Warum finden wir es eigentlich normal, dass Werbung uns belügt? Diese Frage habe ich mir in diesen Tagen gestellt, nachdem ich ein Werbevideo sah, das mich ziemlich genervt hat – weil es ausnahmsweise nicht gelogen hat.
Ich muss das wohl erklären.
Letzte Woche hat das Fruchtgummi-Unternehmen Katjes ein Video ins Internet gestellt, mit dem es ein neues Produkt bewirbt, eine Schokolade, in der statt Kuhmilch Hafermilch steckt. Eine vegane Schokolade also. In dem Clip sieht man Kühe, die im Gleichschritt zum Melken marschieren wie eine Armee aufs Schlachtfeld, die Farben erinnern an Kriegsfilme (aber auch an die marschierenden Hämmer in diesem Pink-Floyd-Clip). Dazu sagt eine Stimme: „Jedes Leben ist wertvoll. Und Kühe sind keine Milchmaschinen.“
Der Bayerische Bauernverband zeigte sich schockiert, in den sozialen Medien überschlagen sich die Meinungen, und der Werberat hat eine Beschwerde an die Wettbewerbszentrale weitergeleitet – mit der Begründung, dass die Werbung gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb verstoßen könnte. „Mitbewerber, die Schokolade mit Milch anbieten, werden möglicherweise verleumdet oder herabgewürdigt.“ Es werde suggeriert, dass alle Milchbauern und Menschen, die Schokolade essen, Tiere ausbeuteten.
Bei Katjes denkt man wahrscheinlich: „Alles richtig gemacht“, eine bescheidene Schokolade hat maximale Aufmerksamkeit generiert. Nicht, weil 10 Prozent Haferpulver drin sind statt Milchpulver, sondern weil der Clip ein Statement ist. So hat Katjes im Segment der Süßwaren das geschafft, was bei den Fleischproduzenten das Unternehmen Rügenwalder Mühle vor ein paar Jahren gemacht hat: Es hat sich als vegan/vegetarischer Vorreiter etabliert.
Als ich in der Krautreporter-Facebookgruppe diesen Clip zur Diskussion gestellt habe, hatte ich mit mehr Kritik an Katjes gerechnet – aber die meisten fanden das Video gut. Ein ziemlich erhellender Kommentar kam von Wiebke: „Seit Jahren wird von Seiten der Milch- (und auch Fleisch-)Produzenten eine absolut einseitige und ganz klar falsche Darstellung gelebt: Glückliche Kühe auf der Weide? Von wegen.“
Ich denke, das ist der springende Punkt: Die Darstellung von Katjes provoziert auch deswegen, weil sie eine Realität zeigt, die viele nicht sehen wollen. Vielleicht ist der eigentliche Skandal, dass auf Milch- und Käsepackungen oft glückliche Kühe auf Wiesen zu sehen sind – oder auch auf Schokolade. Klassisches Beispiel: Die lila Milka-Kuh in der Alpenlandschaft. Ich habe versucht, herauszufinden, ob das Milchpulver in Milka-Schokolade von Betrieben kommt, die ihre Tiere tatsächlich auf die Weide lassen. Leider konnte ich nur Informationen dazu finden, ob es sich tatsächlich um „Alpenmilch“ handelt – das ist aber nur eine Herkunftsbezeichnung (ich verlinke dazu weiter unten einen spannenden Artikel).
Warum darf Werbung eigentlich täuschen?
Was, wenn man Bilder zeigen würde, die mehr der Realität entsprechen?
Wieso gilt es eigentlich allgemein als normal und akzeptiert, dass Produktwerbung so täuschen darf?
Darauf gibt es natürlich rechtliche Antworten. Es gibt einen Paragrafen, der bestimmt, was in der Werbung erlaubt ist und was nicht, und zwar der § 5 UWG (das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb). Demnach ist es unlauter, eine „irreführende geschäftliche Handlung“ vorzunehmen. Und das ist dann der Fall, „wenn sie unwahre oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben unter anderem über wesentliche Merkmale der Ware oder Dienstleistung wie Verfügbarkeit, Art, Ausführung, Vorteile und Risiken (…) enthält“.
Das große ABER: In der Rechtsprechung gilt, dass sogenannte „reklamehaften Übertreibungen“ erlaubt sind. Denn von den Verbrauchern wird erwartet, dass sie selbst einschätzen können, wenn sie ver…äppelt werden. Also: Ich kann mir ja denken, dass die Kuh auf der Packung meiner Billigmilch nicht der Realität entspricht. Aber stimmt das?
Wie KR-Mitglied Helge Thomas schreibt: „Sie (Katjes) betreiben zunächst einmal Bildung, indem sie noch einmal ganz klarmachen, dass auch für Schokolade Kühe leiden müssen. Das klingt banal. Ist es aber nicht.“
Die pauschale Verurteilung der Milchwirte im Katjes-Clip gefällt mir dennoch nicht – als gäbe es nur die eine Möglichkeit, Kühe zu halten und zu melken, nämlich die der Massentierhaltung. Man könnte ja auch diejenigen Produzenten, die sich um eine andere Tierhaltung bemühen, unterstützen, statt alle in einen Topf zu schmeißen. Aber mit differenzierten Aussagen lässt sich natürlich schlechter Schokolade verkaufen.
Da ich keine Schokolade verkaufen muss, habe ich hier eine Liste von Artikeln zusammengestellt. Sie helfen erstens, Werbung und Milchwirtschaft besser zu verstehen. Und zweitens ganz praktisch einzuschätzen, welche Milchmarken aus dem Supermarkt mit Recht Kühe im Grünen auf die Packung drucken. Und welche das mal schön bleiben lassen sollten.
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Die Wahrheit? Lügt man sich zurecht. Eine Analyse des Wirtschaftsmagazins Brandeins mit Antworten eines Werbestrategen
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Redaktion: Vera Fröhlich; Bildredaktion: Martin Gommel.