Ist dein Cappuccino zu teuer?
Sinn und Konsum

Ist dein Cappuccino zu teuer?

Als ein Cafébesitzer mir letztens einen Cappuccino spendierte, sagte er: „Kostet mich fast nix." Ich aber zahle sonst 2,90 Euro und finde, das ist ganz schön viel Geld. Und doch ergibt der Preis Sinn.

Profilbild von von Theresa Bäuerlein

Es fing damit an, dass ich einen Kaffee geschenkt bekam. Ich saß in einem Café, das ich so oft besuchte, dass ich ernsthaft darüber nachdachte, Miete zu zahlen, und starrte auf einen Computerbildschirm. Aus dem Augenwinkel sah ich eine Hand, die einen Cappuccino auf meinen Tisch stellte. „Der geht aufs Haus“, sagte Cem, der Besitzer der Hand und des Cafés. Dann beugte er sich zu mir herunter und raunte: „Kein Ding, der kostet mich eh fast nix.“ Er grinste in seinen Bart und ging zurück an den Tresen. Schade, ich hätte noch einige Fragen gehabt, vor allem diese: Wenn ihn der Cappuccino so wenig kostet, wieso verlangt er dann 2,90 Euro dafür?

Schon lange hatte ich den Verdacht, dass Kaffee zu teuer ist. Zumindest stehen die Preise in keinem Verhältnis zu dem, was man im Supermarkt für Kaffeebohnen oder -pulver und Milch zahlt. Ein halbes Pfund Espressopulver durchschnittlicher Qualität kostet um die fünf Euro, daraus lassen sich mindestens 25 Espresso ziehen, ein Liter Milch für ein bis zwei Euro kann zehn Cappuccino-Tassen mit Schaum füllen.

Und das sind Preise, die Normalverbraucher zahlen, Gastronomen bekommen die Zutaten noch günstiger, so dass der Warenwert des Koffeingebräus, das sie daraus herstellen, weit unter einem halben Euro liegen dürfte. Selbst wenn man bedenkt, dass Café- und Restaurantbesitzer noch andere Kosten haben, die sie in den Preis einkalkulieren, müssten Kaffeegetränke hoffnungslos überteuert sein.

Kaffee, eine Lizenz zum Gelddrucken?

Diesmal wollte ich es genauer wissen. Denn das Geld, das ich für Kaffee außer Haus hinlege, läppert sich ganz schön. In manchen Monaten gebe ich dafür so viel aus wie ein Raucher für seine Zigaretten. Allerdings hatte ich ein Problem: Kein Café-Besitzer wollte mir erzählen, wie er seine Kaffeepreise kalkuliert. Sogar der sonst so redefreudige Cem murmelte ausweichend, als ich Details aus ihm herausbringen wollte.

Aber in Gastronomie-Ratgebern stieß ich immer wieder auf eine alte Faustformel der Gastronomie: Man kann den Preis eines Postens auf der Speisekarte berechnen, in dem man den Wareneinsatz mal drei nimmt. Also ein Drittel Personalkosten, ein Drittel Warenkosten und ein Drittel für weitere Kosten und Gewinn. Der Cappuccino müsste dann weniger als einen Euro kosten. Viele halten diese Formel für veraltet. Im Blog von Orderbird, dem Anbieter eines gastronomischen Kassensystems, las ich, dass bei Kaffee sogar ein Aufschlag von 700 bis 1.000 Prozent auf den Wareneinsatz üblich sei. Ein Sprecher des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands, den ich danach fragte, wollte mir das nicht bestätigen. Dazu liege „kein Datenmaterial vor“.

Mein Verdacht einer Kaffeepreis-Verschwörung erhärtete sich. War Kaffee verkaufen einfach eine Lizenz zum Gelddrucken? Wie sonst kommt es, dass in meiner Straße ein Laden nach dem anderen aufgibt und dafür eine weitere Kaffeebar eröffnet, die neben Cappuccino und Latte höchstens noch Müsli und Kuchen anbietet? Cafés, die trotz Fantasiepreisen von bis zu vier Euro für einen Milchkaffee immer voll sind?

Sicher ist, dass wir Deutschen ein ziemlich intensives Verhältnis zu diesem Getränk haben. Wir trinken mehr Kaffee als Bier oder Mineralwasser. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der braune Sud, vorher ein Luxusgut, in Europa und Deutschland zum Getränk für alle. Weil die Bohnen nun einerseits in Südamerika massenhaft angebaut wurden und die Arbeiterschicht andererseits dank der Industrialisierung mehr Geld zur Verfügung hatte. Viele Arbeiter hatten in dieser Zeit eine Art Kaffeesuppe auf dem Herd stehen, in die sie den ganzen Tag über Brot brockten. Der Kaffee unterdrückte Hungergefühle und ließ sie wacher und konzentrierter arbeiten. Im Grunde hat die Kaffeemaschine, die heute in jedem deutschen Büro steht, die gleiche Funktion. Nach dem Zweiten Weltkrieg wiederum war Kaffee in Deutschland ein Symbol des Wirtschaftswunders: Man konnte sich wieder etwas leisten.

Was der Cappuccino wirklich kosten müsste

Während ich noch auf der Suche nach Antworten aus der Gastronomie war, rechnete ich mit Unterstützung der Krautreporter-Facebookgruppe aus, wie viel es eigentlich kostet, einen ordentlichen Cappuccino zu Hause zuzubereiten. Meine grobe Rechnung am Anfang hatte ja nur die Kosten der Zutaten berücksichtigt. Nun kalkulierten wir auch die anderen Faktoren: Am teuersten ist natürlich die Espressomaschine, die, wenn man ein Getränk herstellen will, das mit dem Cappuccino im Café wirklich vergleichbar ist, unbedingt eine klassische Siebträgermaschine sein muss – da sind sich die Experten einig. Eine solche Maschine kann leicht mehrere tausend Euro kosten. Ein gutes Einsteigermodell, sagte mir ein Kaffeemaschinenhändler, bekomme man für etwa 600 Euro. Inklusive weiterer Faktoren wie Reinigung, Wartung und Wasserfilter landete ich bei einem Preis von etwa 69 Cent für die Tasse Cappuccino, wenn man von zwei Tassen am Tag ausgeht. Günstiger wird es, wenn man mehr trinkt, weil sich dann die Anschaffung der Maschine mehr lohnt. Würde man vom billigsten Kaffeepulver und der billigsten Discounter-Milch ausgehen, wären es sogar nur etwa 55 Cent pro Tasse (mehr Details zur Rechnung in der Anmerkung).

69 Cent! Und ich zahlte für meinen Cappuccino locker das Vier- bis Fünffache! Ich fühlte mich vom netten Cem und seinen Kollegen über den Tisch gezogen. Dann aber fand ich endlich jemanden, der mir genauer erklären konnte, wie sich der Preis für den Cappuccino im Café zusammensetzt.

Ramona Hain von der Berlin School of Coffee, die auch Existenzgründerseminare anbietet, rechnete mir in einem Beispiel vor, wie ein Gastronom seinen Cappuccino-Preis kalkulieren kann:

1,80 Euro Mindestpreis – diese Rechnung könnte ich gut nachvollziehen. Allerdings, gibt Hain zu bedenken, verdiene der Gastronom daran noch nichts. Zwar ist in dieser Rechnung schon etwas Gewinn einkalkuliert, aber so knapp, dass kaum noch etwas übrigbleibt, sobald weitere Kosten anfallen oder die Kunden ausbleiben. Hain empfiehlt deshalb, den Faktor etwas höher anzusetzen: Wenn man in ihrer Rechnung den Faktor 4 statt 3,3 einsetzen würde, käme man, wenn es gut läuft, auf 25 Prozent Gewinn. Ein guter Preis für den Cappuccino wäre demnach 2,19 Euro brutto.

Wir zahlen nach Gefühl, nicht nach Wert

Ich kenne genau einen Laden in meiner Umgebung, der für diesen Preis tatsächlich einen ordentlichen Cappuccino verkauft. Wir reden hier ja nicht von dem Zeug, das ein Vollautomat beim Bäcker aushustet. Das annehmbar schmecken kann, wenn der Automat tatsächlich echte Milch verwendet – durchaus nicht selbstverständlich, auch die Variante mit aufgeschäumtem Milchpulver ist weit verbreitet. Eigentlich müsste ein solcher Cappuccino aber noch viel billiger sein, als das Getränk vom Barista.

Es stimmt also wirklich: Kaffee wird (fast) immer zu teuer verkauft. Zumindest, wenn man davon ausgeht, dass der Preis der Zutaten und des Aufwands sich nachvollziehbar darin widerspiegeln sollte. So, das lernte ich als nächstes, funktioniert Gastronomie aber nicht. Denn der Mindestpreis, den Gastronomen berechnen, hat mit dem Preis, der letztlich auf der Karte landet, nur bedingt etwas zu tun. Diesen bestimmt am Ende der Marktpreis – also das, was der Kunde bereit zu zahlen ist. Wenn alle anderen Cafés für Cappuccino also 2,70 Euro verlangen (das ist der Durchschnittspreis in Leipzig, der billigste Deutschlands), beziehungsweise 3,50 Euro (so hoch ist der Durchschnittspreis in Frankfurt am Main), wird die Besitzerin eines neuen Cafés für ihren Kaffee nicht nur zwei Euro berechnen. Das muss sie auch nicht: Die Kunden zahlen ja bereitwillig die hohen Kaffeepreise. Dass das so ist, hat auch mit der Entwicklung der Kaffeekultur in Deutschland zu tun.

Während Kaffee in Deutschland seit der Erfindung des Kaffeefilters Anfang des letzten Jahrhunderts ganz klar Filterkaffee bedeutete, hat sich unsere Kaffeekultur seit der Jahrtausendwende stark verändert. Der Absatz von Espresso ist in den vergangenen Jahren geradezu explodiert, der Lebensmitteleinzelhandel verkauft jetzt siebenmal mehr davon als im Jahr 2001. In deutschen Großstädten entstehen lauter kleine Röstereien. Kurz: Unsere Ansprüche sind gestiegen, wir haben ein Connaisseurtum um Kaffee entwickelt und rümpfen über das bittere Gebräu unserer Vorfahren die Nase. Sich mit Kaffee auskennen, ist wie Weinkennerschaft, nur massentauglicher.

Gastronomen nutzen diesen Trend aus, indem sie teure Preise für ihre Kaffeespezialitäten verlangen. Aber, auch das wurde mir im weiteren Verlauf meiner Recherche klar: Das Motiv dabei ist nicht einfach nur Abzocke. Stephanie Albrecht, die in Berlin jahrelang mehrere Cafés geführt hat (und mit Krautreporter-Herausgeber Sebastian Esser verheiratet ist – gut, wenn man Beziehungen hat) erklärte mir: „Beim Essen muss man kämpfen. Mit dem Kaffee macht man wett, was man an anderer Stelle verliert.“ Ihre Törtchen etwa, aufwändige Kreationen, die mehr wie Schmuck als wie Essbares aussehen, hätte sie nach einer realistischen Kalkulation für acht Euro das Stück verkaufen müssen. Kein Kunde hätte das bezahlt. Denn die Deutschen schauen beim Essen sehr genau auf den Preis, genauer als bei den Getränken.

Dabei zahlen wir aber eher nach Gefühl als nach dem, was eine Ware wirklich wert ist.

Jeder Wirt arbeitet mit Mischkalkulation

Ein Schnitzel kann nicht mehr als 12 bis 14 Euro kosten, auch wenn der Wirt daran kaum verdient. Ein Cappuccino hingegen, der nur zwei Zutaten und zwei Arbeitsschritte braucht, ist uns im Verhältnis zu den tatsächlichen Kosten auch viel mehr wert.

Jeder Gastronom lernt also, dass er mit einer Mischkalkulation arbeiten muss, bei der die niedrigen Gewinne oder sogar Verluste, die er mit den Gerichten auf der Karte macht, durch höhere Profite bei den Getränken ausgeglichen werden. Das funktioniert bei Wein und Mineralwasser genau wie bei Tee, der ja meistens auch nur eine Tasse heißes Wasser mit Teebeutel ist, und besonders gut beim Kaffee, der nicht nur teuer verkauft werden kann, sondern von dem wir auch noch viel trinken.

Eine konsequente Folge dieser Schieflage ist der Erfolg von Starbucks und Kaffeebars, die nach dem gleichen Prinzip funktionieren: Sie verkaufen in erster Linie das Produkt, das Gewinn bringt, den Kaffee nämlich, und haben sonst nur kleine Snacks und Kuchen im Angebot, für die man weder Köche noch Patissiers noch Küche braucht. Starbucks und Konsorten verkaufen außerdem im großen Stil das gewinnbringendste Kaffeeprodukt überhaupt, den To-Go-Kaffee. Für einen Latte im Pappbecher fallen noch nicht einmal die Kosten für Kellner und Tische an.

Eigentlich, dachte ich am Ende meiner Recherche, müsste man sich also nicht fragen, warum Kaffee so teuer ist – sondern, warum wir nur so wenig für Essen zahlen wollen.


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Rico Grimm hat mitgeholfen, den Artikel anzufertigen; Vera Fröhlich hat gegengelesen; das Foto hat Martin Gommel ausgesucht (iStock / jacoblund), die Grafiken hat Gregor Weichbrodt angefertigt.