Mein Kaffee kommt aus einer kleinen Rösterei, die an Projekte in dessen Erzeugerländern spendet. Ins Flugzeuge steige ich nur, wenn Zugfahren nicht infrage kommt. Ich vermeide Plastiktüten und Jacken aus Acryl, und demnächst ist es acht Jahre her, dass ich das letzte Mal in ein Stück Fleisch gebissen habe. Kurz: Ich bin das, was man eine ethische Konsumentin nennt. Die nervige Hafermilch-Werbung, die gerade in deutschen Großstädten plakatiert ist, ist für Menschen wie mich gemacht, genau wie die Flyer für fairtrade-Kleider in meinem Briefkasten.
Es war noch nie so einfach, sich ein gutes Gewissen zu kaufen. Zu glauben, dass man mit Shopping tatsächlich die Welt verbessern kann. Vielleicht hast du sie selbst schon gehört, die Sprüche über die „Macht des Verbrauchers” und darüber, dass wir „mit dem Einkaufszettel abstimmen” können. Ehrlich gesagt: Ich halte solche Aussagen für ziemlichen Blödsinn. Als könnte eine Einkaufsliste, auf der Quinoa und Sojajoghurt stehen statt Fleischsalat und Sahnepudding, tatsächlich eine ernsthafte Alternative zum Wahlzettel sein. Das zu akzeptieren würde bedeuten, dass wir unseren politischen Willen an der Kasse des Bioladens abgeben. Und so den Status quo akzeptieren, nur halt mit veganem Frühstück.
Massenkonsum ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor
Das Problem ist, dass wir uns als Verbraucher in einem System bewegen, das seinem Wesen nach dagegen arbeitet, dass die Masse der Menschen ernsthaft weniger und weniger zerstörerisch konsumiert. Massenkonsum ist mit Nachhaltigkeit nicht vereinbar. Er ist aber, so steht es auch in einem Bericht des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, ein Grundpfeiler unseres wirtschaftlichen Systems. „Deshalb ist es schwer vorstellbar, wie der Einzelne diese starken Kräften des Status quo etwas entgegenzusetzen haben könnte”, so der Bericht. Der private Konsum leistet in Deutschland einen erheblichen Beitrag zum Wirtschaftswachstum, laut Statistischem Bundesamt macht er einen Anteil von rund 53 Prozent am Bruttoinlandsprodukt aus. In den USA sind es sogar 70 Prozent. Die privaten Konsumausgaben sind 2017 in Deutschland wieder gestiegen.
Klar, wenn man diese massive Kaufkraft in Richtung nachhaltige Produkte lenken könnte, wäre das ganz schön mächtig. Aber realistisch ist das nicht. Eine massive Vermarktungsmaschine arbeitet ständig daran, Bedürfnisse zu schaffen, die wir gestern noch nicht hatten, und Produkte zu verkaufen, die wir nicht brauchen.
Auch deshalb findet bewusstes Konsumverhalten nach wie vor in einer Nische statt, die sich nur langsam in den Mainstream öffnet – zu langsam, als dass man so beispielsweise dem Klimawandel irgendetwas entgegensetzen könnte, das stärker wäre als eine Plastiktüte im Wind.
Und selbst, wenn ein Bewusstseinswandel stattfindet, dauert es lange, bis er in die Welt der Taten sickert. Die Bereitschaft der meisten Menschen, mehr Geld für ein tierfreundlicheres, umweltfreundlicheres, klimafreundlicheres usw. Produkt hinzulegen, ist nach wie vor relativ gering – das haben Studien immer wieder gezeigt. Was nicht unbedingt daran liegt, dass die Menschen geizig sind, sondern dass sie nicht wissen, ob sie den Versprechungen der Labels trauen können – und wie sie dabei ihre Prioritäten setzen sollten.
https://twitter.com/iwawofficial/status/747900868800847872
Wenn man sich etwa ansieht, wie heftig in den letzten Jahren Fleischkonsum und -verzicht in der Öffentlichkeit diskutiert wurden, und wie zahlreich die veganen Produkte in den Regalen sind, könnte man meinen, dass heute viel weniger Menschen Döner essen und Schnitzel kaufen, als, sagen wir, vor zehn Jahren. Das ist aber nicht so. Ja: Es gibt durchaus einen Rückgang. 2007 haben die Deutschen im Schnitt noch 62,4 Kilo Fleisch im Jahr gegessen, 2017 waren es noch knapp 60. Mal angenommen, wir machen genau so weiter, also alle zehn Jahre zwei, drei Kilo weniger, sind es 2050 noch immer knapp 50 Kilo. Warum 2050? Weil laut dieser Studie bis dahin die Menschen weltweit im Durchschnitt 70 bis 90 Prozent weniger Fleisch essen müssten, damit die globale Erwärmung um nicht mehr als zwei Grad ansteigt (dieses Ziel hat die Klimakonferenz in Cancun 2010 festgeschrieben).
Aus Bürgern werden Konsumenten
Ich will damit niemanden entmutigen, der sich bemüht, weniger oder gar kein Fleisch zu essen (ich selbst habe meine eigenen Gründe dafür). Wie wir uns ernähren, spielt eine Rolle, und das System, das unsere Lebensmittel produziert, muss sich verändern, das ist eine Überlebensfrage. Die Impulse, die Konsumenten dabei geben können, sind gut. Aber ohne staatliche Aufsicht und Regulierung wird sich nicht genug ändern. Es ist naiv, bei derart großen Problemen nur auf Marktmechanismen zu setzen. Was, wenn auf einmal statt Veganismus, sagen wir, die Paleo-Ernährung zum Mega-Trend wird, deren Hauptbestandteil Fleisch ist?
Zwar gibt es Hinweise darauf, dass das Verhalten der Konsumenten im Bereich der Lebensmittel durchaus eine gewisse kollektive Kraft entwickeln kann (mehr darüber in meinem nächsten Text). Aber das allein reicht einfach nicht. Mehr noch: Es besteht die Gefahr, dass das zur Ersatzhandlung wird – dass also aus Bürgern Konsumenten werden, die versuchen, Verantwortung für etwas zu übernehmen, das definitiv auch in die Hände von Politikern und Wirtschaftsbossen gehört. Nehmen wir das Beispiel Klimawandel: Da empfiehlt das Portal Utopia, das sich als „nachhaltige Kaufberatung” versteht, wir sollten weniger Lebensmittel wegwerfen, wie etwa altes Brot, weil laut einer Studie des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) Lebensmittelverschwendung zum Klimawandel beitrage.
Come on. Das sind gut gemeinte Botschaften, aber es rettet keinen einzigen Eisbären, wenn wir Brot von letzter Woche toasten. Die gemeinnützige Organisation CDP (Carbon Disclosure Project) befragt jährlich 3.700 der weltweit größten Unternehmen nach ihren Treibhausgasemissionen. 2017 hat das CDP einen Bericht herausgegeben, aus dem hervorgeht, dass seit 1988 nur 100 Unternehmen mehr als 70 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verursacht haben. Die Hälfte davon geht auf ganze 25 Konzerne zurück, zu den stärksten Verursachern gehören die Brennstoffproduzenten ExxonMobil, Shell, BP und Chevron.
Sowohl das Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung, auf dessen Studie sich der Utopia-Tipp bezieht, als auch das CDP sehen den entscheidenden Hebel, der hier einen Wandel bewirken könnte, bei den Investoren: Wenn diese ihr Geld in klimafreundliche Unternehmen stecken würden statt in Emissionsschleudern, könnte das echten Druck auf die Unternehmen erzeugen. Ein geeignetes politisches Instrument, um die Investoren in diese Richtung zu schieben, sieht das PIK zum Beispiel in einer CO2-Bepreisung.
Plastiktüten vermeiden, aber sechsmal im Jahr nach Barcelona
CO2-Abgaben, wie es sie in manchen Ländern schon gibt, haben dreierlei Effekte: Sie machen fossile Brennstoffe teurer, setzen Anreize für die Erzeugung sauberer Energie und erzeugen Einnahmen für die Staaten. Die Schweiz etwa steckt ein Drittel der Erträge aus ihrer CO2-Abgabe (die 2016 insgesamt 1,17 Milliarden Franken hoch war) in ein Gebäudeprogramm, das energetische Sanierungen unterstützt. Die restlichen zwei Drittel verteilt sie an die Wirtschaft und zurück an die Bevölkerung, indem sie die Krankenkassenbeiträge reduziert.
Solche Maßnahmen zu unterstützen, könnte also wirklich sinnvoll sein, wenn du dir Sorgen um das Klima machst. Ich will damit nicht sagen, dass du deine Zeit und dein Geld verschwendest, wenn du versuchst, möglichst wenig Lebensmittel wegzuschmeißen und klimafreundlich produzierte Produkte zu kaufen. Nur Zyniker werden sagen, dass kleine Alltagsgesten komplett sinnlos sind. Das Problem entsteht dann, wenn diese kleinen Entscheidungen Menschen das Gefühl geben, dass sie ja schon ihr Möglichstes getan haben, wenn ihr Konsum sie also entpolitisiert. Und erst recht, wenn sie sechsmal im Jahr übers Wochenende nach Barcelona fliegen, weil sie ja Plastiktüten vermeiden und Bio-T-Shirts kaufen. Es gibt tatsächlich den bizarren Effekt, dass Menschen sich egoistischer verhalten, nachdem sie moralisch „bessere” Kaufentscheidungen getroffen haben.
Ich habe schon gesagt, dass kleine Alltagsentscheidungen nicht den Mist hinbiegen, den große, mächtige Entscheidungsträger anrichten. Genauso falsch wäre es aber, allein den Bossen die Schuld zu geben. In den 90er Jahren, als Naomi Klein in „No Logo“ die Globalisierung von Marken kritisierte und man sich überall über Sweatshops empörte, verlangten auf einmal alle von Konzernen soziale Verantwortung. Der Konsumforscher Timothy Devinney hat dazu eine interessante Beobachtung gemacht: Konzerne, meint er, seien Subsysteme der Gesellschaft, in denen Manager, Investoren, Angestellte und Kunden miteinander agieren und verknüpft sind. Deshalb sei es sinnlos, von Konzernen soziale Verantwortung zu verlangen, als seien diese denkende Wesen. „Konzerne treffen keine Entscheidungen. Sie bieten nur die Umgebung, in der Individuen Entscheidungen treffen. Selbst diese Umgebung ist das Ergebnis von Entscheidungen, die Individuen in der Vergangenheit getroffen haben“, meint er. Wenn wir wollen, dass Konzerne mehr soziale Verantwortung übernehmen, dann habe das einen Preis, den alle Teile des Systems zu bezahlen bereit sein müssten. Die Konsumenten (ja, die auch) müssten zum Beispiel mehr Geld für Produkte bezahlen, Angestellte müssten Auflagen an ihren Arbeitsplätzen akzeptieren, Manager die Kontrolle über Entscheidungen abgeben und Investoren Dividendenbeschränkungen in Kauf nehmen.
Devinney hat in einer Reihe von Studien versucht, herauszufinden, welcher der „menschlichen Komponenten“ im System eines Konzerns am ehesten bereit wären, den Preis zu bezahlen. Die Konsumenten schnitten dabei nicht gut ab. Sie waren zum Beispiel kaum willens, Abstriche bei der Qualität eines Produkts zu machen, nur weil es ethisch korrekt hergestellt war. Und wenn sie schon beim Shoppen tugendhafte Entscheidungen trafen, dann wollten sie ein Publikum dafür: Fair Trade Produkte kauften sie deutlich häufiger, wenn andere Menschen ihnen dabei zusahen (selbst wenn der Preis der gleiche war).
Nicht jeder Kaugummi zerstört den Regenwald
Selbst wenn du dir also persönlich die Nutella zum Frühstück verkneifst, weil Palmöl drin ist – und ich würde niemals die Willensanstrengung kleinreden, die dahinter steckt –, werden Millionen Menschen trotzdem noch Schokocreme mit Palmöl essen (nicht zuletzt deswegen, weil die Hersteller immer nach Wegen suchen und sie finden, um es anderes zu bezeichnen
Was tun, also? Die Autoren des eingangs erwähnten UN-Berichts sind der Meinung, dass bewusstes Konsumverhalten und Initiativen, die das fördern, durchaus sinnvoll sind. Aber man muss die Proportionen im Blick behalten.
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Erstens, nicht jeder Kaugummi zerstört den Regenwald.
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Zweitens, den politischen Druck, den es braucht, um das System zu verändern, können wir nicht mit dem Inhalt unserer Einkaufstüten aufbauen (selbst wenn sie aus recycelter Baumwolle sind). Wenn du keine Idee hast, was du statt einkaufen tun kannst, wirst du dich informieren müssen, es gibt keine Pauschalantworten. Die Standards kennst du: Politiker und Parteien unterstützen, deren Arbeit du wichtig findest – oder selbst in die Politik gehen, warum nicht? Demonstrieren gehen, Petitionen aufsetzen, Abgeordnete anrufen, in NGOs arbeiten, dich in sozialen Medien mit Initiativen vernetzen.
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Drittens, es lohnt sich, darüber nachzudenken, wie man seine Energie und Zeit einsetzt. Vielleicht ist es zum Beispiel sinnvoller, den Aufschlag, den man auf nachhaltige Produkte zahlt, an Umweltorganisationen zu spenden. Oder zu recherchieren, wer sich wirklich gegen die Vermüllung der Ozeane einsetzt, statt stundenlang im Internet Duschgele ohne Mikroplastik zu vergleichen. Und dann diese Zeit vielleicht in Freiwilligenarbeit stecken.
Wenn du bessere Ideen hast, schreib sie in die Kommentare zu diesem Text – auch das kann ein Anfang sein.
Teil 2: Die Formel, die ethischem Konsum zum Durchbruch verhelfen kann
Redaktion: Christian Gesellmann; Schlussredaktion: Vera Fröhlich; Bildredaktion: Martin Gommel.