Es gibt diese Fotos von Flüssen in China, die aussehen, als hätte sie jemand grob mit einem Bildbearbeitungsprogramm verkitscht. Flamingopink und Königsblau schäumt das Wasser über die Felsen. Leider ist das nicht schlechter Geschmack, sondern Realität. Es handelt sich um Abwasser aus Fabriken, die Stoffe für Textilien färben, von denen viele später in europäischen und amerikanischen Läden hängen. „Die Modefarbe der Saison erkennt man an der Farbe der Flüsse“, heißt es angeblich in China.
Als ich diese Bilder sah, hatte ich leider nicht als erstes Öko-Gedanken. Ich dachte nicht daran, wie es den Fischen in den bunten Flüssen ging und auch nicht daran, was diese Farbe für das Trinkwasser der Menschen in der Umgebung der Flüsse bedeutete. Ich dachte an die Klamotten, die in meinem Schrank hingen und fragte mich, wie giftig wohl die Stoffe waren, aus denen man sie genäht hatte. Und was es für mich und meine Gesundheit bedeutete, wenn ich sie auf meiner Haut trug.
Eigentlich war dieser Gedanke längst überfällig. In meinem Kühlschrank liegen Bio-Gemüse und ich trinke Kaffee, auf dessen Packung Umwelt-Versprechen gedruckt sind. Ich lebe in der Hoffnung, dass ich damit weniger Gift – Pestizide aus der Landwirtschaft in diesem Fall – konsumiere und verbreite. Aber bei meinen Kleidern habe die Schadstoff-Frage bisher nicht so genau genommen. Ich esse sie ja nicht, ich bewohne sie gewissermaßen nur. Ehrlich gesagt gehöre ich sogar zu den Menschen, die ihre Kleider nach dem Kaufen aus Faulheit noch nicht einmal in die Waschmaschine stecken.
Bis zu einem Fünftel des Gewichts im Stoff sind Chemikalien
In unseren Kleiderschränken hängen derzeit etwa 5,2 Milliarden Kleidungsstücke. Sie bestehen nicht nur aus Baumwolle, Acryl und Polyester, sondern auch aus Chemikalien, die bis zu einem Fünftel ihres Gewichts ausmachen können. Während ich diesen Text schreibe, trage ich eine Bluse, auf der Made in Bangladesh steht, und eine Hose Made in India. Ich habe bei den Herstellern, Cream und Tom Tailor, nachgefragt, mit welchen Mitteln die Teile gefärbt und verarbeitet worden waren und welche Prüfverfahren sie durchlaufen hatten, um sicherstellen, dass keine Gifte im Stoff hingen.
Von Cream gab es eine vierzeilige Antwort, in der nur stand, was ich ohnehin schon wusste: dass meine Hose in Indien hergestellt wurde und man alle europäischen Gesetze und Beschränkungen für Bekleidung einhalte. Tom Tailor brauchte Wochen und schickte mir dann die Nachricht, dass meine Bluse in Bangladesh mit toxinfreien Stoffen gefärbt worden sei und die Grenzwerte durch Stichprobenkontrollen in eigenen und externen Laboren überprüft würden.
Das klang gleichsam beruhigend und nichtssagend. Die Bilder der verfärbten Flüsse wirkten weiterhin alarmierend auf mich. Sicher: Buntes Wasser an sich muss nichts Schlimmes bedeuten. Die Stadt Chicago färbt ihren Fluss jedes Jahr zum St. Patrick’s Day giftgrün mit einer pflanzlichen Farbe, die sich nach einiger Zeit von selbst abbaut.
Als Greenpeace jedoch 2011 Proben aus dem Wasser chinesischer Textilfabriken nahm, fanden die Tester Stoffe wie perfluorierte Verbindungen (PFC), von denen bekannt ist, dass sie Wasserorganismen vergiften und bei Menschen das Hormonsystem stören, die Leber schädigen und die Anzahl der Spermien reduzieren können. Sie fanden auch Alkylphenole, die das Immunsystem und Fortpflanzungsorgane schädigen können. Diese Chemikalien landeten im Trinkwasser der Menschen in den Umgebungen der Flüsse und letztlich in der Nahrungskette.
Diese Fabriken produzierten unter anderem Kleider für große europäische und amerikanische Marken. Laut Greenpeace haben Converse, H&M, Nike und Puma Geschäftsbeziehungen mit dem Youngor Textile-Complex bestätigt, zu dem die Fabriken gehörten.
Längst ist die Textilindustrie nach Asien umgezogen: 90 Prozent unserer Mode wird importiert, vor allem aus China oder Bangladesh, aber auch aus der Türkei. Die Fabriken dort dürfen giftige Substanzen verwenden, die in Europa verboten sind. Am Ende des Prozesses, an dem aus einem Stück Stoff ein T-Shirt wird, müssen die Schadstoffe nur wieder raus sein. Mit anderen Worten: Für die Hersteller und Importeure ist wichtig, dass die T-Shirts und Hosen ungefährlich sind, wenn sie in Europa landen.
Welche Stoffe hier verboten sind, regelt nicht nur eine, sondern eine ganze Reihe von Verordnungen, die wichtigste davon die europäische REACH-Verordnung. Sie legt zum Beispiel fest, dass bestimmte Azofarbstoffe, das sind sehr beliebte und verbreitete synthetische Färbemittel, nicht in Textilien oder Lederprodukten stecken dürfen, die auf der Haut getragen werden, weil Hautbakterien sie in krebserregende Substanzen spalten könnten. In der REACH-Verordnung stehen auch Regelungen zu Stoffen, die Allergien auslösen können, wie Nickel oder Chrom, das bei der Ledergerbung eingesetzt wird.
Der große Haken dabei ist, dass diese Regelungen für Textilien und Leder sich auf Substanzen beziehen, bei denen klar ist, dass sie der Gesundheit schaden.
Perfekte Kontrolle sieht anders aus
Dumm nur, dass wir bisher ziemlich wenig darüber wissen, welche der tausenden Chemikalien, die Textilfabriken verwenden, überhaupt ungesund sein können, wenn wir sie auf der Haut tragen. Anders als Lebensmittel oder Kosmetik müssen Textilien weder zugelassen noch angemeldet werden.
Während auf einer Packung Chips oder Hautcreme sämtliche Inhaltsstoffe stehen, schreibt die europäische Textilverordnung nur vor, dass die verwendeten Textilfasern am Produkt stehen müssen, also zum Beispiel „100 Prozent Baumwolle“. Das Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuches wiederum behandelt Textilien als Bedarfsgegenstände und verbietet, „sie derart herzustellen oder zu behandeln, dass sie der Gesundheit schädigen können“.
Man darf also keine giftigen Kleider verkaufen. Das ist schön. Etwas weniger beruhigend ist die Tatsache, dass die Hersteller und Importeure selbst kontrollieren müssen, ob ihre Produkte sicher sind. Wenn sie feststellen, dass bestimmte Teile die Grenzwerte überschreiten, müssen sie das selbst den Überwachungsbehörden melden. Diese wiederum kontrollieren die Hersteller mit Stichproben (und zwar „risikoorientiert“, wer also schon einmal auffällig geworden ist, wird häufiger kontrolliert, als andere).
Weil Textilien aber weder angemeldet noch zugelassen werden müssen, „fehlen den Behörden umfassende Kenntnisse über diese Produkte“, wie das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) erklärt. Mit anderen Worten: Die Behörden können nur nach bereits bekannten gefährlichen Substanzen suchen. Außerdem überprüfen sie nur einen kleinen Teil der Textilien.
In einem etwas halbherzigen Versuch, das auszugleichen, prüft das BfR in einem eigenen Ausschuss für Leder und Textilien, welche Stoffe gefährlich sein könnten, wenn man sie auf der Haut trägt. Dabei stützen die Prüfer sich auf Daten aus Untersuchungen und Studien – soweit es die überhaupt gibt. Außerdem überprüft das BfR einen Stoff nur dann, wenn ein Ministerium dazu den Auftrag gibt, oder wenn es neue Hinweise darauf gibt, dass ein Stoff gefährlich sein könnte.
Perfekte Kontrolle sieht anders aus. Deshalb gibt es, ähnlich wie bei Lebensmitteln, eine ganze Reihe Label und Bezeichnungen, die an Kleidern hängen können und die angeben, dass Jeans, Blusen etc. zusätzliche Schadstoff-Kontrollen mit höheren Standards als gesetzlich vorgeschrieben durchlaufen haben.
Am bekanntesten und am weitesten verbreitet ist das Label „Textiles Vertrauen“, das an vielen Kleidern und anderen Stoffprodukten hängt, Teppichen zum Beispiel, und das der unabhängige Textilprüfer Oekotex vergibt. „Textiles Vertrauen“ ist ein reines Verbraucherschutzlabel. Das heißt, bei den Kontrollen geht es nur um die Schadstoffe im Endprodukt. Es gibt aber auch noch Fairtrade, Öko- und Nachhaltigkeitslabel. Mit anderen Worten: Als Verbraucher blickt man nicht durch.
Überall, wo ich nachfragte, bekam ich trotzdem Auskunft, dass Verbraucher in Deutschland sich keine Sorgen über Gift in ihre Kleidern machen müssen: „Es dürfen nur sichere Produkte auf den Markt gebracht werden.“
Vorsichtshalber solle man seine Kleider vor dem Tragen halt waschen, damit etwaige Reste bedenklicher Chemikalien verschwinden. Richtiger müsste man allerdings sagen: Damit sie aus den Kleidern in den Wasserkreislauf gehen und an anderer Stelle wieder auftauchen.
Ausgerechnet Billigmode wird weniger giftig
Ein Jahr nach den Wassertests in China hat Greenpeace einen weiteren Bericht veröffentlicht, den die Organisation unheilschwanger „Giftige Garne“ betitelte. Dafür hatten unabhängige Labore 141 Kleidungsstücke untersucht. Dabei identifizierten sie hunderte Chemikalien, von denen einige nicht auf den Listen der Hersteller zu finden waren und den Kleidern wahrscheinlich beim Transport zugesetzt worden waren, zum Beispiel um Schädlinge abzuwehren.
Die Forscher stellten fest, dass einige möglicherweise gesundheitsschädliche Stoffe sogar nach dem Waschen noch konzentriert in den Stoffen hingen. Wie gefährlich diese Substanzen wirklich sind, wenn man sie auf der Haut trägt, konnten die Forscher nicht einschätzen.
„Wir haben erst an der Oberfläche gekratzt“, kommentierte Conny Östmann, Professor für Analytische Chemie, das Ergebnis. „Wir tragen Kleidung unser ganzes Leben lang Tag und Nacht. Wir müssen herausfinden, ob textile Chemikalien in unsere Haut dringen und was das für unsere Gesundheit bedeutet. Es ist sehr schwierig zu bewerten und verlangt noch deutlich mehr Forschung.“
Immerhin: Der Greenpeace-Bericht hat derart Wellen geschlagen, dass sich seitdem 30 globale Modemarken dazu verpflichtet haben, bis 2020 Schadstoffe durch ungefährliche Substanzen zu ersetzen, das betrifft insgesamt 15 Prozent der globalen Textilproduktion. 2016 hat Greenpeace geprüft, ob diese Versprechen auch zu Taten geführt hatten. Das Ergebnis war überraschend positiv: Ausgerechnet H&M, Zara und Mango, die vielgescholtenen Hersteller sogenannter Wegwerfmode, schnitten dabei besonders gut ab.
Das sind gute Nachrichten, aber ich kann nicht sagen, dass ich mich mit diesem Wissen deutlich besser in meinen Klamotten fühle. Was ich jetzt über sie weiß, lässt sich so zusammenfassen:
- Billiger heißt nicht unbedingt giftiger.
- Die Fabriken, die meine Kleider herstellen, bedeuten für die Gewässer, Umwelt und Menschen in den asiatischen Ländern, die sie herstellen, vermutlich eine Umweltkatastrophe.
- Für meine persönliche deutsche Haut sind sie nach dem aktuellen löchrigen Erkenntnisstand zwar nicht unmittelbar gefährlich, aber beim Waschen gehen Chemikalien ins Wasser und damit auch in die Umwelt und letztlich in die Nahrungskette
Letztlich ist es bei Klamotten also wie bei Lebensmitteln: So lange die Kontrollen und Kennzeichnungen bruchstückhaft und unübersichtlich sind, ist es für Verbraucher schwierig, bessere Entscheidungen zu treffen.
Fünf Tipps für weniger Gift im Kleiderschrank
- Weniger Klamotten kaufen und sie länger behalten. Je öfter ein Kleidungsstück gewaschen wird, desto weniger Schadstoffe sind noch im Stoff.
- Weniger neue Kleider kaufen. Es ist ja nicht so, als wären zu wenig davon im Umlauf. Second Hand Läden gibt es in jeder Stadt und mittlerweile auch online, z.B. Kleiderkreisel. Dort kann man auch seine eigenen Klamotten verkaufen.
- Nicht denken, dass alles gut ist, wenn man Kleider von Modemarken kauft, die mit Nachhaltigkeit werben. Für Verbraucher ist schwer nachzuvollziehen, was wirklich hinter den Versprechen steckt. Besser:
- Auf Textil-Label achten. Damit sind Kleider markiert, die nach Standards geprüft wurden, die über die gesetzlichen Bestimmungen hinausgehen – oder bei denen die Hersteller schon bei der Produktion auf bestimmte giftige Substanzen verzichten. Greenpeace hat dazu einen Einkaufsratgeber herausgegeben.
- Wer allergisch auf Farbstoffe reagiert, sollte auf Hinweise wie „separat waschen” oder „Farbe blutet aus” achten. Das deutet darauf hin, dass der Farbstoff lockerer mit dem Stoff verbunden ist. Auch Hinweise wie „bügelfrei” oder „knitterfrei” sind ein Zeichen dafür, dass ein Kleidungsstück stark mit Chemikalien behandelt wurde
Christian Gesellmann hat beim Erarbeiten des Textes geholfen; Vera Fröhlich hat ihn gegengelesen; Martin Gommel hat das Aufmacherbild ausgesucht (iStock)