Du schläfst zu wenig (um produktiv und glücklich zu sein)
Sinn und Konsum

Du schläfst zu wenig (um produktiv und glücklich zu sein)

Schlecht oder wenig schlafen ist ungesund, das weiß jeder. Aber wie sehr sich Schlafmangel auf unsere Produktivität – und unser Glück! – auswirkt, habe auch ich erst verstanden, nachdem ich mir einige jüngere Studien angesehen habe.

Profilbild von Theresa Bäuerlein
Reporterin für Sinn und Konsum

Die deutsche Wirtschaft ist nicht das erste, an das man denkt, wenn man eine schlaflose Nacht hinter sich hat. Aber falsch wäre es nicht. Denn wenn Menschen wenig schlafen, ist das für sie nicht nur anstrengend und ungesund, sondern wirkt sich laut einer Studie von Rand Europe auch auf das Bruttoinlandsprodukt aus.

Man würde auch nicht daran denken, Schlafmangel als „Gefahr für die öffentliche Gesundheit“ zu betrachten – das US-Zentrum für Krankheitskontrolle und Prävention hat das Problem aber genauso benannt. Denn mehr als ein Drittel aller Amerikaner bekommt nicht genug Schlaf. Grund genug für die Rand-Forscher, ihre Studie „Warum Schlaf wichtig ist - die ökonomischen Kosten von Schlafmangel“ (Why sleep matters - the economic cost of sleep deprivation) zu verfassen. Es wäre aber falsch zu glauben, dass Übermüdung ein amerikanisches Problem sei. In allen industrialisierten Ländern schleppen sich regelmäßig viele Menschen halbwach durch ihren Arbeitstag, die Rand Corporation nennt Großbritannien, Japan, Kanada – und Deutschland.

Und die Müden scheinen immer mehr zu werden. Denn die Bürger der „modernen 24/7-Gesellschaft“ (Rand) leiden unter hohen Anforderungen und dem damit verbundenen Stress, ernähren sich unausgewogen, bewegen sich wenig und spielen dafür extrem viel mit elektrischen Geräten herum und starren auf Bildschirme.

Wir wissen es alle: Ständige Erreichbarkeit heißt, dass es keinen echten Feierabend mehr gibt. Viele sitzen tagsüber vor dem Computer - und abends zu Hause wieder. Ganz egal, ob sie dann bis Mitternacht noch Arbeitsmails beantworten oder sich drei Folgen ihrer Lieblingsserie reinziehen, der Effekt auf das Gehirn bleibt das gleiche. Denn das blaue Licht von LED-Bildschirmen, von Smartphones, Tablets und Computern also, haben Forscher der Universität Basel herausgefunden, hat zwar eigentlich einen effizienzsteigernden Effekt: Es sorgt zwar dafür, dass wir wacher bleiben und uns besser konzentrieren können. Aber dafür bezahlen wir einen Preis, denn es funktioniert nur, weil dafür das Hormon Melatonin unterdrückt wird. Melatonin ist ein Botenstoff des Gehirns, den lichtempfindliche Zellen regulierten. Wenn es dunkel wird, schüttet der Körper vermehrt Melatonin aus und bereitet sich so auf den Schlaf vor. Geht man vom Bildschirm direkt ins Bett, fällt diese Phase weg und man schläft anschließend schlechter ein oder durch.

Sicher, jede innere Uhr tickt anders und Körper brauchen unterschiedlich viel Schlaf. Meine Kollegin Theresia Enzensberger hat in diesem Text über ihren Selbstversuch im Schlafversuch geschrieben und auch darüber, dass Menschen Eulen (Spätaufsteher) oder Lerchen (Frühausteher) sein können – und Schlafbedürfnisse kaum umprogrammierbar sind. Klar ist dennoch, dass die meisten von uns weniger Nachtruhe bekommen, als gesund wäre. Schaut man sich Untersuchungen zum Schlafverhalten an, schneiden die Deutschen mit etwa siebeneinhalb bis acht Stunden, je nach Studie, zwar erstmal gar nicht schlecht ab. Das entspricht genau dem, was Schlafforscher empfehlen. Aber das sind Durchschnittswerte, und sie sagen noch nichts über die Qualität der Nachtruhe aus. Ein Viertel der Deutschen schläft laut Untersuchungen des Robert Koch Instituts schlecht. Und ganze 60 Prozent von uns, glaubt der Chronobiologe Till Roenneberg, schlafen zu wenig.

Arbeiten mit halber Kraft

Wir schlafen also wenig, dafür arbeiten wir mehr. Ein Bericht des Statistischen Bundesamts von 2015 zeigt, dass die Deutschen immer mehr arbeiten, durchschnittlich fast zwei Stunden mehr als im Vergleichszeitraum um die Jahrtausendwende. Es klingt fast schon klischeehaft, ist aber deshalb nicht weniger wahr: Schlaf ist zum Luxus geworden und wird als tote Zeit gesehen, weil man währenddessen ja nichts leistet. Blöd nur, dass das nach hinten losgeht: Denn wenn wir zu wenig schlafen, arbeiten wir nur mit halber Kraft.

Das ist aus volkswirtschaftlicher Perspektive durchaus interessant. Aus der Schlafforschung ist bekannt, dass müde Menschen kognitiv schwächer und weniger produktiv sind. Die Rand-Forscher wollten genau berechnen, wie stark die Wirtschaft einer Auswahl von Industrieländern davon Schaden nimmt. Dafür haben sie sich Daten von 62.000 Arbeitnehmern angesehen. In ihrer Berechnungen floss ein, dass chronisch Unausgeschlafene schlechter arbeiten, öfter krank werden und deshalb häufiger bei der Arbeit fehlen – und statistisch gesehen früher sterben (7 der 15 häufigsten Todesarten in den USA stehen in Verbindung mit Schlafmangel, darunter Herz-Kreislauf-Krankheiten, Diabetes, Bluthochdruck – und natürlich müdigkeitsbedinge Unfälle).

Heraus kam, dass Menschen, die weniger als sechs Stunden pro Tag schlafen, öfter zu Hause bleiben und bei der Arbeit weniger produktiv sind als Menschen, die sieben Stunden oder mehr im Bett liegen. Wenn man von 250 Arbeitstagen im Jahr ausgeht, heißt das, dass ein Arbeitnehmer, der weniger als sechs Stunden schläft, etwa sechs Arbeitstage mehr im Jahr fehlt als die ausgeruhteren Kollegen. In Deutschland gehen so 1,65 Millionen Arbeitsstunden im Jahr verloren, in den USA sind es sogar fast zehn Millionen. Die Rand-Forscher glauben, dass dies die USA bis zu 411 Milliarden Dollar im Jahr kostet oder 2,28 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. In Deutschland sind es 60 Milliarden beziehungsweise 1,56 Prozent des BIP.

(Quelle: Rand Europe)

Das ist verdammt viel, deshalb geben die Autoren der Studie klare Empfehlungen an Arbeitgeber ab: Sie sollen begreifen, dass ausgeschlafene Arbeitnehmer wichtig sind (weil im wahrsten Sinne Geld wert) und der „Nutzung von elektrischen Geräten entgegenwirken“ - wie das gehen soll, schreiben sie aber nicht (am Anfang des Tages Handys einsammeln und wegsperren, als wären die Untergebenen Snapchat-süchtige Teenager?).

Schlafen macht glücklich

Die interessanteste Tatsache zum Schlaf, allerdings, kommt im Rand-Bericht gar nicht vor. Die steht in einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Auch hier haben sich die Forscher angesehen, wie viel die Deutschen schlafen, und erklären, warum die Idee, weniger Schlaf sei wirtschaftlich günstiger, zu kurz gedacht ist: Zwar kann, wer im Bett liegt, weder arbeiten noch konsumieren, aber kranke und müde Arbeitnehmer können das auch nicht.

Hauptsächlich aber interessieren sich diese Forscher für einen anderen Aspekt: Sie betrachten Schlaf als Faktor für Lebenszufriedenheit. Und stellten fest, dass es einen wichtigen Zusammenhang gibt. Zwar wird, wer sowieso ausreichend schläft, kaum glücklicher, wenn er noch länger im Bett bleibt. Aber wer sich immer nur sechs Stunden gönnt und dann auf acht Stunden verlängert, gewinnt dadurch einen positiven Effekt, der vergleichbar ist mit der größeren Zufriedenheit verheirateter Menschen im Vergleich zu Singles. Wichtig sei aber nicht nur die Schlafmenge, glauben die Forscher, sondern auch, dass Menschen die Freiheit haben sich, selbst zu entscheiden, wann und wie viel sie schlafen wollen.

Insgesamt kommen die Forscher zu dem verstörenden Schluss, dass die Deutschen im Durchschnitt eine Stunde weniger schlafen, als sie brauchen würden, um zufrieden zu sein. Was Zufriedenheit der Wirtschaft bringt? Die Autoren geben zu, dass es schwer ist, das in Kosten-Nutzen-Modellen darzustellen. Aber sie deuten an, dass glücklichere Menschen auch produktiver sein könnten. Noch ein Grund also für Chefs, ihre Leute länger schlafen zu lassen.

Und sich über andere Arbeitsmodelle Gedanken zu machen: Der Schlafforscher Till Roenneberg etwa schlägt vor, dass der Arbeitstag auf ein Fenster von 16 Stunden ausgeweitet wird. Dann könnten alle arbeiten, wann sie wollen: Die Lerchen vor Sonnenaufgang, die Nachteulen gemütlich gegen Abend.


Redaktion: Esther Göbel; Fotoredaktion: Martin Gommel; Produktion: Vera Fröhlich