„Wir machen aus Scheiße Gold.” Definitiv kein Satz, den man von einem Menschen hören möchte, der die Fleischindustrie berät. Leider sagt er ihn doch. Er hat ja auch keine Ahnung, dass er im Büro eines Scheinunternehmens sitzt, das der Food-Aktivist Hendrik Haase für eine Folge der Sendung Frontal 21 gegründet hat. Selbst Haase, der schon einiges gewöhnt ist, muss schlucken, als der Mann ihm von einem Protein-Produkt namens „Globoost” vorschwärmt: Aus Wasser und Schlachtabfällen lassen sich damit Fleischwaren zusammenkleben, die wie normale Würste aussehen und schmecken, aber den Hersteller viel weniger kosten. Und das alles ganz legal.
Wenn man diesen Beitrag schaut, bekommt man das Gefühl, dass die Sache gelaufen ist: Wir Verbraucher haben keine Chance mehr gegen die Bosse der Lebensmittelindustrie, die irgendwelches Zeug zusammenrühren und mit technisierten Zusätzen so zusammenkleben lassen, dass sie wie Lebensmittel aussehen, die wir kennen. Unsere einzigen Mittel, diesem Schwindel auf die Spur zu kommen, sind unsere guten alten Sinne, unsere Augen, Hände und Geschmacksnerven – und die haben keine Chance gegen High Tech Food.
Das ist eine gute Story, aber sie stimmt nicht. Ja, es ist ein Skandal, dass man uns Wasserwürste verkaufen darf. Aber hinter den Auswüchsen der Industrie steckt ein größerer Zusammenhang, an dem wir Konsumenten aktiv beteiligt sind. Tatsache ist: Wir stecken in einer ernsten Beziehungskrise mit unserem Essen, und die Sache sieht schon ziemlich verfahren aus: Die Konsumenten haben, wie die Verbraucherzentrale festgestellt hat, „weitreichende Vertrauensdefizite”. Die Hersteller wiederum denken, dass der Kunde für Qualität nicht zahlen will und sie deshalb keine andere Wahl haben, als billig zu produzieren. Was „optimierte Verarbeitungsprozesse“ sind und was „Etikettenschwindel” ist, ist manchmal eine Frage der Perspektive.
Zeit, in diesem Kindergarten, bei dem jeder mit dem Finger auf den anderen zeigt, ein Machtwort zu sprechen. Denn was macht man, wenn eine wichtige Beziehung kriselt? Man holt tief Luft und arbeitet daran. Und zwar nach drei Regeln, die jeder Eheberater kennt:
- Zuhören
- Den anderen sehen
- Sich Zeit füreinander nehmen.
Packen wir’s an.
1. Zuhören
Das Problem: Dein Essen und du, ihr sprecht mittlerweile fast schon verschiedene Sprachen. Und über vieles wird gar nicht geredet.
Die Zutatenliste auf Lebensmitteln wurde 1983 eigentlich eingeführt, um Transparenz zu schaffen. Der Käufer sollte schon vor dem Reinbeißen erkennen können, wie gut das Produkt ist: Ist der Käse so schön gelb, weil die Milch eine besonders hohe Qualität hatte, oder ist das Farbstoff? Sind da wirklich Blaubeeren im Joghurt oder nur Aroma? Mittlerweile verschweigt die Liste aber fast so viel, wie sie verrät: Weil hunderte Zusätze darin gar nicht auftauchen. Das gilt nicht nur für Fertignudeln und Barbecue-Chips, bei denen sich jeder denken kann, dass das Rezept aus dem Labor kommt. Sondern auch für einfache Lebensmittel wie Brot und Bier.
Teilweise verstecken sich die Zusätze hinter kryptischen Bezeichnungen, die kein normaler Verbraucher durchschaut, teilweise sind sie gar nicht deklarationspflichtig. Weil sie nur für die Verarbeitung eines Lebensmittels wichtig sind und im rechtlichen Sinne deshalb nicht als „Zutat“ gelten – oder auch, weil es noch keine Regelung für sie gibt. Panschereien wie die Wasserwurst sind völlig legal möglich, weil die staatlichen Kontrollmöglichkeiten der Realität hinterherhinken. Es ist eine Frage des technischen Vorsprungs, wie beim Doping: Die Labore testen, was sie kennen. Die Entwickler der Zusätze arbeiten so, dass sie ihre Zusätze als „Würze” oder „Aroma” deklarieren können – bei Kontrollen fallen sie nicht weiter auf.
Ist das noch Essen oder schon Kunst?
Um dein Essen zu verstehen, brauchst du mittlerweile ein breites Spezialwissen, das du wahrscheinlich nicht hast. Sagen wir, du kaufst abends an der Theke eines Supermarktes ein belegtes Brot mit Schinken ein und nimmst dazu eine Schale geschnittenes Obst und ein Bier mit. Solltest du nach der Zutatenliste fragen, wird dir der Verkäufer einen Plastikhefter über die Theke reichen, in dem dann vielleicht das hier steht:
Weizenmischbrot mit Kochschinken:
Weizenmehl, Wasser, Sauerteig (Roggenmehl, Wasser, Starterkulturen), Roggenmehl, Sonnenblumenkerne, Sojaschrot, Sesamsaat geröstet, Leinsamen, Backhefe, Backmittel (Weizenmehl, Weizenkleber, Weizenquellmehl, Malzextrakt (Gerstenmalz, Wasser), Buttermilchpulver, Maismehl, pflanzliches Fett (Palm), Säureregulator (E262, E327), Säuerungsmittel (E270), Mehlbehandlungsmittel (E300)), Speisesalz, Roggenmalz, Speiseöl (Raps),
Belag: Kochschinken (Schweinefleisch, jodiertes Speisesalz, Dextrose, Stabilisator (E450, E451), Antioxidationsmittel (E301), Konservierungsstoff (E250)), Remoulade (pflanzliches Fett 49% (Raps), Wasser, Branntweinessig, Eigelb, Zucker, Stärke, Weizenstärke, Salz, Petersilie, Senf (Wasser, Senfsaaten, Branntweinessig, Salz Gewürze), Säuerungsmittel (E330, E260, E270), Konservierungsstoffe (E211, E202), Verdickungsmittel (E415, E412), färbendes Lebensmittel (Karotte), Süßungsmittel (E954)), Margarine (Pflanzenöl (Raps), pflanzliches Fett (Palm, Kokos – in veränderlichen Gewichtsanteilen), Wasser, Emulgatoren (E322, E471), Speisesalz, Aromen, Säuerungsmittel (E330), Farbstoff (E160 a), Salz, Säuerungsmittel (E 260)), Tomate, Gurke.
Der Slogan deines Bäckers lautet übrigens „Stolz auf hundert Jahre Bäckertradition”.
Von wegen „Reinheitsgebot”
Vielleicht spürst du ein vages Misstrauen, wenn du die vielen E-Nummern siehst. Das klingt nach Chemie-Baukasten und du hast gehört, dass manche dieser Zusätze im Verdacht stehen, Allergien, Krebs und ADHS auszulösen. Da du kein Experte bist, weißt du aber nicht, welche. E330 ist zum Beispiel einfach Zitronensäure, E250 ist das umstrittene Natriumnitrit. Es sorgt dafür, dass die Wurst schön rot ist, wirkt aber auch gefäßerweiternd und blutdrucksenkend. Wenn man sich nicht täglich mit Würsten vollstopft, gilt es bei Erwachsenen als unbedenklich. In Verbindung mit Aminen, die zum Beispiel häufig in Käse vorkommen, können sich aus Nitriten aber krebserregende Nitrosamine bilden. Vitamin C kann das verhindern. Deswegen ist es eine gute Idee, dass du Obst zu deinem Sandwich isst.
Noch interessanter sind die Zutaten, die nicht auf deiner Liste stehen. Das sind vor allem die technischen Hilfsstoffe. Hinter diesem Namen steckt eine seltsame Gruppe von Zutaten, die rechtlich gesehen keine sind, weil sie im Endprodukt nicht mehr vorkommen oder nur noch als Rückstände. Im Brotteig können das zum Beispiel Enzyme sein, die den Teig lockerer und haltbarer machen, beim Erhitzen aber ihre Struktur so verändern, dass sie im fertigen Produkt nicht mehr als Enzyme wirken. Deswegen muss man sie nicht deklarieren. Berühmt-berüchtigt ist der „Klebeschinken”, für den Fleischstücke mit Hilfe des Enzyms Transglutaminase zu einem schinkenähnlichen Produkt zusammengeklebt werden. Man muss schon genau hinsehen, um das zu erkennen, erst recht, wenn du dafür erstmal Salat und Tomate auf deinem Sandwich beiseite schieben musst. Bei rohem Schinken ist das Enzym übrigens weiterhin aktiv – ob es nach dem Essen im Körper weiterwirkt, ist noch unklar.
„Würde man alles auf die Zutatenlisten schreiben, was wirklich in deinem Produkt drin ist, würde der Platz auf der Packung nicht reichen. Man bräuchte Label zum Ausklappen”, sagt Christian Niemeyer vom Deutschen Zusatzstoffmuseum in Hamburg.
Wenigstens bei deinem Bier und deinem Obstbecher scheint die Sache eindeutig. Beim Bier gibt es immerhin das berühmte Reinheitsgebot: Nur Wasser, Hopfen, Hefe, Malz dürfen rein. Das Reinheitsgebot ist aber längst verwässert. Auch ein deutscher Hersteller darf allerlei Zusätze ins Bier schütten, solange er sie am Ende wieder herausfiltert (bis auf „technisch unvermeidbare Rückstände”). Hinter dem Zungenbrecher Polyvinylpolypyrrolidon (PVPP) etwa verbirgt sich ein Kunststoff, den fast alle großen Brauereien ins Bier geben. Er ist geschmacksneutral, bindet Trüb- und Gerbstoffe und sorgt dafür, dass ein Sixpack auch mal ein Jahr im Gartenhaus vergessen werden kann, ohne schlecht zu werden. Ein Bier, das wirklich nur mit Wasser, Hopfe, Hefe und Malz gebraut wurde, kippt nach einer Weile.
Und das Obst? Wenn du es nicht gleich isst, sondern in den Kühlschrank stellst, kann es sein, dass es auch nach ein paar Tagen immer noch frisch aussieht. Viel länger als Äpfel und Melonen, die du selbst in deiner Küche schneidest. Hier war der Hersteller vielleicht mit einem Pulver aus Vitaminen und Mineralstoffen am Werk, das man mit Wasser anrühren kann. Obst, das man in diese Lösung tunkt, schmeckt bis zu drei Wochen lang frisch und sieht auch so aus. Deklarationspflichtig ist das nicht. Du wirst davon auch keine Bauchschmerzen oder anderen Probleme bekommen. Es ist einfach nur nicht so frisch, wie die Packung suggeriert.
Überhaupt kann man nicht pauschal sagen, dass Zusätze an sich ungesund oder harmlos sind. Auch Backpulver ist ein Zusatzstoff. Bei hunderten Stoffen müsste man hunderte verschiedene Aussagen treffen – und es hängt auch immer davon ab, wie viel du zu dir nimmst.
Die Lösung: Schon klar, du hast wenig Zeit. Aber es hilft nichts: Du wirst dich bilden müssen. Über Seiten wie die des Zusatzstoffmuseums in Hamburg oder mit Hilfe einer E-Nummern- App kannst du verstehen lernen, was die kryptischen Begriffe auf Zutatenlisten bedeuten, was harmlos ist und was fragwürdig. Natürlich ist Bildung aber nicht nur dein Job: Auch die Politik muss dafür sorgen, dass du besser informiert wirst, was die unsichtbaren Zusätze sind und was sie bedeuten. Am besten schon in der Schule.
Faustregel: Wenn auf der Zutatenliste etwas steht, das deine Oma nicht verstehen würde, spricht das dafür, dass dein Produkt in irgendeiner Weise gefärbt, geschmacksverstärkt, konserviert oder sonst wie manipuliert wurde. Das gilt auch für Begriffe, die „natürlich” klingen. Deine Oma würde nie sagen: „Bring mal den Hefeextrakt aus der Kammer.” Okay, vielleicht würde sie sagen „Bring mal das Maggi.” Deine Oma ist auch nicht perfekt.
2. Den anderen sehen
Das Problem: Du verlangst viel und gibst zu wenig.
Ausgerechnet kritische Lebensmittelkonsumenten haben eine Entwicklung losgetreten, die absolut keine Absicht war. Transparenz beim Essen wird immer wichtiger, das gilt besonders für die wichtige Zielgruppe der Millennials (die Kaufkraft der Millennials allein in den USA wird auf 600 Milliarden Dollar im Jahr geschätzt, sie gelten als Trendsetter in allen Konsumbereichen, von Mode bis zu Lebensmitteln). Diese starke Gruppe setzt die Industrie mit der Clean-Label-Bewegung mittlerweile massiv unter Druck: Auf dem Etikett sollen demnach nur noch Zutaten stehen, die nach Küche, nicht nach Labor klingen.
Leider ist der Effekt genau das Gegenteil der Clean-Label-Idee. Es findet nun ein Katz-Maus-Spiel statt: Die Hersteller schreiben die Zutatenlisten einfach um, damit sie den Konsumenten besser gefallen. Das können Zutaten sein, die dir bekannt vorkommen, deren Namen aber Kosmetik sind: Auf deiner Brötchenliste von oben ist der Malzextrakt so ein Fall. Das klingt urig und altmodisch, fungiert im Brot aber als Ersatz für Farbstoff. Malze und dunkle Sirupe färben Weiß- und Mischbrot dunkel, so dass es wie Vollkornbrot wirkt – und damit gesünder. Und das lässt sich besser verkaufen. Mehr Beispiele? „Palmöl” heißt auf einmal öfter „Palmkernöl”, roter Farbstoff wird mit Rote-Beete-Saft ersetzt, Konservierungsstoffe mit Kräuterextrakten, und statt des umstrittenen Geschmacksverstärkers Glutamat steht „Sojawürze” oder „Hefeextrakt” auf der Packung – auch bei Biolebensmitteln übrigens, für die Glutamat nicht erlaubt ist (diese Zutaten enthalten von Natur aus Glutamat, das mit dem industriellen Zusatzstoff identisch ist).
Natürliche Lebensmittel erkennen wir kaum noch
Auch hinter der Zutat „Aroma” kann sich Glutamat verstecken, weil Aroma Glutamat enthalten darf (Faustregel: Je weiter vorne das Aroma steht, desto wichtiger ist es für den Geschmack des Produkts. Das ist kein gutes Zeichen, weil dann weniger Geschmack aus den echten Zutaten kommt ). Die Hersteller werben derweil fleißig mit „Ohne”-Labeln (ohne Geschmacksverstärker, ohne Farbstoffe, ohne Aromazusätze). Die Grenzen zwischen kleinen Tricks und echter Verbrauchertäuschung können fließend sein.
Der Lebensmitteltechnologe Christian Dieckmann, der mit der Lebensmittelindustrie und mit Startups zusammenarbeitet, hält die eingangs erwähnte Wasserwurst für eine Ausnahme. „Ich habe aus der öffentlichen Diskussion das Gefühl, die Leute denken, es soll Produkttäuschung betrieben werden. Von der Industrieseite sehe ich das nicht, da ist vor allem Kostendruck ein Thema. Die Leute wollen ja günstige Nahrungsmittel haben, das bringt dich als Produzent in die Bredouille.”
Auch bei Lebensmitteln fängt jede Produktentwicklung mit Marktforschung und der Frage an, was der Kunde zu zahlen bereit ist. „Wenn der Kunde für 100 Gramm Schweinebratenaufschnitt nur 99 Cent zahlen will, muss der Hersteller schauen, wie er diesen Preis gewährleisten kann. Von 99 Cent gehen erstmal 7 Prozent Mehrwehrsteuer weg, dann will der Handel 30 Prozent Marge und 40 Prozent braucht man in etwa selbst, um seine laufenden Kosten zu decken. Für das Fleisch selbst und andere Zutaten bleibt dann nicht mehr viel. Da bleibt vielen nichts anderes übrig, als Zusatzstoffe einzusetzen”, sagt Dieckmann.
Gleichzeitig haben sich die Kunden an gewisse Standards gewöhnt, die nur mit Zusatzstoffen möglich sind. Wenn man etwa außerhalb der Aprikosensaison Kuchen oder Quark mit frischen Aprikosen und ohne zusätzliche Aromen haben möchte, dann schmeckt das einfach nach nichts. „Viele Leute kriegen es nicht mehr hin, den Unterschied zwischen natürlichem Aroma und künstlichem Aroma zu sehen. Der Hersteller sagt dann vielleicht, okay, wir haben auf der einen Seite Kostendruck, andererseits wird der Konsument den Unterschied ohnehin nicht merken, weil er von anderen Firmen schon so indoktriniert ist, dass er gar nicht mehr weiß, wie die echte Frucht schmeckt. Dann nimmt er eben Aroma”, sagt Diekmann.
Food-Aktivist Hendrik Haase sieht dabei noch ein anderes Problem: „Wir haben den Geschmack vergessen, die Sensorik, die wir in den menschlichen Körper eingebaut haben. Wir beißen in Produkte, die ohne 200 Zusatzstoffe nicht produziert werden können, die erst seit zwanzig oder dreißig Jahren existieren. Ob der Körper diese essbaren Substanzen noch als Lebens-Mittel erkennt?“
Die Lösung: Wenn du weniger Zusätze im Essen willst, solltest du bereit sein, mehr Geld auszugeben. Du kannst damit Produzenten unterstützen, die transparente Zutatenlisten schreiben und sich um höhere Qualität bemühen. Natürlich kann sich nicht jeder teurere Lebensmittel leisten. Aber selbst dann kannst du Fragen stellen: „Wir sollten die Möglichkeit nutzen, dass wir die Menschen treffen können, die Lebensmittel herstellen. Der kleine Bäcker an der Ecke hat nicht automatisch die bessere Ware, aber du kannst noch nachfragen”, sagt Haase.
3. Sich Zeit nehmen
Das Problem: Du bist verwöhnt und bequem.
Ganz ehrlich: Es ist ziemlich sinnlos, über Zusätze und Lebensmitteltechnologie zu schimpfen, aber gleichzeitig weiter im Supermarkt um die Ecke einkaufen zu wollen. Denn die Kultur der Supermärkte hat die heutige Food-Industrie überhaupt erst hervorgebracht. Seit es in den 60er Jahren der erste Fertigpudding mit Sahnehaube in die Läden schaffte, ist eine enorme technische Entwicklung passiert: Wir haben uns daran gewöhnt, dass wir zu jeder Tages- und mittlerweile auch Nachtzeit aus einem riesigen Sortiment an Lebensmitteln wählen können, die lange haltbar sind, top aussehen und saisonunabhängig immer die gleiche Konsistenz und den gleichen Geschmack haben. Die Backmittel und Mehlbehandlungsmittel in deiner Brotliste von oben etwa sorgen dafür, dass der Teig überhaupt industriell verarbeitet werden kann. Ein normaler Teig würde das gar nicht aushalten. Er würde auch kein Produkt ergeben, dass man lagern, einfrieren und auch nach einem halben Jahr noch knusprig aufbacken kann.
Die Lebensmittelindustrie hat viel geleistet
Deine Ansprüche können normale Lebensmittel also gar nicht erfüllen. Dass der Fruchtjoghurt immer gleich stark nach Beeren schmeckt, die Salami immer schön rot ist und knusprige Brötchen billig sind, ist eine Leistung der Lebensmitteltechnologen, die man bewundern muss. Sie sorgen dafür, dass man Lebensmittel als Massenware verarbeiten und lagern kann, dass deshalb auch weniger Essen weggeschmissen werden muss, und Essen so günstig ist, dass auch Menschen mit wenig Geld mehr als nur Brot und Gemüsesuppe essen können. Das kann man ruhig mal honorieren, statt darauf zu schimpfen, dass das Essen im Supermarkt nicht so naturbelassen ist, als hättest du es gerade selbst vom Acker gepflückt.
Sinnvoller wäre es, dein Einkaufsverhalten infrage zu stellen. Und dich frischer und direkter zu versorgen.
Die Lösung: Wo immer es geht, solltest du Supermärkte meiden und direkt bei den Produzenten kaufen: Zum Beispiel auf dem Wochenmarkt oder online. Letzteres ist noch ein bisschen Zukunftsmusik, aber künftig wirst du immer mehr direkt bei Produzenten einkaufen können, ohne Zwischenhändler – vor allem, wenn viel Interesse da ist. Jetzt schon kannst du bei vielen Bauern direkt Kisten mit Lebensmitteln bestellen – such einfach mal nach „Gemüsekiste” im Internet. Auch über Facebook kannst du dich vernetzen, dort bilden sich immer mehr digitale Food-Coops, die direkt bei Produzenten bestellen. In Berlin gibt es zum Beispiel Raw in Berlin. Du bekommst frischere Ware, und die Notwendigkeit mancher Zusätze erledigt sich von selbst, weil Produkte im Supermarktregal lange lagerfähig sein müssen – der Lieferant deiner Gemüsekiste kann hingegen so viel ernten, wie gerade gebraucht wird. Auch Bioprodukte enthalten weniger Zusätze (es sind aber trotzdem etwa 40 zugelassen). Wie immer bei Bio gilt auch hier, dass die Anbauverbände generell strengere Regeln haben als das staatliche Biosiegel.
Auch wenn du manchmal daran zweifelst: Die Lage ist nicht hoffnungslos. Dein Essen und du, ihr könnt euch wieder besser verstehen. Letztlich ist der Kunde König und hat die Macht darüber, was die Industrie ihm vorsetzt. Aber Könige taugen nur dann etwas, wenn sie mit ihrer Macht gut umgehen.
Danke an alle KR-Mitglieder und -Leser, die bei dieser Recherche Denkanstöße und Recherchehinweise geliefert haben: Simon, Fabian, Aileen, Christiane (danke für die Studie!), Franziska, Elin, Johannes, Julia, John, Grit, Christiane H., Mario, Matthias, Edith, Katrin, Holger, Doris, Jo, Onno, Horst, Dorothea, Wilfried, Eleonore, Florian, Juergen, Eva, André, Martin, Paul, Thomas, Karin, Rolf, Frank, Manfred, Georg, Christel, Alexander, Sonja, Walter.
Redaktion: Christian Gesellmann. Schlussredaktion: Vera Fröhlich. Bildredaktion: Martin Gommel (Aufmacherfoto: unsplash / Artur Rutkowski).