Mein Warme-Klamotten-Dilemma geht in die nächste Runde. Angefangen hat es vor zwei Jahren, als ich nach einem Wintermantel suchte und anschließend diesen Artikel schrieb: Warum unsere Winterjacken aus Plastik sind und deutsche Schäfer ihre Wolle wegschmeißen.
Letzte Woche begegnete mir dann in einem kleinen Laden in meiner Straße eine Strickjacke von so wunderbarer Weichheit, dass ich sie fast sofort gekauft hätte. Allerdings habe ich mir mittlerweile nicht nur bei Lebensmitteln angewöhnt, die Inhaltsstoffe durchzulesen. Auf dem Waschzettel der Strickjacke stand „60% Angora, 40% Nylon; Made in China.“ Angora: Waren das nicht diese superflauschigen Kaninchen? Und wie war das nochmal mit Tierschutz in China?
Zufriedene Kaninchen – „nicht grausam“ gekämmt
Ich vertagte den Kauf der Jacke und fragte beim Hersteller – einem dänischen Designer – an, woher er seine Angorawolle bezog. Drei Tage später antwortete mir eine nette Dame, die sagte, sie habe beim Hersteller in China nachgefragt, es handele sich um das Fell des Angora-Kaninchens (das wusste ich ja schon), das den Tieren ausgekämmt werde, diese Methode sei „cruelty-free“ (also: „nicht grausam“). Dazu schickte sie mir dieses Foto von zufrieden wirkenden wuscheligen Kaninchen auf einer grünen Wiese.
Gerne hätte ich mich damit zufriedengegeben. Aber journalistisch arbeiten heißt ja leider, dass man genau nachfragen muss (es war wirklich eine ungemein tolle Strickjacke). Und so schickte ich der netten Dame die Ergebnisse meiner Recherche bis dahin: Nämlich, dass laut Tierschutzorganisationen wie dem Tierschutzbund Angora-Kaninchen in der kommerziellen Massenproduktion keineswegs so leben, wie das Foto mich glauben machen wollte: also wie das Haustier einer Zehnjährigen im Garten.
Dass stattdessen meinen Informationen zufolge Käfighaltung normal sei und es gerade aus Angora-Farmen in China ziemlich fürchterliche Videos gibt, in denen den Tieren die Haare nicht freundlich ausgekämmt werden, sondern eher mitsamt der Haut ausgerupft (ich möchte diese Videos hier nicht verlinken, sie sind aber leicht zu finden. Mir war bis dahin gar nicht klar, dass Kaninchen schreien können. Jetzt weiß ich es, leider). Dass immer mehr Modehersteller in den letzten Jahren aus genau diesen Gründen Angora-Wolle aus dem Sortiment verbannt haben.
Wo ist er, der Konsumentenhimmel?
Ich hatte die leise Hoffnung, dass der Hersteller mir Beweise dafür schicken würde, dass es auch anders geht. Leider habe ich seit dieser E-Mail nichts mehr gehört. Mir bleiben aus dieser Erfahrung drei Dinge:
- mein Staunen darüber, dass ein Hersteller teurer, hochwertiger Kleidung so naiv mit seinen Quellen umgeht
- ein erneuter Beleg dafür, dass ein hoher Preis keinerlei Hinweise auf ethische Standards gibt
- eine Strickjacke weniger
Außerdem musste ich an eine Stelle in der großartigen Serie „The Good Place“ denken (Achtung, Spoiler!). Darin wird enthüllt, dass niemand nach dem Tod mehr ins Paradies kommt, weil die Folgen unserer Handlungen so komplex geworden sind, dass kein Mensch mehr „richtig“ oder „gut “ handeln kann. Das ist natürlich überspitzt. Aber ich glaube, genau so fühlen sich heute viele Menschen beim Einkaufen.
Und hier noch eine Information aus der Kategorie Myth-Busting, die ich nach der Diskussion zu diesem Artikel wichtig finde: Wer Fleischersatzprodukte aus Soja isst, muss deswegen kein schlechtes Gewissen in Sachen Regenwald haben.
Ja, Soja macht rund 40 Prozent des EU-weiten Eiweißverbrauchs aus, und 95 Prozent wird aus Drittländern importiert. Um Soja anzubauen, werden Wälder in Brasilien, Paraguay und Uruguay abgeholzt. Aber: Der weitaus größte Anteil dieses Sojas landet nicht in Sojamilch, Tofu und Ersatzwurst. Sondern im Tierfutter.
Laut eines Berichts der Umweltschutzorganisation Mighty Earth werden 75 Prozent des Sojaanbaus weltweit zu Tiernahrung verarbeitet, über eine Million Quadratkilometer Land gehen für den Soja-Anbau drauf – ein Gebiet, das dreimal so groß ist wie Deutschland. Hier ein aufschlussreicher Artikel dazu.
Schlussredaktion: Vera Fröhlich.