Hitzefrei!

© Sibylle Jazra

Sinn und Konsum

Hitzefrei!

Wir rennen normalerweise nicht jedem Kaffeetrend hinterher, aber der schlichte Cold Brew schmeckt so gut, dass Theresa Bäuerlein ihn dringend zum Selbermachen empfiehlt. Zahl der Geräte, die sie für die Zubereitung braucht: null.

Profilbild von Theresa Bäuerlein
Reporterin für Sinn und Konsum

Wenn man gemein sein wollte, könnte man sagen: Kaffee-Kennerschaft ist wie Wein-Wissen für Arme. Es fühlt sich ein wenig elitär an, ist aber für jeden zugänglich. Und natürlich ist das Produkt deutlich günstiger zu haben als ein erlesener Chateau Lafite-Rothschild. Wie leicht ist es, sich über den Melitta-Pöbel erhaben zu fühlen, wenn man doppelten Espresso trinkt, dessen Bohnen der tätowierte Café -Besitzer persönlich in Nicaragua ausgewählt hat!

Einerseits nervt das ganze Theater um Kaffee also. Deswegen scheint es fast überflüssig, hier noch einen weiteren Artikel über Koffeinsud zu schreiben. Aber nur fast. Zumal am Ende dieses Textes ein Kaffeerezept stehen wird, das beinahe garantiert noch niemand, der diesen Text liest, ausprobiert hat. Und weil die Deutschen nun mal wahnsinnig gerne und oft Kaffee trinken. Öfter als Cola. Öfter als Bier! Wenn man acht Tassen Kaffee trinkt, wird man euphorisch. Vielleicht liegt es daran. Die Chancen, dass Sie beim Lesen dieses Texts gerade Kaffee trinken, sind jedenfalls hoch.

Der perfekte Kaffee kann locker so aufwändig sein wie das Make-Up von Kim Kardashian

Aber was heißt schon: Kaffee? Früher bedeutete Kaffeezubereitung in Deutschland, dass man Pulver in einen Filter warf und heißes Wasser darüber laufen ließ. Heute gibt es für diesen Prozess so viele Variationen und so viele Faktoren, die man berücksichtigen könnte, dass man für die perfekt gebrühte Tasse so viel Aufwand betreiben kann wie Kim Kardashian für ihr Tages-Makeup (sie braucht dafür 50 Produkte im Wert von 1.200 Dollar). Man kann die Frage nach den richtigen Bohnen und der angemessenen Herkunft diskutieren, über die besten Geräte und die unübersichtlichen Zubereitungsmöglichkeiten fachsimpeln, ganz zu schweigen von der Milchfrage – wie man sie schäumt, ob man sie schäumt, bei welcher Temperatur man sie schäumt, welchen Fettgehalt sie haben sollte, und ob richtig guter Kaffee verdammt noch mal überhaupt Milch braucht. Den ganzen politischen Themenkomplex (Fairtrade? Bio? Kleine oder große Röster?) hat man an diesem Punkt noch nicht einmal angeschnitten, obwohl allein das Gesprächsstoff bis nach Mitternacht gibt. Gut, dass Kaffee wachmacht.

Aber abgesehen von der Angeberei ist Kaffee-Nerdtum eigentlich kein schlechtes Hobby. Und ein sehr befriedigendes noch dazu. Es macht nun mal einen sofort schmeckbaren Unterschied, ob man seinen Koffeinsud in einer Mokka-Kanne oder einer futuristischen Aero-Press zubereitet oder ihn gar durch die gute alte Filtertüte laufen lässt (die gerade ein großes Revival erlebt, überall im Lande werden die Keller von Großmüttern nach Porzellanfiltern durchsucht – Oma brüht sich derweil kopfschüttelnd eine Tasse mit ihrer Senseo). Diese klare geschmackliche Erkenntnis macht Kaffeeambitionierten das Leben leicht: Man muss nicht erst stundenlang an Aroma-Flakons für Hobby-Sommeliers riechen, um zu lernen, wie man Rauch und grünen Ton im Weinglas erschnuppert. Jeder Besitzer einer Durchschnittszunge kann sofort kennermäßig sagen: Dieser Kaffee schmeckt eher dicht und schokoladig, dieser spitz und fruchtig und jener einfach sauer.

Dabei gibt es eine billige Methode, viel Aroma in den Kaffee zu bekommen – ganz ohne Kochen

Eins aber ist und bleibt frustrierend: Fast niemand schafft zu Hause eine Tasse Espresso, die so gut schmeckt, wie der heiße Sud, der aus einer Maschine in einem Café oder Restaurant fließt (sofern es kein Vollautomat ist und die Person, die mit dem Gerät hantiert, weiß, was sie da macht). Selbst wenn man zu Hause die gleichen Bohnen benutzt – das wird nichts. Es gibt eben Gründe dafür, warum die Profi-Maschine mehrere tausend Euro gekostet hat. Das beste Aroma ist eine Frage des Drucks, des Mahlgrads, der stabilen Temperatur, der Maschinenwartung. Man muss sich in die Details schon ziemlich reinsteigern, um zu Hause ein konkurrenzfähiges Gebräu herzustellen. Und selbst dann schafft man wahrscheinlich nicht den sirupartigen, aromadichten Espresso, den jeder gute Barista mühelos aus seinem Gerät melkt.

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Umso befriedigender ist es da, eine extrem simple, sehr sommertaugliche Zubereitungsmethode zu entdecken, die zwar auch keinen Espresso hervorbringt, dafür aber ein aromatischeres Gebräu erzeugt als manche kostspielige Kaffeemaschine. Anzahl der teuren oder schwierig zu bedienenden Geräte, die dafür nötig sind: null.

Die Rede ist von Cold Brew – Kaltbräu wäre eine treffende, aber unschöne Übersetzung. Man nimmt dafür grob gemahlenen Kaffee, mischt ihn im Verhältnis 1 : 8 mit Wasser und lässt ihn 12 bis 24 Stunden stehen (je nachdem, wie stark man sein Getränk mag). Der grobe Mahlgrad ist wichtig, sonst schmeckt der Kaffee bitter. Die Konsistenz sollte wie bei Paniermehl sein.

Schritt 1: Grob gemahlenen Kaffee im Verhältnis 1:8 mit Wasser mischen

Schritt 1: Grob gemahlenen Kaffee im Verhältnis 1:8 mit Wasser mischen

Das Ergebnis gießt man erst durch ein Sieb und dann durch ein gefaltetes Papierhandtuch oder einen Filter und verdünnt die entstandene Essenz etwa zur Hälfte. Dann fügt man Eiswürfel und Milch hinzu. Das war’s.

Das klingt wie ein Rezept, das sich ein Vierjähriger im Sandkasten ausgedacht hat, aber es funktioniert, weil man keine Hitze braucht, um Kaffee (oder auch Tee) zuzubereiten. Die Hitze beschleunigt den Vorgang, aber sie erschließt auch andere, bittere und säuerliche Komponenten. Deshalb schmeckt Cold Brew süßer als heiß gebrühter Kaffee, weniger sauer und überhaupt nicht wässrig. Manche erinnert der Geschmack an Schokolade oder Bourbon. Merlin Jobst, Mitarbeiter des Fernsehkochs Jamie Oliver, verlor alle britische Zurückhaltung, als er den Moment beschrieb, als er das Getränk zum ersten Mal probierte: „Ich nahm einen Schluck und schnappte nach Luft – es war dezent süß, aromastark, aber nicht zu sehr, absolut erfrischend und hatte irgendwie alles, was ich an Kaffee liebe, während es gleichzeitig wie nichts schmeckte, das ich jemals probiert habe.“ (Hier das Cold-Brew-Rezept auf Jamie Olivers Seite)

Schritt 2: Nach 12 bis 24 Stunden den Kaffee filtern.

Schritt 2: Nach 12 bis 24 Stunden den Kaffee filtern.

Cold Brew darf man nicht mit Eiskaffee verwechseln: Letzterer ist einfach normaler, heiß gebrühter Kaffee, den man entweder hat kaltwerden lassen – das schmeckt nicht, daher das Vanilleeis und die viele Sprühsahne – oder den man noch heiß über Eis hat laufen lassen. Cold Brew ist kein kalter Kaffee, sondern ein Getränk für sich. Immer mehr Cafes, die ein Kaffeeliebhaber-Publikum anziehen, verkaufen es gekühlt und meistens überteuert in kleinen Glasflaschen wie Parfum. Das erweckt den Eindruck, Cold Brew sei besonders edel, ein Hipster-Produkt. Aber das ist falsch: Egal, wie trendig man Cold Brew zu verpacken versucht, in seinem Ursprung und Wesen ist es ein zutiefst bescheidenes Getränk.

Schritt 3: Schmecken lassen!

Schritt 3: Schmecken lassen!

Und beileibe keine neue Erfindung. In Japan kennt man diese Zubereitungsmethode seit dem 16. Jahrhundert, sie heißt dort „Kyoto Coffee“ oder „Dutch Coffee“. Der Name ist kein Zufall, denn wahrscheinlich haben holländische Händler in Asien sich das Getränk ausgedacht – aus praktischen Gründen. Sie konnten so einfach große Mengen Kaffeekonzentrat für lange Seereisen herstellen. In New Orleans wiederum bereitet man eine besondere Cold-Brew-Variante zu, die es in Deutschland noch nicht in die Hipster-Läden geschafft hat: Hier mischt man das Kaffeepulver im Verhältnis 2:1 mit gerösteten und gemahlenen Chicoree-Wurzeln (die es gibt es in vielen Läden - in Bioläden, Reformhäusern und manchmal Supermärkten. Es sollte allerdings nicht die Instant-Variante sein, also kein Caro-Kaffee). Ursprünglich war diese Mischung eine Notlösung, um Kaffee zu sparen, mittlerweile denkt daran keiner mehr. Es schmeckt einfach gut, wie malziger Kaffee. Und hat den Vorteil, dass man im Sommer viel mehr davon trinken kann, ohne zittrig zu werden.

Zugegeben, Cold Brew im New Orleans Stil, das klingt schon wieder furchtbar trendig. Aber in Deutschland kennt man Ersatzkaffee aus Zichorienwurzeln ja längst als Landkaffee, Blümchenkaffee – oder, vor allem in der Nachkriegszeit, als Muckefuck.

Man kann also auch einfach sagen: „Ich trinke kalten Muckefuck.“ Damit hat sich dann jeder Hipster-Verdacht erledigt.


Alle Illustrationen: Mit Farbe aus kaltem Kaffee hat Sibylle Jazra für Krautreporter illustriert, wie man Cold Brew Kaffee zubereitet.