Hinter der Nachfrage nach glutenfreien Lebensmitteln steckt mehr als eine Mode

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Sinn und Konsum

Hinter der Nachfrage nach glutenfreien Lebensmitteln steckt mehr als eine Mode

Fühlst du dich von Brot bedroht?

Profilbild von Theresa Bäuerlein
Reporterin für Sinn und Konsum

Einmal hatte ich eine schlimme Erfahrung mit einem Brötchen, die ich anschließend in diesem Artikel verarbeitet habe:

Ich war hungrig und in Eile, als ich es beim Einkaufen aus dem Regal nahm (und mich darüber wunderte, dass meine Drogerie jetzt Brot verkaufte). Es war blass und in Plastik eingeschweißt, hatte die Konsistenz eines Tafelschwamms und schmeckte schal. Ein Blick auf die Verpackung brachte Klärung: Das Produkt war glutenfrei. Es konnte also gar nicht wie ein normales Brötchen schmecken, weil es eine Art Brotersatz aus Reismehl war.

Das ist jetzt mehr als vier Jahre her, und das Angebot an glutenfreien Lebensmitteln ist seitdem nur noch gewachsen. Jeder größere Supermarkt und jede Bäckerei-Kette haben glutenfreie Brote und Nudeln im Sortiment (die zum Glück mittlerweile meistens besser schmecken).

Die Sache ist: Das ist nicht einfach nur einer von vielen seltsamen Lebensmitteltrends, die wieder verschwinden werden. Der Smoothie-Hype etwa wird irgendwann abreißen, denn es wird einen Punkt geben, an dem die Menschen genug verdünnten Obst- und Gemüsebrei getrunken haben (ich persönlich habe meinen Smoothie-Zenit vor etwa einem Jahr überschritten, meinen im Pürier-Rausch angeschafften Hochleistungsmixer benutze ich jetzt hauptsächlich für Suppe – auch nichts anderes als ein warmer Smoothie).

Wer leidet, kauft glutenfreie Lebensmittel

Hinter der Nachfrage nach glutenfreien Lebensmitteln steckt jedoch mehr als eine Mode. Nämlich die Tatsache, dass immer mehr Menschen tatsächlich leiden.

Der Gastroenterologe Knut Lundin stellte diesem Artikel zufolge im Magazin Science vor etwa einem Jahrzehnt fest, dass es auf einmal eine Welle an Patienten gab, die behaupteten, dass sie kein Gluten vertrugen. Sie klagten über Bauchschmerzen und andere unangenehme Symptome, die denen einer Weizenallergie glichen oder der chronisch entzündlichen Darmkrankheit Zöliakie, die von Gluten ausgelöst wird, einem Klebereiweiß in Weizen und manchen anderen Getreiden. Aber weder die Allergie noch die Darmkrankheit waren bei den Patienten nachweisbar.

Als die Welle anfing, wollte diesen Menschen daher niemand glauben, die Beschwerden galten als Hirngespinst. Mittlerweile gibt es kaum noch Zweifel daran, dass irgendein Bestandteil von Weizen und anderen Getreiden viele Menschen krank macht. Es gibt keinen Beweis dafür, dass es Gluten ist. Trotzdem geht es diesen Menschen oft besser, wenn sie sich glutenfrei ernähren.

Wir bekommen erst seit kurzem Bauchschmerzen von Getreide

Menschen essen seit 10.000 Jahren Getreide, aber seit relativ kurzer Zeit kriegen so viele von uns davon Bauchweh. Woran liegt das?

An der Bezeichnung für das Problem, Nicht-Zöliakie-Nicht-Weizenallergie-Weizensensitivität, lässt sich eine gewisse Hilflosigkeit erkennen. Denn nach wie vor wissen Ärzte und Forscher nicht, wie sie diese Sensitivität sicher nachweisen sollen. Anders als bei Zöliakie und Allergien gibt es keine klaren körperlichen Marker dafür, die sich testen lassen. Ärzte und Forscher müssen sich daher auf die Aussagen von Patienten verlassen.

Natürlich sagt niemand beim Arzt: „Ich habe eine Nicht-Zöliakie-Nicht-Weizenallergie-Weizensensitivität.“ Die meisten suchen die Schuld nach wie vor beim Gluten, weil die Symptome denen einer Glutenunverträglichkeit gleichen. Laut Science empfehlen sogar manche Ärzte ihren Patienten mittlerweile eine glutenfreie Ernährung, obwohl sie nicht sicher sein können, was eigentlich die Beschwerden auslöst. So zum Beispiel der Gastroenterologe Alessio Fasano, der auch ein Buch über glutenfreie Ernährung geschrieben hat.

„Letztlich sind wir nicht da, um zu forschen, sondern um die Lebensqualität der Menschen zu verbessern. Wenn ich Knochen auf den Boden werfen und den Mond anschauen muss, damit jemand sich besser fühlt, dann tue ich das, selbst wenn ich nicht weiß, was das soll.“

Schuld sind oft nicht Weizen und Gluten, sondern FODMAPs

Es gibt Indizien, die für eine andere Ursache als Gluten oder Weizen sprechen: FODMAPs, das sind kurzkettige Kohlenhydrate und Zucker-Alkohol. Sie stecken in Weizen und anderen Getreiden, aber auch in vielen anderen Lebensmitteln wie Zwiebeln, Joghurt, Äpfeln und Bohnen, um nur ein paar zu nennen. FODMAPS scheinen die gleichen unspezifischen Bauch-Kopf-Verdauungsprobleme zu provozieren, für die man oft Gluten verantwortlich macht. Wer sich glutenfrei ernährt, nimmt oft auch weniger FODMAPS zu sich – was der Grund dafür sein könnte, dass es Menschen mit dieser Ernährung besser geht.

Ein weiterer möglicher Problemauslöser sind moderne Verarbeitungsmethoden. Beim Brot etwa gibt es zwei Faktoren, die vor 10.000 Jahren definitiv noch kein Thema waren. Einerseits sind das die über 200 Zusatz- und Hilfsstoffe, die heute im Backgewerbe erlaubt sind, andererseits die heute üblichen kurzen Gehrzeiten für Brotteige: Ein Teig, der lange fermentieren darf, zum Beispiel ein echtes Sauerteigbrot, enthält weniger oder keine FODMAPS mehr. Forscher der Universität Hohenheim haben festgestellt, dass die Verarbeitungsmethode, die bei einem Teig eingesetzt wird, viel stärker beeinflusst, ob Menschen eine Backware vertragen als das verwendete Korn.

Der Landwirt Bob Quinn und die Agrarforscherin Liz Carlisle versuchen sich in diesem Artikel an einer noch umfassenderen Erklärung. Sie glauben, dass wir das eigentliche Problem umschiffen, wenn wir Bestandteile wie Gluten oder Weizen aus unserer Ernährung verbannen. Denn ihrer Ansicht nach liegt das Problem tiefer: Nämlich auch in der Tatsache, dass der Weizen, den wir heute in Form eines typischen Brötchens oder von Nudeln essen, extrem anders ist als früher.

Um effiziente Weizenernten und -sorten zu haben, ist das Getreide im 20. Jahrhundert durch Zucht stark verändert worden – und damit auch seine chemische Zusammensetzung und sein Nährstoffprofil. Zucht an sich ist kein Problem, aber der Fokus sollte, meinen Carlisle und Quinn, nicht (nur) auf Effizienz liegen, sondern auch auf Verträglichkeit und Nährstoffen (und darauf, welche Sorten den Klimawandel überstehen können).

Selberbacken kann das Problem lösen

Auch wenn weiterhin nicht klar ist, warum genau wir Weizen oder überhaupt Getreide schlechter vertragen zu scheinen als früher, lassen sich drei Schlüsse ziehen:

  • Wenn jemand in deinem Umfeld behauptet, dass er oder sie kein Gluten verträgt, ist das wahrscheinlich keine Spinnerei (auch wenn der tatsächliche Auslöser für die Beschwerden nicht Gluten sein muss).

  • Wer unbestimmte Beschwerden hat, kann es mal – in Absprache mit einem Arzt – mit einer FODMAP-Diät probieren. Tipps dazu gibt es zum Beispiel hier.

  • Oder mit einem Brot, das eine lange Teigführung hinter sich hat. Aber Achtung, nicht jedes Brot, das als Sauerteigbrot verkauft wird, fällt in diese Kategorie – da hilft nur Nachfragen in der Bäckerei. Oder selbst backen.


Redaktion: Vera Fröhlich; Bildredaktion: Martin Gommel.