Butter ist das neue Superfood
Sinn und Konsum

Butter ist das neue Superfood

Wenn wieder mal Lebensmittel als besonders gesund gefeiert werden, sind das oft exotische Pulver und Beeren. Dass ich nun aber ausgerechnet dicke Klumpen Butter als gesunde Kost serviert bekomme, ist ein Imagewandel, den noch kein Lebensmittel geschafft hat. Und ein Zeichen dafür, dass die Ernährungswissenschaft unser Vertrauen verspielt hat.

Profilbild von Theresa Bäuerlein
Reporterin für Sinn und Konsum

Wenn ich in ein Restaurant oder ein Café gehe, muss ich immer das Gericht oder Getränk bestellen, dessen Zutaten am exotischsten klingen. Ich wünschte, ich könnte mich einfach mal für jenes Angebot auf der Karte entscheiden, von dem sicher weiß, dass es mir schmeckt. Aber es geht nicht; es ist wie ein Zwang.

So kam es, dass ich vor Kurzem in einem neueröffneten Café in der Nähe meiner Wohnung, das allerlei Superfoods und vegane Torten im Angebot hatte, einen „Bulletproof Coffee” bestellte. Auf der Karte stand als Erklärung „Kaffee mit Butter und MCT-Öl”. In diesem Öl stecken mittelkettige Fettsäuren, die angeblich dafür sorgen sollen, dass man schneller Fett verbrennt (was in diesem Zusammenhang irgendwie kontraproduktiv wirkt).

Von dem Rezept hatte ich schon gehört, es ist ein großer Hit bei Menschen, die Fans sogenannter Bio Hacks sind. Der Idee also, dass der Körper eine Art Fleischautomat ist, den man mit pfiffigen Kniffen manipulieren kann, so dass man übermenschliche Kräfte entwickelt. Das klingt etwas irr, ist aber auch in Deutschland zunehmend populär.

„Bulletproof Coffee“ soll Menschen wacher, satter und leistungsfähiger machen. Von meinem Tisch aus konnte ich der Bedienung hinter der Theke bei der Zubereitung zusehen. Ich bekam einen leichten Schreck, als sie einen Klumpen Butter, mit dem man mindestens vier Brote hätte schmieren können, in einen Mixer warf. Dann goss sie Kaffee darauf. Dann Öl.

Das Getränk, das sie mir am Ende servierte, sah aus wie ein großer Latte Macchiato, der eine kleine hellbraune Schaumkrone statt des üblichen weißen Gewölks trug. Es schmeckte auch wie Latte Macchiato, aber einer, in dem jemand ein Croissant püriert hatte: sehr buttrig, karamellig und leicht süß. Ich dachte daran, wie seltsam es war, in einem Café, das sich gesunder Gerichte rühmte, ausgerechnet eine Tasse gesättigten Fetts gereicht zu bekommen, das zwei Generationen lang als Wurzel allerlei gesundheitlichen Übels gegolten hatte. Mir wurde klar, dass dieses Getränk nicht nur eine kuriose Kaffeevariante war, sondern viel mehr bedeutete: nämlich den endgültigen Image-Wandel der Butter.

Butter ist lange dämonisiert worden, weil sie wie andere tierische Fette viele gesättigte Fettsäuren enthält, von denen es hieß, dass sie Herz-Kreislauf-Erkrankungen fördern sollen. Dieser jahrzehntelang von Wissenschaftlern und Ärzten verkündete Zusammenhang geht in seinen Wurzeln auf die Arbeit des amerikanischen Physiologen Ancel Keys zurück, der in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts die Hypothese aufstellte, Cholesterin in tierischen Fetten in unserer Nahrung sei eine entscheidende Ursache für Herzinfarkte. Er begann eine heute weltberühmte Studie, für die er 15 Jahre lang gesunde Männer mittleren Alters in sieben Ländern beobachten ließ (nämlich auf den griechischen Inseln, in Jugoslawien, Italien, Niederlande, Finnland, Japan und den USA).

Dabei stellte er fest, dass in den Ländern, in denen die Menschen am meisten tierisches Fett aßen, auch das Risiko für Herzinfarkte am höchsten war. Seine Ergebnisse bekamen massive Aufmerksamkeit und legten den Grundstein für Ernährungsempfehlungen, die lange niemand angreifen konnte. Sie sorgten dafür, dass Millionen von Menschen jahrzehntelang ihre Brote dünner oder gar nicht mit Butter oder Schmalz bestrichen und sich Eier, rotes Fleisch und fetten Käse verkniffen.

Butter ist nicht böse

Manche, wie der deutsche Lebensmittelchemiker Udo Pollmer, gehen heute soweit, Keys einen Betrüger zu nennen. Denn mittlerweile ist klar, dass man die Ergebnisse der sieben-Länder- Studie auch genau umgekehrt hätte interpretieren können, und dass Keys seinen Versuchsaufbau vielleicht absichtlich manipuliert hat, indem er nur Regionen einbezog, die zu seiner Hypothese passten. So ließ er Länder weg, in denen Menschen viel tierisches Fett aßen, aber wenig Herzkrankheiten hatten, wie Dänemark und Norwegen, sowie Länder, in denen wenig Fett gegessen wurde, in denen es aber viele Herzkrankheiten gab, wie Chile.

1997 sagte Key sogar selbst: „Es gibt absolut keine Verbindung zwischen Cholesterin in der Nahrung und Cholesterin im Blut. Keine. Und das haben wir schon immer gewusst. Cholesterin in der Nahrung macht überhaupt nichts.” („There’s no connection whatsoever between cholesterol in food and cholesterol in blood. And we’ve known that all along. Cholesterol in the diet doesn’t matter at all”) Dreizehn Jahre später veröffentlichte das American Journal of Clinical Nutrition eine Meta-Analyse wissenschaftlicher Studien, die einen Zusammenhang zwischen dem Verzehr gesättigter Fette und Herz-Kreislaufkrankheiten betrachtet hatten. Die Autoren konnten kein erhöhtes Risiko feststellen.

Viele Experten gehen mittlerweile davon aus, dass gesättigtes Fett eine neutrale Rolle spielt, dass es also Herzkrankheiten weder fördert noch verhindert. Menschen, die gesättigte Fette mit mehrfach ungesättigten Fetten ersetzen (zum Beispiel Raps- und Walnussöl), haben laut neueren Studien vielleicht ein kleineres Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten. Aber nicht für Herzinfarkte und Schlaganfälle. Ernährungsrichtlinien, die Butter verteufeln, werden allmählich überarbeitet, auch in Deutschland.

Die Fettfrage zeigt, dass die Ernährungswissenschaft ein grundsätzliches Problem hat. Ernährungsempfehlungen sind oft das Resultat von Beobachtungsstudien: Forscher betrachten, ob Menschen, die bestimmte Lebensmittel essen, häufiger gewisse Krankheiten entwickeln. Das ergibt intuitiv erst einmal Sinn, die Ergebnisse sind aber unzuverlässig: Weil man so nur feststellen kann, ob zwei Konstellationen zusammen besonders häufig auftreten – dass also zum Beispiel Menschen, die viele Nüsse essen, seltener Herzinfarkte haben. Ob es aber wirklich einen kausalen Zusammenhang zwischen Nüssen und Herzinfarkten gibt, ist damit längst nicht gesagt.

Der gleichen Logik nach könnte man behaupten, dass Menschen mit gelben Zähnen öfter Schlaganfälle kriegen. Die gelben Zähne sind aber nicht die Ursache, sondern ein Nebeneffekt des eigentlichen Problems, des Rauchens nämlich. Beobachtungsstudien bringen noch weitere Probleme mit sich, zum Beispiel, dass Menschen oft nicht die Wahrheit sagen, wenn man ihr Essverhalten abfragt. Oder dass die Forscher zu wenige Teilnehmer oder nicht lange genug beobachten, weil ihnen das Geld fehlt.

Lebensmittelstudien sind mit Vorsicht zu genießen

Natürlich trägt es auch nicht zur Glaubwürdigkeit von Lebensmittelstudien bei, wenn Geldgeber mit bestimmten Interessen dahinterstecken. Dann kann es passieren, dass die Ergebnisse schon im Vorhinein feststehen. Wenn etwa Getränkehersteller eine Studie finanzieren, die überprüfen soll, ob Zucker dick macht, ist das Ergebnis mit Vorsicht zu genießen.

Das als Laie zu verstehen und zu überblicken, ist aber natürlich sehr schwer. Zumal die Ergebnisse von Ernährungsstudien oft zu völlig unterschiedlichen und sogar widersprüchlichen Ergebnissen kommen. Diese landen dann in wissenschaftlichen Zeitschriften und schaffen es auch in Mainstream-Medien – vorausgesetzt, sie sind spektakulär genug. Dann entstehen Meldungen wie die, dass Kaffee Krebs wahlweise verhindern oder verursachen kann, oder dass Frauen, die morgens Müsli essen, häufiger Jungen gebären.

„Jede Behauptung, die auf einer Beobachtungsstudie basiert, ist wahrscheinlich falsch.” Dieses harte Fazit haben die beiden Wissenschaftler S. Stanley Young und Alan Karr vom National Institute of Statistical Sciences gezogen. Im Magazin Significance, das Statistiken erklärt, beschreiben sie, warum das wissenschaftliche System, das diese Studien produziert, dringend überarbeitet werden muss. Young und Karr haben selbst informell zwölf klinische Studien überprüft, die 52 Ergebnisse aus Beobachtungsstudien getestet haben. Kein einziges Ergebnis hielt der Prüfung stand.

Es ist also wirklich kein Wunder, wenn viele Menschen mittlerweile nur noch abwinken, wenn sie die neuesten Ernährungsratschläge hören. Oder – und das ist ein Effekt, der sich in den letzten Jahren zunehmend breitmacht – sie fangen an, nur noch alternativen Ernährungs-„Experten” zuzuhören. Menschen etwa, die davon erzählen, dass sie eine schwere Krankheit besiegt oder ihr Übergewicht in den Griff gekriegt haben, weil sie sich wahlweise vegan, ohne Kohlenhydrate, mit extra viel Fleisch oder nur noch von Säften ernährt haben.

Das ist in diesen Zeiten ein sehr erfolgreiches Narrativ, mit dem sich viele Bücher und Produkte verkaufen lassen. Zwei gerade prominente Beispiele sind Ella Woodward (die mit einer glutenfreien und im wesentlichen veganen Ernährung die seltene Nervenkrankheit POTS überwunden haben will) oder Chris Wark von „Chris Beats Cancer“ (der sagt, dass er seinen Krebs erfolgreich mit Rohkost bekämpft hat).

Wie viel an diesen Geschichten dran ist? Das lässt sich schwer überprüfen. Es ist leicht, ihnen mit Zynismus zu begegnen, aber schwer, das Gegenteil zu beweisen. Eins ist aber klar: Die Ernährungswissenschaft hat ein Glaubwürdigkeitsproblem; Laien mit Erfolgsstorys haben Wissenschaftlern den Rang abgelaufen. Nur so kann ich mir erklären, dass ausgerechnet Butter nun auf dem besten Weg ist, als Superfood gehyped zu werden, und dass ein Getränk wie „Bulletproof Coffee” eine derartige Erfolgsstory haben kann.

Auch hinter diesem Fettgetränk steckt kein Arzt oder Ernährungsforscher, sondern ein Hightech-Typ in Silicon Valley, Dave Asprey (der natürlich mittlerweile auch schon den passenden Beststeller geschrieben hat, „The Bulletproof Diet”). Ich bin mir fast sicher, dass der Butterkaffee in Deutschland eine ähnliche Karriere hinlegen wird wie in den USA. Und ich habe den Verdacht, dass sein Erfolg auch damit zusammenhängt, dass dieses Fettgebräu das Gegenteil aller jahrelang von Experten ausgegebenen Ernährungsempfehlungen ausmacht.

Schlimmer noch: Ich befinde mich bereits selbst im Bann dieses Getränks. So sehr, dass ich ihm zwei Wochen lang eine Chance geben und, wie von Asprey empfohlen, statt Frühstück morgens Butterkaffee trinken will. Auf die Superkräfte, die ich dadurch angeblich entwickeln soll, bin ich gespannt. Ich werde berichten.


Redaktion und Produktion: Vera Fröhlich; Audioversion: Iris Hochberger;Aufmacherbild: iStock / KarpenkovDenis.

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