Gut Ding will Langeweile haben
Sinn und Konsum

Interview: Gut Ding will Langeweile haben

Die britische Verhaltenspsychologin Sandi Mann sagt, Langeweile sei ein wichtiges Gefühl. Hier erklärt sie mir, wie entspannend es sein kann, in einer schalldichten Kabine ohne Smartphone zu sitzen – und warum sie sich freut, wenn ihre Kinder sich langweilen.

Profilbild von Interview von Theresa Bäuerlein

Frau Mann, warum verteidigen sie ein Gefühl, das niemand mag?

Ich unterscheide zwischen „guter“ und „schlechter“ Langeweile. Zu viel Langeweile ist schlecht, sie kann sogar gefährlich sein. Menschen haben schon Morde aus Langeweile begangen. „Gute“ Langeweile sind Momente und vorübergehende Zeiten des Stillstands. Wenn Sie zum Beispiel in einer langen Schlange im Supermarkt stehen. Statt darüber wütend zu sein, können Sie in dieser Zeit ihre Gedanken mal einfach treiben lassen. Das ist sonst gar nicht so einfach, weil die Leute es komisch finden, wenn man einfach nur in die Luft guckt. Wenn Sie auf einer Spielplatzbank sitzen, ziehen Sie wahrscheinlich ziemlich bald ihr Telefon heraus, um irgendwie beschäftigt auszusehen. Momente der Leere, des Nichtstuns, sind aber sehr wichtig. Wenn Sie es schaffen, dann keine Schokolade zu essen oder ins Internet zu gehen, fangen Sie an, sich Dinge auszudenken. Ihr Denken kann in alle möglichen Richtungen gehen, sich in verrückten Gedanken verlieren. Deswegen gilt Langeweile als wichtiger Teil kreativer Prozesse.

Nichtstun ist aber nun mal schwer auszuhalten.

Am Anfang, ja. Wir haben ein Experiment gemacht, bei dem wir Probanden in eine schalldichte Kabine gesetzt haben. Sie mussten alle ihre persönlichen Sachen draußen lassen und innen gab es absolut keine Ablenkung, nur neutrale Wände. Am Anfang war das sehr unangenehm für die Leute. Aber nach einer Weile fanden sie es sehr entspannend, fast meditativ. Sie wollten kaum wieder herauskommen.

Das klingt gut, aber lässt sich zu Hause schlecht nachmachen, wenn man nicht zufällig einen schalldichten Raum hat.

Den braucht man nicht. Viele schaffen es sowieso nicht, gar nichts zu tun. Sie fühlen sich schuldig, wenn sie nichts leisten. Deswegen empfehle ich zum Beispiel Spazierengehen oder Schwimmen. Tätigkeiten, bei denen man sich nicht konzentrieren muss. Natürlich muss man den iPod zu Hause lassen. Denn es geht darum, dass man sich gedanklich wirklich treiben lassen kann, dass man in diese geistige „Zone“ kommt, die fast traumähnlich ist. Kennen Sie das, wenn Sie mit dem Auto irgendwo hinfahren und beim Ankommen merken, dass sie sich an den Weg überhaupt nicht erinnern können? Das meine ich. Das ist die Zone, in der oft die kreativsten Ideen entstehen. Anders als viele Eltern heutzutage freue ich mich deshalb auch, wenn meine Kinder sich langweilen.

Ich war schockiert, als mir klargeworden ist, dass genau die Dinge, die ich tue, um Langeweile zu verhindern, mich anscheinend zu einem gelangweilteren Menschen machen.

Das ist das Paradoxe an der ganzen Sache. Je mehr wir versuchen, Langeweile aus unserem Leben zu verbannen, desto gelangweilter werden wir. Weil wir immer irgendein elektronisches Gerät greifbar haben, sind wir an ein sehr hohes Maß an Stimulation gewöhnt. Und daran, dass wir dauernd Neues zu sehen kriegen. Das entspricht unserer Veranlagung: Wir lieben neue Reize, und wenn wir sie finden, belohnt unser Gehirn uns mit Dopamin, das ja nicht umsonst auch Glückshormon genannt wird.

Demnach müsste ich sehr glücklich sein. Ich kann mich vor neuen Reizen kaum retten, das ganze Internet ist ja voll davon.

Das Problem ist, dass kein Reiz dauerhaft neu bleibt. Egal, wie toll das Video auf Youtube oder Facebook ist, wir registrieren es als etwas, das wir schon kennen, und finden es bald langweilig. Dann suchen wir nach neuen Quellen, die uns diesen Dopamin-Schub bringen können. Je öfter wir das wiederholen, desto mehr werden wir danach süchtig. Je mehr Neues wir finden, desto mehr Neues brauchen wir.

Langweilen wir uns deshalb mehr als früher?

Es ist schwierig, das zu sagen, weil es kaum Messungen zu Langeweile gibt. Langeweile ist an sich ein recht neues Phänomen. Früher hatten die Leute einfach nicht so viel Freizeit, in der sie sich langweilen konnten. Sicher ist aber, dass wir uns heute mehr langweilen, als wir es sollten - wenn man bedenkt, wie viele Unterhaltung und Ablenkung uns heute zur Verfügung stehen. Wir verbringen durchschnittlich etwa 40 Prozent unserer Zeit vor Bildschirmen. Für unser Gehirn ist das sehr eintönig. Wir langweilen uns erst dann weniger, wenn wir andere neurale Systeme aktivieren, indem wir zum Beispiel laufen oder stricken.

Esse ich deswegen, wenn mir langweilig ist?

Es gibt da einen Zusammenhang. Wenn wir uns langweilen, lechzen wir, wie gesagt, nach Dopamin. Eine Möglichkeit, einen Dopamin-Hit zu bekommen, sind fettige und zuckrige Lebensmittel. Es greift ja niemand nach Karottensticks, wenn ihm langweilig ist. Auch Kaffee hilft gegen Langeweile.

Deswegen ist die Kaffeemaschine im Büro so wichtig.

Ja. Ich habe festgestellt, dass eine unserer häufigsten Maßnahmen gegen Langeweile bei der Arbeit ist, dass wir etwas trinken. Und Kaffee ist dabei oft die erste Wahl. Koffein wirkt stimulierend und fördert die Konzentration. Und wenn man sich auf eine Sache konzentrieren kann, ist sie weniger langweilig.

Sie sagen auch, dass wir einen Langeweile-Boom am Arbeitsplatz erleben.

Das ist noch mal eine andere Kategorie. Hier können wir definitiv mehr Langeweile feststellen und das ist ein größeres Problem als früher. Egal, wie hart die Arbeit in einer Kohlemine früher war, langweilig war sie sicher nicht. Aber heute langweilen sich immer mehr Menschen bei der Arbeit, obwohl sie unheimlich beschäftigt sind. Das widerspricht dem gängigen Klischee, Langeweile komme davon, dass man halt nichts oder nicht genug zu tun hat. Aber das stimmt nicht. Wir langweilen uns, wenn wir das, was wir tun, nicht interessant finden. In vielen Jobs haben wir es zunehmend mit repetitiven Tätigkeiten zu tun, mit viel Bürokratie, Papierkram und Meetings. Gleichzeitig haben wir höhere Ansprüche. Es reicht uns nicht mehr, nur noch Geld zu verdienen. Wir wollen stimuliert werden. Wir tolerieren Langeweile also weniger. Und erwarten, dass unsere Arbeit mindestens so aufregend wie Facebook oder Fernsehserien sein soll.

Wenn man sich im Büro langweilt, darf das aber keiner mitkriegen.

Nein, Langeweile ist fast ein Tabu. Umgekehrt gilt: Je gestresster man ist, desto wichtiger kommt man sich und anderen vor.

Was kann man denn tun, wenn man sich bei der Arbeit langweilt?

Wenn Sie können, wechseln sie zwischendurch die Umgebung, gehen Sie spazieren, sprechen Sie mit Kollegen. Wenn Sie quasi gefangen sind, weil sie zum Beispiel in einem Meeting sitzen, können sie auch vor sich hinkritzeln. Es ist erwiesen, dass das hilft. Wenn sie sich aber ständig bei der Arbeit langweilen, dann wollen ihre Emotionen ihnen vielleicht etwas sagen. Vielleicht sollten sie sich einen anderen Job suchen. Chronische Langweile entsteht oft, wenn man keinen Sinn in seiner Arbeit sieht.


Sandi Mann ist Arbeitspsychologin und Langeweile-Forscherin. Sie lehrt und forscht an der britischen University of Central Lancashire. Ihr Buch „The Upside of Downtime. Why Boredom is Good“ ist 2016 bei Robinson erschienen.

Wer noch mehr über Langeweile wissen und darüber, warum es gut ist, öfter auszuhalten, kann hier meinen zweiten Text zum Thema lesen.

Aufmacherbild: Ruslan Ivanov/Eyeem; Redaktion: Esther Göbel; Produktion: Susan Mücke.