tipps gesammelt.
Redaktion: Philipp Daum; Schlussredaktion: Susan Mücke; Bildredaktion: Martin Gommel, Audioversion: Christian Melchert