Wie aus der heiligen Kuh ein schicker Schuh wird
Sinn und Konsum

Wie aus der heiligen Kuh ein schicker Schuh wird

Im hinduistischen Indien sind Kühe heilig. Aber Schmuggler haben einen Weg gefunden, sie im muslimischen Bangladesch zu Geld zu machen. Ich bin den Rindern auf ihrem Weg zur Schlachtbank gefolgt.

Profilbild von Reportage von Christian Faesecke

Auf den grenznahen Viehmärkten Bangladeschs werden indische Kühe auf dem Papier zu einheimischem Schlachtvieh umdeklariert. Dicht gedrängt werden die Tiere anschließend zur Verwertung in die Schlachthäuser Dhakas transportiert. Dort beginnt ein industrieller Prozess, an dessen Ende verseuchte Flüsse, kranke Arbeiter und billiges Leder für den Weltmarkt stehen.

In den letzten Jahrzehnten hat sich im Grenzgebiet zwischen Indien und Bangladesch ein reger und lukrativer Kuhschmuggel etabliert. Der Verkauf der den 80 Prozent Hindus in Indien als heilig geltenden Kühe ins Nachbarland, wo sich rund 90 Prozent der Menschen zum Islam bekennen, bringt für die indischen Bauern oft das Doppelte dessen ein, was sie auf dem einheimischen Markt bekommen.

Nach Schätzungen von indischen Nachrichtenagenturen werden jährlich etwa zwei Millionen Rindviecher über die 4.000 Kilometer lange Grenze nach Bangladesch geschmuggelt. Doch nach dem Wahlerfolg von Narendra Modis hindu-nationalistischer BJP (Bharatiya Janata Party) im Mai 2014 erhielten ein Jahr später 30.000 indische Grenzsoldaten die Anweisung, diesem Treiben Einhalt zu gebieten.

Trotz der verschärften Grenzkontrollen gelangen jedoch weiterhin indische Kühe nach Bangladesch. Eine stetige Nachfrage bei stockendem Angebot garantiert einen lukrativen Gewinn. Dafür werden noch riskantere Schmuggelrouten riskiert oder höhere Bestechungsgelder gezahlt.

Nachts werden die Tiere meist in großen Herden über den unwegsamen und schwer zu kontrollierenden Grenzstreifen nach Bangladesch getrieben. In Bagachra, einem kleinen Ort kurz hinter der Grenze, ist der größte Viehmarkt im Südwesten Bangladeschs. Er gehört einem Geschäftsmann, den der Staat mit einer Lizenz ausgestattet hat, aus indischen Kühen einheimisches Rindvieh zu machen.

Hinter vergitterten Fenstern stellen Mitarbeiter für 500 Takka (etwa 6 Euro) pro Kuh die passende Staatsbürgerschaft aus. Danach dürfen die Kühe wieder ganz legal weiterverkauft und transportiert werden. Ein Viehhändler, der nicht namentlich genannt werden möchte, nennt Zahlen:

Eine Herde von 100 Kühen kostet etwa 25.000 Euro. Die Bestechungsgelder für die indischen Polizisten oder Armeeangehörigen etwa 5.000Euro. 30 Schmuggler, die die gefährlichste Aufgabe übernehmen, sind dagegen schon für 200 Euro zu haben. In Bagachra bringt eine 100-köpfige Herde, je nach Größe der Tiere, 50.000 bis 60.000 Euro ein.

Dicht an dicht gequetscht, werden die Tiere nun auf Viehtransportern über ganz Bangladesch verteilt. In unzähligen Schlachthäusern oder nachts auf den im Land üblichen Straßenschlachtungen endet die lange Reise der ausgemergelten Tiere. Wegen der seit Anfang 2015 geltenden indischen Grenzbeschränkungen ist der Kilopreis von Rindfleisch in Bangladesch von vormals 280 Taka auf bis zu 400 Taka gestiegen (von 3,22 auf 4,60 Euro).

Ein Großteil des Fleisches wird in die Golf-Staaten exportiert. Die Häute indes gelangen über Zwischenhändler nach Hazaribagh, einen Stadtteil von Dhaka. Hier haben mindestens 200 Ledergerbereien ihren Sitz. Im Jahr 2013 hat das New Yorker Blacksmith Institute den Bezirk zum fünftverseuchtesten Ort unserer Erde gewählt.

Schon damals sollen hier mehr als 160.000 Menschen erkrankt sein – bunte Ströme der giftigen Gerbereiabwässer in der offenen Kanalisation geben einen Hinweis auf das Warum. Zwar hatte der oberste Gerichtshof in Dhaka die Regierung schon 2009 angewiesen, die Gerbereien umzusiedeln, aber passiert ist nichts. Im Gegenteil: Seitdem hat die Lederindustrie jährliche Umsatzsteigerungen bis zu 30 Prozent erwirtschaftet.

Schutzkleidung wie Gummihandschuhe oder Plastikschürzen sind nur sporadisch vorhanden. Die Arbeiter stehen barfuß und einzig mit einem Lungi (einem baumwollenen Umhang) bekleidet in der giftigen Lauge. Atemwegserkrankungen und Hautausschläge sind hier an der Tagesordnung.

Inzwischen hat sich das Leder der heiligen Kühe längst mit denen von einheimischen Kühen und Wasserbüffeln vermischt. Aufgespannt an Nägeln liegt es auf den Dächern der Gerbereien in der schimmernden Abendsonne zum Trocknen. Tierschutzorganisationen wie PETA fordern seit Langem eine nachvollziehbare Kennzeichnungspflicht für Leder.

So bedeutet ein „Made in Italy“ lediglich, dass die Einzelteile in Italien zum Schuh zusammengefügt wurden. Das Oberleder eines Schuhs kann beispielsweise in der Türkei zugeschnitten und gefärbt worden sein, die Tiere schlachteten und die Häute gerbten Arbeiten in Bangladesch, und die Kuh stammte ursprünglich aus Indien.


Christian Faesecke wurde 1979 in Kiel geboren. Als gelernter Orthopädie-Techniker baut er seit mehr als zehn Jahren Beinprothesen für Menschen nach Amputationen. In seinen Fotoreportagen beleuchtet er die Hintergründe der globalen Warenproduktion und -verwertungskette und zeigt die Arbeitsbedingungen der Menschen, die von den Endverbraucher nicht gesehen oder nicht wahrgenommen werden wollen.

Redaktion und Produktion: Vera Fröhlich; Bildredaktion: Martin Gommel

Diese Bildreportage veröffentlichen wir mit der freundlichen Genehmigung des Magazins kwerfeldein, mit dem wir uns inhaltlich sehr verbunden fühlen. Krautreporter-Bildchef Martin Gommel hat kwerfeldein 2005 als Blog gegründet und seine Entwicklung als Fotografie-Magazin mit Redaktion ab 2011 bis Ende 2015 vorangetrieben.