Die Tierfutterindustrie will, dass deine Katze besser isst als du
Sinn und Konsum

Die Tierfutterindustrie will, dass deine Katze besser isst als du

Die Deutschen haben ein inniges Verhältnis zu ihren Haustieren. Ich bin einer Leserfrage nachgegangen und habe herausgefunden, warum unsere Katzen und Hunde jeden Ernährungstrend mitmachen müssen – und was es über uns selbst verrät, wenn im Futter Rinderfilet landet.

Profilbild von Theresa Bäuerlein
Reporterin für Sinn und Konsum

Ich war mir nicht sicher, ob ich diese Frage wirklich beantworten wollte: „Wie viele Schweine und sonstige fleischproduzierende Tiere werden extra gehalten und geschlachtet, nur um Tierfutter herzustellen?“, schrieb Leser Tim S. an die Redaktion.

Ich dachte, diese Frage ließe sich in einem Satz beantworten, in einem Wort sogar: null. Man kann der Fleischindustrie viel vorwerfen, aber nicht, dass sie Kühe und Schweine aufzieht, um dann Dosenfutter daraus zu machen. Ins Hunde- und Katzenfutter wandert nämlich das, was beim Schlachten der Kühe und Schweine übrigbleibt.

Viele der sogenannten Nebenprodukte der Schlachtung könnten Menschen zwar ohne weiteres essen, aber die meisten wollen heute von Leber, Niere und Herz nichts mehr wissen, geschweige denn von Pansen. Weil sie fürchten, dass das eklig schmecken oder komisch auf der Zunge liegen könnte, oder weil sie als Köche schlicht überfordert sind, wenn man ihnen ein Rinderherz in die Hand drückt. Dabei sind Innereien sehr nährstoffreich, von Feinschmeckern geschätzt und gehören in viele klassische Gerichte. Aber gut. Halten wir uns damit nicht auf, sondern schaufeln wir sie eben als strengriechende Klumpen in die Näpfe schnurrender und wedelnder Gefährten. Immerhin landen sie dann nicht einfach im Müll.

So weit, so bedrückend. Aber für mich immerhin: so klar. Doch weil ich mich meinem Leser verpflichtet fühlte, begann ich, Tims Frage weiter nachzugehen. Zum Glück! Denn als ich mich näher mit ihr beschäftigt habe, merkte ich, dass Tim in einigen Fällen doch nicht ganz falsch lag. Und dass seine Frage viel spannender war, als ich gedacht hatte – und wenig mit Tieren, aber viel mit Menschen zu tun hat. Außerdem mit riesigen Geldmengen, seltsamen Studien und mit Hundefreunden, die raten, Kauknochen im Zweifel selbst vorzukosten.

Nicht nur im Internet herrschen die Katzen

Fangen wir mit einer Überraschung an: Der Deutsche ist gar kein Hundetyp. Viel lieber noch als das wahrscheinlich treueste Tier der Welt ist ihm das wahrscheinlich eleganteste Tier, die Katze.

Noch klarer wird das Bild, wenn man sich ansieht, wie viele Hunde auf 100 Deutsche kommen – und wie viele auf andere Europäer:

Das Mensch-Katze-Verhältnis hingegen ist offenbar nirgends dichter als in Österreich.

Dass die Deutschen Katzen den Hunden vorziehen, finde ich mindestens so erstaunlich wie die Tatsache, dass sie mehr Kaffee trinken als Bier. Menschen im Ausland kann man das kaum erklären. Der Klischee-Deutsche hat ein Bier in der Hand und einen Schäferhund oder Dackel neben sich, nicht einen Cappuccino und eine Katze. Aber ich schweife ab.

Zurück zu Tims Frage: Er sieht im Hunde- und Katzenfutter einen eklatanten moralischen Widerspruch: „Das ist doch krass, dass wir uns versteckt ‘minderwertige’ Tiere halten und schlachten, um damit dem Menschen näherstehende Tiere zu füttern“, schreibt er. Aber wenn man weiß, dass in Futterdosen landet, was Menschen verschmähen, passen sie sogar ziemlich gut in die Einkaufswagen von Tierfreunden.

Verena Wirosaf vom Deutschen Tierschutzbund jedenfalls findet es richtig, dass Nebenprodukte der Schlachtung ins Haustierfutter wandern. „Das Tier wird ja sowieso für den menschlichen Verzehr geschlachtet, deswegen ist es begrüßenswert, wenn es ganz verwendet wird“, sagte sie mir. Wohlgemerkt: Der Tierschutzbund empfiehlt für Menschen ausdrücklich eine vegetarische und vegane Ernährung. Bei fleischfressenden Haustieren ist er aber pragmatisch, auch wenn deren Futter die Massentierhaltung immerhin querfinanziert, weil die Industrie so an den Resten verdienen kann.

Hunde können auch fleischlos leben

Interessant ist die Verbindung zwischen dem, was Menschen auf dem Teller haben, und dem, was bei Tieren im Napf landet: „Solange Tiere in der Massentierhaltung geschlachtet werden, sind die Nebenprodukte im Haustierfutter zu finden. Je mehr Biofleisch der Mensch isst, desto mehr gelangt natürlich auch Fleisch aus artgerechterer Haltung ins Tierfutter“, sagte mir Wirosaf.

Wie eng die Essgewohnheiten von Menschen und ihren Haustieren zusammenhängen, sieht man auch daran, dass es immer mehr vegetarisches und sogar veganes Katzen- und Hundefutter gibt. Die Tierrechtsorganisation Peta ist stark dafür und behauptet sogar, dass fleischloses Futter für Hunde und Katzen besser sei, denn „spätestens seit den Gammelfleisch-Skandalen wissen wir alle, zu was die Fleischindustrie fähig ist“.

Nun sind Hunde in Sachen Futter deutlich weniger wählerisch als Menschen – was jeder weiß, der schon mal gesehen hat, was ein Hund beim Spaziergang frisst, wenn man ihn lässt. Aasfresser sind sie auch noch. Trotzdem muss niemand befürchten, dass er Struppi Fleischmüll vorsetzt, wenn er ein standardmäßiges Alleinfuttermittel im Handel kauft. In Deutschland dürfen nur einwandfreie Tierreste ins Futter, die weder verrottet noch verseucht oder giftig sind (wer es genau wissen will, findet hier die EU-Verordnung Nr. 1069/2009, die das regelt).

Ein gesunder, erwachsener Hund komme aber auch mit vegetarischem Futter klar, meint Wirosaf. Wer hätte das gedacht? Ein vegetarischer Schäferhund macht nur mehr Arbeit als ein fleischfressender, weil der Hund regelmäßig eine Ernährungsberatung braucht: Ein spezialisierter Tierarzt muss immer wieder die Rationen überprüfen, weil Tierbedürfnisse sich ändern und ein alter Hund oder einer, der sich viel bewegt, andere Nahrung braucht.

Tiere folgen Food-Trends – weil ihre Besitzer das wollen

Katzen wiederum sind echte Karnivoren. Ihnen tut eine vegane und vegetarische Ernährung einfach nicht gut: Sie können Vitamin A nicht selbst herstellen, das zum Beispiel reichlich in Leber steckt, und auch Kohlenhydrate nur begrenzt verwerten. Außerdem sind Katzen echte Diven beim Futter. Das kann zum Problem werden, weil eine Katze, die sich an ein bestimmtes vegetarisches Futter gewöhnt hat, nicht einfach andere Brocken frisst, wenn man feststellt, dass die Pflanzenkost ihr nicht guttut.

Man muss sich auch fragen, ob es ethisch sauber ist, einer Katze mit Nahrungsergänzungsmitteln versetztes veganes Futter vorzusetzen. „Jeder Mensch hat selbst die Entscheidung, wie er sich ernähren möchte. Die Katze ist darauf angewiesen, was man ihr aus dem Kühlschrank holt und dass dieses Futter bedarfsgerecht ist“, sagt Wirosaf.

Die Katze bleibt außerdem höchstens bis zur Haustür vegan. Draußen schlägt sie wieder ihre Krallen in Mäuse und Vögel. Mit dem Unterschied, dass sie diese dann vielleicht nur tötet und nicht auffrisst, weil sie schon vom veganen Futter satt ist.

Richtig absurd ist, dass Tiere nun auch die besonderen Diäten mitmachen müssen, die ihre Halter gerade gutfinden. „Die Haustierindustrie weiß seit Jahren, dass es eine Verbindung zwischen den Foodtrends bei Menschen und bei Haustieren gibt“, erklärt Petindustry.com, ein Online-Portal für Händler. Deswegen gibt es nun auch Bio-Hundefutter und Katzensnacks mit Superfoods, zum Beispiel immunstärkende Paste „mit Lebergeschmack und Waldbeeren“ oder „Duo-Sticks mit Lachs und Mangogeschmack“. Die Packungen sind so designed, dass man sie auf den ersten und zweiten Blick ohne weiteres im Snackregal für Menschen verorten würde. Man kann nur hoffen, dass niemand im Halbdunkeln hungrig nach der falschen Packung greift.

Auch der Paleo- und Glutenfrei-Trend findet sich schon im Regal bei den Heimtierartikeln: Getreidefreies Tierfutter war vor ein paar Jahren noch ein Novum, mittlerweile macht es laut GfK in den USA ein Drittel der Verkäufe aus. Petfood.com sieht einen der größten Futtertrends 2017 in Bio-, naturbelassenem und regionalem Futter.

Hundekörbe statt Babybetten

Wir vermenschlichen Haustiere, das ist klar. Solange man es nicht zu weit treibt und ihnen damit schadet, ist das auch kein Problem. Zumal tierische Gefährten für einsame Menschen immer wichtiger werden. Mittlerweile, sagt der Industrieverband Heimtierbedarf, lebt etwa ein Drittel (30 Prozent) der Tiere in Single-Haushalten. Das sind fast so viele wie in Familien (34 Prozent).

In Japan gebe es bereits mehr Haustiere als Kinder, sagte Maria Lange von der GfK beim Petfood Forum 2017, einem der wichtigsten Events der Tier- und Tierfutterindustrie. Gerade Millenials haben immer mehr Haustiere. Und manche Halter umsorgen sie wirklich wie Kinder. Wie ein Hundefreund beim Tierschutzverein Sans Frontières, der in einem Artikel vor möglicherweise giftigen Hundeknochen aus China warnt und rät: „Immer selbst dran riechen oder lecken!“

Für den Haustiermarkt ergeben sich daraus ungeahnte Möglichkeiten: Der Konsum von Kinderprodukten ist riesig – was, wenn die Heimtierindustrie sich von diesem Marktanteil etwas einverleiben könnte? Wenn sie Hunde, Katzen und Schildkröten gezielt wie Kinder bewerben würde? Es ist eine bekannte Tatsache, dass Eltern bereit sind, für ihren Nachwuchs besser zu sorgen und großzügiger Geld auszugeben, als für sich selbst. Was wäre, wenn sich dieses Verhalten auch auf Haustiere ummünzen ließe? Eins zu eins?

Gerade die Deutschen lassen sich ihre Lieblinge etwas kosten: 3,7 Milliarden Euro gaben sie laut einer Studie der Universität Göttingen 2013 allein für ihr Futter aus, fast so viel wie für Bücher. Aber auch die übrigen Bewohner Europas lassen sich nicht lumpen. 19,5 Milliarden Euro hat die Heimtierindustrie in Europa 2016 umgesetzt.

Klar, dass die großen Futterhersteller wie Mars (Sheba, Kitekat, Whiskas) und Nestlé (Gourmet, Felix) die Kunden mit immer neuen, teuren Edelsorten zu ködern versuchen. Eine laut Tierschutzbund wachsende Entwicklung sind Snacks und Dosen, in denen edelste Fleischteile stecken sollen, „luftgetrocknetes Rinderfilet“ etwa. Hunde und Katzen, die das fressen, sind dann wirklich Nahrungskonkurrenten für Menschen. Und Tiere erster Klasse im Vergleich zu Kühen und Schweinen – genau so, wie Tim S. angemerkt hat.